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Fünf Tage und Nächte, wenn ich mich recht erinnere, verbrachten wir an Bord der Fregatte. Am fünften Nachmittag wurde uns mitgeteilt, daß sie am nächsten Morgen nach Valparaiso segeln würden. Wir waren sehr froh darüber und beteten um eine rasche Überfahrt. Aber es zeigte sich, daß der Konsul nicht gewillt war, uns so leichten Kaufs davon kommen zu lassen. Gegen Abend kam zu unserer nicht geringen Überraschung ein Offizier und befahl, uns die Eisen abzunehmen. Dann wurden wir wieder am Fallreep in Reih und Glied gestellt, in einen Kutter eskortiert und ans Ufer gepullt. Dort erwartete uns Wilson und übergab uns einer zahlreichen Wache, die aus Eingeborenen bestand und uns nach einem nahegelegenen Hause führte. Man hieß uns unter einem Schattendach außerhalb des Hauses sitzen, während der Konsul und zwei ältere Leute, Europäer, die auf der Insel wohnten, hineingingen.
Nach einer guten Weile – wir hatten uns indessen mit unserer Wache unterhalten, die ebenso heiter wie gutmütig war – wurde einer von uns aufgerufen und ihm befohlen, ins Haus zu kommen. Einen Augenblick später kam er wieder heraus und sagte, es sei nicht viel los. Er war lediglich gefragt worden, ob er noch auf dem gleichen Entschluß beharre; als er es bejahte, wurde etwas auf ein Stück Papier geschrieben und er mit einer Handbewegung wieder hinausgewiesen. So wurden alle der Reihe nach gerufen, ich als letzter. Im Hause sah ich Wilson und seine zwei Freunde mit Amtsmienen an einem Tische sitzen. Ein Tintenfaß, eine Feder und ein Bogen Papier machten den Raum zum Büro. Die drei Herren in Jacke und Hose sahen höchst respektabel aus, zum mindesten für ein Land, in dem man so selten vollständig angezogene Leute sieht. Einer suchte geradezu feierlich dreinzuschauen; da er aber kurzhalsig war, mit dickem, runden Kopf, so gelang es ihm nur, dumm auszusehen. Dieser Herr hatte die Gnade, ein väterliches Interesse an mir zu nehmen. Ich hatte meinen Entschluß bezüglich des Schiffes für unabänderlich erklärt und wollte mich auf ein Zeichen des Konsuls eben zurückziehen, als der Unbekannte sich zu ihm wendete und zu ihm sagte: »Warten Sie bitte einen Augenblick, Herr Wilson. Lassen Sie mich mit dem jungen Mann sprechen. Kommen Sie her, junger Freund. Es tut mir sehr leid, Sie unter diesem übeln Volk zu sehen; wissen Sie, wohin das führen muß?«
»Ach, das ist der Bursch, der den Beschwerdebrief geschrieben hat«, unterbrach ihn der Konsul; »er und der schuftige Doktor stecken hinter der ganzen Sache. Gehen Sie hinaus, Herr!«
Ich verabschiedete mich wie von der königlichen Familie, indem ich rückwärts gewendet mit vielen Verbeugungen ging. Wilsons sichtliche Voreingenommenheit gegen mich und den Doktor war nicht unerklärlich. Kapitäne sehen gebildete Leute nicht gerne als Vordergasten. Man mag sich noch so ruhig verhalten: sobald es zu Unruhen kommt, wird stets angenommen, daß unsereins, dank seiner geistigen Überlegenheit, die Leute heimlich gegen ihre Offiziere aufgehetzt hätte. So wenig ich von Kapitän Guy gesehen, die Blicke, die er mir zuwarf, als ich eine Woche an Bord war, waren feindselig, und seine Abneigung wurde durch meine Freundschaft mit dem langen Doktor, den er fürchtete und haßte, zweifellos noch gesteigert. Guys Beziehungen zum Konsul erklärten wieder die Feindschaft, die der Konsul gegen mich hegte.
Als das Verhör zu Ende war, erschienen Wilson und seine Freunde an der Tür, und der Konsul sagte mit strengem Gesicht, unsere Hartnäckigkeit wäre äußerste Verblendung; es bliebe uns nun keine Hoffnung mehr, wir hätten die letzte Aussicht auf Verzeihung verscherzt; selbst wenn wir in uns gehen und bitten würden, zu unserer Pflicht auf dem Schiff zurückkehren zu dürfen, würde er es nicht mehr gestatten.
