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siehe Bildunterschrfit

Glippen

Neuntes Kapitel
Am Strand von Helgoland

Um dieselbe Zeit, in der Meister Wöllers Besitz von der Sandinsel nahm, auf der ihn das oben beschriebene Aprilwetter im Schlafe ereilte, lungerten auf der Insel Helgoland verschiedene Lotsen in sonntäglicher Ruhe an der Falm und dem alten Leuchtturm umher. Sie hätten eigentlich den Sonntag dazu nicht nötig gehabt, denn auf Helgoland ist, streng genommen, jeder Tag Sonntag. Da aber doch ein Abschnitt in der Woche gemacht werden muß, so ziehen sich die Helgoländer Sonntags ein paar neugewaschene Segeltuchhosen an (wenn gerade welche gewaschen sind), fügen vielleicht ein weißes Leinwandhemd zu dem permanenten blauwollenen und lungern etwas langsamer als wochentags.

An der Falm, so heißt die Gegend, Straße oder der Weg, der von der Treppe nach der Kartoffelallee führt, der das nichtswürdigste Pflaster der Welt besitzt und auf einer Seite an der Klippe von einer Mauer, auf der andern Seite von Häusern eingefaßt ist, an der Falm also lehnte eine Reihe von Lotsen mit den Armen bequem auf der Mauer und guckten in die See hinaus, wobei sie sich in ihrer fürchterlichen Sprache über den Gouverneur lustig machten, der seit vierzehn Tagen vergeblich versucht hatte, einen Widerspenstigen in Haft bringen zu lassen, der jetzt eben zum allgemeinen Gaudium vor des Gouverneurs Hause auf und ab spazierte.

Da der Tag sehr schön war und der böse Insulaner es augenscheinlich auf eine kleine Boxpartie mit Mr. King abgesehen hatte, so war die Aufmerksamkeit der Lotsen mehr dem Lande als der See zugewandt. Nur am alten Feuerturm standen und saßen ein paar Männer, die lässig nach dem Horizont schauten und über die nahe Badezeit sprachen. Sie blickten dabei auf einen Mann, der auf der Bank am Turm saß und durch ein Schiffsfernrohr nach den Schiffen blickte, die nach und von der Elbe gingen.

Er hatte die Schiffe wiederholt durch sein Fernrohr betrachtet und richtete es jetzt nochmals auf einen Punkt, der ihn besonders interessierte. Er warf dabei einige schnelle Seitenblicke auf seine Kameraden und erhob sich dann langsam, als er sie im eifrigen Gespräch erblickte. Er ging hinter den Turm, wo er nochmals sein Fernrohr an die Mauer legte und mit der größten Aufmerksamkeit hindurchsah, worauf er es entschieden zusammenschob und sich verstohlen umblickte, ob er von niemand beobachtet werde. Dann nahm er das Rohr unter den Arm und schlenderte ruhig der Falm zu. Als er an den alten Pulverturm kam, stand plötzlich ein junger Mann vor ihm und betrachtete ihn mit pfiffigem Schmunzeln. Der Lotse stand still, als stemme er sich mit aller Kraft gegen eine geheime Gewalt, die ihn fortziehe. Er sagte freundlich, »Goden Dag, Uterhark«, hatte aber offenbar die größte Lust, dem Gegrüßten eins mit dem Fernrohr über den Kopf zu geben.

»Goden Dag, Jakob,« sagte der andere, indem er ihn forschend betrachtete, »wo hinaus?«

»Nach dem Unterland!« sprach der Lotse und wollte weiter.

»Nach dem Unterland?« fragte der junge Helgoländer, indem er einen scharfen Blick nach der See hinaus warf. »Weshalb?«

»Na, zum Teufel, ich werde doch nach dem Unterland gehen können, ohne dir Rechnung darüber abzulegen!« schrie der Ältere ärgerlich.

»Gib mir doch einmal dein Fernrohr,« erwiderte der andere, die Hand nach dem Rohr ausstreckend, »und schrei nicht so, denn wenn Jakob Siemens schreit, dann kommen mehr, als er braucht.«

»Das Fernrohr ist zerbrochen«, knurrte der Lotse.

»Man kann aber doch vielleicht durchsehen, ob es etwas zum Glippen gibt!« flüsterte ihm Uterhark zu.

