Hermann Melville
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Hermann Melville

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Siebenunddreißigstes Kapitel

Als das Schiff fort war, brannten wir zu erfahren, was mit uns geschehen sollte. Kapitän Bob konnte uns nichts darüber sagen, nur daß er sich vorläufig noch verpflichtet fühlte, uns in Gewahrsam zu halten. Aber er brachte uns nicht mehr zu Bett, und wir taten, was wir wollten. Am Tag, nachdem die »Julia« ausgelaufen war, kam der Alte sehr bedrückt zu uns und sagte, der Eimer mit Hartbrot komme nun nicht mehr und Wilson weigere sich, irgend etwas für uns zu senden. Wir sahen darin einen Wink, ruhig auseinander und unserer Wege zu gehen. Aber wir wollten uns nicht so leicht abschütteln lassen; jetzt machte es uns ein boshaftes Vergnügen, unseren alten Feind zu ärgern, und wir beschlossen, im Gefängnis zu bleiben. Wir wußten bereits, daß das Verfahren des Konsuls gegen uns ihn zum allgemeinen Gespött gemacht hatte und daß die Leute ihn mit seinen hoffnungsvollen Schützlingen in der Calabusa Biriteni aufzogen. Da wir völlig mittellos waren, solange wir auf der Insel blieben, konnten wir gar keinen besseren Aufenthaltsort als bei Kapitän Bob wählen. Außerdem hatten wir den alten Herrn herzlich liebgewonnen und dachten nicht daran, ihn zu verlassen; wir sagten ihm daher, er möge sich um unsere Kleidung und Nahrung weiter keine Sorge machen und beschlossen, durch Ausdehnung unserer Streifungen uns selbst zu versorgen. Dabei kam uns ein Abschiedsgeschenk Jermins zugute. Er hatte alle unsere Koffer mit ihrem Inhalt ans Land schaffen lassen; sie waren einem kleinen Häuptling in der Nähe übergeben worden, dem der Konsul aufgetragen hatte, sie nicht fortschaffen zu lassen; doch konnten wir zu ihm gehen und uns alles Nötige holen.

Wir begaben uns daher zu Maheini, so hieß der alte Häuptling; Kapitän Bob kam mit und bestand darauf, daß unsere Habseligkeiten uns ausgeliefert würden. Dies geschah denn auch zuletzt, und in feierlichem Zuge wurden die Kisten von den Eingeborenen nach der Calabusa gebracht. Hier brachten wir sie unter, ordneten sie mit vielem Geschmack und machten damit einen solchen Eindruck, daß die Calabusa Biriteni in den Augen des alten Bob und seiner Freunde bald die glänzendste Wirtschaft in Taheiti wurde. So vornehm schien das Haus jetzt, daß, solange wir dort blieben, der eingeborene Gerichtshof seine Sitzungen darin abhielt. Maheini, der Richter, und seine Beisitzer saßen auf einem Koffer, die Angeklagten und Zuschauer lagerten auf dem Fußboden, teils innerhalb des Gebäudes, teils im Schatten der Bäume draußen, während die ehrenwerte Mannschaft der »Julia« über den Stock gelehnt, wie von einer Galerie zusah und Bemerkungen über das Verfahren austauschte.

Schon vor der Abfahrt des Schiffes hatten die Leute fast alle entbehrlichen Kleidungsstücke gegen anderes getauscht; nun wurde beschlossen, vorsichtiger zu sein. Der Inhalt der Kisten war höchst mannigfaltig: Nähzeug, Splißeisen, Kattunstreifen, Tauenden, Klappmesser, kurz, was sich bei einem Seemann findet. Nur an Kleidungsstücken war nicht viel anderes da als alte Jacken, Reste von besseren Röcken, Hosenbeine und hier und da noch ein einzelner Strumpf oder eine Socke. Aber auch das war keineswegs ohne Wert, da die ärmeren Taheitier jeden Gegenstand europäischer Herkunft schätzen. Daß etwas aus »Biriteni, finua pereri« (Britannien, dem Land der Wunder) kommt, genügt. Den höchsten Wert hatten die Koffer selbst, besonders, wenn unversehrte Schlösser daran waren, die wirklich zugingen, so daß der Eigentümer mit dem Schlüssel in der Tasche fortgehen konnte. Schrammen und eingedrückte Stellen setzten den Wert allerdings erheblich herab. Ein alter Mann, der sich in die große und wohlgefüllte Mahagonikiste des Doktors verliebt hatte, so daß es ihm die größte Freude machte, nur darauf sitzen zu dürfen, suchte eine böse Schramme auf dem Deckel, die seine Schönheit beeinträchtigte, durch Einreiben mit Fett zu kurieren. Die Vorliebe für Matrosenkoffer ist unglaublich. Sie halten sie für solche Prunkstücke, daß die Weiber ihre Männer beständig quälen, ihnen einen zu schenken; kein Pfeilertisch im Salon erregt solches Entzücken. Es war daher für uns von nicht geringer Bedeutung, daß wir im Besitz dieser Wertgegenstände waren. Die Taheitier sind Menschen wie andere: die Nachricht, daß es uns so gut ging, führte uns Scharen von »Tejos« (Freunden) zu, die nach der Nationalsitte einen Freundschaftsbund mit uns schließen und uns jeden Wunsch erfüllen wollten.

