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Ich bin den Missionaren gewiß nicht übel gesinnt; ich will nur die Zustände wahrheitsgemäß schildern. Für die Folgeerscheinungen, die der Verkehr zwischen Europäern und Südseeeingeborenen und der Versuch, ihnen Christentum und Zivilisation beizubringen, gezeitigt hat, sind die Zustände auf Taheiti besonders kennzeichnend. Nirgends ist das Experiment so vollständig durchgeführt worden. Die heutige Generation ist schon unter der Leitung ihrer religiösen Lehrer aufgewachsen. Die Mission auf Taheiti besteht seit sechzig Jahren, und wenn ihr auch wie überall Hindernisse, auch durch gewissenlose Europäer, in den Weg gelegt wurden, so ist doch nur selten ein Unternehmen so von guten Wünschen und durch Geldbeiträge gefördert worden. Gewiß, die ersten Missionare waren meist unwissend und von beschränktem Eifer; und wenn ihre Nachfolger heute vielleicht nicht mehr so eifrig, aber auch nicht ganz so uneigennützig sind, wie ihre Vorgänger, so haben sie doch sicherlich das ihre getan. Wir wollen das Ergebnis untersuchen.
Der Götzendienst ist völlig verschwunden und mit ihm barbarische Gebräuche, die im Zusammenhang mit ihm standen. Dies ist aber vielleicht weniger den Missionen als dem langen ununterbrochenen Verkehr mit Weißen aller Nationen zuzuschreiben, die durch viele Jahre vornehmlich nach Taheiti kamen. Auf den Sandwich-Inseln ist die so bedeutungsvolle Einrichtung des »Tabu« zugleich mit dem gesamten Heidentum durch freiwilligen Entschluß der Eingeborenen schon einige Zeit vor der Ankunft der ersten Missionare völlig abgeschafft worden.
Die zweite bedeutende Veränderung ist die folgende: da so viele einflußreiche und angesehene Europäer sich dauernd auf Taheiti angesiedelt haben, da sehr häufig Kriegsschiffe eintreffen und die taheitische Nationalität anerkennen, so erlaubt man sich ihnen gegenüber nicht mehr die Schandtaten, die man sonst gegen »bloße Wilde« verübt. Infolgedessen finden auch keine Repressalien statt und alle Schiffe sind in den Häfen von Taheiti in völliger Sicherheit. Was die Leistungen der Missionare betrifft, so haben sie sich überall und immer bemüht, die Übel zu lindern, die der Verkehr mit den Weißen nach sich zieht. Ihre Bemühungen sind vielfach unklug und oft unwirksam gewesen, aber wesentlich wird der Erfolg doch durch die natürliche Anlage der Bevölkerung unmöglich gemacht. Immerhin sind die sittlichen Zustände auf Taheiti im ganzen durch die Tätigkeit der Missionare gebessert worden.
Ihre größte und beste Leistung ist, daß sie die ganze Bibel in die taheitische Sprache übersetzt haben. Ich habe mehrere Eingeborene kennengelernt, die sie ohne Schwierigkeiten lasen. Sie haben auch Kirchen gebaut und Schulen für Kinder wie für Erwachsene; die letzteren sind leider heute sehr vernachlässigt, wesentlich infolge der Unruhen, die das Vorgehen der Franzosen verursacht hatte. Über die innere Kirchen- und Schulverfassung weiß ich zu wenig, um darüber etwas sagen zu können. Es handelt sich auch nur um das Ergebnis und die Zustände im allgemeinen, und weil ein einzelner nach seiner persönlichen Erfahrung allein darüber zu urteilen nicht berechtigt sein mag, so möchte ich auch einige bekannte Autoren kurz zitieren, von denen besonders die beiden ersten in dem Werk eines Geistlichen, des hochwürdigen M. Russell, »Über das Wirken der christlichen Missionen in Polynesien« viel zitiert werden.
