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Ein großes Ereignis ist im Entstehen. Graf Leinsdorf und der Inn
An diesen bewegten Tag schloß sich ein »Großer Abend« bei Tuzzis an.
Die Parallelaktion paradierte in Licht und Glanz; Augen strahlten, Schmuck strahlte, Namen strahlten, Geist strahlte. Ein Geisteskranker könnte unter Umständen daraus folgern, daß die Augen, der Schmuck, die Namen und der Geist an einem solchen Gesellschaftsabend auf das gleiche hinauskommen: er befände sich damit nicht ganz im Unrecht. Alles, was nicht an der Riviera oder den Oberitalienischen Seen weilte, war erschienen, bis auf wenige, die um diese Zeit, gegen Ende der Saison, grundsätzlich keine »Ereignisse« mehr anerkannten.
An ihrer Stelle waren eine Menge Leute da, die man noch nie gesehen hatte. Eine lange Pause hatte Lücken in die Präsenzliste gerissen, und zu ihrer Ausfüllung waren neue Menschen hastiger herangezogen worden, als es Diotimas umsichtigen Gepflogenheiten entsprach: Graf Leinsdorf selbst hatte seiner Freundin eine Liste von Personen übergeben, die er sie aus politischen Rücksichten aufzufordern bat, und nachdem der Grundsatz der Exklusivität ihres Salons diesen höheren Rücksichten einmal geopfert war, hatte sie auf das Weitere nicht mehr das gleiche Gewicht gelegt wie sonst. Überhaupt war Se. Erlaucht ganz allein die Ursache dieser festlichen Zusammenkunft; Diotima war der Ansicht, daß der Menschheit nur paarweise zu helfen sei. Aber Graf Leinsdorf bestand auf der Behauptung: »Besitz und Bildung haben in der historischen Entwicklung nicht ihre Schuldigkeit getan; wir müssen einen letzten Versuch mit ihnen machen!«
Und Graf Leinsdorf kam jedesmal darauf zurück. »Meine Liebe, Sie haben sich noch immer nicht entschlossen?« pflegte er zu fragen. »Es ist höchste Zeit. Alle möglichen Leute kommen schon mit destruktiven Tendenzen hervor: wir müssen der Bildung eine letzte Gelegenheit geben, ihnen das Gleichgewicht zu halten.« Aber Diotima, abgelenkt durch den Formenreichtum der menschlichen Paarung, war für alles andere vergeßlich.
Schließlich ermahnte sie Graf Leinsdorf: »Schaun Sie, meine Liebe, das bin ich doch gar nicht von Ihnen gewohnt? Jetzt haben wir bei allen Leuten die Parole der Tat ausgegeben; ich für meine Person habe den Minister des Inneren – also Ihnen kann ich das ja anvertraun, daß ich ihn zu seinem Rücktritt veranlaßt hab; so oben herum ist das gekommen, sehr hoch oben herum: aber es ist ja auch wirklich schon ein Skandal gewesen, und niemand hat den Mut gehabt, dem ein Ende zu machen! Ich vertraue Ihnen das also an,« fuhr er fort »und nun hat mich der Ministerpräsident gebeten, daß wir uns doch selbst intensiver an der Enquete zur Feststellung der Wünsche der beteiligten Kreise der Bevölkerung in bezug auf die Reform der inneren Verwaltung beteiligen mögen, weil sich der neue Minister ja noch nicht so auskennen kann: und da wollen nun gerade Sie mich im Stich lassen, die Sie immer die Ausdauerndste gewesen sind? Wir müssen Besitz und Bildung eine letzte Gelegenheit geben! Wissen Sie so: entweder – oder anders!«
Diesen etwas unvollständigen Schlußsatz brachte er so drohend vor, daß nicht mißzuverstehen war, er wisse, was er wolle, und Diotima versprach auch dienstwillig, daß sie sich beeilen werde; aber dann vergaß sie es doch wieder und tat es nicht.
Da wurde eines Tags Graf Leinsdorf von seiner bekannten Tatkraft gepackt und fuhr bei ihr vor, von vierzig Pferdestärken getrieben.
»Ist jetzt etwas geschehn?!« fragte er, und Diotima mußte es verneinen.
»Kennen Sie den Inn, meine Liebe?« fragte er. Natürlich kannte Diotima diesen Fluß, der außer der Donau der bekannteste von allen, und mannigfach in die Geographie und Geschichte des Vaterlands verwoben war. Etwas zweifelnd beobachtete sie ihren Besucher, obwohl sie sich zu lächeln bemühte.
Aber Graf Leinsdorf blieb todernst. »Wenn man von Innsbruck absieht,« eröffnete er ihr »was sind das für lächerliche kleine Nester im Inntal, und was für ein stattlicher Fluß ist dagegen der Inn bei uns! Und ich bin selbst nie und nie daraufgekommen!« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe nämlich heute zufällig eine Autokarte angesehn,« erklärte er sich endlich vollends »und da habe ich bemerkt, daß der Inn aus der Schweiz kommt. Das habe ich freilich wahrscheinlich schon gewußt; das wissen wir alle, aber wir denken nie daran. Bei Maloja entspringt er, ein lächerlicher Bach ist er, ich hab ihn ja selbst dort gesehn; so wie bei uns die Kamp oder die Morava. Aber was haben die Schweizer aus ihm gemacht? Das Engadin! Das weltberühmte Engadin! Das Engad-Inn, meine Liebe!! Haben Sie schon je daran gedacht, daß dieses ganze Engadin vom Worte Inn kommt?! Dadrauf bin ich heute gekommen: Und wir mit unserer unerträglichen österreichischen Bescheidenheit machen natürlich nie was aus dem, was uns gehört!«
Nach diesem Gespräch berief Diotima in Eile die gewünschte Gesellschaft ein, teils, weil sie einsah, daß sie Sr. Erlaucht beipflichten müsse, teils weil sie fürchtete, ihren hohen Freund zum Äußersten zu treiben, wenn sie sich jetzt noch weigere.
Aber als sie es ihm versprach, sagte Leinsdorf: »Und ich bitte Sie, meine Verehrte, vergessen Sie diesmal nicht, auch die ... na, die X, die Sie Drangsal nennen – einzuladen; ihre Freundin, die Wayden, läßt mir wegen der Person schon wochenlang keine Ruh!«
Selbst das versprach Diotima, obwohl sie zu andern Zeiten in der Duldung ihrer Konkurrentin eine Pflichtverletzung gegen das Vaterland gesehen hätte.