»Den Teufel nochmal, halt's Maul, Junge!« sprach Siemens, sich schnell umblickend.

»Aha! Also doch! Nun, ich dachte mir's, daß du nicht umsonst spekuliertest. Ich habe die schärfsten Augen und glaube zu sehen, daß ein Schiff außer Kurs nach Elbe oder See ist, was gibt's damit?«

»Es muß ihm etwas am Steuer passiert sein. Es hält nach hier zu. Doch hier herein.« Die letzteren Worte sprach Siemens, als er an die Falm kam, wo er in eine der kleinen engen Gassen einbog, um die Lotsenversammlung an der Mauer zu umgehen. Zwischen den kleinen Hütten hingehend, fuhr er fort: »Ich als Lotsenoffizier werde jetzt nach dem Strand gehen und mich bei der Jolle aufhalten. Du holst noch einige herzu, aber mach' deine Sache gut und pfiffig und dann los. Es wird was geben, denn hinten steigt eine Bank auf.«

Die beiden Lotsen trennten sich, und Siemens stieg mit der gleichgültigsten Miene von der Welt die Treppe hinab, gab sein Fernrohr unten einem Jungen und ging nach dem Strand, wo er einen Augenblick bei Nickel Block in das Wirtshaus trat und an die Hakentafel schaute, auf jenes geheimnisvolle schwarze Brett, das Bankkonto der Helgoländer, worauf die Guthaben angeschrieben und abgetrunken werden. Nachdem er die Tafel einige Augenblicke studiert, sah er einem Paar alter Seehunde ins Gesicht, machte ein Auge zu und blickte mit dem andern nach der Tür, wobei der eine fast vor Schreck sein Glas fallen ließ, das er eben nach dem Mund führte. Dann ging er so ruhig und langsam hinaus, als dies nur möglich war, und die beiden folgten ebenso ruhig und ohne ein Wort zu sagen.

Nickel Block hätte aber nicht Nickel Block der Lotsenwirt sein müssen, wenn er nicht sogleich etwas gewittert hätte, was »Haken« tragen könnte. Er sah deshalb drei seiner besten Stammgäste mit gespitztem Munde pfiffig lächelnd an und zeigte mit dem Daumen nach den Abgehenden. Die drei blickten sich schmunzelnd an und verließen ebenfalls langsam die Stube.

Draußen standen dann alle müßig umher und blickten irgendwohin, nur nicht nach Siemens oder einem gewissen kleinen Boot, auf das sie unbemerkt losrückten und es wie mit einem unsichtbaren Netz umspannen. Uterhark war auch mit drei Spießgesellen herabgekommen und suchte Feuer für seine Zigarre zu machen, an etwas anderes dachte er offenbar gar nicht. Siemens stand mit dem Rücken nach dem Wasser und sah nach der Treppe hinauf.

Plötzlich ward es droben lebendig. Einige Männer huschten mit großen Schritten die Stufen hinab, denen bald der ganze Lotsenhaufe nachstürzte.

»Los!« schrie Siemens in diesem Augenblick und sprang mit allen Verschworenen nach der kleinen Jolle, die ein jeder am Rand packte und sie mit wahnsinniger Eile über den Strand nach dem Wasser schleppte.

Es war, als sei der Rappel plötzlich unter alle Helgoländer gefahren, denn alles, was in der Nähe war, sprang mit verzweifelten Sätzen dem davongeschleppten Boot nach, als wäre es das Palladium der Insel und diese unrettbar verloren, wenn die Entführung gelänge. Aus der Hakenschänke kam ein Mann, der einen Krug Bier geholt hatte. Er sah kaum, was los war, als er dem Boot nachrannte und seinen Krug unterwegs in einen Haufen Seetang setzte, wobei er jedoch von einem andern überrannt wurde, den Seetang mit dem Bier traktierte und beim Aufstehen wie ein Schlangenbändiger aussah, da ihm ein großer langer Tang um Hals und Leib hing, gerade wie die Männer vor den Menagerien sich die Schlangen umhängen. Der andere verlor zwar seine Pantoffel im Tanghaufen, lief aber in den Strümpfen über das Strandgerölle und geradezu in die See dem Boot nach. Der ergrimmte Schlangenbändiger warf den hinderlichen Tang einem Vorbeieilenden wie einen Lasso zwischen die Beine, daß dieser stürzte und mit seiner Nase als Kiel eine Furche in den Sand zog, worauf er sie fluchend befühlte. Jetzt brach aus der Treppenstraße der Lotsenhaufe von der Falm und lief ebenfalls mit Geschrei nach dem Wasser. »Sie wollen glippen! Greift an! Sie wollen glippen!« schrie alles, als die Verschworenen mit dem Boot durch die leichte Brandung liefen.

