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Neumühlener Strandpartie
Der Zollwächter Jörs saß mit Trick in einem Altonaer Wirtshaus; sie hatten eine lange Konferenz, an deren Ende Jörs ein Päckchen Kassenscheine erhielt und außerdem seinen »Weinkeller« mit großem Vorrat für wenigstens sechs Stunden versorgte.
»Also faßt ihn beim letzten und macht Eure Sache gut. Ihr habt wertvolle Kunden an uns«, erinnerte Trick beim Abschied.
»Keine Sorge. Ich will's s'gon machen«, sprach Jörs kopfnickend, wischte sich den Mund und ging am Wasser wieder nach Neumühlen hinaus, wo er sich in einem der am Hügel liegenden Gärten verkroch und sanft einschlief.
Die Lotsen standen am Strande beieinander, als Herr Stubborn langsam daherkam und Nielsen ersuchte, ihn ein wenig auf dem Wasser zu fahren. Dieser machte sofort sein Boot bereit und ruderte den Kaufmann auf den Strom hinaus.
»Heute sind alle Zollwächter fort, wie es scheint«, bemerkte Stubborn. »Glauben Sie, daß Sie mir heute abend den Zucker und Kaffee sicher 'rüberschaffen können? Er wird bei mir besser liegen«, sagte Stubborn.
»Ich glaube, gerade heute. Sobald es dunkel wird, sollen Sie die Ladung haben«, erwiderte der Lotse.
»Gut!« nickte Stubborn. »Können Sie mir nicht einen guten Kapitän zuweisen? Mein Schiff, die ›Gebrüder‹ kann jede Stunde in See gehen. Ich hatte aber in der letzten Zeit so viel Malheur, daß ich mißtrauisch geworden bin.«
»Wüßte gerade nicht«, sprach Nielsen kopfschüttelnd.
»Es müßte ein Mann Ihrer Art sein«, bemerkte Stubborn.
»Ich denke, die See bleibt, wo sie ist, und ich, wo ich bin«, entgegnete Nielsen trocken. »Doch – man kann's nicht verschwören; das blaue Wasser ist gar zu schön. Wer sich aber so lange darauf 'rumgetrieben hat wie ich, der sitzt doch lieber ruhig.«
»Nun, einen Kapitän werde ich ja wohl kriegen«, sagte Stubborn gleichgültig. »Seht nur zu, daß ich den Zucker auch kriege.«
Stubborn stieg ans Land und nickte Nielsen zu. Dieser kehrte zu den Lotsen zurück, welche sich nach einigen Worten verteilten, während Nielsen an verschiedene Bootsbauereien ging und die Schiffszimmerleute bei Dunkelwerden zu sich bestellte, was diesen viel Vergnügen zu machen schien.
Als die Sonne ihrem Untergange nahe war, schlenderten die Lotsen und Bootsbauer am Strande umher, wie sie dies gewöhnlich taten. Nach und nach zogen sie sich in die Strecke zwischen Nielsens und Stubborns Haus, die etwa hundert Schritt voneinander entfernt lagen. Hier blieb einer nach dem andern stehen und betrachtete sich die Gegend.
Nach einiger Zeit kam Nielsen mit einigen Bekannten heraus und bat die Nachbarn, ihm sein Schaf suchen zu helfen, das sich wieder in den Weidenbüschen verkrochen habe und dort bei der Flut ersaufen werde. Die gefälligen Nachbarn nahmen sogleich Bootshaken und hieben und stachen ein wenig rücksichtslos in die Büsche. Da sie jedoch weder ein Schaf noch einen Wolf fanden, so ließen sie plötzlich ihre Haken fallen, stellten sich zwischen den Häusern in eine Reihe, und nun begann eine Partie Zuckerhüte mit wunderbarer Schnelligkeit von einer Hand zur andern zu fliegen und legte in unglaublich kurzer Zeit die Strecke zurück.
Dann folgten Kaffeesäcke ebenso lautlos und schnell, worauf Weinflaschen an die Reihe kamen, wovon jedoch nicht alle an den Ort ihrer Bestimmung gelangten, sondern stellenweise in den Taschen der dienstfertigen Nachbarn verschwanden.
Die dunklen Gestalten hatten bereits ein recht hübsches Kolonialwarenlager zwischen den beiden Häusern spediert, als sie ein leiser Pfiff stutzig machte, worauf sie mit dem, was sie eben in der Hand hielten, spur- und lautlos in den Büschen verschwanden.
Kurz darauf trat Nielsen aus seinem Hause und sah sich verwundert um. »Holla! He!« rief er leise. »Wo sünd denn de Jungs hen? Teuf man, ji Spitzbooben! Sünd mit de letzten Buddels utneiht. Na,« brummte er, »denn mutt ick den Portwien sülben röberdregen.«
Er nahm zwei Körbe und ging nach Stubborns Haus zu, wobei er so leise wie möglich auftrat und so große Schritte machte, als wolle er Schlittschuh laufen.
Plötzlich huschte ein Mann aus dem Zaune hervor, der Stubborns Garten umgab. Er sprang in den Weg hart vor Nielsen hin und packte diesen bei der Brust. Der Lotse setzte die Körbe zu Boden, daß die Flaschen klirrten.
