Hermann Melville
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Hermann Melville

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Fünftes Kapitel

Weniger als achtundvierzig Stunden, nachdem wir Nukuhiva verlassen hatten, stieg die blaue Insel Santa Christina am Horizont auf. Als wir uns dem Ufer näherten, wurden die dräuenden schwarzen Spieren und der wespenartige Rumpf eines kleinen Kriegsschiffs sichtbar; Masten und Rahen zeichneten sich deutlich gegen den Himmel ab. Es war eine französische Korvette, die in der Bucht vor Anker lag.

Unser Kapitän war darüber sehr erfreut, er kam an Deck und betrachtete sie von den Besanswanten aus durch sein Glas. Er hatte ursprünglich keinen Anker auswerfen wollen; nun aber änderte er seinen Plan und ging längsseits der Korvette vor Anker. Sobald ein Boot zu Wasser gelassen werden konnte, fuhr er hinüber, dem Kommandeur seine Aufwartung zu machen, vornehmlich aber, wie wir vermuteten, die nötigen Schritte mit ihm zu besprechen.

Nach zwanzig Minuten kam er zurück und brachte zwei Offiziere in Interimsuniform mit schönen Backenbärten sowie drei oder vier lärmende und betrunkene alte Häuptlinge mit. Der eine hatte die Beine durch die Armlöcher einer scharlachfarbenen Weste gesteckt, der andere trug ein paar Sporen an den Fersen und der dritte einen Federhut; sonst waren sie in der gewöhnlichen Tracht der Eingeborenen: mit einem Tuch um die Lenden bekleidet. So unpassend ihre Aufführung war, die Edlen waren, wie sich herausstellte, eine Abordnung der Geistlichkeit, und sie kamen, um unser Schiff mit einem strengen »Tabu« zu belegen. Die Eingeborenen, Männer wie Weiber, sollten dadurch verhindert werden, an Bord zu kommen, damit nicht wieder jene liederliche Unordnung einreiße, die Desertionen erleichterte. Es wurden nicht viel Umstände gemacht. Die Priester traten einen Augenblick beiseite, steckten ihre geschorenen alten Köpfe zusammen und machten ihren Hokuspokus. Dann riß der oberste unter ihnen einen Streifen von seinem weißen Tappagürtel und reichte ihn einem der französischen Offiziere, der ihn Jermin gab und ihm erklärte, was er damit zu tun hätte. Der Steuermann begab sich sogleich ans Ende des Außenklüverbaums und befestigte das mystische Zeichen des Banns daran. Es verscheuchte sogleich ein paar Mädchen, die eben auf uns zugeschwommen kamen, aber jetzt ihre Arme schwangen, sich im Wasser herumwarfen, wie Delphine, daß es aufschäumte, und unter lauten Rufen »Tabu! Tabu!« ans Ufer zurückschwammen.

In der Nacht nach unserer Ankunft sollten nur der Steuermann und der Maori die beiden Wachen halten und einander nach je vier Stunden ablösen; die Mannschaft, wie das manchmal üblich ist, wenn ein Schiff vor Anker liegt, erhielt Erlaubnis, die ganze Nacht in der Koje zu bleiben. Diesmal geschah es, weil man den Leuten nicht traute.

Als die Glocke gegen Mitternacht acht Glasen schlug und Jermins erste Wache kam, stieg er an Deck, in der einen Hand eine Branntweinflasche, die andere bereit, auf das erste Gesicht loszuschlagen, das aus dem Luk an der Back auftauchen würde. Er hatte offenbar die Absicht, wach zu bleiben; aber er schlief schon nach kurzer Zeit ein und so fest, daß er vermutlich selbst mit seinem Schnarchen die Leute weckte, die uns in dieser Nacht verließen. Er schnarchte aber auch mit seinem schiefen Kriegshorn, daß es eine Art hatte. Als er zu sich kam, dämmerte es gerade, immerhin war Licht genug, um zu sehen, daß zwei Boote fehlten. Er wußte sofort, was geschehen war, zerrte den Maori aus einem alten Segel heraus, in dem er schlummerte, befahl ihm, ein anderes Boot klarzumachen und stürzte in die Kajüte, dem Kapitän die Mitteilung zu bringen. Schon war er wieder an Deck und rannte ins Logis hinab, ein paar Ruderer zu holen, als wir einen lauten Schrei hörten und das Wasser an der Schiffswand klatschend aufspritzte. Der Maori und das Boot rollten im Wasser übereinander. Das Boot war am Abend an seinen Platz über Steuerbord geheißt worden; und jemand hatte die Taljen, in denen es hing, so durchschnitten, daß sie bei einer mäßigen Belastung reißen mußten. Die Täter schienen Bembos spezifisches Gewicht ausgerechnet zu haben, so sicher war die Wirkung eingetreten, als er hineingesprungen war. Es war nur noch ein Boot übrig; man untersuchte es zunächst, und das war gut: im Boden war ein Loch, groß genug, daß man ein Faß hätte durchstecken können.

