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»Eines Abends,« fuhr der Deutsche fort, »saß ich in Belle Vue am oberen Missouri mit meinen Freunden Sarpy und Decatur vor dem flackernden Kaminfeuer; wir plauderten auf gemüthliche Weise über Dieses und Jenes, besonders aber über meine Abenteuer mit den Ottoes, die mir noch in frischem Andenken waren, weil ich mich erst seit kurzer Zeit unter dem gastlichen Dache des Herrn Sarpy befand. Die Stube war ungewöhnlich leer, nur einige Indianer hockten in unserer Nähe, rauchten mit stoischer Ruhe ihre Pfeife und hatten dabei eine Miene angenommen, als ob sie jedes unserer Worte verständen. Ein bescheidenes Klopfen an der Thüre, etwas ganz Ungewöhnliches für die dortigen Verhältnisse, störte uns in unserer Unterhaltung; ich blickte neugierig hinüber, wo auf unser »Herein!« die Thüre sich leise öffnete und zwei Frauengestalten eintraten, die zu meiner größten Verwunderung ihrer Kleidung nach keine Indianerinnen waren. »Guten Abend, Mrs. Alison! guten Abend, Amalie!« riefen meine Freunde den Eintretenden zu, indem sie ihnen höflich die nächsten Plätze am Kamin anboten. Der Gruß wurde freundlich erwiedert und nachdem ich ohne große Förmlichkeiten den beiden Fremden vorgestellt worden, setzte ich mich so ihnen gegenüber, daß ich ihre Physiognomien bei dem hellen Scheine des Feuers genau beobachten konnte, was mir, der ich so lange kein der Civilisation angehöriges Damenkostüm gesehen hatte, gewiß nicht verdacht werden kann. Ebenso wenig wird mich ein Vorwurf treffen, wenn ich zugebe, daß ich die jüngere der beiden Damen, die ich auf den ersten Blick für eine Halbindianerin erkannte, für mehr als hübsch hielt. War nun der Grund der, daß ich seit vielen Monaten das schöne Geschlecht nur durch unliebenswürdige Squaws vertreten gesehen hatte und eine so unvermuthete Erscheinung das Restchen Verstand, was mir die rasende Kälte noch gelassen hatte, vollends verwirrte, oder war das Wesen in der That ein indianisches Medizinmädchen, der widerstehen zu wollen vergebliche Mühe gewesen wäre: genug, meine Herren, ich muß gestehen, die schöne Amalie hatte in der Geschwindigkeit einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht, daß mir alle Lust zur Unterhaltung verging und ich das junge Mädchen ununterbrochen anstarrte, deren schwarze Augen dagegen mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Unschuld und Neugierde auf mir ruhten.
Doch lassen Sie mich Ihnen vor allen Dingen die Beschreibung einer Schönheit des fernen Westens geben. Amalie Papin, die Tochter einer Pawnee-Indianerin und eines Franzosen, der, beiläufig gesagt, mit Hinterlassung eines nicht unbedeutenden Vermögens schon vor Jahren zu seinen Vätern heimgegangen war, hatte das fünfzehnte Jahr noch nicht erreicht. Als kleines Kind war sie von einem Mr. Alison, der viel mit dem Stamme der Pawnees verkehrte, zeitweise bei demselben lebte und wirklich menschenfreundlich daselbst zu lehren und zu wirken strebte, angenommen worden. Mrs. Alison, eine Frau, die den gebildeteren Ständen angehörte, war ihrem Manne mit aufopfernder Liebe überallhin nachgefolgt, hatte Beschwerden und Unbequemlichkeiten mit ihm getheilt und der kleinen Halbindianerin zugleich mit ihren eigenen Kindern eine Erziehung angedeihen lassen, wie es ihr unter so schwierigen Verhältnissen nur immer möglich gewesen. Die natürlichen Anlagen des Kindes waren ihr dabei sehr zu Hülfe gekommen, weil sich dieses mehr zu den Sitten seiner Pflegeeltern, als zu den Gewohnheiten seiner mütterlichen Verwandten hingezogen fühlte. So war denn die junge Waise zu einer Jungfrau herangewachsen, die nun in aller Lieblichkeit neben ihrer Pflegemutter gerade vor mir saß. Ihr einfaches Kleid, nach amerikanischem Schnitte gearbeitet und eng an den Oberkörper anschließend, ließ eine Figur erkennen, an der auch nicht das Geringste zu wünschen übrig blieb. Die Bewegungen und der natürliche Anstand des jungen Mädchens waren so ungekünstelt, so zart und dabei doch so geschmeidig, daß ich kaum meinen Augen zu trauen vermochte, wenn ich auf die dunkle Gesichtsfarbe schaute. Auf dem schlanken Halse ruhte der reizendste Kopf, den man sich nur denken kann; pechschwarze Haare, die in zwei langen Zöpfen über die Schultern hingen, faßten ein rundes, broncefarbenes Gesichtchen ein, auf welchem sich ein so eigenthümlicher Liebreiz spiegelte, daß man die weiße Hautfarbe durchaus nicht vermißte und gar nicht darüber in Zweifel blieb, daß keine Farbe zu dem ganzen Bilde besser hätte passen können, als der dunkele Anflug, der die Haut wie Atlas schimmern ließ und dennoch die sanfte Röthe der Wangen nicht gänzlich zu verdrängen vermochte. Die etwas vorstehenden Backenknochen verriethen die indianische Abkunft, ebenso der Schnitt der Augen, die groß und schwarz von langen Wimpern beschattet wurden. Ihr Mund war so wohlgeformt, so zierlich und so frisch, daß unserem Doctor bei dessen Anblick, trotz der sechs und zwanzig Jahre seines glücklichen Ehestandslebens, ganz gewiß das Blut rascher in den Adern gekreist haben würde, besonders wenn er das Mädchen gesehen hätte, indem sie sprach. Zwei Reihen der herrlichsten Zähne schimmerten wie ächte Perlen unter den rothen Lippen hervor, ihre Hände waren klein wie bei allen Indianerinnen, und ein Füßchen hatte sie, daß ein Paar ihrer abgelegten Mokkasins verdient hätten, zur Weltausstellung nach London geschickt zu werden. Dieses war also Amalie Papin, die schöne Halfbreed, in die ich mich in der ersten halben Stunde verliebt hatte. Mr. Sarpy, den seine heitere Laune niemals verließ, hatte bald die lebhafteste Unterhaltung hervorgerufen; es wurde gelacht und gescherzt, ich selbst immerwährend mit in's Gespräch gezogen, doch wußte ich nie den Gegenstand der Unterhaltung festzuhalten, was übrigens sehr natürlich war, denn ich dachte an ganz andere Dinge, sah mich schon im Gedanken als den Helden eines Romanes, und malte mir die Ueberraschung der Bekannten und Verwandten in der Heimath aus, welche die Nachricht meiner Verheirathung mit einer indianischen Prinzessin bereiten würde. Natürlich regte sich sogleich der Wunsch in mir, ebenfalls einen guten Eindruck auf die schöne Halfbreed zu machen, und es entlockt mir noch immer ein Lächeln, wenn ich daran denke, zu welchen komischen Mitteln ich meine Zuflucht nahm, um meine eigene geliebte Person in vortheilhaftem Lichte erscheinen zu lassen.