Den zehn Männern, die die Jolle zuerst gepackt hatten, waren noch vier nachgekommen. Alle vierzehn rannten rücksichtslos darauflos, um das tiefe Wasser zu erreichen, denn hinter ihnen platschten und stampften noch zwanzig Füße in der flachen See. Das Vorhaben schien auch zu gelingen, denn einige hatten sich in das Boot geschwungen, und die übrigen schoben, fast bis an den Hals im Wasser, nach und dachten sich bis zur Lotsenschlupp am Rand festzuhalten. Sie hatten schon den Grund verloren und erhoben ein Triumphgeschrei, als ein Ungetüm daherkam, das den ganzen Plan scheitern machte.

Es war der lange Fischer, ein Helgoländer Riese, der noch ein gutes Stück aus dem Wasser guckte, wenn es andern Leuten schon über den Kopf ging, und der nun das Boot mit Leichtigkeit erreichte, weil es durch die vielen am Rand Hängenden unlenkbar ward.

Sobald er es ergriff, ertönte vom Strand ein Jubelgeschrei, denn er war jetzt der Fünfzehnte und hatte die Zahl überschritten, die einen Glippzug auf eigene Hand unternehmen durften. Die Jolle mußte umkehren, und die gesamte Lotsenschaft loste nun um den Beistand für das näherkommende Schiff, das Hilfe verlangte, da der Wind aus Südwest aufstand und eine Wolkenwand heraufbrachte, dieselbe, die später Wöllers so einweichte.

Da der Wind bald zur Bö wuchs, und die Wellen anfingen, weiße Köpfe aufzusetzen und um die Düne einen breiten Schaumgürtel zu ziehen, so machte sich die Lotsenschlupp hinaus, um an das Schiff zu kommen, das alle Leinwand bis auf den Klüver eingeholt hatte. Das Fahrzeug war steuerlos und lief gerade auf die Südspitze der Düne zu, die es zu umschiffen strebte. Als man dies bemerkte, gingen so viele Boote wie möglich hinaus, um die Spitze vielleicht durch Bugsieren zu gewinnen. Da man aber vorher in aller Gemütlichkeit an Bord stieg und mit dem Kapitän handelte, wobei man soviel wie möglich herauszuschlagen suchte, so ward dieser wütend und jagte die Lotsen vom Deck, indem er die Sache nicht für so gefährlich ansah, und als er bemerkte, daß er die Bank nicht abwerfen konnte, die Anker fallen ließ.

Leider war er jedoch zu weit nach der Düne getrieben und stieß, als die Ebbe eintrat, auf den Grund, wobei die Dünungen über das Schiff zu rollen begannen, als es sich auf die Seite legte. Dabei brach auch noch ein Mast über Bord, und das Schiff war ein Wrack, in dessen Wanten die Matrosen retirierten.

Der Sturm ließ zum Glück sehr bald nach, worauf die Leute ohne Verlust eines Menschenlebens geborgen wurden. Das Fahrzeug kam aus Buenos Aires und führte eine Ladung von Ochsenhäuten, die die Firma Stubborn als Zahlung für gelieferte Waren erhalten sollte.

Das Schiff hatte bei dem Auflaufen kein Leck erhalten, mußte aber doch ausgeladen werden, um bei nächstem Hochwasser wieder vom Grund abzukommen. Die dienstfertigen Helgoländer gingen auch sofort an die Arbeit und schafften Haut um Haut auf die Insel, bis das Schiff leer war. Der Schaden war geringer, als man dachte, und die abgebrochene Steuerpinne durch Hilfe von Siemens bald wieder ersetzt, so wie die Stengen von einem früher gestrandeten Schiff einen Notmast gaben, womit man ganz gut die Elbe erreichen konnte.

