Hermann Melville
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Hermann Melville

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Neunzehntes Kapitel

Die Landbrise flaute völlig ab, und gegen Mittag trat, wie zumeist auf diesen Inseln, völlige Windstille ein. Die Untersegel wurden aufgezogen und der Klüver niedergeholt, sonst war nichts zu tun, das Schiff lag still schaukelnd in den sanften Wellen. Die tiefe Ruhe der Elemente schien auch auf die Mannschaft zu wirken, und eine Zeitlang hörte man keinen Laut.

Am frühen Nachmittag kam der Steuermann zurück. Der Steward sagte, sie würden gleich nach dem Essen mit Guys übrigen Sachen an Land gehen. Als Jermin an Bord kam, wich er uns aus und ging schweigend nach unten. Das lange Gespenst und ich bearbeiteten indessen die Mannschaft; wir suchten ihnen beizubringen, daß sie mit ein bißchen Geduld und Geschicklichkeit ebensoviel erreichen konnten, wie mit Gewalt, und ohne daß eine ernste Sache daraus wurde. Ich wußte recht gut, daß ich unter fremder Flagge fuhr, daß ein englischer Konsul in der Nähe war und daß die Mannschaft selten recht erhält. Es galt, vorsichtig zu sein. Andererseits waren die Beschwerden der Leute zum Teil so berechtigt, und was Guy vorhatte, so hart und ungerecht, daß ich allenfalls auch entschlossen war, mitzutun.

Trotz all unserem Bemühen wurden viele bald wieder aufsässig, sie waren für offene Meuterei. Als wir zum Essen hinunterkamen, machten sie einen solchen Lärm, daß der alte Holzraum förmlich widerhallte. Wilde Reden wurden gehalten, von wüsten Zwischenrufen unterbrochen. Unter anderen erhob sich der lange Jim – Jim, der Lazedämonier, wie der Doktor ihn nannte – und hielt folgende Ansprache: »Seht her, Briten! Wenn nach allem, was hier vorgegangen ist, dieses Schiff hier mit uns wieder in See geht, so sind wir keine Männer; das sag' ich gerad' heraus. Sagt ein Wort, Jungens, und ich lotse sie in den Hafen. Ich war schon in Taheiti und ich kann's.« Darauf setzte er sich wieder hin, während die anderen dröhnend auf die Kofferdeckel schlugen und die Zinnkannen als Pauken benützten; die wenigen Kranken, die bisher noch nicht im Einverständnis gewesen, machten jetzt gemeinsame Sache mit den anderen und gaben ihren Beifall durch Klappern mit den Bettbrettern oder Schwingen der Hängematten zu erkennen. »Handspaken her und schlagt los!« rief einer. »Setzt die Leesegel!« ein anderer und »Hurra!«

Einige liefen sogleich an Deck, und ich glaubte schon alles verloren; schließlich gelang es uns doch, sie einigermaßen zu beruhigen. Um ihre Gedanken abzulenken, schlug ich vor, daß ein »Schreibebrief« aufgesetzt und durch Baltimore, den Koch, an Land geschickt und dem Konsul übergeben werden sollte. Das gefiel ihnen außerordentlich und sie hießen mich sogleich daran gehen. Aber als ich mich an den Doktor um Schreibmaterial wendete, sagte er, daß er keines hätte, nicht ein Blatt, auch nicht in seinen Büchern. Endlich, nach langem Suchen, fanden wir einen feuchten, halbverschimmelten Band »Geschichte der grausamsten und blutigsten Seeräubereien«, rissen die beiden leeren Vorsatzblätter heraus, die wir mit ein wenig Pech am Rand aneinanderklebten und als Briefbogen benützten. Dann wurde etwas Lampenruß mit Wasser verdünnt und aus einem Albatrosflügel, der, an die Bugsprietbeting genagelt, die Back schmückte, eine ungeheure Kielfeder ausgerissen. Mit diesem Schreibzeug versehen, setzte ich auf einem Kistendeckel eine kurze Liste unserer Beschwerden auf und schloß mit der ernsten Hoffnung, daß der Konsul sogleich an Bord kommen und die Sache selbst untersuchen würde. Unter den Text wurde ein Kreis für die Unterschriften gezeichnet; denn der Sinn eines solchen Schreibens ist der, daß die Unterschriften sämtlich so gesetzt sind, daß niemand als der Rädelsführer bezeichnet werden kann.

Wenige unter uns führten einen regelrechten Namen; die meisten wurden bei Spitznamen gerufen, die sie auf irgendeine persönliche Eigenschaft hin, öfter aber nach ihrem Heimatsort erhalten hatten. Manchmal war die Bedeutung nicht mehr erkennbar. Einige hatten sich unter angenommenen Namen »für den Schiffskassierer« verdungen, die sie zumeist selbst nicht mehr wußten, und so wurde ausgemacht, daß jeder den Namen hinsetzen sollte, bei dem ihn die Mannschaft kannte und rief.