Ich freute mich innig, als ich bemerkte, daß Amalie mir einige Aufmerksamkeit schenkte; hätte ich aber damals ihre Gedanken errathen können, so würde meine Eitelkeit einen argen Stoß erlitten haben. Genirte sich doch später das unbefangene Mädchen nicht, mir mitzutheilen, daß ich furchtbar häßlich sei und mit den Haaren im Gesichte mehr einen Büffel, als einem Menschen gleiche. Glücklicherweise aber vermochte ich nicht in ihrem Herzen zu lesen, und in angenehmer Täuschung fuhr ich fort, Pläne für die Zukunft zu schmieden und mich den schönsten Hoffnungen hinzugeben. Der Abend verging auf diese Weise; spät erst kam Mr. Alison, um seine Damen abzuholen und nach ihrer Wohnung, die mit der Pawnee-Indianer-Agentur in Verbindung stand, zurückzuführen. Kaum waren wir wieder allein, als Mr. Sarpy mich folgendermaßen anredete: »Wie finden Sie meine Nichte?« – »Also Ihre Nichte?« fragte ich zurück. »Ja, meine Nichte,« erwiederte er, »und eine hübsche Nichte obendrein; der Vater des Mädchens war ein Verwandter von mir und ihre Mutter die Tochter eines großen Häuptlings; ich habe gemerkt, daß sie Ihnen gefällt, sie können sie heirathen, doch müssen Sie mir wenigstens zwanzig Pferde für meine Erlaubniß geben, ehe Sie sich von dem Missionär auf dem Berge, dem Herrn M. Kenney dürfen zusammenknüpfen lassen; denn da Amalie eine Christin ist, so wird sie sich wohl schwerlich zu einer indianischen Heirath verstehen wollen.« Diese Worte waren freilich im Scherz gesprochen, doch merkte ich mir dieselben wohl, um später vielleicht noch einmal darauf zurückkommen zu können.
Am folgenden Tage besuchte ich, wie sich von selbst versteht, die Familie Alison, die nur einige hundert Schritte von unserem Etablissement in einem bequem eingerichteten Blockhause wohnte. Ich fand daselbst die freundlichste Aufnahme, so daß ich meinen Besuch öfter wiederholte und zuletzt fast täglich einsprach. Auch lernte ich dort eine Menge Pawnee-Indianer kennen, die einestheils ihren Freund Alison besuchten, anderntheils sich nach der jungen, blühenden Verwandten umsahen. Es war ein gemüthliches Leben in dieser Zeit; den Tag über malte ich auf indianische Weise Büffelhäute aus, in welcher Kunst ich es bald den geschicktesten Rothhäuten zuvor that und mir viel Geld von der Pelzcompagnie verdiente. Den Abend brachte ich dann gewöhnlich bei Mr. Alison zu, spielte mit den Kindern, erzählte von Europa und lehrte die schöne Amalie englisch schreiben, was ihr übrigens nicht ganz fremd war. Meine Absichten, das junge Mädchen zu heirathen, waren bald kein Geheimniß mehr und Jeder gratulirte mir zu der sehr vortheilhaften Partie, denn meine vermeintliche Braut galt für ein reiches Mädchen, weil von den Pawnee-Indianern allein sie schon eine gute Anzahl von Büffelhäuten bezog, die dort eben so gut wie baares Geld sind. Das einzige Ueble an der Sache blieb, daß die beiden Hauptpersonen noch nicht mit einander einig waren; ich selbst wäre gern einig gewesen, hätte mir sogar dem Mädchen zu Liebe mit Freuden den Schädel rasiren lassen und wäre indianischer Bürger geworden, aber sie wußte leider nicht, was sie wollte. Bald reichte sie mir ihre frischen Lippen zum Kusse entgegen, bald lief sie wie eine Antilope scheu davon, indem sie mir lachend zurief, ich sei ein häßlicher, weißer Mann, ein zweibeiniger Büffel. Solche Benennungen waren freilich nicht sehr schmeichelhaft, doch könnte ich nicht sagen, daß mir das Mädchen, die halb aus Verschämtheit, halb aus Muthwillen zusammengesetzt schien, weniger lieb geworden wäre; auch bin ich überzeugt, daß derjenige, welcher diese schöne Prairieblume später heimgeführt, eine brave Frau an ihr gewonnen hat, um so mehr, als sie auch eine fromme, sittsame Christin war. Merkwürdiger Weise hegte ich damals gegen die Pawnee-Indianer, denen ich früher im offenen Kampfe gegenüber gestanden hatte, die brüderlichsten Gesinnungen, weshalb ich bei der schönen Amalie der Lobeserhebungen über ihren Stamm kein Ende wußte, obschon ihr das ziemlich gleichgültig schien. Daß aber die Pawnees meine Gefühle nicht theilten, mich wegen meiner Liebe zu ihrer schönen Prairieblume noch im Geheimen haßten, wurde mir gelegentlich auf eine äußerst unzarte, wenn auch sehr deutliche Weise zu verstehen gegeben; möglich, daß auch etwas Eifersucht dabei mit im Spiele war. Doch hören Sie weiter. Als nämlich das Eis im Missouri aufzubrechen und zu treiben begann und die Niederungen an der Mündung des Papillon Creek überschwemmt wurden, war es eine meiner Hauptbeschäftigungen, Enten, Gänse, Schwäne, Pelikane und Kraniche zu schießen, mit denen die seichten Gewässer förmlich bedeckt waren. Auf meinen Jagden begleiteten mich stets zwei junge Omaha-Burschen; sie waren Verwandte von Mr. Sarpy´s Necoma und so treue, brave Jungen, als nur unter einer kupferfarbigen Haut gefunden werden können. Durch freundliche Begegnung hatte ich mir ihre ganze Zuneigung gewonnen, die sie mir auf alle nur denkbare Weise zu erkennen gaben. Ich brauchte nur meine Kugeltasche umzuhängen, so waren auch die beiden Brüder Hug-ha und Scha-gree-ga-gee mit ihren Karabinern auf der Schulter an meiner Seite. Ihre Gesellschaft behagte mir auf meinen Jagdzügen in doppelter Beziehung; einestheils war ich dadurch nie ohne eine treffliche Sicherheitswache, dann aber auch vertraten die gewandten Jungen die Stelle von Hühnerhunden, indem sie das von mir geschossene Wild trotz der Eisschollen aus dem Wasser holten.