Als es aber wieder ans Einladen ging, war nicht der vierte Teil der Häute mehr vorhanden, und die Ratleute sprachen die höchstwahrscheinliche Ansicht aus, daß die Ratten die übrigen indes gefressen haben müßten, denn die Helgoländer seien solche ehrlichen Leute, daß von Entwenden gar keine Rede sein könne.

Was wollte der Kapitän machen! Er ging zum Gouverneur, und dieser gab ihm den Trost, ›er solle froh sein, daß er seine eigene Haut behalten habe‹, womit der Schiffer nach der Elbe absegelte und die Sache von Cuxhaven aus an Stubborn berichtete.

Die Wut des ehrlichen Buchhalters Trick, als er den Brief des Kapitäns erhielt, ist kaum zu beschreiben. Er kam gerade vom Schiff, wo er Schwarz getroffen hatte, nach Hause und nahm in dem Flur dem Briefträger die Briefe ab, worunter der Cuxhavener war. Daß dabei ein Brief an Ernst Schwarz, der aus Neuyork kam, in das Kontor Stubborns geriet und nicht wieder herauskam, war reiner Zufall.

Stubborn griff zunächst nach dem Brief für Schwarz und erbrach ihn mit der größten Seelenruhe, als wäre er an ihn selbst adressiert gewesen. Er war eben damit fertig, als Trick losbrach und die Helgoländer in die Tiefe der See verwünschte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte die ganze Insel hängen müssen, zur Warnung für alle Stranddiebe und zur Ergötzung aller ehrlichen Kaufleute. Er hielt in seiner Philippika inne, als er bemerkte, wie sein Prinzipal mit bleichen Lippen in den Brief blickte, und nahm ihm das Schreiben ohne weiteres aus der Hand.

»Was nun?« fragte Stubborn leise, als Trick das Schreiben gelesen hatte.

»Verflucht sei der Kerl! Was machen wir?« fragte auch Trick.

»Sie müssen hinüber, sogleich, und die Sache in die Hand nehmen!« drängte Stubborn.

»Strapazieren Sie sich nicht umsonst, Verehrtester,« sprach Trick lächelnd, »ich gehe nicht von Ihrer Seite. Machen Sie nur gar keinen Versuch mehr. Treu bis zum Galgen ist meine Devise. Jetzt handelt es sich vor allen Dingen hauptsächlich darum, Schwarz wegzubringen, und zwar schnell. Morgen noch. Damit er nicht zum Lotsen hinauskommt. Ich habe schon daran gedacht und dafür gesorgt, daß er nicht aus der Stadt kann. Wir müssen ein Übel mit dem andern bekämpfen. Also nehmen wir die Helgoländer Geschichte und machen Schwarz damit unschädlich.«

»Wie aber?«

»Sehr einfach. Großes Vertrauen. Wir schicken ihn nach Stade hinunter, nach Brunshausen, dort muß er sitzen und aufpassen, wer von unten herauf, besonders von Helgoland kommt und Ochsenhäute klariert, wonach wir bald sehen werden, wo sie geblieben sind und so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.«

»Ausgezeichnet«, sagte Stubborn, tief Atem holend. »Sie sind ein gewiegter – – –«

»Spitzbube«, ergänzte Trick sehr geschmeichelt. »Oder vielmehr Geschäftsmann, wollte ich sagen.« Dann fuhr er fort: »In unserer Tageskasse fehlen diese Woche wieder sechshundert Mark.«

»Verdammt! Das geht seit drei Monaten so fort – haben Sie keinen – – –«

»Verdacht? Nein, Gewißheit! Ich habe ihn jetzt sicher. Er hat uns bereits an dreitausend Mark entwendet. Wir können ihn jeden Augenblick im Zuchthaus haben«, sprach Trick, sich vor Vergnügen die Hände reibend. »Was tun wir aber im Zuchthaus mit ihm?«

»Wer!« sprach Stubborn mit hoffnungsvollem Gesicht. »Ein Schwarz?«

»Leider nicht!« seufzte Trick – »der Kommis Müller!«

Stubborn sprang auf und griff nach der Kontortür.

»Halt!« sagte Trick leise. »Wir brauchen den Mann nötig – wollen ihm Gelegenheit geben, noch einen guten Griff zu tun.«

»Aber sind Sie denn wahnsinnig!« rief Stubborn erstaunt.

