Hermann Melville
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Hermann Melville

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Dreiundsiebzigstes Kapitel

Eines Tages ging ich nachdenklich auf einem der vielen Reitwege spazieren, die sich durch die schattigen Haine in der Nachbarschaft von Telu schlängeln, als eine wunderschöne junge Engländerin, entzückend gekleidet, auf einem munteren weißen Pony, eine grüne Gerte in der Hand, auf mich zugaloppierte.

Ich sah mich um, ob ich noch in Polynesien war! Da standen die Palmen; aber wie kam die Dame her?

Ich trat zur Seite und grüßte höflich. Sie warf mir einen unbefangenen Blick zu, streichelte vergnügt ihr Pferdchen, rief »Los, Willie!« und galoppierte zwischen den Bäumen davon. Ich wäre ihr nachgeeilt; aber Willies Hufe schlugen viel zu schnell auf den mit raschelndem welken Laub bedeckten Boden. Daher ging ich geradeswegs nach Hause und erzählte dem Doktor mein Erlebnis. Unsere Nachforschungen ergaben, daß die Fremde bereits seit zwei Jahren auf der Insel wohnte, daß sie aus Sydney und die Frau eines Mr. Bell, Eigentümers der bereits erwähnten Pflanzung, war. Glücklicher Mr. Bell!

Am nächsten Tag machten wir auf der Pflanzung einen Besuch. Ringsumher lag herrliches grünes, ebenes Land, von sanften Hügelwänden umgeben. Auf etwa hundert Morgen stand das Zuckerrohr in verschiedenen Reifestadien. Die Pflanzung machte einen guten Eindruck. Immerhin sahen wir, daß ein beträchtlicher Streifen Landes, der, wie es schien, früher bebaut gewesen, jetzt aufgegeben war. Unter einem ungeheuren offenen Bambusschuppen sahen wir schwerfällige Apparate zum Schneiden des Rohres und große Kessel zum Aussieden des Zuckers, aber alles im Augenblick außer Tätigkeit. In dem einen Kessel saßen zwei oder drei Eingeborene und rauchten, in dem anderen spielten drei Matrosen vom »Leviathan« Karten. Während wir mit ihnen ins Gespräch gerieten, kam ein sonnverbrannter, interessant aussehender Europäer in einem weiten losen Baumwollanzug, der den wohlgebauten Hals und die Brust freiließ; in der Hand trug er einen Guayaquilhut mit einem Rand, breit wie ein chinesischer Sonnenschirm. Es war Mr. Bell. Er empfing uns sehr höflich, zeigte uns sein Grundstück und lud uns zuletzt in eine Laube ein und bot uns Wein an. Das kommt oft vor, aber Mr. Bell stellte die Flasche auf den Tisch, es war der beste Sherry. Er hatte ihn von den Franzosen in Taheiti gekauft, und wir tranken ihn aus natürlichen Bechern: jeder hatte die halbe Schale einer frischen Melone vor sich und füllte sie.

All dies war außerordentlich liebenswürdig von Mr. Bell; aber wir hätten gerne Frau Bell gesehen. Leider war sie am Morgen nach Papiti gefahren um ein paar Missionarsfrauen zu besuchen.

Sehr enttäuscht kehrte ich nach Hause zurück. Die Dame hatte all meine Neugier erregt. Nicht nur, daß sie die schönste weiße Frau war, die ich auf den Südseeinseln gesehen, sie hatte solche Augen, so rosige Wangen und sah zu Pferde so göttlich aus, daß ich Frau Bell bis zu meinem Sterbetag nicht vergessen werde. Ihr Mann, der Pflanzer, war jung, hübsch und kräftig. So mögen denn viele, viele kleine Bells im Lande Imio geboren werden und ihren Eltern Freude bereiten!

 


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