Eines Tages jedoch, als ich meiner beiden Indianerburschen nicht sogleich ansichtig wurde, machte ich mich allein auf den Weg, um wie gewöhnlich am Papillon zu jagen. Es waren vier Meilen bis dahin und vergnügt trabte ich über die Prairie, die mich von meinem schönen Revier trennte. Ich hatte einen glücklichen Tag gewählt, denn noch keine Stunde war ich am Wasser hinaufgegangen, als mein Gürtel keine Enten mehr zu fassen vermochte. Ich wollte einen Augenblick auf einem Steine ausruhen und war eben im Begriffe zu laden, als plötzlich ein Indianer vor mich hintrat und barsch Pulver und Blei von mir verlangte. Denselben Menschen hatte ich früher schon in Mr. Alison´s Behausung gesehen und war damals gerade nicht sehr von seinem Benehmen gegen mich erbaut. Er verbarg nämlich den Verdruß nicht, den er empfand, als er meine Vorliebe für die schöne Halfbreed wahrnahm. Als nun der wilde Bursche, ein vollblütiger Pawnee, vor mir stand, erinnerte ich mich seiner ganz genau; ich drückte daher schnell Kupferhütchen auf die Cylinder und schlug dann seine unverschämte Forderung ab, indem ich ihm bedeutete, daß sein Bogen ganz gut ohne Pulver und Blei losgehe. Sein nochmaliges dringendes Verlangen hatte denselben Erfolg, worauf er sich von mir abwendete, einen englischen Fluch, eines der wenigen englischen Worte, die er verstand, mehrere Mal hinter einander ausstieß, langsam der dichteren Waldung zuschritt und bald meinen Augen entschwunden war. Ich legte meine Beute bei dem Steine, auf welchem ich gesessen, nieder und begann meine Jagd von Neuem, wobei ich mich aber hütete, obgleich ich den Indianer nicht weiter fürchtete, beide Läufe meines Gewehres zugleich abzuschießen. Nach kurzer Zeit hatte ich abermals meinen Gürtel gefüllt; ich beschloß nunmehr mit der reichen Ladung heimzukehren und schlenderte langsam der Stelle zu, wo ich die zuerst geschossenen Enten niedergelegt hatte. Als ich den Stein erreichte, bemerkte ich, daß alle meine Braten spurlos verschwunden waren. Verwundert und argwöhnisch blickte ich umher, als plötzlich in dem Gesträuch, welches mich vom Papillon trennte, etwas an die Zweige schlug und in demselben Augenblicke ein Pfeil in meinem Schenkel haftete. Gedankenschnell legte ich mein Gewehr an und zwar nach der Gegend, aus welcher der Pfeil gekommen war. Der verrätherische Pawnee, ein Anderer konnte es nicht gewesen sein, befand sich aber auf dem jenseitigen Ufer und außer dem Bereiche meiner Macht, indem er sich so geschickt hinter umgefallenen Baumstämmen verborgen hatte, daß er mir unsichtbar blieb. Hinüberzugehen war mir nicht möglich; zudem mußte ich mich beeilen, den Pfeil, der glücklicher Weise nicht weiter als bis auf den Knochen hätte dringen können, zu entfernen. Mit einem kräftigen Rucke riß ich die Waffe aus der Wunde, die alsbald reichlich zu bluten anfing. Diesen unbewachten Augenblick benutzte der schlaue Indianer, um aus seinem Verstecke zu gleiten und spornstreichs davon zu laufen; ich gab ihm aber einen Brief mit, an den er noch lange denken wird. Ich schoß zwei Ladungen groben Schrotes hinter ihm her, und ob er schon leider weit von mir entfernt war, so bin ich doch überzeugt, daß ich seinen glatten Rücken besser geschröpft habe, als unser Doctor jemals seine Patienten, ich müßte denn die Wirkung meines Gewehres nicht kennen. Nachdem ich meine Wunde so lange mit eisigem Wasser gewaschen, bis das Blut zu fließen aufhörte, nahm ich meine Beute, meine Waffen, so wie den auf mich abgeschossenen Pfeil, und wanderte verdrießlich nach Hause, freute mich aber im Stillen darauf, von der schönen Amalie über mein Unglück bedauert zu werden. Noch an demselben Tage setzte ich Hug-ha und Scha-gree-ga-gee von meinem Abenteuer in Kenntniß, welche mir mit ihrem natürlichen Scharfsinn und auf ihre eigene Weise den Vorgang erklärten. Sie sprachen sich dahin aus, daß mir der Pawnee keineswegs nach dem Leben getrachtet habe, indem er sonst, um die Wunde tödtlich zu machen, jedenfalls einen Pfeil mit Widerhaken gebraucht hätte. Ferner würde er sich gehütet haben, ein mit den Abzeichen seines Stammes verziertes Geschoß bei einem Morde zu wählen, indem es dadurch leicht geworden wäre, den Thäter zu ermitteln. Gern war ich bereit, den Fall für einen etwas derben Scherz zu halten, es war mir so am bequemsten; dann aber auch wollte ich es verhüten, neue Feindschaft bei Diesem oder Jenem des Pawnee-Stammes zu erregen. Ich gedachte der ganzen Geschichte nicht weiter, um so weniger, als die Schramme mich nicht sehr belästigte und bald heilte. Von dem jungen Bösewicht habe ich nie wieder etwas gehört oder gesehen; indessen wurde ich durch dieses Ereigniß vorsichtiger und bin nie wieder ohne meine beiden jungen Freunde nach meinem Revier gezogen, wo ich vermuthen konnte, auf die räuberischen Pawnees zu stoßen.
Thränen des Mitleids glänzten in den dunklen Augen der reizenden Amalie, als ich ihr von meiner Verwundung erzählte; wildes Feuer sprühten ihre Blicke, als ich des verrätherischen Indianers gedachte. Ich glaube, das zarte Mädchen hätte ihm in diesem Augenblicke, wenn er vor ihr gestanden, ein Messer in die Brust gestoßen. Der Sturm legte sich indessen wieder und bald führten wir wie früher unsere harmlose Unterhaltung, die fast durchgängig meine ferne Heimath betraf, wohin ich die junge Indianerin, nach Anhäufung eines beträchtlichen Vermögens, mitzunehmen beabsichtigte. Es waren phantastische Träume, denen man in solcher Lage nur zu gern nachhängt, ohne zu ahnen, daß man in späteren Jahren an die Schwachheiten des Jugendalters wie an krankhafte Spiele der Einbildungskraft zurückdenken wird. Wie im Fluge gingen mir unter so angenehmen Verhältnissen die Tage dahin; wieder im vollen Besitze meiner eisernen Gesundheit und eines ungeschwächten Körpers, dachte ich aber auch daran, meine äußere Erscheinung einnehmender werden zu lassen. Die geübtesten Squaws wurden in Thätigkeit gesetzt und mußten ihre Kunstfertigkeit zeigen; in kurzer Zeit war meine Lederbekleidung von dem runden Hut auf meinen geölten, buschigen Haaren bis zu den weichen Mokkasins an meinen Füßen mit den schönsten Stickereien und Fransen besetzt. Meine Waffen, Kriegsbeil und Messer, die ich stets in einem von Amalie zierlich gearbeiteten Gürtel trug, waren reich mit Messingnägeln beschlagen, kurz Nichts, was dort zum Putze dient, hatte ich außer Acht gelassen, und wenn ich nicht das war, wofür ich mich damals hielt, nämlich unwiderstehlich, so war es nicht meine Schuld. Immer mehr beruhigte ich mich darüber, daß mir die Rückkehr in meine Heimath abgeschnitten war, denn die zwei Jahre meines Urlaubs hatten schon längst ihr Ende erreicht. Es blieb mir also weiter nichts übrig, als in der Heimath für todt zu gelten und inzwischen in den Steppen den Büffel zu jagen, eine Beschäftigung, die mir aus verzeihlichen Gründen allerdings annehmlicher schien, als zu Hause für ein unverschuldetes Versehen mich einer harten Strafe unterwerfen zu müssen. Die Jagd blieb immer meine Hauptbeschäftigung; ich arbeitete wenig, aber verdiente viel Geld, was mir jedenfalls lieber war, als wenn ich viel gearbeitet und wenig verdient hätte. Ernstlich begann ich daran zu denken, ein bestimmtes Geschäft anzufangen und mich am Missouri häuslich niederzulassen.«
Hier trat eine Pause ein. Wir hielten unsere Pferde an und schaueten um uns. Wir hatten die Stelle erreicht, an welcher das Thal sich verengte und dann plötzlich wieder an Ausdehnung gewann. Es war die Laguna Colorado, ein Thal, an dessen westlichem Ende sich ein seichter Teich befindet, der in den Regenzeiten austritt und die ganze Umgebung in einen großen See verwandelt, dessen Wasser die rothe Farbe des lehmigen Bodens trägt, weshalb auch von den Mexikanern dem weiten Kessel der bezeichnende Name beigelegt worden ist.