»Nicht im geringsten. Brauchen Sie nicht einen Mann, der mit Haut und Haar in Ihren Händen ist, um ihn nach Neuyork zu schicken und dort ein kleines Geschäftchen mit Kern zu besorgen?«

»Wahrhaftig,« sagte Stubborn, die Hände erstaunt zusammenschlagend, »Sie sind ein kolossaler – – –«

»Geschäftsmann«, sprach Trick schmunzelnd. »Lassen Sie mich nur machen. Nielsen wollen wir es auch hübsch besorgen. Dem Freund – ha, ha, wartet nur, Stubborn und Companie wird euch schon die Bilanz machen! Sie wissen also von gar nichts!« schloß der Buchhalter, indem er sich bedeutungsvoll an die Nase klopfte und dann die Haare gegen das Kontor kehrte, in das er nun mit Stubborn eintrat und das dieser nach einem Blick auf den erwähnten Müller verließ, während Trick zu dem jungen Mann trat.

»Schreiben Sie doch sogleich an unseren Agenten in Berlin. Er soll so schnell wie möglich noch zehn Stück Flügel von derselben Sorte, gut verpackt, für uns besorgen. Valuta folgt mit Schluß der Woche. So, immer fleißig und fidel!« sprach er, dem Kommis auf die Achsel klopfend. »Wo ist Herr Ernst Schwarz?« fragte er hierauf, sich umblickend.

»Im Spieker – er läßt die Instrumente verpichen«, antwortete der Kommis.

Trick ging hin und fand Schwarz, wie er bei Wilm stand, der mit einem Teerquast alle Fugen der Flügelkisten verschmierte.

»Wir hätten doch eigentlich nachsehen sollen, ob gute Instrumente drin sind«, sagte der Buchhalter. »Sie können uns ja in Berlin auch Kasten ohne Saiten hineinpacken. Aber freilich, sollen wir die Kisten erst aufmachen? Halt, ich habe es. Gebt mal einen Hammer her.« Er nahm einen Hammer und klopfte damit stark an jede Kiste, worauf man die Saiten darin erklingen hörte. Als er alles durchgeklopft hatte, wandte er sich an Schwarz und sprach:

»Können Sie sofort zum Besten des Geschäfts eine kleine Reise unternehmen? Nur einige Stunden weit und auf ein paar Tage, bis wir einen sicheren Mann an den Platz schicken können. Sie müssen aber noch heute abend fort.«

»Wohin?« fragte Schwarz aufhorchend.

»Nach Brunshausen, wo die aufkommenden Schiffe klarieren. Dort geben Sie von morgen früh an auf die Helgoländer acht und notieren jeden, der Ochsenhäute hat. Hier, lesen Sie«, sagte Trick, dem verwunderten Schwarz den Brief des Kapitäns hinreichend.

»Das ist eine gute Idee«, nickte dieser beistimmend. »Ich hoffe, damit fangen wir die Schwerenöter. Es ist aber allerdings Eile nötig. Ich will mit dem englischen Dampfer hinunter, der um zehn Uhr abgeht, sonst gibt es keine Gelegenheit.«

»Bravo, mein lieber Schwarz! Das ist recht. Wir wollen die Seehunde schon fangen, und Sie sollen Ihre Prozente erhalten. Ich will mit dem Prinzipal sprechen. Gehen Sie ins Kontor, ich komme gleich nach.«

Schwarz ging, und Trick folgte bald. Er kam gerade zu einem kleinen Wortwechsel, in den Schwarz mit Müller und noch einem Jüngling geraten war. Beide saßen auf ihren Kontorböcken und machten Schwarz Vorwürfe, daß er die Gesellschaft der »fidelen Seehunde« nicht respektiere und ihre Einladungen mißachtet habe, während andere es sich zur größten Ehre rechneten, von den fidelen Seehunden eingeladen zu werden.

Schwarz entgegnete, daß ihm der Klub der Seehunde zu vornehm sei, da er aus lauter jungen Millionären zu bestehen scheine, wenigstens den Ausgaben nach, die sie bei ihren Zusammenkünften und Partien machten. »Ich kann nicht begreifen, wo ihr das Geld dazu hernehmt. Ich habe doch mehr als ihr, aber zwei Partien mit den fidelen Seehunden würde mein Monatssalair verschlingen, und ihr seid doch auch nur darauf angewiesen, soviel ich weiß«, schloß Schwarz.

