Balduin Möllhausen
Wanderungen durch die Prairien und Wüsten des westlichen Nordamerika
Balduin Möllhausen

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XIV.

Westliche Grenze von Texas. – Cerro de Tucumcari. – Die Räuber in Neu-Mexiko. – Tucumcari Creek. – Pyramid Rock.

Mit dem Rocky Dell Creek wurde zugleich die westliche Grenze von Texas überschritten, nachdem die Reise über die ganze Breite dieses Staates, von den Antelope Hills bis zu letztgenanntem Flüßchen, eine Strecke von 185 Meilen, zurückgelegt worden war.

Immer am Fuße der Hochebene hinauf ging es von dort weiter; der Canadian entfernte sich mehr nach Norden, die Straße dagegen nach Süden, so daß der Zwischenraum zunahm und wir gegen Norden fortwährend eine rollende Ebene und im Süden den zerrissenen Rand der Llano Estacado vor Augen hatten. Der gefurchte, unebene Boden gestattete nicht, uns so weit südlich zu halten, daß wir von dem Holze der bewaldeten Schluchten zu wärmenden Feuern hätten verwenden können; die Abende wurden empfindlich kalt und sehnsüchtig blickten Alle nach den verkrüppelten Cedern hinüber, während sie sich dichter in ihre Decken hüllten. Die kühle Abendluft war um so fühlbarer, als während des Tages die Wärme so zunahm, daß sie in den Mittagsstunden lästig wurde. Dafür waren aber die Mosquitos plötzlich verschwunden und Menschen wie Thiere damit einer großen Qual enthoben. Ueberhaupt meldete sich überall der Herbst an: Schaaren von Vögeln kamen aus dem hohen Norden, richteten ihren Flug gegen Süden und belebten die kleinen Gewässer und deren Ufer; sie zeigten wenig Scheu vor den Jägern und wurden daher in großer Anzahl von denselben erlegt. Die Jagd wurde in jeder Beziehung einträglicher und leicht gelang es auf dem unebenen Boden, an eine Antilopenheerde heranzuschleichen und einen stattlichen Bock aus der Mitte derselben zu erlegen. Mit dem Wilde nahm aber auch die allgemeine Jagdlust zu und in allen Richtungen konnte man vereinzelte Reiter wahrnehmen, die mit dem besten Willen, einen Braten für die Küche zu liefern, sich von dem Zuge getrennt hatten. Manche waren glücklich, Andere wieder nicht; so viel war aber sichtbar, daß es an manchem Tage auch den Wagentreibern der Expedition nicht an Wildbraten gebrach.

Aus einer Strecke von 45 Meilen, oder vielmehr so lange die Hochebene die Straße bestimmte, also vom Rocky Dell bis zum Fossil Creek, war keine Veränderung in der äußeren Umgebung bemerkbar; selten nur wurde ein Bach überschritten, der Wasser führte und auf Quellen in den dunklen Schluchten deutete, obgleich manches Bett, von Regenwasser aufgewühlt, die Richtung nach dem Canadian angab. Die Straße selbst trug Spuren eines nicht unbedeutenden Verkehres, der zu gewissen Jahreszeiten zwischen den Bewohnern von Neu-Mexiko und den Indianern besteht und vielleicht schon seit Hunderten von Jahren stattgefunden hat. Die Civilisation hatte in den uralten Zeiten ihren Weg vom Golf von Mexiko am Rio Grande hinauf genommen und sich nur selten aus dessen Thale entfernt; der Unternehmungsgeist der alten Spanier war allmälig in ihren Nachkommen abgestumpft, die es nicht wagten, sich östlich oder westlich von ihren ererbten Ansiedelungen niederzulassen, einestheils um die Beeinträchtigungen der Eingeborenen zu vermeiden, denen sie am Rio Grande kaum im Stande waren, die Stirne zu bieten, anderentheils mochten die flachen, öden Regionen zu wenig Einladendes für sie haben. Sie blieben, wo sie geboren, und begnügten sich damit, in kleinen Karawanen über die Steppen zu ziehen, die Indianer in ihren Dörfern aufzusuchen und auf diese Weise einen beschwerlichen Handel mit denselben aufrecht zu erhalten. Auf der anderen Seite nun wieder, wo die anglo-sächsische Civilisation fast ein Jahrhundert später festen Fuß faßte, wurde wacker vorwärts geschritten, und wie durch Zauber vermehrte sich die Bevölkerung und mit dieser der Unternehmungsgeist. Weit über den Mississippi und Missouri hinaus drang die Civilisation siegreich vor, sie scheute sich nicht vor undurchdringlich scheinenden Forsten, nicht vor wasserlosen Steppen oder deren wilden Bewohnern. Wie eine mächtige Woge wälzte sie sich vom Atlantischen Ocean über den amerikanischen Continent, um einer andern, die ihren Anfang in neuester Zeit am stillen Ocean genommen, an den Felsengebirgen zu begegnen und mit derselben vereint in kurzer Zeit über die Bevölkerung von Neu-Mexiko zusammenzuschlagen und dieselbe in sich aufgehen zu lassen. Diese ernsten Betrachtungen stiegen Manchem auf, der sinnend auf der Straße einherzog und Merkmale eines uralten Verkehres wahrnahm, und gewiß konnte Niemand umhin, die größte, wohlverdiente Bewunderung den alten, kühnen Spaniern zu zollen, die vor mehr denn zweihundert Jahren ihre Inschriften und Merkzeichen in Gegenden zurückgelassen, welche vor wenigen Jahren zum ersten Male von den Amerikanern bereist und beschrieben wurden, wie es besonders an mehreren Stellen westlich von den Rocky Mountains der Fall ist.