Zur Zeit der Ankunft unserer Expedition war das ganze Thal trocken und wir sahen ein, daß wir noch über die ganze Breite der Laguna, eine Strecke von 5 Meilen, ziehen mußten, ehe wir erwarten durften, in der Nähe von Wasser mit unseren Gefährten im aufgeschlagenen Lager zusammenzutreffen. Die Sonne war hinter der grauen Hügelreihe verschwunden, Dämmerung ruhte auf dem trockenen Seebette, welches fast jeder Vegetation entbehrte und sich öde und todt vor uns ausdehnte. Wir setzten uns bald wieder in Marsch und ließen unsere Thiere den frischgebrochenen Wagengeleisen folgen, auf welchen sie zu den besten Uebergangspunkten über die vielen kleinen Spalten, die in allen Richtungen das Thal durchschnitten, geführt wurden. Die Abendluft war kühl und feucht, schmale Nebelstreifen ruhten auf der Ebene und reichten weithin bis in die dunklen Schluchten, wo die Uhu´s dumpf lachend mit leisem Flügelschlage ihre Wohnungen in den Felsspalten verließen und die grauen Füchse sich von ihren Lagern unter dichtverzweigten Cedern erhoben, um beutelustig kläffend nach der Ebene zu eilen.
Nach einer Weile fuhr der Erzähler fort. »Ich dachte also ernstlich daran, mich an den Council Bluffs häuslich niederzulassen, und trat deshalb mit dem Mr. Sarpy in Unterhandlung, dem es besonders lobenswerth erschien, daß ein Mann von 24 Jahren damit umgehe, sich eine Lebensgefährtin zu nehmen. Nach seiner Ansicht verdiente ein verheiratheter Mann mehr Credit als ein Junggeselle, worin er übrigens nicht Unrecht hatte, und wenn er mich auch nicht zu diesem Schritte aufmunterte, so bot er mir doch auf die freundlichste Weise seinen Beistand an, um mich in eine solche Lage zu bringen, daß ich mit Ruhe in die Zukunft sehen, zugleich mich aber auch der Pelzcompagnie nützlich machen könne. Nun muß ich aber vor allen Dingen einige Bemerkungen über die Beschaffenheit der Ländereien am Missouri einschalten, um auf leichtere Weise das Eigenthümliche der dortigen Verhältnisse in meine Geschichte verflechten zu können. Die Entfernung von der Mündung des Nebrasca oder flachen Flusses bis nach Belle Vue an der südlichen Spitze der Council Bluffs beträgt 10 bis 12 Meilen. Genau in der Mitte zwischen diesen beiden Punkten liegt eine Insel im Missouri, die 4 Meilen im Umfange hat und größtentheils mit Weiden, doch auch mit Birken und einzelnen Eichen bewachsen ist, in deren Schatten ebenso wie auf den Lichtungen fettes Gras im Ueberfluß wuchert. Nach den Bäumen zu urtheilen, kann diese Insel kaum älter als siebenzig Jahre sein; erst um diese Zeit begann sie, den Wasserspiegel zu überragen. Der unruhige Strom, der bei hohem Wasserstande Unmassen von Treibholz, Schlamm und Sand mit sich führt, hat fortwährend einen Tribut an der entstehenden Insel zurückgelassen und dieselbe allmälig bis zu dem jetzigen Umfange vergrößert. Er setzt noch heute unermüdlich diese Arbeit fort, bis er endlich eine Biegung oberhalb Belle Vue gänzlich wird fortgerissen haben, dann aus leicht erklärlichen Ursachen mit ganzer Kraft seinen Hauptcanal an der Ostseite der Insel vorbeiwühlt und den westlichen Canal verstopft, so daß die Insel dem Festlande einverleibt wird. Viele Jahre mögen darüber hingehen, ehe es wirklich so weit kommt, doch kann ein Zweifel darüber, daß es geschehen wird, kaum obwalten, da Beweise genug vorliegen, daß der Missouri sein Bett in dem Thale der Council Bluffs, welches 6 Meilen breit ist, fortwährend gewechselt hat, vor Zeiten die felsigen Hügel, an denen sich noch lange Seen hinziehen und von deren Fuß er jetzt mehrere Meilen entfernt dahin fließt, bespülte, das jenseitige Ufer unterwühlt und alljährlich große Strecken desselben mit fortreißt. Mr. Sarpy hatte also diese Insel zu seinen besonderen Zwecken ausersehen und mir zu meiner Residenz bestimmt.