Der berühmte russische Forschungsreisende Otto von Kotzebue ist vielleicht etwas zu streng gegen die Fehler der Missionare; er sagt: »Eine Religion, die jedes unschuldige Vergnügen verbietet und jede geistige Kraft drückt oder lähmt, scheint mir eine Lästerung des göttlichen Stifters unserer Religion. Gewiß, die Missionare haben neben vielem Üblen auch manches Gute getan. Sie haben den Diebstahl und die Unsittlichkeit eingeschränkt; aber sie haben Unwissenheit, Heuchelei und den Haß gegen jeden anderen Glauben großgezogen, die dem offenen und liebenswürdigen Wesen der Taheitier früher fremd waren.«
Kapitän Beechy sagt, daß er auf Taheiti »Dinge sah, die dem Kurzsichtigsten klar machen mußten, wie tief unsittlich die Zustände geworden sind, und daß der Verkehr der Bevölkerung mit Europäern sie nur verschlechtert und in keiner Weise gehoben hat.«
Daniel Wheeler, ein ehrlicher Quäker, den die reinste Menschenliebe trieb, besuchte 1834 in seinem eigenen Schiff die meisten Missionssiedlungen in der Südsee. Er war auch einige Zeit in Taheiti, von den Missionaren gastfreundlich aufgenommen, und versuchte selbst auf die Eingeborenen zu wirken. Er findet die sozialen Zustände schlimm und über ihre Religiosität bekennt er offen: »Wie ungern ich es auch sage, eine aufrichtige christliche Gesinnung scheint mir äußerst selten zu sein.«
Das wären die Zeugnisse ehrlicher und unvoreingenommener Männer, die an Ort und Stelle waren. Sie haben die wirklichen Ergebnisse und Zustände untersucht, während man in den Veröffentlichungen in Europa und Amerika einfach triumphierend die Zahl derer anführt, die sich äußerlich zum Christentum bekennen. Diese Bekehrungen sind meistens von Häuptlingen durchgesetzt worden, die irgendeinen weltlichen Vorteil davon hatten oder erwarteten. Auch in den wundergleichen Fällen, in denen die Eingeborenen impulsiv ihre Götzenbilder verbrannten und zum Taufwasser stürzten, zeigte die Plötzlichkeit des Entschlusses auch seine Hohlheit. Williams, der zu Erromanga den Märtyrertod starb, berichtet solch einen Fall, in dem die christlichen Eingeborenen eines Tages ebenso plötzlich und feierlich in großer Versammlung ihre heidnischen Bräuche wiederherstellten.
Auf der Insel Imio, die zur taheitischen Mission gehört, gibt es eine Schule, die der hochwürdige Mr. Simpson und seine Frau leiten und die ausschließlich für die Kinder der Missionare bestimmt ist. Die Schüler lernen dort nur die Anfangsgründe, nicht mehr, als in den Eingeborenenschulen gelehrt wird, sie werden dann oft in sehr zartem Alter nach England geschickt, um ihre Schulbildung zu vollenden. Trotzdem werden die beiden Rassen sorgfältig getrennt gehalten, damit die kleinen Weißen nicht von den Eingeborenenkindern verdorben würden. Die Eltern suchen sogar in jeder Weise zu verhüten, daß ihre Kinder auch nur die taheitische Sprache lernen. Auf den Sandwich-Inseln ging man noch weiter. Als dort ein Spielplatz für die Kinder der Missionare angelegt wurde, schloß man ihn durch einen viele Fuß hohen Zaun ab, um die verdorbenen kleinen Hawaier fernzuhalten.
Ist es nicht seltsam, daß die Polynesier vor ihrer Berührung mit den Weißen keineswegs so verdorben waren? Der treffliche Kapitän Wilson, der die ersten Missionare nach Taheiti brachte, berichtet, daß »die Einwohner in vielen Dingen feinere Begriffe von Anstand und Sitten hatten, als wir«. Ähnliches berichtet Vancouver von den Sandwich-Insulanern. Daß die Unsittlichkeit beständig schlimmer wird, geht schon aus den Gesetzen gegen die Ausschweifung auf beiden Inselgruppen hervor, die unaufhörlich erneuert und verschärft und ebenso unaufhörlich übertreten werden.