Ungefähr 20 Meilen von dem Ende der Hochebene und dem Fossil Creek tauchte in nebeliger Ferne wie blaues Gewölk ein Gebirge aus der Ebene, welches um so eher bemerkt wurde, als wir gewohnt waren, in westlicher Richtung den Horizont sich mit dem Flachlande vereinigen zu sehen. So wie eine Meile nach der andern zurückgelegt wurde und unsere Expedition sich dem beobachteten Gegenstande näherte, traten die Umrisse eines Tafelfelsens deutlich hervor, der sich abgesondert von der Llano wie ein Dom von riesenhaftem Umfange in der Ebene erhob. Doch zwei Tagereisen waren noch bis zu diesem Punkte zurückzulegen, an welchem die Straße vorbeiführen mußte, wenn er sich wirklich als der von einem früheren Reisenden beschriebene Cerro de Tecumcari erwies, und mancher Schritt mußte noch bis dahin auf hartem, unfruchtbarem Boden gethan werden, der nur die kärglichste Nahrung für die Heerden bot. Der frohe Muth der jungen Leute blieb deswegen doch immer derselbe und mit Freuden gedachten sie der Zeit, die sie nun bald in den Ansiedelungen von Neu-Mexiko verleben sollten. Wenn sich Mehrere zu einer Gesellschaft vereinigt hatten und plaudernd dem Wagenzuge voranschlenderten, dann konnte man sicher darauf rechnen, daß ihre Unterhaltung den Aufenthalt in Albuquerque betraf, der ihnen sicher in Aussicht stand.

»So werden wir denn bald in dem gepriesenen Lande reisen,« hob Mr. Garner, ein Amerikaner, an, der in der Mitte mehrerer Kameraden sein Maulthier nach eigenem Gutdünken ausschreiten ließ, »in dem Lande der Fandangos und Bowiemesser, der Lassos und des rothen Pfeffers, der Quien Sabes und Señoritas. Manchen vergnügten Tag habe ich daselbst schon zugebracht, denn auch ich gehörte vor zwei Jahren, wie Doctor Bigelow, zu der Grenzvermessungs-Commission; möchten wir auf dieser Reise nur weniger genöthigt werden, Zeugen von Greuelscenen zu sein, als damals.« Bei diesen Worten wendete er sich an den Doctor. »Erinnern Sie sich noch,« rief er ihm zu, »wie Sie in Sucorro mit einer ungeladenen Flinte einen Haufen Mörder aus Ihrer Stube trieben, wohin man ein sterbendes Opfer der zügellosen Barbaren gebracht hatte?« – »Gewiß erinnere ich mich noch jener Zeiten,« antwortete der Doctor, »sie waren schrecklich und man sollte kaum glauben, daß Begebenheiten, wie wir sie erlebten, dem neunzehnten Jahrhundert angehören könnten.« – »Um Ihnen, meine Herren, den Verlauf der eben erwähnten Begebenheiten mit allen Nebenumständen mittheilen zu können,« fuhr Mr. Garner fort, »muß ich weit ausholen. Als die Grenzvermessungs-Commission im August l850 an den Ufern von Texas landete, war sie genöthigt, ungefähr fünfzig Wagentreiber und Arbeiter in Dienst zu nehmen. Der Quartiermeister, dem die schwierige Aufgabe der Anwerbung oblag, konnte sich auf eine besondere Auswahl nicht einlassen, sondern war gezwungen die Leute anzunehmen, wie sie sich gerade anboten. Es war also natürlich, daß ein Haufen der gesunkensten und verworfensten Charaktere auf diese Weise in den Dienst unseres Gouvernements gelangte, so daß es nach unserer Ankunft in El Paso und San Eleazario für nothwendig befunden wurde, eine Anzahl der schlimmsten Subjecte zu entlassen. Züge von Emigranten, die sich auf der Reise nach Californien befanden, so wie Handelskarawanen hatten an eben denselben Orten ein gleiches Verfahren angewendet und es war dadurch der Auswurf der Menschheit in diesen Ansiedelungen zusammengekommen, dem die Mittel zu einem ehrlichen Lebenswandel fehlten, wenn es wirklich dem Einen oder dem Anderen eingefallen wäre, auf dem übel gewählten Lebenswege umzukehren. Geld kam bei diesen Leuten übrigens gar nicht in Betracht, denn Diejenigen, die im Besitz klingender Münze waren, hatten in kurzer Zeit den letzten Cent in unwürdigen Spielen verloren.

