Hermann Melville
Omu
Hermann Melville

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenundvierzigstes Kapitel

Etwa drei Wochen nach der Abfahrt der »Julia« begann unsere Lage schwierig zu werden. Wir erhielten von keiner Seite regelmäßig Nahrung geliefert; Schiffe kamen jetzt seltener; und was noch schlimmer war, alle Eingeborenen bis auf den guten alten Kapitän Bob begannen unser müde zu werden. Das war auch kein Wunder; wir mußten von ihrer Freigebigkeit leben, und sie hatten selbst wenig genug. Außerdem hatten wir manchmal aus Not geräubert, Schweine abgefangen und im Wald gekocht, und die Eigentümer waren durchaus nicht erfreut darüber.

Wir beschlossen daher in corpore zum Konsul zu marschieren. Er hatte uns in diese Lage gebracht und er sollte uns nun verköstigen. Kapitän Bobs Leute erhoben ein wildes Geschrei und suchten uns zurückzuhalten; diese Ansammlung aller Streitkräfte zu einer gemeinsamen Expedition erschreckte sie. Aber wir versicherten, daß wir keinen Angriff auf den Ort vorhatten, und nach langem Palaver ließen sie uns ziehen.

Wir marschierten geradeswegs auf die Villa Pritchard zu, in der der Konsul wohnte. Es ist, wie ich schon erwähnte, ein geräumiges Haus mit einer weiten Veranda, Glasfenstern und was sonst zu einer zivilisierten Wohnung gehört. Auf der Wiese vor der Veranda stehen einzelne Palmen wie Schildwachen. Das Konsulat, ein eigenes kleines Gebäude, liegt innerhalb der gleichen Umzäunung wie Wiese und Haus. Es war geschlossen. Auf der Veranda der Villa sahen wir eine Dame damit beschäftigt, das Haupt eines älteren, fein aussehenden europäischen Herrn, der eine weiße Krawatte trug, zu stutzen; seitdem ich meine Heimat verlassen, hatte ich keine häusliche Szene dieser Art gesehen. Wir aber wollten mit Wilson sprechen, und die Schiffsleute schickten den Doktor hinein, um sich höflich nach seinem Befinden zu erkundigen.

Der Herr und die Dame auf der Veranda sahen ihn scharf an, als er sich näherte, aber gänzlich uneingeschüchtert grüßte er ernst und höflich und fragte nach dem Konsul. Man sagte ihm, er sei zum Strand hinabgegangen. Wir richteten unsere Schritte gleichfalls dahin; auf dem Wege begegneten wir einem Eingeborenen, der uns sagte, Wilson wisse schon, daß wir kämen, und wolle uns ausweichen. Wir aber waren entschlossen, ihn zu treffen. Als wir durchs Dorf marschierten, sahen wir ihn plötzlich auf uns zukommen; er hatte wohl eingesehen, daß er uns nicht entgehen konnte. »Was wollt ihr von mir, ihr Schufte?« rief er uns zu. Auf diesen Gruß folgte eine entsprechende und keineswegs maßvolle Antwort. Die Eingeborenen begannen sich anzusammeln, auch verschiedene Europäer zeigten sich, und Wilson, dem es peinlich war, im Gespräch mit so unreputierlichen Bekannten getroffen zu werden, wurde unruhig und schritt rasch nach dem Konsulat; wir folgten; er drehte sich wütend um und hieß uns gehen: er wolle nichts mehr mit uns zu tun haben; dann sagte er Kapitän Bob schnell einige Worte auf Taheitisch und eilte fort, ohne anzuhalten, bis die rückwärtige Pforte der Pritchardschen Umzäunung sich hinter ihm geschlossen hatte.

Unser guter alter Wirt war sehr aufgeregt; er wackelte heftig in seinem gewaltigen Unterrock und beschwor uns, nach der Caiabusa zurückzukehren. Nach einigem Hin- und Herreden willigten wir ein.

Wir wußten nun, woran wir waren. Der Konsul hatte erkannt, daß die Anklagen, die er gegen uns vorgebracht hatte, unhaltbar waren, und da es ihm peinlich war, sie förmlich zurückzuziehen, so wollte er uns irgendwie loswerden, aber die Leute sollten nicht merken, daß er selbst unsere Flucht wünschte und uns dazu trieb. Eine andere Erklärung für sein Verhalten gab es nicht. Einige von uns hatten heroische Grundsätze: sie schworen, ihn nicht zu verlassen, es möge geschehen, was da wolle. Ich für meine Person war der Sache satt, und da keine Aussicht schien, auf einem Schiffe fortzukommen, suchte ich nach einem anderen Weg. Und ich verabredete mit dem langen Doktor einen Plan, den wir zunächst geheim hielten.