Die beiden Kommis sahen sich bedeutungsvoll an, und Müller entgegnete: »Man hat gute Freunde und der Klub eine starke Kasse.«

Schwarz nickte stumm und sah die beiden von der Seite an, worauf er sagte: »Nun, dann seht nur zu, daß die Kasse immer stark bleibt.«

Müller ward bei diesen Worten etwas blaß, während der andere rot wurde. Beide beugten sich über ihre Bücher, da eben der Buchhalter eintrat.

Trick ging an die Kasse und ließ Schwarz zwanzig Taler Reisespesen auszahlen. »Nur zwei oder drei Tage«, bemerkte er dabei. Dann gab er ihm noch einige Aufträge, die bis zum Abend besorgt werden mußten, und empfahl ihm hierauf, ja rechtzeitig auf dem Dampfer zu erscheinen, wo er ihn erwarten wolle, worauf er seinen Hut nahm und ausging.

Der englische Dampfer, mit dem Schwarz nach Brunshausen hinuntergehen wollte, bewegte sich von den Schlängels, wo er bisher in Ruhe gelegen hatte, langsam nach den Landungsbrücken in St. Pauli. Es gehörte eine Geschicklichkeit dazu, den Koloß dahin zu bringen, ohne Schaden anzurichten, denn die langsamste Bewegung des dampfpustenden Ungeheuers war imstande, eins oder mehrere der kleinen Fahrzeuge zu zertrümmern, die hundertweise hier umherschwammen und zwischen die Bäuche der großen Schiffe krochen.

Der Hafenmeister, eine riesige Figur, mit Händen von der Größe eines kleinen Bootes und mit einer Stimme, wie sie die größte Orgelpfeife hat, sprang und schrie denn auch nicht wenig auf der Kommandobrücke umher. Die Matrosen rannten und zogen da- und dorthin, die Räder stampften und schlugen vor- und rückwärts, und so gelang es endlich, den »Tiger« auf eine so zarte Weise an die Landungsbrücke zu bringen, daß von dem unbedeutenden Ruck, der erfolgte, nur zwei Leute ins Wasser geschleudert wurden und die Brücke ein wenig in den Fugen krachte, worauf alles in Ordnung war und der Dampf aus dem kleinen Rohr gelassen wurde, wo er polternd und sich überkollernd herausstürzte und das Weite suchte.

Der Kapitän stand dabei auf dem Radkasten, der wie eine Kirchenkuppel über die Landungsbrücke emporragte. Er lehnte sich an das Geländer und rauchte eine Zigarre, ohne sich scheinbar um etwas zu kümmern. Er sah jedoch alles und hatte auf alles acht. Der erste Steuermann stand an der Brücke und trug überall Papiere: Papiere in den Taschen, in den Händen, und sogar den Mund hatte er voll Papiere, so daß er nur sehr undeutlich fluchen konnte, als der zweite Steuermann nicht gleich bei der Hand war, um sie ihm herauszunehmen. Dieser stand indes auf dem Hinterdeck und sprach mit Herrn Trick, der ihm etwas sehr Amüsantes mitzuteilen schien, denn beide wollten sich vor Lachen ausschütten, worauf Trick dem Steuermann einige Taler in die Hand drückte und dieser jetzt den ersten Steuermann von den Papieren erlöste.

Herr Trick stieg in die Kajüte hinab und schrie nach dem Steward, der endlich mit einer Ladung Gläser erschien. Auch mit ihm verhandelte er etwas Spaßhaftes, denn beide lachten, und der Steward erhielt wieder einige Silberstücke, die er schmunzelnd einsteckte.

»Ich werde eine Flasche alten, besonders guten Portwein bringen, wie er ihn gern trinkt. Da er sich nicht gern traktieren läßt, so nehmt Ihr sie von ihm bezahlt – vergeßt aber dann nicht, es gibt einen Hauptspaß!« Damit ging Trick und arbeitete sich wieder an das Land, um noch einmal nach Hause zu laufen.