Die friedlichen Einwohner von Socorro, wo alle Karawanen gewöhnlich für kurze Zeit anhielten, wurden durch solche widrige Umstände hart gedrückt, denn nicht nur auf der Straße, sondern sogar an ihrem Heerde waren sie ihres Lebens nicht mehr sicher, indem die frechen Räuber sich überall eindrängten, brandschatzten und nur zu oft mit dem Blute der harmlosen Familien befleckt solche Wohnungen wieder verließen. Viele der Mexikaner, im Bewußtsein ihrer Ohnmacht einer solchen brutalen Macht gegenüber, packten ihre Habseligkeiten zusammen, verließen ihre Heimath und wanderten nach entlegeneren Ansiedlungen. So standen die Sachen, als unsere Commission dort anlangte. Das Erscheinen eines wohlgeordneten, bewaffneten Commando's in Socorro machte die Bande der Spieler, Pferdediebe und Mörder stutzen und vorsichtiger in ihrem Treiben. Kaum wurden indessen die einzelnen Vermessungs-Compagnien hierhin und dorthin entsendet, als sich die früheren Scenen erneuerten. Häuser wurden schonungslos erbrochen, um die schändlichsten und verbrecherischsten Leidenschaften zu befriedigen, und jede neue Schandthat gab der schrecklichen Bande, die uns umgab, im Bewußtsein ihrer Straflosigkeit doppelte Dreistigkeit. Nachdem mehrere Morde verübt worden waren, traten die besser gesinnten Bürger Socorro's zusammen und erbaten sich von dem Militairposten in San Eleazario Unterstützung, um dem verderblichen Treiben endlich ein Ziel zu setzen. Die nachgesuchte Hülfe wurde von dem commandirenden Offizier abgeschlagen, indem er darauf fußte, daß zuerst von den Civilbehörden der Beistand verlangt werden müsse; daher blieben die Sachen beim Alten und das Städtchen drohte ganz entvölkert zu werden, weil die Einwohner sich nach allen Seiten flüchteten. Eines Abends wurde ein Ball an diesem Orte veranstaltet, ein gewöhnliches nächtliches Vergnügen in allen mexikanischen Städten. Da diese sogenannten Fandangos für Jedermann geöffnet sind, so läßt sich denken, daß die Räuberbande an diesem Abende auch nicht fehlte und sich bald durch ihr brutales Auftreten bemerklich machte. Pistolen wurden über den Köpfen der Weiber abgefeuert und als diese erschreckt zu entfliehen suchten, fanden sie die Thüre durch einige der Bösewichte besetzt, die sie zum Bleiben zwangen. Die Aufregung im geschlossenen Raume wurde größer, Bowiemesser wurden hervorgeholt und auf Menschen gezückt, und Mr. Clarke, der Assistent unseres Quartiermeisters, der gerade gegenwärtig war, fiel als erstes Opfer. Vier der Banditen griffen ihn mit Bowiemessern an und tödtlich getroffen stürzte der Unglückliche nahe der Thüre zusammen. Schleunigst wurde der Verwundete in das Quartier des Doctor Bigelow gebracht, der, nachdem er die neun oder zehn Wunden untersucht hatte, sogleich jede Hoffnung auf Rettung aufgab. Hier nun war es, wo die Mörder sich eindrängten, um den sterbenden Clarke vollends zu tödten. Doctor Bigelow, durch den Blutdurst der Räuber zur blinden Wuth gereizt, ergriff eine zufällig ungeladene Doppelflinte, legte auf den vordersten Banditen an und drohte ihn zu erschießen, wenn er und seine Kameraden nicht augenblicklich das Gemach räumten; die feigen Mörder leisteten der Aufforderung Folge, doch bleibt es zweifelhaft, ob sie es gethan, wenn sie die wirkliche Hülflosigkeit des Doctors geahnt hätten. Als die Nachricht von dem Morde eines Mitgliedes der Commission unser Lager erreichte, geriethen Alle in die größte Aufregung und es wurde die erste Frage aufgeworfen, auf welche Weise man der Mörder würde habhaft werden können. Auf Hülfe der Militairstation durften wir nicht rechnen und der Alcade der Stadt war ein schwacher, kränklicher Mann, der seine Autorität einem anderen, noch feigeren Wichte übertragen hatte, von welchem ebenfalls kein energisches Einschreiten erwartet werden konnte. Es blieb also nur übrig, daß sämmtliche Mitglieder der Commission sich vereinigten, um die öffentliche Sicherheit einigermaßen wieder herzustellen. Boten wurden augenblicklich nach San Eleazario, wo unsere Hauptabtheilung lag, gesendet, um diese von dem Vorgefallenen in Kenntniß zu setzen und zum Beistande aufzufordern. Alle leisteten dem Rufe pünktlich Folge, ein Trupp Amerikaner und Mexikaner wurde gesammelt, welche sich schnell bewaffneten und in Begleitung der Mitglieder der Commission schleunigst nach Socorro eilten, wo wir nebst vielen der Bürger sie schon erwarteten. Unsere Macht wurde darauf in Trupps getheilt und diese angewiesen, genaue Nachforschungen nach den Mördern anzustellen.

Alle gingen mit Eifer an die Arbeit. Jedes Haus wurde durchsucht und acht oder zehn der Banditen festgenommen, wobei es sich ergab, daß der Führer der Bande, ein gewisser Young, schon am frühen Morgen seine Flucht aus dem Flecken bewerkstelligt hatte. Unsere Gefangenen wurden von einer bewaffneten Wache nach dem Hause eines dortigen Richters, Namens Berthold, gebracht, unter strengem Verwahrsam gehalten und unterdessen zur Bildung der Jury geschritten, wozu man sechs Mexikaner und sechs unserer eigenen Leute wählte. Ein Vertheidiger wurde den Verbrechern angeboten, jedoch von diesen ausgeschlagen, indem sie das ganze Verfahren für bloße Form hielten und sich leicht von der Anklage glaubten losschwören zu können. Das Verhör wurde indessen auf die ernsteste Weise eingeleitet und beschleunigt, weil es ruchbar geworden, daß sich in der Gegend ein Complot zur Befreiung der Verbrecher gebildet habe, welches nur auf eine günstige Gelegenheit warte, um mit seinen Absichten zu Tage zu treten. Eine eigenthümlichere Gerichtssitzung, als diese war, ist wohl kaum denkbar. Alle, Betheiligte sowohl wie Zuschauer, welche letztere zu gleicher Zeit Stelle der Sicherheitswache vertraten, waren von Kopf bis zu Fuß bewaffnet und bildeten in ihren verschiedenartigen Costümen eine Scene, die dem Mittelalter entnommen zu sein schien. Die hellere, aber sonnverbrannte Gesichtsfarbe der amerikanischen Geschworenen, die ruhig ihre Pfeife rauchten, zeigte einen auffallenden Contrast mit der dunklen Farbe der Mexikaner, die, in ihre gestreiften Serapes gewickelt, ihre breiten Hüte in den Händen und kleine Cigaritos zwischen den Lippen hielten. Der Richter saß vor einem roh gezimmerten Tische, auf welchem statt der Aktenstöße seine Pistolen lagen. Die Gefangenen auf einer Bank inmitten der ernsten, entschlossenen Versammlung hatten Nichts von ihrem verhärteten und gleichgültigen Wesen verloren; wie ächte Banditen schauten sie wild und trotzig umher. Zwei Tage dauerte das Verhör; von den Freunden der Verbrecher wurde der Versuch gemacht, das Urtheil weiter hinaus zu schieben, augenscheinlich um Zeit zu gewinnen und die Gefangenen auf die eine oder die andere Weise zu befreien. Dergleichen Versuche blieben indessen ohne Erfolg und nach Feststellung der Beweise wurde das Schuldig über drei Mitglieder der Bande ausgesprochen, welche darauf zum Tode verurtheilt wurden. An demselben Abende wurde noch zur Vollstreckung des Urtheils geschritten. Ein Priester geleitete die Mörder auf den Richtplatz, doch trotzig und mit Verachtung wiesen die verstockten Bösewichte jeden angebotenen Trost von sich und starben, wie sie gelebt hatten. Die untergehende Sonne sah drei menschliche Körper an einer Pappelweide hängen. Das Urtheil war vollzogen und Betheiligte so wie Zuschauer gingen auseinander, um nach ihren Wohnsitzen und Quartieren zurückzukehren.