Ein paar Tage vorher hatte ich zwei junge Amerikaner kennengelernt, Zwillingsbrüder, die auf der Fannings-Insel, einem unbewohnten Fleck Erde, auf dem es aber die herrlichsten Früchte gibt, von einem Schiff desertiert waren. Dort waren sie lange geblieben, hatten sich dann auf den Gesellschaftsinseln umhergetrieben und kamen jetzt von Imio, der nächsten Insel, wo sie im Dienst zweier Fremden gearbeitet hatten, die dort eine Pflanzung besaßen. Diese hatten sie, wie sie sagten, beauftragt, ihnen von Papiti womöglich zwei weiße Feldarbeiter zu schicken. Nun gefiel uns das sehr, bis auf die Feldarbeit; zum Graben und Harken hatten wir wenig Lust; aber die Gelegenheit, die Insel zu verlassen, wollten wir nicht unbenutzt lassen. Wir waren daher bereit, den beiden Pflanzern zu folgen, die innerhalb zweier Tage in ihrem Boot nach Papiti kommen sollten.

Als sie kamen, wurden wir ihnen als Peter und Paul vorgestellt, und machten ab, daß Peter und Paul monatlich fünfzehn Silberdollar erhalten sollten, und, falls sie sich dauernd zu bleiben entschließen könnten, auch mehr; denn das war es, was die Pflanzer wollten. Da die Gefahr bestand, daß die Eingeborenen, die sich über unser Verhältnis zum Konsul nicht im klaren sein mochten, uns festhalten könnten, beschlossen wir in der folgenden Mitternacht abzufahren.

Erst in letzter Stunde teilten wir den anderen unsere Absicht mit; einige wurden böse und warfen uns vor, daß wir sie im Stich ließen; aber die anderen gaben uns recht und meinten, sie würden es bei der ersten Gelegenheit ebenso machen. Wir nahmen Abschied, und ich würde mit stiller Wehmut daran denken – da wir keinen der Leute jemals wiedersahen –, wäre nicht alles dadurch gestört worden, daß MGee bei der Abschiedsumarmung des Doktors Klappmesser aus seiner Tasche stahl.

Wir schlichen uns zum Strand hinab, wo das Boot im Schatten der Bäume wartete. Wir griffen an die Ruder und pullten, bis wir außerhalb des Riffs waren; dann setzten wir das Segel und glitten mit gutem Winde nach Imio hinüber. Es war eine angenehme Fahrt, der Mond schien, die Luft war warm, die Wogen rauschten wie Musik, und über uns war die Tropennacht, ein riesiges purpurnes Gewölbe mit milden zitternden Sternen.

Der Kanal zwischen beiden Inseln war etwa fünf Meilen breit. Auf der einen Seite sieht man die drei großen Gipfel von Taheiti hoch über Bergen und Tälern ragen; auf der anderen die Gebirge von Imio und über ihnen eine einsame grüne Spitze, die unsere neuen Gefährten das »Splißeisen« nannten.

Es waren ganz umgängliche Leute; sie waren auf See gewesen, was sogleich ein Band zwischen uns knüpfte. Zur weiteren Verbesserung der Beziehungen wurde eine Flasche Wein hervorgeholt, eine von mehreren, die sie vom Steward des französischen Admirals bekommen hatten. Sie hatten ihm bei einem früheren Besuch auf Papiti eine Gefälligkeit erwiesen, indem sie den liebebedürftigen Franzosen mit den Damen am Strand bekannt machten. Außerdem hatten sie eine Kalebasse mit Wildschweinbraten, gebackenen Yamswurzeln, Brotfrucht und Kartoffeln von Tombez;Tombez ist ein Bezirk in Peru in der Nähe von Cap Blanco, wo vielleicht die besten süßen Kartoffeln wachsen; sie werden dort in großem Maß gezogen; die Wurzel wird sehr groß, manchmal wie eine stattliche Melone. auch Pfeifen und Tabak fehlten nicht, und während wir uns so gütlich taten, wurden zahlreiche Geschichten von den umliegenden Inseln erzählt.

Endlich schlug die Brandung am Riff von Imio an unser Ohr; wir glitten durch eine Öffnung in die Lagune, die glatt war wie eine Mädchenwange, landeten und zogen das Boot an den Strand.

 


 << zurück weiter >>