Hermann Melville
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Hermann Melville

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Erstes Kapitel

Unsere Flucht aus der Bai gelang an einem leuchtenden tropischen Nachmittag. Das Schiff, nach dem wir ruderten, lag mit knatterndem Großmarssegel etwa eine Meile vom Land; es war der einzige Gegenstand, der auf der weiten Fläche des Ozeans sichtbar war.

Als wir näher kamen, erwies es sich als ein kleines, schäbig aussehendes Fahrzeug; der Rumpf und die Spieren von einem schmutzigen Schwarz, die Takelung überall locker und ausgebleicht; alles zeigte, daß es an Bord nicht gut stand. An den vier Booten, die an den Seiten über Bord hingen, erkannte ich den Walfischfänger. Über die Reling lehnten nachlässig die Matrosen, wilde, hohlwangige Burschen in schottischen Mützen und verfärbten blauen Jacken; an Stelle des kraftvollen tiefen Brauns, das die Gesichtsfarbe eines gesunden Seemanns in den Tropen sein soll, zeigten viele jene fleckige Bronzefarbe, die Krankheit verrät.

Am Achterdeck stand einer, den ich für den ersten Steuermann hielt. Er trug einen breiten Panamahut und hatte sein Fernglas auf uns gerichtet.

Leise Rufe erschollen an Deck, als wir längsschiffs kamen, und alle Augen sahen uns forschend an. Sie hatten Grund dazu. Unsere wilden Ruderer keuchten und glühten vor Aufregung und konnten sich an Reden und Gebärden nicht genugtun; auch mein seltsames Aussehen mußte alle neugierig machen. Über den Schultern trug ich ein Kleid aus dem Stoff, den die Eingeborenen herstellen; Haar und Bart waren wild gewachsen, und auch sonst sah man mir meine letzten Erlebnisse an. Sowie ich auf Deck kam, wurde ich von allen Seiten so mit Fragen bestürmt, daß man mir kaum Zeit zum Antworten ließ.

Einer jener merkwürdigen Zufälle, die sich im Leben des Seemanns so oft ereignen, wollte, daß ich sogleich zwei bekannte Gesichter sah. Einer der Mannschaft war früher Matrose auf einem Kriegsschiff gewesen, und ich hatte ihn bei meiner Ausfahrt in Rio de Janeiro kennengelernt. Der andere war ein junger Mann, den ich vier Jahre früher oft in einer Matrosenpension in Liverpool getroffen hatte. Ich konnte mich noch gut erinnern, wie ich mich am Eingang zum Prince's Dock, in einem Gedränge von Polizisten, Stauern, Rollkutschern, Bettlern und anderem Volk von ihm verabschiedet hatte. Jahre waren vorübergegangen, viele Meilen des Ozeans hatten wir durchschifft, da führte uns das Schicksal unter den seltsamsten Umständen wieder zusammen.

Einige Augenblicke später wurde ich in die Kajüte des Kapitäns gerufen. Es war ein ganz junger Mann, bleich und schmal, der mehr wie ein kränklicher Kontorist als wie ein derber Schiffskapitän aussah. Er hieß mich Platz nehmen und befahl dem Steward, mir ein Glas PiscoDieses geistige Getränk hat seinen Namen von einer Stadt in Peru, in der es massenhaft hergestellt wird. Es ist an der ganzen Westküste Südamerikas wohlbekannt, wird auch nach Australien exportiert und ist sehr billig. zu bringen. Ich war noch heftig erregt; dieses Reizmittel steigerte meine Aufregung fast zum Delirium, so daß ich kaum mehr ein Wort von dem weiß, was ich damals von meinem Aufenthalt auf der Insel erzählte. Er fragte mich, ob ich mich anmustern lassen wollte; ich bejahte es natürlich, unter der Bedingung, daß ich mich nur für eine Fahrt zu verpflichten hätte und er mich auf meinen Wunsch im nächsten Hafen entlassen müßte. Auf Walfischfängern in der Südsee werden die Leute oft zu solchen Bedingungen angemustert. Der Kapitän war einverstanden, und ich unterschrieb die Schiffsartikel.

Der Steuermann wurde nach unten gerufen und erhielt den Auftrag, einen »wolen Mann« aus mir zu machen; nicht daß der Kapitän etwa besonderes Mitleid mit mir gefühlt hätte; er wollte nur, daß ich bald dienstfähig wurde.

Der Steuermann half mir an Deck, ich streckte mich auf dem Ankerspill aus, und er begann mein Bein zu untersuchen; dann verarztete er es mit irgendeinem Zeuge, das er aus dem Arzneischrank nahm, und wickelte es in ein Stück alten Segeltuchs; ich muß, als mein Fuß so auf dem Ankerspill ruhte, wie ein Matrose ausgesehen haben, der die Gicht hat. Gleichzeitig nahm mir jemand meinen Tappamantel ab und bekleidete mich mit einer blauen Jacke; ein anderer, der offenbar gleichfalls bemüht war, mich wieder zu einem zivilisierten Menschen zu machen, schwang eine riesige Schafschere über meinem Haupt, brachte meine Ohren in große Gefahr und machte jedenfalls meinem Bart und meinem wallenden Haar den Garaus.