Diese Freundschaftsbündnisse sind eine merkwürdige Sitte auf den Inseln. Bei einem, durch europäischen Einfluß schon verdorbenen und verbildeten Volk wie die Taheitier, ist es nur mehr Spekulation; aber bei ihren Vätern entsprang diese Sitte einem schönen und heroischen Empfinden. In der Geschichte der Insel wird von wundervollen Freundschaften berichtet, die der von Dämon und Pythias nicht nachstanden, die auf den ersten Blick für einen Fremden empfunden wurden und eine Hingabe bis zum Tode bedeuteten.

Die Polynesier fühlten Liebe und Bewunderung für die ersten Weißen, die zu ihnen kamen, und sie konnten die Wärme ihrer Empfindung nicht besser bezeugen, als indem sie ihnen auf der Stelle ihre Freundschaft antrugen. Darum liest man in alten Reiseberichten von Häuptlingen, die in ihren Kanus vom Strande kamen und mit sonderbaren Zeichen ihren Wunsch kundtaten. Die geringeren Leute sprachen die Matrosen an, und so hat sich die Sitte auf manchen Inseln bis auf den heutigen Tag erhalten.

Einige Tagesfahrten von Taheiti liegt eine kleine Insel, die von Schiffen selten besucht wird und an der das Schiff anlegte, zu dem ich damals gehörte. Jeder von uns hatte sogleich einen Freund. Der meine war Poki, ein hübscher Junge, der nicht genug für mich tun konnte. Jeden Morgen bei Sonnenaufgang kam sein Kanu längsseits, mit Früchten jeder Art beladen. Wenn es geleert war, wurde es mit einer Leine am Bugspriet befestigt und lag den ganzen Tag dort, damit sein Besitzer ans Ufer fahren konnte, so oft ich einen Auftrag für ihn hatte. Eines Tages sagte ich ihm, daß ich Muscheln und merkwürdige Dinge jeder Art sammelte. Das genügte; schon paddelte er nach dem Ausgang der Bucht, und ich sah ihn vierundzwanzig Stunden nicht wieder. Am nächsten Morgen glitt sein Kanu langsam am Ufer hin, ein Zweig mit seinem dichten Laub war als Mast und Segel darin aufgestellt. Damit alles trocken blieb, hatte er am Bug ein Bretterdach mit grünem Weidengeflecht festgemacht. Darunter lagen Haufen gelber Bananen und Kaurimuscheln, junge Kokosnüsse, rote Korallenzweige, zwei oder drei Holzschnitzereien, ein kleiner Taschengötze, schwarz wie Nephrit, und Rollen von bedrucktem Tappa.

Wir erhielten einen Tag Urlaub, und als wir ans Land gingen, war Poki natürlich mein Begleiter und Führer. Seine Heimat war nicht groß, und er kannte jeden Fußbreit. Wer uns begegnete, wurde angehalten und Pokis »Tejo Karhauri nui«, seinem »besonderen weißen Freunde«, feierlich vorgestellt. Er zeigte mir alle hervorragenden Persönlichkeiten der Insel, vor allem eine reizende, junge Dame, die Tochter eines Häuptlings, die so schön war, daß ihr Ruf sich auf den Nachbarinseln verbreitet und von überall Freier herbeigelockt hatte. Unter ihnen war Tuboi, der Erbe Tamatoris, des Königs von Rejatehr, einer der Gesellschaftsinseln. Das Mädchen war wirklich schön; viele Himmel waren in ihrem sonnig glänzenden Auge, und die Rundung ihres Arms, der unter einem zierlichen Tappakleide hervorsah, war wundervoll.

Und so viele Aufmerksamkeiten Poki mir erwies, nie sprach er eine Silbe von einer Belohnung, wenn er auch manchmal ein schlaues Gesicht machte. Endlich kam der Tag der Abfahrt und mit ihm sein Kanu, bis an den Rand mit einem Vorrat von Früchten beladen. Ich gab ihm, was ich aus meinem Koffer irgend entbehren konnte, dann ging ich an Deck, um meinen Platz am Gangspill einzunehmen, denn der Anker wurde gehievt; Poki kam mit und drehte mit mir an derselben Speiche.

Bald war der Anker eingezogen, und wir fuhren aus der Bucht, während mehr als zwanzig Boote uns im Kielwasser folgten. Endlich kehrten sie um; aber solange ich ihn überhaupt sehen konnte, stand Poki allein und regungslos am Bug seines Kanus und sah mir nach.

 


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