Man kann natürlich nicht erwarten, daß die Missionare dieses Ergebnis und von diesen Zuständen berichten werden. Darum sagt Kapitän Beechy von Ellis' »Polynesischen Forschungen«, daß der Autor die sittlichen Zustände und die Kultur auf Taheiti viel zu günstig geschildert habe, und er fügt hinzu, »da die Eingeborenen mich nicht fürchteten, bin ich besser als die Missionare in der Lage gewesen, ihre wirkliche Gesinnung und ihre Handlungen kennenzulernen.«
Das gleiche darf ich von mir behaupten.
Wenn die Arbeitsamkeit eines Volkes ein Gradmesser für seine Zivilisation ist, so sind die Taheitier heute weniger zivilisiert als früher. Wohl ist ihre Trägheit angeboren. Aber wie kommt es, daß die christliche Zivilisation sie noch gesteigert hat, anstatt sie zu vermindern? Wie ich bereits sagte, ist die Herstellung von Tappa in vielen Teilen der Insel außer Gebrauch gekommen. Werkzeug und Hausgerät werden nicht mehr angefertigt, weil die aus Europa eingeführten natürlich viel besser sind. Dies würde auch nichts schaden, wenn die Eingeborenen wenigstens all das herstellen würden, was sie brauchen und wofür sie europäischen Ersatz nicht haben können. Aber sie tun auch das nicht, und so ist die Lebenshaltung des ärmeren Volkes immer schlechter geworden.
Mir, der ich von primitiven Wilden auf den Marquesas kam, schienen die Wohnstätten der armen Taheitier und ihre Lebenshaltung keineswegs schön oder sauber und mit denen der unzivilisierten Taïpis gar nicht zu vergleichen. »Nichts fällt so peinlich auf und ist so erbarmungswürdig,« sagt der gute Quäker Wheeler, »als ihr zielloses und leeres Dasein.« Wohl sind Versuche gemacht worden, sie aus dieser Trägheit zu reißen, aber immer vergeblich. Vor einigen Jahren wurde die Baumwollkultur eingeführt, und wie sie schon alles Neue lieben, gingen sie eifrig ans Werk; aber das rasch erwachte Interesse schwand ebenso rasch wieder, und heute wird auch nicht ein Pfund Baumwolle auf den Inseln erzeugt. Webemaschinen wurden aus London geschickt und in Afreheitu auf Imio eine Fabrik errichtet. Das Sausen der Räder und Spindeln lockte Freiwillige von allen Seiten herbei, die es für eine Vergünstigung hielten, arbeiten zu dürfen; aber sechs Monate später fand sich auch nicht ein einziger, der für Lohn arbeiten wollte; die Maschinen mußten abmontiert und nach Sydney geschickt werden.
Genau so ging es mit dem Zuckerrohr, das auf der Insel heimisch ist und auf dem Boden und in dem Klima in solcher Qualität gedeiht, daß Bligh Setzlinge davon nach Westindien mitnahm. Die Eingeborenen liefen scharenweise in die Felder, sie schwärmten wie die Ameisen, und alles war in außerordentlicher Bewegung: die wenigen Pflanzungen, die heute noch übrig sind, gehören Weißen und werden von Weißen betrieben, die lieber einem versoffenen Matrosen achtzehn bis zwanzig spanische Dollar im Monat zahlen, als einen nüchternen Eingeborenen für seine »Portion Fisch und Rübe« in Dienst nehmen würden.
In Honolulu, der Hauptstadt der Sandwich-Inseln, sieht man schöne Wohnhäuser, mehrere Hotels, Barbierstuben, ja Billardsäle; aber alle gehören Weißen und werden von Weißen besucht. Es gibt Schneider, Schmiede und Zimmerleute; aber es ist kein Eingeborener darunter. Und so geht es natürlich nicht an, all dies als Beweis für die Kultur der Eingeborenen anzuführen.