Neben seinem Tauschgeschäft hatte er nämlich noch Viehzucht getrieben und es in einer Reihe von Jahren zu einer ansehnlichen Heerde gebracht. Den Winter hindurch wurde diese in der Nähe des Forts gefüttert und im Frühjahre, kurz vor dem Brechen des Eises, nach der fetten Insel hinüber getrieben, wo sie dann bis zum nächsten Zufrieren des Missouri bleiben mußte. Mancher junge Stier wurde indessen von räuberischen Indianern auf der Insel geschlachtet, um demnächst in die rauchigen Wigwams zu wandern, wo dergleichen Leckerbissen von allen Bewohnern willkommen geheißen und schleunigst verschlungen wurden. Diesem Unwesen so viel als möglich zu steuern war nun Mr. Sarpy's Plan; er machte mir zu diesem Zwecke Vorschläge, die mir zu annehmbar schienen, als daß ich sie hätte zurückweisen mögen. Er setzte mich von seinen Absichten ungefähr auf folgende Weise in Kenntnis: »Ich werde Ihnen ein kleines Blockhaus mitten auf der Insel auf dem höchsten Punkte errichten, in welchem Sie mit Ihrer Amalie oder so vielen Squaws, wie Sie zu heirathen belieben, bequem wohnen können. Ein leichtes Canoe sollen Sie ebenfalls erhalten, in welchem Sie sich nach Belle Vue rudern können, um sich dort mit Lebensmitteln und sonstigen Bedürfnissen zu versehen. Dafür nun, daß Sie auf der Insel wohnen, dieselbe beschützen und diebische Absichten der Indianer zu verhüten suchen, werde ich Ihnen ein gewisses jährliches Einkommen sichern, welches Sie ganz bequem durch Malen von Büffelhäuten verdoppeln können. Mit Waffen müssen Sie natürlich reichlich versehen sein, auch werde ich Ihnen noch einige meiner besten Hunde geben, von denen Sie einen an Ihre Thüre ketten, die anderen aber frei umherlaufen lassen. Die etwaige Annäherung von Indianern werden die umherstreifenden Hunde wittern und durch Heulen verrathen, worauf Sie den zurückgebliebenen von der Kette lösen, um ihn als Wegweiser gebrauchen zu können; er wird Sie zu seinen Kameraden führen und es Ihnen bedeutend erleichtern, die Indianer am Landen zu verhindern. Diesen Zweck zu erreichen wird übrigens meist Ihr bloßes Erscheinen genügen, und im schlimmsten Falle haben Sie ja Ihre Büchse; das Vieh wird dann unter Ihrer Aufsicht vor fremden Eingriffen gesichert sein und gedeihen, und die Tage werden Ihnen in Ruhe und Zufriedenheit dahin gehen. Außerdem haben Sie auf der Insel Fischfang und eine herrliche Jagd, denn Tausende von Wasservögeln bedecken fortwährend das stehende Wasser auf jener Seite der Sandbänke,« – »Ich gehe unbedingt auf den Vorschlag ein,« antwortete ich dem Mr. Sarpy, »ein solches Robinson-Leben habe ich mir schon lange gewünscht, das einzige Bedenkliche an der ganzen Sache scheint mir, daß, wenn es erst ruchbar wird, daß ich einige Rothhäute erschossen habe, die Freunde der Erschlagenen sich gegen mich verbinden, mich eines guten Tages überfallen und, um sich zu rächen, mich sammt meiner Frau oder meinen Frauen todt schlagen und skalpiren werden,« – »Sollte Ihnen eine solche Gefahr drohen,« unterbrach mich Mr. Sarpy, »dann bitte ich Sie dringend, wehren Sie sich so lange, als Sie nur ein Glied rühren können, und ich verspreche Ihnen auf meine Ehre,« setzte er scherzhaft hinzu, »daß, wenn Sie skalpirt werden, die Insel, so lange die Welt steht, Ihren Namen tragen soll.« – »Bravo!« rief ich aus, indem ich in die dargebotene Rechte einschlug, »ich siedle mich auf der Insel an, mag auch kommen was da wolle, mögen Sie nur nie Veranlassung finden, meinen ehrlichen Namen auf die Insel zu übertragen.« Die schöne Halfbreed war aber nichts weniger als geneigt, so in der Abgeschiedenheit zu leben und erklärte rund heraus, daß sie mir nie dorthin folgen würde. Meine Drohung, mir eine Anzahl Squaws zu Frauen zu nehmen, schreckte sie nicht, im Gegentheil wir zankten uns und vertrugen uns wieder, wobei ich genöthigt war, viele gute Worte zu geben. Ich hoffte aber im Stillen noch immer, das junge Mädchen meinen Wünschen nachgiebig zu machen, und berührte diesen Punkt absichtlich auf lange Zeit nicht wieder.
Das letzte Eis war inzwischen von den trüben Fluthen des Missouri fortgerissen und dem Mississippi zur Weiterbeförderung oder Auflösung übergeben worden, die Knospen an den Bäumen fingen an zu schwellen, schaarenweise zogen die gefiederten Wanderer gegen Norden, schaarenweise versammelten sich die Auswanderer, die nach dem Utah-See oder Californien zu ziehen beabsichtigten, in der Nähe von Belle Vue. Auch in mir regte sich eine unwiderstehliche Reiselust. Mit Wehmuth beobachtete ich die fröhlichen Abenteurer, wie sie umsichtig ihre Vorbereitungen zur Reise durch die Steppen trafen, und blickte trübe zu den Vögeln hinauf, die jauchzend über mir hinzogen. Ihr schriller Ruf drang mir in's Herz. Ich wäre ihnen so gern gefolgt! Ich gedachte meiner einsamen Insel, ich gedachte meiner goldenen Freiheit, die ich auf derselben zu vergraben im Begriffe stand, ich gedachte der großen und herrlichen Welt, die ich so gern nach allen Richtungen durchwandert hätte, und zum ersten Male wurde ich in meiner Liebe zur schönen Amalie wankend. Um meine Zweifel auf's Höchste zu steigern, gesellten sich hierzu noch vortheilhafte Anerbietungen, die mir von einigen begüterten Mormonen gemacht wurden. Es lag nämlich im Plane der Angesehensten der in Belle Vue gelagerten Karawane, mich als Büffeljäger anzuwerben. Sie boten mir hohen Lohn, doch blieb ich standhaft; sie eröffneten mir die schönsten Aussichten für die Zukunft, ich weigerte mich aber fortwährend: selbst ihre allerliebsten Mädchen, theils Schwedinnen, theils Irländerinnen, vermochten nichts über mich. Wenn die hübsche Amalie mit mir gezogen und Mormonin geworden wäre, hätte ich mich vielleicht bereden lassen. Doch schien diese eine besondere Scheu vor der neuen Sekte zu haben, so wie es auch mir gar nicht in den Sinn kam, der Religion, in welcher ich erzogen worden, zu entsagen. »Sie sollen sich ja nicht zu unserem Glauben bekehren,« sprach ein alter Mormone zu mir, »Sie sollen uns nur Dienste leisten, wofür wir Sie bezahlen. Sie kennen die Straße bis zu den Rocky Mountains und werden uns also leicht die vortheilhaftesten Lagerstellen bezeichnen können, außerdem wollen wir Ihnen jeden Büffel, den Sie schießen, redlich abkaufen und Ihnen im Voraus unser bestes Jagdpferd geben.« Das war ein verlockender Vorschlag für einen leidenschaftlichen Jäger, ich betrachtete das schöne Pferd, dessen Glieder zum Wettlauf geschaffen schienen, schwang mich hinauf, legte die Mündung meiner Pistole zwischen seine Ohren und drückte los: nur durch Kopfschütteln gab das edle Thier seine Unzufriedenheit über mein Verfahren zu erkennen, und im Uebermaß meiner Freude über das vortreffliche Büffelpferd rief ich den Verführern zu: »Ich werde mir die Sache überlegen!« Als ich heim ging, war ich so rathlos wie ein kleines Kind; ich konnte nicht umhin, mich über die Schlauheit und Menschenkenntniß der Mormonen zu wundern, die durch ein gutes Pferd das bei mir erreichten, was Geld und gute Worte nie bewirkt haben würden. Ich verglich in Gedanken das einförmige Dasein auf der Insel mit dem wechselvollen Leben auf einer Reise durch die Steppen, ich verglich Mr. Sarpy's buntscheckige Kühe mit dem zottigen Bison, und nie verspürte ich weniger Lust, mich anzusiedeln, wie in diesem Augenblicke. Ich bin noch zu jung, flüsterte ich mir zu, um mich vor mir selber zu entschuldigen, auch Amalie ist noch zu jung zum Heirathen, fuhr ich fort zu philosophiren, ich werde den gordischen Knoten mit einem Hiebe trennen und weiter ziehen. O, wie Recht hatte Mr. Sarpy, als er sagte: Ein verheiratheter Mann verdient mehr Credit, als ein Junggeselle!