Gegen halb zehn Uhr kam Ernst Schwarz mit einer Reisetasche in der Hand auf das Schiff und erklärte dem Steuermann, er wolle sich in Stade absetzen lassen. Der erste Steuermann wies ihn an den zweiten, der lächelnd nickte, und als Schwarz bezahlen wollte, erklärte er, das habe Zeit, bis sie in Fahrt wären.

Der junge Mann legte seine Tasche in den Salon und ging auf das Hinterdeck, von wo er in den nächtlichen Hafen blickte, auf dem jetzt tiefe Ruhe lag. Plötzlich war Trick neben ihm und forderte ihn auf, ein Glas Wein auf gutes Gelingen des Geschäfts zu trinken. Es gäbe vortreffliche Ware an Bord. Schwarz war selbst geneigt dazu, da er ganz vergessen hatte, etwas zu Abend zu genießen.

Man ging in die Kajüte, wo Trick den Steward rief und erst Kaviar mit Portwein und sodann ein Rumpsteak bestellte, wozu ein Glas Punsch nicht bitter sei. Schwarz aß und trank tüchtig, während sich Trick, seiner Gewohnheit entgegen, nur sehr wenig vom Portwein aneignete und sich mehr an den Punsch hielt. Als die Schiffsglocke läutete, machte er sich eilig davon und wünschte Schwarz eine gute Nacht, wobei er das Bezahlen vergaß und ihm überließ, was dem Reisenden lächerlich, aber ganz Trick angemessen erschien.

Das Schiff setzte sich endlich in Fahrt, nachdem es zu Steuer und Backbord eine rote und grüne Laterne an die Radkästen gehängt und eine weiße am Fockmast aufgezogen hatte. Als der Hamburger und Altonaer Hafen passiert waren, dampfte der »Tiger« die einsame Elbe hinab und glich einem Ungeheuer, das schnaubend mit glühenden Augen in die Nacht hinausjagt.

Kurz vor Stade kam der Steuermann leise in den Salon und sah nach Schwarz, den er in tiefem Schlaf auf der Seitenbank fand. Der Steward sah gleichfalls zur Tür herein, und beide zogen sich lachend zurück, ohne Schwarz zu wecken.

Das Schiff kam dann bei Cuxhaven vorbei und wurde vom Lotsenboot angerufen. »Nichts!« hieß es, und der ›Tiger‹ stampfte weiter.

Endlich erwachte Schwarz und fuhr erschrocken empor, denn er sah das Tageslicht zum Skylight hereinscheinen. Er sprang von der Bank und rannte sofort – an die gegenüberstehende Wand, weil das Schiff eben schlingerte. So schnell er konnte, stieg er die Treppe empor und sah rundum nichts als Himmel und Wasser.

Der zweite Steuermann kam daher und blickte ihn mit gut gespielter Verwunderung an. »Wo kommen Sie denn her?« fragte er.

»Zum Teufel! Fragen Sie lieber, wo ich hinkomme!« schrie Schwarz ärgerlich, denn es war ihm klar, daß er seine Station verschlafen hatte und sich auf See befand. »Weshalb hat man mir nichts gesagt, als wir in Stade waren?«

» Goddamn! Wir haben eine Minute gestoppt und auf den Passagier gelauert, der sich absetzen lassen wollte. Wir glaubten, Sie wären in Hamburg wieder an Land gegangen, und jetzt kommen Sie aus der See gewachsen daher«, sprach der Steuermann lachend.

Der Kapitän war auch dazugekommen und fand die Sache sehr spaßhaft, so wie dies alle übrigen Passagiere taten. Kurz, Schwarz sah sich in seinem Ärger ausgelacht und mußte wohl oder übel mit nach England.

Er stand an der Reeling und sah in die See hinaus. Als Helgoland in Sicht kam, faßte er die Hoffnung, daß vielleicht ein Lotsenboot in die Nähe kommen und ihn aufnehmen könne. Allein der Felsen erschien zu Steuerbord und verschwand wieder, ohne daß sich etwas anderes zeigte als hinaussegelnde Schiffe.

Schwarz fuhr mit zwanzig bis dreißig Talern in der Tasche nach London, während sich Herr Trick in Hamburg über den guten Spaß halbtotlachen wollte und Zeit gewann.


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