Um des Anführers der Bande noch habhaft zu werden, bestimmte unsere Gesellschaft die Summe von 400 Dollars, die demjenigen als Lohn zu Theil werden sollte, der den Young zur Stelle schaffen würde. Die Belohnung war anlockend und nach allen Richtungen durchstreiften kleine Trupps die Gegend. Nach wenigen Tagen schickten uns die Bewohner von Guadalupe den Mörder gefesselt zu; pünktlich wurde die Belohnung ausgezahlt und es blieb uns nur noch die traurige Aufgabe, die längst verdiente Strafe an dem Hauptverbrecher zu vollziehen. Sein Prozeß war kurz: er starb wie seine Spießgesellen an demselben Baume.

In Socorro war nun wieder die alte, gewohnte Ordnung hergestellt. Alle Diejenigen, deren Charakter zweifelhaft war und die in keiner Beziehung zu der Vermessungs-Commission standen oder ohne Beschäftigung waren, wurden angewiesen, innerhalb 24 Stunden die Gegend zu verlassen. Doch war dieses Verfahren kaum nöthig, denn durch die Hinrichtung der vier gefährlichsten Räuber schien der übrigen Bande ein längerer Aufenthalt in unserer Nähe nicht mehr rathsam, und noch vor dem Ende des folgenden Tages waren alle verschwunden. Das Benehmen der Vermessungs-Commission wurde von den Militair- und Civilbehörden vollständig gebilligt; ein solches Beispiel hatte schon seit langer Zeit gefehlt und dankbar erkannten die Bewohner von Socorro es an, daß sie nunmehr des Abends ungestört vor ihren Häusern sitzen konnten und nicht mehr, wie sonst, bei eintretender Dämmerung sich hinter verschlossene Thüren zurückziehen mußten. So hat also Neu-Mexiko nicht nur von den Einfällen der wilden Indianerhorden zu leiden, sondern auch die größten Bösewichte der weißen Raçe drängen sich daselbst ein, um eine drückende Landplage der friedlichen Bürger zu werden, die ihre vielen, freilich auch unverzeihlichen Fehler haben, aber doch wieder zu einem guten, friedlichen Lebenswandel hinneigen.«Die näheren Umstände dieser Gegebenheit sind in Bartlett's Personal Narrative (Vol. I. p. 163) erzählt.

»Ich sollte kaum denken,« bemerkte Einer unserer Gesellschaft, »daß wir dergleichen in Albuquerque zu befürchten hätten, weil die Haupthandelsstadt des fernen Westens Santa Fé ist, wohin sich das Gesindel gewiß mehr hingezogen fühlt.« – »Ich bin aber überzeugt,« fiel Mr. Garner ein, »daß wir selbst einige recht saubere Banditen unter unseren Arbeitern haben, die nach unserer Ankunft in Albuquerque gewiß ihr Treiben beginnen werden; sie sehen jetzt zwar harmlos und ehrlich aus, doch werden diejenigen, die dort entlassen werden, nicht wieder zu erkennen sein, sobald sie ihre eigenen Herren geworden sind. Wir werden gewiß alle Ursache haben, unsere Maulthiere mit scharfen Augen zu bewachen, wenn wir nicht wollen, daß allnächtlich eins oder mehrere derselben verschwinden, um nach einigen Tagen von unbekannten Menschen in Santa Fé zum Verkauf ausgeboten zu werden.«

Eine Tagereise vor dem Berge, der uns schon seit langer Zeit sichtbar gewesen, wurde nördlich von demselben ein zweiter Tafelfelsen wahrgenommen, der dem ersten ähnlich, nur von bedeutend kleinerem Umfange war. Alle Zweifel waren nun gehoben: der große und der kleine Tucumcari, zwischen welchen hindurch die Straße führte, lagen vor uns. Am Fossil Creek, zwölf Meilen vor den genannten Bergen, schlug unsere Expedition ihr Nachtlager auf. Das Ende der Hochebene war nunmehr erreicht, das heißt die Stelle, wo sie in der seit längerer Zeit beibehaltenen westlichen Richtung abbricht und mehr südlich sich weiter zieht. Fossil Creek ist eines der vielen kleinen Gewässer, die ihre Quellen in den Schluchten der Hochebene haben und in vielen Windungen dem Canadian zueilen. Der Name verräth schon die Eigenthümlichkeit des Baches, in dessen Bette Kies und fossile Austerschalen durcheinander liegen; doch gehören keineswegs diese Muscheln dorthin, sondern sind von dem Hochlande losgerissen und bis an den Canadian River fortgerollt worden, was um so erklärlicher ist, als es sich auswies, daß die Tafelfelsen wenige Meilen westlich von Tucumcari unter der deckenden Schicht von Sandstein mit einer Lage fossiler Austerschalen durchzogen waren.