»Ach, hören Sie doch auf mit Ihrem Schwindel, Konsuler!« rief der schwarze Daniel empört, daß man ihn für so dumm hielt, das zu glauben.
Wütend hieß Wilson ihn schweigen; dann rief er einen dicken alten Eingeborenen heran, redete in der Taheiti-Sprache mit ihm und wies ihn an, uns in Gewahrsam zu bringen.
Darauf mußten wir antreten und uns ordnen; der alte Mann stellte sich an die Spitze des Zuges und führte uns mit lauten Rufen auf einem schönen Pfad durch weite Haine von Kokospalmen und Brotfruchtbäumen. Die übrige Begleitmannschaft trabte wohlgelaunt neben uns her; sie schwatzten in gebrochenem Englisch und gaben uns in jeder Weise zu verstehen, daß sie Wilson keineswegs geneigt wären, und wir prachtvolle Kerle, daß wir so durchhielten. Sie schienen unsere Geschichte genau zu kennen.
Die Landschaft, durch die wir schritten, war wundervoll. Der tropische Tag ging rasch zu Ende, die Sonne sah wie ein riesiges rotes Feuer im Walde aus, als ihre Strahlen schräg durch die endlosen Baumreihen fielen; jedes Blatt hatte einen leuchtenden Rand. Nach dem dumpfen Zwischendeck der »Fregatte« schien die Luft uns doppelt würzig; wir hörten Bäche rauschen, sahen grüne Zweige sich im leichten Winde bewegen, und fern im Innern des Landes stiegen, rötlich in der untergehenden Sonne, die stillen, schroffen Berggipfel empor. Je weiter wir kamen, desto wunderbarer erschien mir der breite beschattete Weg. Starke Holzbrücken führten über breite Wasserläufe; über andere spannte sich ein steinerner Bogen, und überall hätten drei Reiter nebeneinander reiten können.
Dieser wundervolle Weg, weitaus das beste, was die Kultur der Insel gebracht hat, wird von den Fremden der Ginsterweg genannt, warum, weiß ich nicht. Er wurde für die Missionare angelegt, die von einem Missionshaus zum anderen reisten, und führt, beinahe sechzig Meilen lang, um die größere Halbinsel herum, am Rande des tiefen fruchtbaren Bodens am Meer; nur auf der Seite, die der kleineren Halbinsel Tajarbu zunächst liegt, führt er durch ein enges einsames Tal und durchquert die Insel.
Das Innere der Insel ist unbekannt. Die dichtbewaldeten Schluchten, furchtbaren Abgründe und schroffen Bergkämme machen es fast unzugänglich; selbst die Eingeborenen kennen es kaum; anstatt direkt von einem Dorf zum anderen zu reisen, machen sie den Umweg rundherum über die Ginsterstraße.Die Unkenntnis der Eingeborenen ist erstaunlich: zum Beispiel weiß man, daß im Innern ein ziemlich großer See, Weheria genannt, liegt; aber die Berichte über ihn sind sehr widerspruchsvoll. Einige sagten mir, er habe keinen Grund und weder Abfluß noch Zufluß, andere, daß er alle Gewässer der Insel speise. Ein Matrose, den ich kannte, hatte diesen wundervollen See gesehen, als einmal eine Expedition von einer Schaluppe der englischen Marine ihn aufsuchte. Er sei höchst merkwürdig, sagte er, sehr klein, tief und grün, gleichsam ein wundersamer Brunnen mitten in den Bergen und reich an köstlich schmeckenden Fischen. Man reist keineswegs nur zu Fuß, da es jetzt Pferde in Menge gibt. Sie wurden von Chile eingeführt und hatten all das Feuer, die Schnelligkeit und das sanfte Wesen der spanischen Zucht. Sie besitzen also all die Eigenschaften auf die die höheren Klassen Wert legen, die denn auch sehr gute Reiter geworden sind. Die Missionare und die Häuptlinge reisen nur im Sattel, und man kann die letzteren zu jeder Tageszeit in Karriere dahinsprengen sehen; sie reiten wie die Pawnee-Loupsa,Ein nordamerikanischer Indianerstamm. und die Bewohner der Sandwich-Inseln desgleichen.
Ich bin selbst meilenweit auf dem Ginsterweg gewandert und der ewig wechselnden Landschaft nie müde geworden; wohin er auch führen mag, durch ebene Wälder und grasbewachsene Schluchten oder über Hügel, auf denen Palmen mit ihren nickenden Kronen stehen, immer sieht man auf der einen Seite das blaue Meer und auf der anderen die grünen Berggipfel.