Jermin war außer sich. Er schleuderte seinen Hut aufs Deck und wollte bereits über Bord springen, zur Korvette hinüberschwimmen und um einen Kutter bitten, als Kapitän Guy erschien und ihn dazubleiben ersuchte. Der wachhabende Offizier an Bord des Franzosen hatte die Bewegung bei uns bemerkt und rief uns an, um zu hören, was geschehen war. Guy erklärte es ihm durch sein Sprachrohr und bekam sogleich Hilfe zugesagt. Man hörte eine Bootsmannspfeife, ein oder zwei Kommandos, dann pullte ein großer Kutter vom Achterende des Kriegsschiffes ab und kam nach ein paar Ruderschlägen längsschiffs. Der Steuermann sprang hinein, und sie pullten rasch dem Ufer zu. Ein zweiter Kutter mit bewaffneter Mannschaft folgte.

Nach einer Stunde kehrte der erste zurück und schleppte die beiden Walfischboote nach, die kieloben wie Schildkröten am Strande gelegen hatten.

Es wurde Mittag, ohne daß man von den Ausreißern etwas gehört hätte. Der Doktor und ich lungerten herum, machten nähere Bekanntschaft und erfreuten uns am Anblick der Uferlandschaft. Die Bucht lag totenstill; die Sonne stand hoch und heiß am Himmel; dann und wann glitt ein Kanu lautlos hinter der Landzunge hervor und schoß durch das Wasser.

Den ganzen Vormittag humpelten unsere Kranken an Deck umher und warfen sehnsüchtige Blicke ans Land, wo die Palmen mit nickenden Blätterkronen sie in ihren wohltuenden Schatten lockten. Die armen invaliden Halunken! Wie erholsam wären die stillen Haine für ihre erschütterte Gesundheit gewesen! Aber Jermin blieb hart und versicherte mit einem Fluch, daß sie keinen Fuß an Land setzen würden.

Gegen Sonnenuntergang sah man einen Haufen Menschen zum Meer herabkommen. Ganz vorn schritten die Flüchtlinge, barhaupt; Jacken und Hosen hingen in Fetzen herab, ihre Gesichter waren mit Blut und Staub bedeckt und ihre Arme mit grünen Baststricken auf dem Rücken gefesselt. Hinter ihnen kam eine johlende Schar Eingeborener, die sie mit den Spitzen ihrer langen Speere vorwärtstrieben, während die Leute von der Korvette sie in der Flanke mit ihren bloßen Messern bedrohten. Da man dem König der Bucht eine Muskete und für jeden eingebrachten Deserteur einen Becher voll Schießpulver versprochen hatte, war die ganze Bevölkerung hinter ihnen her gewesen; und die Jagd war so erfolgreich, daß nicht nur die Ausreißer von heute nacht, sondern auch noch fünf von denen, die beim vorhergehenden Besuch zurückgeblieben waren, eingebracht wurden. Die Eingeborenen hatten nur die Hunde gespielt, die das Wild aus seinem Versteck aufgetrieben hatten, das Greifen überließen sie den Franzosen. Zu einem Handgemenge mit verzweifelten Seeleuten haben die Eingeborenen nirgend Lust.

Die Ausreißer wurden sogleich an Bord gebracht, und obschon sie erst finster dreinsahen, lenkten sie bald ein und behandelten die ganze Sache als ein scherzhaftes Abenteuer.

 


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