Um die Mittagszeit des folgenden Tages bewegte sich der Wagenzug langsam am Cerro de Tucumcari vorbei. Einen imposanten Anblick gewährt dieser Berg, der wie eine uneinnehmbare Festung sich in einer Höhe von 600 Fuß aus der Ebene erhebt. Der Umfang an der Basis mag vielleicht vier Meilen betragen, und da sich die Wände steil und theilweise senkrecht erheben, der Umfang der Plattform nur um ein Geringes kleiner sein. Die starke, weiße Sandsteinlage, die dicht unter der Oberfläche des Berges überall zu Tage tritt und hin und wieder hervorragt, ist auf lange Strecken regelmäßig gekerbt oder mit senkrechten Einschnitten versehen, wie sie im Laufe der Zeit von dem heruntertriefenden Wasser gebildet wurden, so daß das Ganze ein Ansehen gewinnt, als ob mächtige Wälle und Mauern, mit langen Reihen von Schießscharten versehen, den Platz uneinnehmbar machen sollten. Ueberall, wo nur ein wenig Erde der Wurzel einige Nahrung gewährt, sind Cedern aus dem unfruchtbaren Boden hervorgeschossen, die indessen unter so ungünstigen Verhältnissen ihre Kronen nicht hoch zu erheben vermochten, sondern verkrüppelten und allmälig die Abhänge und Schluchten mit ihren dunklen Schatten phantastisch zierten. Dieses war also der Tucumcari; im Vergleich mit den malerischen Ufern des Hudson oder den stolzen Gipfeln des Alleghany-Gebirges würde er sehr zurückstehen müssen, aber hier in der weiten Ebene erfreut der regelmäßige Bau des Berges das Auge; mit Wohlgefallen ruht es auf den wunderlichen Formen, an welchen die Natur seit Tausenden von Jahren meißelte und putzte, bis endlich die ursprünglich unförmliche Bergmasse ihre jetzige eigenthümliche Gestalt erhielt. Ueberall, in den wasserlosen Wüsten, im schattigen Urwald, in gigantischen Gebirgen, auf grünen Wiesen, baute die Natur ihre erhabenen Dome, die ein kindlich frommes Gemüth zur innigen Verehrung hinreißen und Gefühle in ihm erwecken, denen es keine Worte zu geben vermag, die aber verstanden werden. Wie könnte doch die reine Freude über die Werke eines allmächtigen Meisters anders genannt werden, als eine heilige Anbetung? Selbst Wilde, die auf ihren Kriegspfaden in der Nähe solcher hervorragender Punkte rasten, sind den Eindrücken derselben unterworfen: sie neigen sich nicht allein vor dem Werke selbst, sondern auch vor demjenigen, der dies Zeichen seiner Macht vor sie hinstellte und den sie ihren Manitu nennen. Da nun gewöhnlich in der Nähe solcher Stellen klares Wasser aus festem Gestein sprudelt und den müden Wanderer einladet, sich zu erquicken und im Schatten auszuruhen, so mag der nachdenkende und forschende Reisende leicht auf die Idee verfallen, daß nicht ohne Absicht die Adern des harten Felsens sich der Quelle öffneten, sondern den Zweck hatten, den Menschen länger vor den Altären der Natur zu fesseln. Auch der Indianer weilt dort gern und vergegenwärtigt sich die Sagen, die sich aus dem undurchdringlichen, grauen Alterthume bis auf die jetzige Zeit erhalten haben, Sagen, die bei verschiedenen Stämmen in weit von einander entfernten Regionen immer dieselben sind. So heißt es von den Manitu-Felsen am Erie-See, von dem kleinen und großen Manitu an den Ufern des Missouri, vom Chimney Rock (Schornsteinfelsen) und Courthouse (Rathhaus) an den Felsengebirgen und noch vielen anderen hervorragenden Punkten auf dem amerikanischen Continente, daß der große, gute Geist zu einer Zeit, als seine rothen Kinder ihn vergessen hatten, diese Zeichen hingestellt habe, um die Abtrünnigen wieder zurückzuführen. Wenn nun die Indianer sich diesen Zeichen nähern, dann denken sie mit Verehrung an ihren großen Geist und schmücken solche Stellen mit bunten Bildern, den Schöpfungen ihrer wilden Phantasie.

Hat sich ein Wanderer mit unsäglicher Mühe und selbst mit Gefahr seines Lebens an den steilen Wänden des Tucumcari hinaufgearbeitet, dann findet er reichen Lohn in der weiten und herrlichen Aussicht, die ihm von dem höchsten Punkte des Berges geboten wird. Nach allen Seiten vermag das Auge über eine Strecke von vielen Meilen hinzuschweifen. Im Süden und Westen dehnt sich eine unregelmäßige Masse von Hügeln aus, hinter diesen tauchen in nebeliger Ferne die blauen Gipfel eines höheren Gebirges empor, gegen Norden und Nordosten liegt ausgebreitet die endlose, rollende Prairie; doch so weit auch das Auge reicht, ist keine Spur des seichten Canadian River zu entdecken, der heimlich und ungesehen durch die Steppe schleicht. Im Osten und Südosten endlich erhebt sich die Llano Estacado, deren weit dahinziehende Höhen sich im Süden mit dem Horizont verbinden.