Meine einzige Sorge war nur, auf welche Weise ich am besten mit der Aenderung meiner Pläne würde hervortreten können; doch half mir der Zufall auch dies Mal. Ich hatte nämlich gleich nach meiner Ankunft in Belle Vue mehrere Briefe durch Indianer den Missouri hinuntergeschickt, von denen einer denn auch glücklich Fort Independence und später seinen Bestimmungsort St. Louis erreicht hatte. In Folge dessen erhielt ich nun endlich nach drei Monaten, gerade in dem Augenblicke, als ich am Wenigsten daran dachte und dennoch am Meisten dessen benöthigt war, Nachricht von meinem früheren Reise- und Leidensgefährten, der inzwischen glücklich New-Orleans erreicht und längst alle Hoffnung auf mein Wiedererscheinen unter den Lebenden aufgegeben hatte. Der Brief schloß mit folgenden Worten: »Nehmen Sie das erste Dampfboot, welches den Missouri hinuntergeht, und kommen Sie nach New-Orleans, wo ich Sie erwarten werde!« Außerdem waren noch Kreditbriefe mit eingeschlossen, so daß meiner Abreise nichts mehr im Wege stand, zumal das Dampfboot, welches mir die Nachrichten überbracht hatte, am andern Morgen die Rückreise antreten sollte. Ohne mich weiter um die Mormonen zu kümmern und jetzt nur an die tropische Louisiana und an die Krokodiljagd in den Atacapas denkend, eilte ich, Mr. Sarpy sogleich von Allem in Kenntniß zu setzen, und war erfreut darüber, daß er durchaus meine Meinung theilte und für eine schnelle Abreise war. Nachdem ich dann in aller Hast meine Angelegenheiten geordnet, ging ich hinüber zu Mr. Alison, um daselbst noch einige Stunden zuzubringen und dann vielleicht auf ewig von meiner indianischen Liebe Abschied zu nehmen.
Alles ging leichter, als ich geglaubt. Den Brief in der Hand trat ich ein, erzählte von der bevorstehenden Trennung und, wie ich glaube, mit einem recht verlegenen Gesichte. »O, wie froh bin ich!« rief mir Amalie mit dem unverkennbarsten Ausdruck liebenswürdiger Fröhlichkeit zu, »ich hatte schon große Furcht, mit nach der Insel ziehen zu müssen!« – »Wenn ich aber wiederkomme?« fragte ich, etwas betroffen. – »Wenn Sie wiederkehren,« antwortete die Halfbreed, »und sind noch nicht verheirathet, und ich bin noch frei, dann ist ja noch immer Zeit genug, Hochzeit zu machen.« – »Das soll ein Wort sein!« rief ich nun ebenfalls fröhlich aus, indem ich ihr die Versicherung gab, daß sie das beste Mädchen auf Gottes Erdboden sei. Ich kann aber nicht verhehlen, daß es mich innerlich dennoch ärgerte, statt einer sentimental rührenden Scene die größte Heiterkeit in dem ganzen Familienkreise verbreitet zu sehen.
Das Dampfboot, auf welchem ich mich einschiffen wollte, war ein äußerst zerbrechliches und fast ausgedientes, weshalb der Capitain desselben in St. Louis ein Musikchor für die Reise angeworben hatte, das an jedem Landungsplatze aufspielen mußte, um Passagiere anzulocken. Es ist dies eine der gewöhnlichen Speculationen, die sich darauf stützt, daß die Besucher des fernen Westens in den meisten Fällen lieber auf einem schlechten Dampfboote mit Musik für einen hohen Preis, als auf einem neuen ohne Musik für geringere Bezahlung reisen. Zufällig waren die Spielleute Deutsche, die ich durch gute Getränke, an denen auf den Dampfern nie Mangel ist, in eine so fröhliche Stimmung versetzte, daß sie sich willig finden ließen, der liebenswürdigen Indianerin des Abends ein Abschiedsständchen zu bringen. Unter Jubel sagte ich darauf Allen ein herzliches Lebewohl, zerdrückte eine Thräne in meinen Augen, als ich Amalien den letzten Kuß gab, und eilte nach dem Landungsplätze, wo ein Haufen Omaha-Indianer das große feuerspeiende Canoe betrachtete. Da war Ongpa-tonga, der große Hirsch, Oha-ginga, der kleine Koch, da war die weiße Kuh, der gelbe Rauch und noch viele andere der Omaha-Aristokratie; ich umarmte und küßte mich so lange mit den nackten Kriegern herum, bis ich von ihren Farben so bunt wie ein Specht wurde. Alles bereit! rief der Steuermann von seinem erhabenen Sitze; Alles bereit! antworteten Decatur und seine Leute am Ufer; mit zwei Sätzen war ich an Bord, die Glocke läutete, die Klingel schellte, die Räder schlugen die sandigen Wasser zu Schaum und bald war das Boot in der Strömung des Flusses und trieb lustig den Missouri hinunter. Ich stand noch lange auf dem Verdeck und blickte nach Belle Vue hinüber, wo sich glänzende Gestalten von Indianern um ein hell loderndes Feuer bewegten. Schnell glitt der schnaubende Dampfer an meiner einsamen Insel vorüber, und wie ein schwarzer Vorhang in der dunkeln Nacht trat diese vor die fernen Lichter, welche mir noch immer den Ort bezeichneten, wo ich so viele Freunde und meine indianische Liebe zurückgelassen hatte. Ich nahm nichts weiter von dort mit, als eine Erinnerung für's ganze Leben, eine Erinnerung an fröhliche, glückliche Tage.« – Hier schwieg der Erzähler. Die Nacht war inzwischen eingetreten, stumm ritten wir eine Weile fort, die Spuren der Wagenräder vermochten wir schon lange nicht mehr zu unterscheiden, wir überließen es daher dem Instinkt unserer Thiere, den richtigen Weg aufzufinden. Das Plätschern im Wasser, so wie das Ausgleiten der Hufe machte uns darauf aufmerksam, daß wir uns nicht mehr auf trockenem Boden, sondern im Morast oder an dem kleinen See befanden. Büsche und niederes Gesträuch verdichteten sich immer mehr um uns herum, und schon begannen wir über die eingeschlagene Richtung bedenklich zu werden, als wir an dem Flimmern von Feuern die Nähe des Lagers erkannten. Wir trieben unsere Thiere von Neuem an, die eiligen Hufe trafen bald wieder auf trockenen Boden, ein lautes »Wer da!« schallte uns von dem Wachtposten entgegen.