Dann wurde der Brief zusammengefaltet, mit etwas Teer versiegelt, an »den Englischen Konsul, Taheiti« adressiert und dem Koch eingehändigt, der ihn, als er wieder mit dem Steuermann an Land fuhr, dem genannten Herrn übergab.

Als das Boot nach Anbruch der Dunkelheit zurückkehrte, hörten wir so manches von Baltimore, der auf der Insel frei hatte umhergehen können und, da und dort schwatzend, allerlei Nachrichten aufgelesen hatte.

Infolge des Vorgehens der Franzosen herrschte auf Taheiti die größte Aufregung. Pritchard, der Missionskonsul, war in England und wurde nur zeitweilig von einem gewissen Wilson vertreten, einem weißen Mann, der als Sohn eines alten Missionars auf der Insel geboren war und die nötige Bildung besaß. Im übrigen war der jüngere Wilson – sein Vater lebte noch – bei Eingeborenen und Fremden gleich unbeliebt; er hatte keinen guten Ruf, und daß Pritchard gerade ihn zu seinem Vertreter im Amt bestellte, hatte allgemeinen Unwillen erregt.

Wenn er auch nie in Europa oder Amerika gewesen war, so hatte der amtierende Konsul doch mehrere Reisen nach Sydney gemacht; daher waren wir nicht übermäßig erstaunt, als Baltimore uns erzählte, daß er und Kapitän Guy alte Bekannte wären, und daß Guy bei ihm wohnte. Das schien uns nichts Gutes zu verheißen.

Der Steuermann wurde nun von allen Seiten mit Fragen bestürmt, was mit uns geschehen würde. Seine einzige Antwort war, daß der Konsul am nächsten Morgen selbst das Schiff besuchen und die nötigen Anordnungen treffen werde.

Wir blieben die Nacht außerhalb des Hafens, und am Morgen sahen wir eine mit Eingeborenen bemannte Jolle vom Ufer abstoßen. Herr Wilson und noch ein weißer Mann befanden sich darin, der sich als ein in Papiti wohnhafter englischer Arzt, Dr. Johnson, erwies. Als sie herankamen, stoppte die »Julia« in ihrer Fahrt, und Jermin trat ans Fallreep, um sie zu empfangen. Der Konsul kam an Deck. »Herr Jermin,« rief er hochmütig, ohne den achtungsvollen Gruß des Steuermanns zu erwidern, »wenden Sie das Schiff und halten Sie vom Ufer ab!«

Die Leute beobachteten ihn scharf, sie wollten sehen, »was für ein Kerl« er wäre. Es ergab sich, daß er ein ungewöhnlich kleiner Kerl war, mit einer häßlichen Mopsnase und auffallend dünnen Beinen. Sonst war nichts Bemerkenswertes an ihm. Jermin gehorchte indessen mit schlechtgespielter Demut seinem Befehl, und alsbald lag das Schiff mit dem Bug seewärts.

Wie die Liebe, entsteht auch die Verachtung sehr häufig auf den ersten Blick. Man brauchte Wilson nur zu sehen, und man konnte ihn nicht leiden. Er sah so unerträglich eingebildet aus, daß man ihn am liebsten geohrfeigt hätte.

»Also, der Konsuler ist da«, rief Marine-Bob, während Wilson mit dem Steuermann nach unten ging. Keiner der Leute nannte ihn anders, was mich und den Doktor sehr belustigte.

»Gutes bringt der nicht«, sagte ein anderer. Keiner aber schimpfte so wüst wie der Bottler: wenn er mit einem Schiff, wie die »Julia«, je wieder auf See ginge, dann sagte er, sollte man ihm . . . und er schilderte ein Verfahren, das ich hier nicht mitteilen werde. Er schimpfte auch heftig auf den Hundefraß, der uns vorgesetzt wurde, und hielt einen Vortrag darüber, welch ein Wahnsinn es sei, einem Kerl, der ewig soff, wie unser Steuermann, ein Schiff auch nur für einen Tag anzuvertrauen. Außerdem konnte mit so viel Kranken an Bord von irgendwelchem Erfolg in der Fischerei keine Rede sein. Kurz, man brauchte kein Wort mehr darüber zu verlieren: das Schiff mußte vor Anker gehen.

Spund war ein tüchtiger Seemann, war einer der Anführer im Logis und wohl auch der Älteste unter uns, und da, wie aus seinen Worten hervorging, seine Gesinnung vollkommen der der gesamten Mannschaft entsprach, so wurde er zum Sprecher gewählt, falls der Konsul mit uns verhandeln sollte. Weder der Doktor noch ich waren für diese Wahl; aber die Leute versprachen uns dafür, daß sie sich ganz ruhig verhalten und Wilson erst zu Ende anhören würden, ehe sie einen entscheidenden Schritt täten.

Wir brauchten nicht lange zu warten, der Konsul kam die Kajütentreppe herauf, die gefirnißte Zinnkassette mit den Schiffspapieren in Händen, während Jermin den Befehl aussang, daß die Mannschaft sich auf dem Achterdeck versammeln sollte.

 


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