Der Tag ging zu Ende; das Ufer schwand aus dem Gesicht, und ich fühlte die ungeheure Veränderung. Solange war es mein tägliches Gebet gewesen, wieder sicher an Bord eines Schiffes zu sein, auf die Heimkehr und das Wiedersehen mit den Meinen hoffen zu dürfen; und nun, da es soweit war, empfand ich nur bittere Traurigkeit. Die Eingeborenen hatten mich auf der Insel gefangengehalten, aber sie hatten mir so viel Liebes erwiesen, und ich sollte sie nie wiedersehen!

Meine Flucht war so unerwartet und plötzlich, ich selbst den ganzen Tag in solcher Aufregung gewesen, der Gegensatz des wilden Lärms und der Bewegung des dahinsegelnden Schiffes zu der sonnigen Ruhe des Tales war so groß, daß mir alles wie ein sonderbarer Traum vorkam; so unglaublich schien es, daß dieselbe Sonne, die jetzt über der weiten Wasserwüste sank, am Morgen dieses Tages über den Bergen von Taïpi aufgegangen war und mit ihrem stillen Schein zur Türe des Bambushauses, in dem ich auf der Matte lag, hereingeguckt hatte.

Sowie es dunkel war, ging ich am Vordeck nach unten und wurde zu einer elenden Koje, die über einer anderen lag, gewiesen. Über die schon recht hinfällig aussehenden Bretter waren mehrere Decken gebreitet. Man reichte mir eine verbeulte Zinnkanne mit einem Gebräu, das man nur aus Höflichkeit als Tee ansprechen konnte. Auch ein Würfel von eingesalzenem Rindfleisch wurde mir auf einem harten runden Stück Schiffszwieback, das als Teller diente, gereicht; ich sagte kein Wort und aß; nach den babylonischen Mahlzeiten des Tales war der Salzgeschmack einfach köstlich.

Gerade unter mir saß ein alter Matrose auf einer Kiste und paffte Wolken von Tabakrauch um sich. Als ich mit meinem Abendbrot fertig war, wischte er das rußige Mundstück der Pfeife am Ärmel seiner Jacke ab und reichte sie mir; es war eine richtige Seemannshöflichkeit; wer jemals Vordergast gewesen ist, der ist nicht heikel; ich tat also ein paar kräftige Züge, dann drehte ich mich zur Wand und versuchte zu schlafen. Es war umsonst. Statt von vorn nach hinten, wie es in Ordnung gewesen wäre, stand mein Bett querschiffs, senkrecht zum Kiel; und das Schiff, das vor dem Winde lief, schlingerte derart, daß ich jedesmal, wenn meine Fersen in die Höhe stiegen und mein Kopf nach unten sank, fürchten mußte, einen Purzelbaum zu schlagen. Es gab indessen noch schlimmere Störungen: von Zeit zu Zeit kam ein Spritzer durch das offene Luk, daß mir der Schaum ins Gesicht flog.

Zweimal hörte ich den mitleidlosen Ruf der Wache. Endlich, nach einer schlaflosen Nacht, drang ein Schimmer des Tageslichts von oben zu mir, und gleichzeitig kam jemand herein. Es war mein alter Freund mit der Pfeife.

»Hier, Maat,« sagte ich, »hilf mir einmal da heraus und an Deck!«

»Hallo, wer krächzt denn da?« war die Antwort; er spähte in die dunkle Koje, wo ich lag. »Ah ja, Taïpi, der Kannibalenfürst – bist du's? Aber, wie geht's denn mit deinem Rundholz, mein Junge? Der Steuermann sagt: verteufelt; er hat den Steward gestern abend gleich die Handsäge schleifen lassen; hoffe, man wird dich nicht zerlegen müssen.«

Lange vor Tagesanbruch waren wir auf der Höhe von Nukuhiva gewesen; bis zum Morgen kreuzten wir kurz auf, dann fuhren wir ein und schickten ein Boot mit den Eingeborenen, die mich an Bord gebracht hatten, an Land. Sobald es zurück war, hielten wir wieder ab und entfernten uns von der Insel. Es wehte eine frische Brise, und die kühle Morgenluft auf dem Meer war so anregend, daß ich mich trotz der schlechten Nacht sogleich wohler fühlte. Den größten Teil des Tages saß ich auf dem Ankerspill, schwatzte mit den Leuten und erfuhr die Geschichte ihrer bisherigen Fahrt und alles sonst über das Schiff, und wie es auf ihm stand.

 


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