Wer nun um die Mittagszeit am Tucumcari vorbeizieht, der wird gegen Abend den Bach gleiches Namens erreichen und auf dessen Ufer die Vorbereitungen zum Nachtlager treffen. So geschah es auch bei unserer Expedition, die am 23. September an eben dieser Stelle anlangte und nunmehr von Fort Smith aus eine Strecke von 650 Meilen zurückgelegt hatte. Dieses Flüßchen entspringt nicht, wie man aus dem Namen schließen sollte, an dem oben beschriebenen Berge, sondern weiter westlich an den Höhen, die der Expedition die Weiterreise zu versperren schienen.

Der Tucumcari Creek mußte den ersten Reisenden als Wegweiser gedient haben, denn in geringer Entfernung von demselben zog sich die Straße hin; nachdem sie auf mehrere Meilen von der Lagerstelle die südliche Richtung beibehalten hatte, bog sie eben so wie das Flüßchen gegen Westen in das Gebirge ein, und nach kurzer Zeit reisten wir in einem weiten, ebenen Thale, welches von Tafelländern und Felsen eingeschlossen war und nur gegen Westen eine Oeffnung zeigte. Bei dem weiteren Fortschreiten erhob sich unter den einzelnen Mitgliedern vielfach die Frage über die muthmaßliche Breite des Thales; manche Behauptung wurde darüber ausgesprochen und wieder bestritten, bis es sich zuletzt erwies, daß sich Alle getäuscht hatten und mit ihren Berechnungen weit hinter der Wirklichkeit zurückgeblieben waren. Es konnte übrigens nicht Wunder nehmen, denn blickte man über die Ebene, die sich zu beiden Seiten ausdehnte, sich leise hob und plötzlich durch cedernbewaldete, hoch aufstrebende Berge begrenzt wurde, so mußte man glauben, nach einem scharfen Ritte von einer halben Stunde von dem einen Abhange aus über die ganze Breite des Thales hinweg die jenseitige Hügelkette erreichen zu können. Gerade diese Täuschung war Ursache, daß eine kleine Gesellschaft, den Geologen Mr. Marcou an der Spitze, sich leichter dazu entschloß, in südlicher Richtung von der Straße abzubiegen, um die Formationen der Tafelländer genauer an einer Stelle zu untersuchen, wo ein von der zusammenhängenden Kette getrennter, pyramidenförmiger Berg in einem senkrechten Durchschnitte die verschiedenfarbigsten, horizontalen Lagen und Schichten zeigte. Auch ich hatte mich der Gesellschaft angeschlossen. Eine Meile nach der andern legte unser aus fünf Reitern bestehender Trupp zurück, doch hartnäckig schien sich die Entfernung, die uns von dem Ziele trennte, nicht verringern zu wollen, wenngleich der Wagenzug und die ihn begleitenden Gestalten allmälig in der Ferne verschwanden. Die Hälfte des Weges mochten wir zurückgelegt haben, als wir vom Tucumcari Creek aufgehalten wurden, dessen Ufer weithin mit Schilfgras und Rohr bewachsen waren. Hatten auf der kahlen Ebene die Antilopen schon unsere Jagdlust rege gemacht, so wurde diese verdoppelt, als lange Ketten von Enten sich lärmend von dem Bache erhoben und davon flogen. Hin und wieder richteten sich im hohen Grase kleine Rudel von Hirschen auf und schauten verwundert zu den Ruhestörern hinüber; der Vorderste unserer Gesellschaft konnte solcher Gelegenheit nicht widerstehen; anstatt den sichern Weg des Schleichens einzuschlagen, legte er die Zügel auf den Hals seines geduldig stehenden Thieres, hob leise die Mündung seiner Büchse in der Richtung nach einem starken Zehn-Ender, und gab trotz des Abrathens der Gefährten Feuer. Harmlos und ruhig hatte uns der Hirsch bis dahin angeschaut, bei dem Knall aber sprang er mit allen vier Füßen zugleich vom Boden, so daß er über dem hohen Schilf zu schweben schien; es war ein mächtiger Satz, doch war es sein letzter, denn er stürzte tödtlich getroffen zusammen. Der laute Knall hatte alles Wild in der Nähe aufgescheucht, welches erschreckt in größter Hast entfloh und den Schluchten zueilte.

»Hier möchte ich einige Wochen bleiben,« wendete sich der Naturaliensammler zu seinen Gefährten, als er den Hirsch zerlegte; »wie manche schöne Jagd ließe sich hier am Flusse und dort in den Schluchten machen; ich verlasse wirklich mit blutendem Herzen diese einladenden Gründe.«

»Auch ich bliebe mit Freuden noch eine Zeit lang hier,« fiel der Botaniker ein; »abgesehen davon, daß ich herzlich gern auch einmal ein Stück Wild erlegen möchte, würde es die größte Wonne für mich sein, unter den Cedern an den Abhängen umherzukriechen, um nach Cacteen und schönen Moosen zu spüren, deren es gewiß hier neue Species giebt.« – »Keiner bliebe lieber hier als ich!« bemerkte der Geologe, »denn wenn auch die Pyramide hier vor uns ein ungewöhnlich schönes Bild der Formationen der nächsten Tafelländer zeigt und auf der steilen Felswand die deutlichsten Worte für den Kenner zu lesen sind, so möchte ich doch noch hierhin und dorthin wandern – mit anderen Worten, wir Menschen sind schwer zufrieden zu stellen.«

»Ich kann Sie vom Gegentheil überzeugen,« fiel ein junger Assistent ein, der in einem ledernen Futteral einen Barometer auf dem Rücken trug und deshalb vorsichtig die besten Pfade für sein Reitthier aufsuchte; »ich werde ganz gewiß zufrieden sein, wenn ich mit dem zerbrechlichen Instrumente auf der Spitze jenes Berges gewesen bin und, ohne dasselbe zertrümmert zu haben, nach Berechnung der Höhe glücklich zurückgeklettert, mich wieder im Sattel befinden werde.« – »Auch ich würde zufrieden sein,« sagte zuletzt der Ingenieur, »wenn unser glücklicher Jäger das Rückenstück, welches er allem Anscheine nach für sich selbst bestimmt hat, nicht auf Kosten unserer Antheile zu groß schneiden wollte!« – »Und doch werden Sie zufrieden sein mit dem, was Sie erhalten!« erwiederte Jener lachend und befestigte, wie die Anderen, den Braten am Sattelknopf, worauf wir Alle die Maulthiere wieder bestiegen und fröhlichen Muthes den Weg nach dem verabredeten Punkte fortsetzten. Dieser ragte aus der Ebene hervor wie eine Pyramide, die von der Spitze bis auf den Boden gespalten war und deren eine Hälfte, in Trümmer zerfallen, am Fuße des Berges kleine Hügel von buntem Gerölle bildete.