Handwerk, Fabrikarbeit und Landwirtschaft, wie sie in europäischen Ländern betrieben werden, erfordern eine stetige Beschäftigung und Tätigkeit, die einem indolenten Volk wie den Polynesiern zuwider ist. Sie sind für den Naturzustand geschaffen, den das Klima erlaubt und begünstigt, und für jeden anderen ungeeignet, und sie können als Rasse nur im Naturzustand und in keinem anderen existieren. Im Jahr 1777 schätzte Cook die Bevölkerung von Taheiti auf etwa 200 000 Seelen. »Nach den ungeheuren Mengen, die sich überall zeigten,« sagte er, »kann diese Schätzung nicht zu hoch sein.« Bei einer Volkszählung, die vor vier oder fünf Jahren stattfand, waren es nur mehr neuntausend. In den offiziellen Veröffentlichungen der amerikanischen Forschungsexpedition sowie in den Schilderungen, die der Marinearzt D. Ruschenberger von seiner Reise um die Welt in den Jahren 1835 bis 1837 gab, wird die geradezu unglaubliche Entvölkerung auf den Sandwich-Inseln geschildert: im Bezirk von Rohelo in Hawai sank die Zahl innerhalb von vier Jahren von 8 679 auf 6 175 Seelen!
Dieser erstaunliche Rückgang zeigt nicht nur, wie furchtbar die Übel sein müssen, die ihn zur Folge haben; es ergibt sich daraus auch der unabweisliche Schluß, daß all die Kriege zwischen den Stämmen, die Sitte des Kindesmordes und die andern Ursachen, die in früheren Zeiten schädigend wirkten, im Vergleich dazu nichts sind. Jene verheerenden Übel sind lediglich europäischen Ursprungs. Abgesehen von den Folgen der Trunksucht, zeitweisen Blatternepidemien und anderen Ursachen, genügt es, auf die eine ansteckende Krankheit hinzuweisen, die heute das Blut von mindestens zwei Dritteln der niederen Bevölkerung der Insel vergiftet und von einem Geschlecht zum anderen vererbt wird. Mit Schauder und Schrecken sahen die Insulaner die ersten Verheerungen, die die gräßliche Seuche anrichtete. Der Name, den sie der Krankheit gaben, ist eine Verbindung von allem, was für den Kulturmenschen abscheuerregend und unnennbar ist. Entsetzt und zur Verzweiflung getrieben von ihren Leiden, trugen sie die Kranken vor die Missionare und schrien: »Lüge! Lüge! Ihr sprecht uns vom Heil, und sehet, wir sterben! Wir wollen kein anderes Heil, als in dieser Welt zu leben. Wo ist jemand durch eure Worte gerettet worden? Pomari ist tot, und wir alle sterben an euren verfluchten Krankheiten. Wann werdet ihr von uns ablassen?«
Heute hat die Furchtbarkeit der Krankheit in Einzelfällen etwas abgenommen, aber das Gift ist um so mehr verbreitet.
»Wie furchtbar, wie niederschmetternd ist es,« sagt der alte Quäker Wheeler, »zu denken, daß der Verkehr mit fernen Völkern über diese armen ahnungslosen Inselbewohner einen nie gekannten und unerhörten Fluch gebracht hat!«
Unleugbar sind also die Taheitier, was ihr zeitliches Wohl betrifft, heute schlimmer daran als früher, und obschon die Missionare ihnen auch Gutes gebracht haben, bedeuten diese Wohltaten doch wenig gegenüber dem Unheil, das auf anderen Wegen über sie gekommen ist.
Die Aussichten sind hoffnungslos. Alle Anstrengungen scheitern an dem geschichtlichen Gesetz, das sich bisher immer gleich geblieben ist. Ihr gegenwärtiger Zustand vereint die Verderbnis der Barbarei mit der der Zivilisation, und wie andere unkultivierte Völker werden auch sie an der Berührung mit den Europäern zugrunde gehen. Sie selbst erwarten trauernd ihr Schicksal. Vor einigen Jahren sagte Pomari II zu Tyreman und Bennet, den Abgesandten der Londoner Missionsgesellschaft: »Ihr seid zu einer sehr schlimmen Zeit gekommen. Eure Vorfahren kamen in der Zeit, da Taheiti noch bewohnt war; ihr sehet nur noch die Überbleibsel meines Volkes.«
Und es erfüllt sich die Prophezeiung Tiarmoas, des Hohepriesters von Peri, der vor mehr als einem Jahrhundert lebte. Oft habe ich alte Taheitier sie in leisem traurigen Ton singen hören:
»E herri te fau
e toro te farrero
e nau te tararta.«
»Der Palmbaum wird wachsen,
die Koralle sich breiten,
der Mensch wird schwinden.«