Als wir am folgenden Morgen um uns zu schauen vermochten, sahen wir, daß wir uns am Fuße von Hügeln aus rothem Sandsteingerölle gelagert hatten. Das ganze weite Thal war mit Sandsteinfelsen eingefaßt, die mehr oder weniger mit Cedern und verkrüppelten Fichten bewachsen waren; hin und wieder ragten urnenförmige Gebilde zwischen unregelmäßigem Gerölle hervor, aus der Ferne Ruinen nicht unähnlich. Der kleine See, durch welchen sich ein klarer Bach schlängelte, war bis zu einem geringen Umfange ausgetrocknet, das seichte Wasser in demselben dick und ziegelfarbig, so daß der Kaffee, der vor dem Aufbruch unserer Expedition bereitet wurde, ganz das Aussehen einer kräftigen Chocolade hatte; in seinem Geschmacke konnte aber leider nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit dem beliebten Getränke entdeckt werden.
Rauhes, unebenes Land, kleine, freundliche Prairien, kahle Felsen, mit Cedern bewachsene Hügel und Sandsteingerölle blieben zu beiden Seiten liegen, als wir unsere alte Straße gegen Westen verfolgten. Wir befanden uns nunmehr auf der Wasserscheide ( diving ridge) zwischen dem Pecos und dem Canadian, und 5550 Fuß über der Meeresfläche. Der Hoorah Creek, an welchem Ruhetag gehalten wurde, war für unsere Expedition das erste Flüßchen, welches seine Wasser dem Pecos zutrug, und mithin war auch die mittelbare Verbindung mit dem Canadian, der seit so langer Zeit den Ingenieuren als Leiter gedient hatte, aufgehoben. Ein schwierigeres Terrain mußte nunmehr mit Sorgfalt und Umsicht überschritten, vermessen und topographisch aufgenommen werden. Der Höhenunterschied zwischen Fort Smith und der eben genannten Wasserscheide betrug allerdings 5000 Fuß, doch war das Steigen des Landes auf eine Strecke von 700 Meilen vertheilt und, die einzige Stelle an dem Llano Estacado abgerechnet, so allmälig, daß dieses bei der Anlage einer Eisenbahn durchaus nicht hindernd in den Weg getreten wäre. Nun aber war unsere Expedition nur noch 150 Meilen von ihrem Bestimmungsort Albuquerque am Rio Grande entfernt und mußte sich auf dieser kurzen Strecke bis zur Wasserscheide des Pecos und des Rio Grande, also zu einer Höhe von 7000 Fuß hinaufarbeiten, welches die durchschnittliche Erhebung des hohen Tafellandes oder Bassins östlich der Rocky Mountains über der Meeresfläche ist; dann aber zum Rio Grande niedersteigen, dessen Spiegel bei den Uebergangspunkten Isleta oder Albuquerque 2000 Fuß niedriger als die oben erwähnte Wasserscheide oder 4945 Fuß über der Meeresfläche liegt. Um nun möglicher Weise einen geeigneten Paß zu entdecken, hätte ein Theil der Expedition dem Thale des Pecos vielleicht bis zu seinen Quellen hinauf folgen können, um von dort aus die Quellen des Galisteo zu erreichen und dann dem Laufe dieses Flüßchens bis zu seiner Mündung in den Rio Grande zu folgen; doch wurde von diesem Versuche abgestanden, als sich herausstellte, daß der Pecos sich weiter oberhalb durch enge Felsenthäler stürzte; unsere Gesellschaft blieb daher bis zu dem Passe Cañon Blanco, zwei Tagereisen westlich vom Uebergangspunkte des Pecos, vereinigt.
Die Unebenheit des Bodens war besonders auffallend, als unsere Expedition am 25. September den Gallinas wenige Meilen vor seiner Vereinigung mit dem Pecos erreichte und aus bedeutender Höhe in das Thal desselben hinunter und an dem jenseitigen Ufer wieder eben so hoch hinauf steigen mußte.
Die Quellen dieses Flusses sind nicht allzu weit von denen des Pecos, also nur wenig östlich von dem Fuße der Santa-Fé-Berge entfernt. Da nun beide Flüsse dieselbe Strecke in derselben Richtung durchlaufen, beinahe in gleichem Grade zunehmen und sich in einem ganz spitzen Winkel vereinigen, so könnte der Gallinas mit Recht als ein Arm des oberen Pecos bezeichnet werden. Niedrig und kahl sind die Ufer des ersteren, und eben diese bescheidene Einfassung ist Ursache, daß dieser Fluß aus der Ferne auf den Reisenden nur den Eindruck eines Baches macht. Steht man aber auf seinem Ufer und sieht die Breite, die zwischen 20 und 50 Fuß schwankt, blickt man auf die klaren Fluthen, die hurtig über glatte Kiesel rollen, sich kräftig gegen vorspringende Ufer stürzen, an den harten Lehmwänden abprallen und ungeduldig Blasen auf die Oberfläche werfen, dann möchte man ausrufen: Warum entbehrt doch ein so lieblicher Strom des schönen Schmuckes einer üppigen Vegetation? Warum spiegeln sich keine dichtbelaubten Bäume in den klaren Fluthen und gewähren dem einsamen mexikanischen Hirten Schutz vor den fast senkrechten Strahlen der Sonne, während seine zahlreiche Heerde sich in der wohlthuenden Wärme auf dem kurzen Rasen reckt und dehnt und träge an den Fluß zieht, um von dem kühlen Tranke zu schlürfen? Doch wunderbar ist die Natur in ihren Anordnungen, und was unergründliche Weisheit geschaffen, hält der schwache Sterbliche nur zu leicht für ein Spiel des Zufalls und der Laune. Himmelanstrebende Bäume gedeihen auf dem trockenen, goldhaltigen Sande Kaliforniens; gigantische Cacteen saugen ihre Lebenskraft aus schwarzen Trappfelsen und aus kalter Lava, die, jeder treibenden Kraft beraubt, vor undenklichen Zeiten von den jetzt ruhenden Vulkanen, den Abzugskanälen des unterirdischen Feuers, auf die Oberwelt geschleudert wurde; selten nur grünt eine vereinzelte Pappelweide auf den fruchtbaren Ufern der Flüsse von Neu-Mexiko, in deren Wellen sich nur der blaue Himmel und Wandervögel spiegeln.