Als wir uns dem Berge näherten, wurde unsere Aufmerksamkeit besonders durch die verschiedenen Farben des Erdreichs und des Gesteins gefesselt, welches in schwächeren oder stärkeren horizontalen Schichten über einander lag. Die rothen, gelben, blauen und weißen Schattirungen stachen eigenthümlich gegen das dunkle Grün der Cedern ab, die sich bis zur Spitze hinauf verbreitet hatten, wo sie von mächtigen, kieselartigen, weißen, sehr festen Kalksteinblöcken, welche die Spitze bildeten, überragt wurden. Diese nun ruhten auf einer weißen Lage, die sich bei näherer Untersuchung als fossile, der Juraformation angehörende Austerschalen auswiesen. Schroff wie eine Mauer hob sich der Pyramid Rock gegen Norden aus den Trümmerhaufen und war daher nur auf den anderen drei Seiten ersteigbar, wohin wir uns begaben, unsere Thiere an den Leinen befestigten und dann an verschiedenen Stellen die schwierige Aufgabe des Ersteigens unternahmen. Im Anfange kamen wir schnell aufwärts und Zögerung trat nur dann ein, wenn gut erhaltene Exemplare von Muscheln den Einen oder den Anderen vom nächsten Wege abzogen. Die Hälfte der Höhe war indessen noch nicht erreicht, als loses Gerölle und Felsblöcke überall hemmend im Wege lagen; dafür boten aber die etwas dichter stehenden Cedern den Händen sowohl wie den Füßen immer wieder neue Haltpunkte, so daß wir, wie in einem Baume von Zweig zu Zweig steigend, uns nur langsam unserem Ziele näherten. Endlich nach langer angestrengter Arbeit tauchte Einer nach dem Anderen unter der Spitze auf, wo man sich bemühte, Vertiefungen und rauhe Stellen in dem Gesteine zu entdecken, um mit Hülfe derselben auf den höchsten Punkt des Berges zu gelangen. Nach einigem vergeblichen Suchen fanden wir endlich nahe der schroffen Wand Abstufungen, die für Hände und Füße schwache Haltpunkte boten. Vorsichtig und ohne die Blicke zu wenden, folgte Einer dem Anderen auf dem gefährlichen Wege; kein Wort wurde gesprochen, denn Jeder wußte zu genau, daß der geringste Fehltritt ihn auf seine folgenden Kameraden und mit diesen in die grauenvolle Tiefe hinabstürzen mußte. Alle kamen glücklich auf dem kleinen Plateau an, sogar das Barometer-Instrument hatte sich gut gehalten und verkündigte, daß wir uns 500 Fuß über der Basis des Berges befanden. Die Höhe war allerdings nur gering, da aber der Felsen wie ein Zuckerhut spitz zulief, so brauchte man sich nur auf derselben Stelle zu wenden, um einer weiten, herrlichen Aussicht nach allen Himmelsgegenden zu genießen. Gegen Osten, wo das Thal sich öffnete, erblickte man die regelmäßigen Formen und Linien des Tucumcari, gegen Norden zusammenhängendes Tafelland, welches sich in westlicher Richtung ausdehnte und in der Entfernung von ungefähr 8 Meilen scheinbar mit der Bergkette, die südlich vom Pyramid Rock hinlief, sich vereinigte. Das Thal, welches wie ein Panorama vor unseren Blicken lag, verrieth, von oben herab gesehen, nicht die leiseste Schwellung oder Unebenheit; der Herbst hatte freilich schon die grüne Farbe des Grases gebleicht, doch verlor die Ebene dadurch Nichts von ihrem sammetweichen Aussehen, und die dunklere Färbung der Vegetation, so wie das Blitzen kleiner Wasserspiegel, verriethen weithin den gewundenen Lauf des Tucumcari Creek. Wie die Wasserschlange der Pueblo-Indianer nahm sich der lange Zug der Wagen und Reiter auf der weiten Fläche aus, doch mußte das Auge genau darauf hinschauen, um wahrzunehmen, daß der Troß nicht still stand, sondern in gemessenem Schritte seine Straße zog, was bei der großen Entfernung natürlich nur wie ein langsames Schleichen erschien. Fast unter uns weideten ruhig unsere Maulthiere; welch' herrliche Gelegenheit wäre es für einen Comanche gewesen, sich vor unseren Augen der fünf Thiere zu bemächtigen und mit denselben davon zu reiten! Wohl gedachten Alle dieser Möglichkeit und spähten schärfer nach jedem Punkte in der Ebene, der nur eine entfernte Aehnlichkeit mit einem verdächtigen Gegenstande hatte. Doch solcher Verdruß stand uns auf dem luftigen Sitze nicht bevor, ungestört konnten wir uns dort oben dem kühnen Schwunge der Phantasie überlassen, auf welche die klare, reine Luft und die sanfte, kühle Brise ihren Einfluß auszuüben nicht verfehlten.«