»Ha, ha!« rief Jörs lachend. »Flas'gen! Ich dachte es doch! Habe ich dich endlich fest?«
Nielsen war jedoch keineswegs der Mann, der sich ohne weiteres und von einer Person wie Jörs festhalten ließ.
»Hast du mich fest?« brummte er ärgerlich und packte Jörs mit einem so eisernen Griff bei der Kehle, daß dieser nach Luft schnappen mußte.
»Laßt los! Beim Teu–fel – oder ich s'giese«, keuchte er, indem er Nielsen seine Büchse entgegenhielt und auf die Brust zu setzen versuchte.
Der Lotse packte das Gewehr mit der andern Hand und wollte es ihm entreißen, weshalb er es herumdrehte. Plötzlich erhellte ein Blitz die Dunkelheit, während der Knall zwischen beiden Ringern donnerte. Jörs stieß einen scharfen Schrei aus und fiel schwer zu Boden, als Nielsen seine Kehle losließ.
»Verdammt!« schrie Nielsen und bückte sich nach ihm nieder. Der Zollwächter lag ohne Bewegung.
»Was gibt's hier?« sprach eine Stimme neben dem Lotsen. Dieser fuhr in die Höhe und wollte davonspringen. Er erkannte jedoch Stubborn und blieb.
»Da habt Ihr eine schöne Geschichte angerichtet«, sprach Stubborn, nach Jörs zeigend. »Es ist nur ein Glück, daß niemand weiter in der Nähe ist als ich. Deshalb macht Euch fort um's Himmels willen, ehe jemand kommt. Man wird so auf Euch denken!«
»Das ist ja der Lotse Nielsen, der auf den Mann geschossen hat«, ließ sich jetzt eine helle Stimme hören. Ein Mann ging schnell vorüber und war nach einigen Augenblicken verschwunden.
»Wer war das?« fragte Nielsen erschrocken.
»Weiß nicht«, erwiderte Stubborn gleichgültig. »Schlimm für Euch, Mann. Macht Euch davon. Ihr tut mir leid, es wird Euch an den Hals gehen! Der Zollbeamte ist tot«, sprach er, nachdem er sich nach ihm gebückt hatte. »Macht Euch fort, Nielsen, ehe jemand kommt. Ihr tut mir leid. Holt Euch das Nötigste und rudert mit Eurem Boot davon. Bei Steinwärder liegt mein Schiff, die ›Gebrüder‹. Geht dort an Bord und haltet Euch still. Morgen komme ich hin und bringe Euch Nachricht. Wenn ich nur nicht noch in die Sache verwickelt werde.«
»Ich will Sie nicht erwähnen, wenn etwas geschieht. Da aber das Unglück einmal geschehen ist, so hätte ich Lust, den Toten ins Wasser zu werfen«, sprach Nielsen und wollte sich bücken, um Jörs aufzuheben.
»Sind Sie denn des Teufels!« schrie Stubborn erschrocken, ihm in den Arm fallend. »Sie wissen doch, daß eben jemand Sie erkannt hat. Machen Sie sich fort, ehe man kommt und es zu spät ist.«
Nielsen sah ein, daß es das beste sein würde, dem Rat Stubborns zu folgen und an das Schiff zu gehen, wo er vorderhand sicher war. Er lief deshalb nach seinem Haus, holte die wertvollsten und nötigsten Sachen, trug sie in das Boot und ruderte, nachdem er den Ewer seinem Matrosen für die Zeit seiner Abwesenheit übergeben und den Hausschlüssel an Stubborn geschickt hatte, stromaufwärts.
Stubborn stand bei dem am Boden liegenden Zollwächter und lauschte dem Schlag der sich entfernenden Ruder. Sobald sie nicht mehr hörbar waren, hob der Tote langsam den Kopf in die Höhe und stand dann lachend auf.
Er hing sich die Büchse über, ergriff schnell die beiden Flaschenkörbe und lief eilig damit fort, denn er litt schon seit mehreren Stunden wieder den schrecklichsten Durst.
»Er hat seine Sache sehr gut gemacht, und ich denke, daß wir Nielsen haben«, ließ sich eine Stimme gegen Stubborn hören. Es war Trick, der die ganze Komödie veranstaltete. »Schade um den schönen Portwein«, fuhr er fort. »Der Kerl könnte Schnaps trinken, das wäre gut genug für ihn. Haben Sie gesehen, wie er damit lief?«
Stubborn hörte nur halb auf Trick und sagte: »Es beunruhigt mich, daß ein Mann zu der Geschichte kam, der Nielsen erkannte und wahrscheinlich Anzeige macht. Die Stimme kam mir bekannt vor. Ich weiß aber nicht, wer es war.«
Trick lachte laut und sagte: »Das war Müller, mein Sklave, der jetzt in dieser Sache arbeiten muß. Ha, ha, ha! Ich denke, wir haben Nielsen fest und werden uns sein Haus ansehen, sobald die ›Gebrüder‹ hier vorbei ist. Dann werden wir seinen Freund Jörs dort einquartieren, damit er das Geschäft fortsetzt, und so das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.«