Deutlicher als die kurz abgenagten Grasstoppeln sagten uns die in der Ferne sichtbaren Schaf- und Ziegenheerden, daß wir uns den Ansiedelungen näherten, und kaum war das westliche hohe Ufer des Gallinasthales erreicht, als die Luft von einem verworrenen Geräusch zu leben schien, welches bei weiterem Fortschreiten immer deutlicher wurde. Tausende verschiedener Stimmen schallten wild durcheinander, wozu sich das Geläute einzelner Glocken gesellte; es war eine ungeheuere Heerde, die in einer Niederung graste, an welcher wir vorbeizogen. Eine Heerde in der Heimath würde gewiß keine große Aufmerksamkeit bei den einzelnen Mitgliedern der Expedition erregt haben, doch war uns auf der weiten Reise ein solcher Anblick ungewohnt, ja neu geworden, und kaum war Einer im Zuge, der seine Blicke nicht mit besonderem Interesse auf den 5 bis 6000 Ziegen und Schafen hätte ruhen lassen. Stattlich sahen die bärtigen Böcke aus, als sie nach dem Wagenzuge hinüberschauten und wie drohend mit ihren starken Hörnern winkten, während die Schafe und Ziegen in rauschendem Chore durcheinander blökten und meckerten. Vor der Heerde stand, auf einen Knotenstock gelehnt, ein junger Mexikanerbursche, schwarze Haare hingen wild und verworren um seine braunen Züge, Schwielen bedeckten seine nackten Glieder, und sein zerrissener aschfarbiger Anzug war das Bild der tiefsten Dürftigkeit; ein magerer Wolfshund lag zu seinen Füßen und schielte mißtrauisch nach den Fremden. »Buenos Dies, Señores!« rief der Mexikaner uns zu, indem er höflich seinen zerlumpten Strohhut zog und in der Hand behielt; freundlich erwiederte unsere Gesellschaft den Gruß, und als Einige derselben Miene machten, Fragen über die Beschaffenheit des Landes an ihn zu stellen, warf er seine zerrissene, gestreifte Decke mit der eines Hidalgo würdigen Grandezza um seine Schultern und trat etwas schüchtern vor die Fremden hin. Nach seiner Aussage konnten es nur noch einige Meilen bis zu einer Quelle sein, von wo aus der Expedition, wenn sie daselbst übernachtete, am folgenden Morgen nur noch sechs Meilen bis zur ersten Ansiedelung Anton Chico zurückzulegen blieben. Viele gleichgültige Fragen wurden noch an den armen Jungen gerichtet, die er fast durchgängig mit: » Quien sabe« beantwortete, und als wir ihn wieder der Einsamkeit überließen, konnte Mancher gewiß nicht umhin, über das traurige Loos dieser armen Leute nachzudenken. Nur mit einem Beutel fein gemahlenen Maismehles ausgerüstet, verlassen diese Menschen ihr dürftiges Obdach, welches gewöhnlich in der roh gezimmerten Veranda des ersten besten Hauses besteht, und folgen Wochen, ja Monate lang den weidenden Heerden, ohne einem andern menschlichen Wesen zu begegnen, als höchstens in der Ferne dem Wächter einer andern Heerde, dem sich zu nähern ihnen untersagt ist, um die Vereinigung ihrer Pflegebefohlenen zu vermeiden. Ihre einzige Unterhaltung gewährt ihnen ein mürrischer Hund oder ein gezähmtes, verzärteltes Lieblingsthier der Heerde, und nur zu oft wird die trübe Einförmigkeit ihres Daseins von wilden Indianerhorden unterbrochen, die auf sie einstürzen, ungestraft rauben, was ihnen beliebt, und noch für großmüthig gehalten werden, wenn sie dem armen Hirten das Leben lassen. Gern wendet der Wanderer seine Aufmerksamkeit freundlicheren Bildern zu, welche ihm die blauen Gipfel der Santa-Fé-Gebirge gewähren, die vor ihm hinter grauen Tafelländern auftauchen. Wie geheimnißvoll wird der Mensch geleitet von der Wiege bis zur Bahre! Die Felsengebirge, nach welchen der Schulknabe auf der Karte vielleicht lange suchte, ehe er mit einem geheimen Grauen seine Hand aus die lange Kette der ihm unerreichbar scheinenden Cordilleren legte, dieses Ziel seiner Jugendwünsche zeigt sich ihm endlich, und mit Stolz und Selbstzufriedenheit ruhen seine Augen auf den fernen, nebligen Höhen; der Meilenzahl, die ihn von der Heimath trennt, gedenkt er nicht, der forschende, freie Reisende kennt keine Entfernung mehr, er geht dahin, wohin es ihn zieht, die große Welt ist sein eigen, und jetzt erst vermag er sich die Worte zu erklären, über die er als Kind vergebens gegrübelt:
Glücklicher Säugling! Dir ist ein unendlicher Raum noch die Wiege;
Werde ein Mann und Dir wird eng die unendliche Welt.
Je mehr unsere Expedition sich der Quelle näherte, desto häufiger war die Straße von tiefen, ausgetretenen Pfaden durchschnitten, die indessen alle zum Wasser führten. Buntscheckige Kühe lagen hin und wieder da, umspielt von neugierigen Antilopen, die hier keine Furcht zu kennen schienen, doch die reisenden Amerikaner waren nicht harmlose, mexikanische Hirten, und manches Büchsenrohr senkte sich, um lauschende Antilopen zwischen weidenden Rindern zu tödten und zugleich die unschuldige Freude der Hirten zu stören, die vielleicht gern den besten Bock ihrer Heerde für das Leben einer zutraulich gewordenen wilden Gefährtin hingegeben hätten.
Als die Zelte bei der Quelle errichtet wurden, nahm Lieutenant Whipple Abschied von uns und eilte in einem leichten Wagen voraus, um noch an demselben Tage in Anton Chico die bevorstehende Ankunft der Expedition zu melden. Obschon nun am Abend an allen Feuern im Lager saftige Wildbraten schmorten und das klarste Wasser nur wenig entfernt aus trockenem Erdreich rieselte, so erwartete dennoch Jeder ungeduldig den Aufgang der Sonne, um nach der Ansiedelung aufbrechen zu können.
Nach einem kurzen Marsche über steinige, mit Nadelholz bewachsene Höhen öffnete sich das Land vor unseren Blicken und gewährte die Aussicht über ein von hohen Felsen eingeschlossenes Thal, durch welches sich der Pecos schlängelte. An dieser Stelle theilte sich die Straße, indem ein Weg in nordwestlicher Richtung abbog, auf dem Tafellande am Pecos hinauf, bei San Miguel durch diesen Fluß und dann nach Santa Fé führte, während der andere in nächster Linie den Pecos berührte. Auf diesem letzteren gelangte die Expedition auf bequeme Weise hinab an den Fluß und befand sich nach Ueberschreitung desselben nur eine kurze Strecke von der Grenzstadt Anton Chico, die sich auf der Ebene wie eine Anzahl gewöhnlicher Ziegelöfen ausnahm. Eine passende Lagerstelle war bald gefunden, und nachdem die Heerden weit fort nach grasigen Schluchten getrieben worden waren (denn die nächste Umgebung der Ansiedelung glich einer staubigen Tenne), und nachdem sich Jeder aus seine Art im luftigen Zelte oder unter schirmendem Wagenverdeck häuslich eingerichtet hatte, ging es in eiligen Schritten nach der Stadt, um auf gut Englisch oder in gebrochenem Spanisch mit den Don's und Señorita's Bekanntschaft zu schließen, und gelegentlich nach den Preisen von Hühnern, Eiern, Milch, Butter und etwas stärkeren Getränken als Wasser zu fragen.