»Wir sind die mächtigen Herrscher in diesen Regionen,« rief Einer der jungen Leute aus, »unser Reich ist das größte der Welt, denn wir selbst bestimmen seine Grenzen. Die zahllosen Büffelheerden auf jener Seite des Arkansas sind die unsrigen, so wie die Hirsche und Antilopen hier vor uns in der Ebene; der Bär in den Gebirgen muß unsere Macht anerkennen und scheu flieht vor uns der räuberische Wolf; wir gehen, wohin wir wollen, und schießen, was uns beliebt!«

Nachdem die ersten Eindrücke vorüber waren, der Topograph einige Berichtigungen auf seiner Karte nachgeholt, der Meteorolog sein Instrument beobachtet und der Botaniker, von dem Naturaliensammler an einem Stricke gehalten, mit Gefahr seines Lebens etwas Moos von der senkrechten Felsenwand gepflückt hatte, wurden von Mehreren Vorschläge zu muthwilligen Beschäftigungen gemacht, die der gute Doctor sogleich mit allem Eifer auffaßte und in deren Ausführung er seine jüngeren Gefährten kräftig unterstützte. Es lagen nämlich dort oben Felsstücke umher, die unseren vereinten Kräften nachgaben und sich an den Rand des Abgrundes wälzen ließen. Es verstand sich also von selbst, daß alle nur beweglichen Steine dorthin geschleppt und einer nach dem andern hinabgestoßen wurden, und wohl lohnte es sich dann der Mühe, über die Felswand gelehnt, den Flug einer solchen fallenden Masse zu beobachten, wie sie leicht in weitem Bogen dahinsauste, an vorstehendes Gestein anschlug, einen Haufen von Trümmern mit unwiderstehlicher Gewalt in den Abgrund hinabriß und ein donnerndes Getöse unten zwischen den kleinen Hügeln erzeugte, daß die Maulthiere ängstlich an ihren Leinen zogen und die neugierigen Antilopen erschreckt zusammenfuhren. Stein auf Stein folgte, bis sich nichts Bewegliches mehr auf der Felsenplatte vorfand und wir daran erinnert wurden, nunmehr selbst den Weg hinab anzutreten, wenn wir überhaupt noch gesonnen waren, in dieser Nacht unter Zelten zu schlafen. –

»Ich möchte gern ein Zeichen von uns zurücklassen,« redete der Naturaliensammler den Doctor an, »und zwar ein solches, worüber der Indianer, der zunächst diesen Berg wieder ersteigt und hier dasselbe erblickt, sich den Kopf zerbrechen soll; ich werde diese Spitzkugel auf den äußersten Rand des Felsens stellen. Jahre mögen darüber hingehen, ehe sie ihre Stelle wieder verläßt, um neue Bekanntschaft mit Menschenhänden zu schließen.« Er that darauf, wie er gesprochen, erquickte sich mit einem Trunke warmen Wassers aus der Lederflasche, die ihm der freundliche Doctor reichte, und folgte auf der gefährlichen Treppe dem Vorangeeilten nach; nur der Geolog war noch hämmernd oben zurückgeblieben, schloß sich indessen bald uns an, die wir, von einer Masse rollenden Gesteins begleitet, uns einen Weg abwärts bahnten. Bald waren wir bei unseren Thieren und schlugen, nachdem wir die Satteltaschen mit fossilen Muscheln angefüllt, die Richtung ein, in welcher wir zuerst auf die Spuren des Wagenzuges kommen mußten, der unseren Augen zu der Zeit schon entschwunden war.

Auf ein ziemlich spätes Nachtlager mußten wir uns schon gefaßt machen, denn so weit das Auge reichte, war nichts mehr von der Expedition zu erblicken: die Wagen hatten das Thal bereits verlassen und waren in der Ferne hinter blauen Felsmassen verschwunden. Wie weit sie daher zu ziehen genöthigt sein würden, um das nächste Wasser zu erreichen, mußte dem Glücke anheimgestellt werden, weil sie die Quellen des Tucumcari Creek schon hinter sich zurückgelassen hatten. »Wir dürfen unsern Schritt nicht beschleunigen,« hob Einer der jungen Leute an, »denn bei dem langen Marsche, den wir noch vor uns haben, würden unsere Thiere zu sehr leiden und wir doch nur wenig früher bei unseren Kameraden eintreffen. Wie spät es am Tage ist, merke ich übrigens an meinem Appetite, glaube aber nicht, daß wir vor Mitternacht auf Erfrischungen rechnen können, wir müßten denn unsere blutigen Braten gerade so roh, wie sie sind, in Angriff nehmen!« – »Es wäre gewiß nichts Außerordentliches,« fuhr ein Anderer fort, »wenn wir nur Pfeffer und Salz zur Stelle hätten, doch denke ich nicht, daß wir in den nächsten zwei Stunden verhungern werden. Es könnte bis dahin aber Einer von uns die Mühe des Erzählens übernehmen, während den Anderen dann nichts zu thun bleibt, als über dem Zuhören den Mangel eines guten Abendbrodes zu vergessen.«

»Der Herr Franzose soll uns von seiner schönen Heimath erzählen!« bemerkte der Doctor.

»Um Gotteswillen nicht!« rief der junge Meteorologe »seine englischen Worte kommen mit so holperigem Accente zu Tage, daß mein treues Maulthier darüber stolpern müßte, und was sollte dann aus meinem Barometer werden? Nein! ich schlage vielmehr vor, daß uns der Deutsche seine erste Liebe ohne Ausschmückung erzähle!«

»Es wird dieses keine schwere Aufgabe sein,« erwiederte Jener, »indem ich Ihnen nur eine Fortsetzung der Erzählung meiner Erlebnisse in den Council Bluffs zu geben brauche, deren Anfang ich Ihnen schon bei einer früheren Gelegenheit mitgetheilt habe.«


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