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Ich war noch nicht vierundzwanzig Stunden an Bord, als ich Zeuge eines Vorfalls wurde, der für die Zustände auf dem Schiff kennzeichnend war.
Unter der Mannschaft war einer, der Schiffszimmermann, so unglaublich häßlich, daß er den ironischen Spitznamen »Schönheit« erhalten hatte. Manchmal wurde er auch, mehr beruflich, »Sägspan« genannt. Er war nicht eigentlich entstellt, sondern von Natur regelrecht häßlich. Auch sein Wesen war weder angenehm noch liebenswürdig, und das Verhältnis zwischen ihm und Jermin war zu allen Zeiten gespannt. Schönheit war nämlich der einzige auf dem Schiff, den der Steuermann nie wirklich untergekriegt hatte, daher sein Groll. Schönheit wiederum tat sich etwas darauf zugute, daß er dem Steuermann keine Antwort schuldig blieb.
Gegen Abend war irgend etwas an Deck zu tun, und der Zimmermann, der zur Wache gehörte, fehlte. »Wo ist denn der Drückeberger, der Sägspan?« schrie Jermin durch das Luk hinab.
»Ruht aus, hier unten auf einer Kiste, wenn Sie's wissen wollen!« antwortete der Edle, die Pfeife aus dem Munde nehmend. Diese Frechheit brachte den hitzigen kleinen Steuermann in Wut; aber Schönheit sagte kein Wort und paffte ruhig weiter. Nun wird kein vernünftiger Offizier, und wenn er noch so gereizt wäre, im Streit mit einem von der Mannschaft das Logis betreten. Wenn der Betreffende sich weigert, es zu verlassen und an Deck zu kommen, so bleibt dem Offizier nichts übrig, als geduldig zu warten, bis der andere sich dazu entschließt. Denn unten ist's dunkel, und nichts ist leichter, als dem, der hinunterkommt, eins über den Schädel zu hauen, ehe er recht weiß, wo er ist, und nichts schwerer, als festzustellen, wer der Täter war.
Jermin wußte dies sehr genau, daher begnügte er sich damit, durch das Luk hinunterzuschimpfen. Schönheit antwortete so kühl und gelassen, daß er ihn zur Raserei brachte.
»An Deck!« brüllte er. »Herauf mit dir, oder ich komm' hinunter und mach' dir Beine!«
Der Zimmermann bat ihn, nur zu kommen.
Gesagt, getan: Jermin vergaß alle Vorsicht, sprang die Leiter hinab und hatte den anderen bei der Kehle, ohne ihn noch recht zu sehen. Einer der Leute wollte sich auf ihn stürzen, aber die übrigen rissen ihn zurück: die beiden sollten es miteinander abmachen.
»Und jetzt kommst du an Deck!« schrie der Steuermann und suchte den Zimmermann im Griff zu behalten.
»Schaff mich nur hinauf!« war die trotzige Antwort. Schönheit wand sich wie eine Boa Constrictor. Der Steuermann suchte ihn vollends zu packen, dabei bekam Schönheit seine Arme frei und warf ihn rücklings nieder. Aber Jermin sprang sogleich wieder auf, und eine Zeitlang zerrten sie einander unten hin und her, stießen sich die Köpfe an den vorspringenden Balken wund und schlugen aufeinander los, wo sie treffen konnten. Da glitt Jermin aus und fiel; sofort setzte sein Feind sich ihm auf die Brust und hielt ihn fest. Das ist eine der Situationen, in der der oben Sitzende seine Meinung nach Lust aussprechen kann, und Schönheit nahm die Gelegenheit wahr. Der Steuermann antwortete nicht; er schäumte vor Wut und suchte sich zu befreien.
Da tönte eine dünne Stimme von oben. Der Kapitän war zufällig aufs Achterdeck gekommen, als die Rauferei anfing; er wäre gerne wieder in die Kajüte zurückgekehrt, wenn er nicht gefürchtet hätte, sich vollends lächerlich zu machen. Er lehnte über die Reling, und als der Lärm zunahm, und es klar wurde, daß es seinem ersten Offizier schlecht ging, erschien er auf dem Vorderkastell und wollte die Sache als Bagatelle behandeln. »Nun, nun!« sagte er möglichst schnell und in ärgerlichem Ton, »was ist denn da los? Herr Jermin, Herr Jermin! – Zimmermann, Zimmermann! So hören Sie doch! Was tun Sie denn da unten? Kommen Sie doch an Deck!«
Worauf das lange Gespenst, der Doktor, in Fisteltönen rief: »Ach, Fräulein Guy, sind Sie das? Bitte, meine Liebe, gehen Sie rasch fort – es könnte Ihnen etwas zustoßen!«
»Eh, lassen Sie mich in Ruh'! Wer sind Sie denn, Herr? Ich habe mit Ihnen nicht gesprochen; hören Sie also mit Ihrem Unsinn auf! Herr Jermin, mit Ihnen spreche ich! Haben Sie die Güte, an Deck zu kommen; ich habe mit Ihnen zu reden!«
»Und wie, zum Teufel, soll ich denn hinaufkommen?« schrie der Steuermann. »Kommen Sie doch runter, Kapitän Guy, und seien Sie ein Mann! Lassen Sie mich los, Sie, Sägspan! Loslassen, sag' ich! Sie werden mir das noch büßen! So kommen Sie doch, Kapitän!«
Der arme Mann bekam beinahe Krämpfe. »Pfui, pfui, Zimmermann!« rief er, »lassen Sie ihn herauf, lassen Sie ihn los! Hören Sie? Sie sollen Herrn Jermin an Deck lassen!«
»Scheren Sie sich fort, Schreiberhans!« erwiderte Schönheit, »das geht nur mich und den Steuermann an; gehen Sie also nach achtern, wohin Sie gehören!«
Als der Kapitän den Kopf noch einmal durch das Luk steckte, flog ihm, von unsichtbarer Hand geschleudert, eine feuchte Masse von aufgeweichtem Zwieback und Teeblättern, der Inhalt einer Zinnkanne, ins Gesicht. Der Doktor war gerade nicht weit entfernt. Nach dieser Schlappe zog sich der elegante junge Mann, beide Hände vor dem triefenden Antlitz, ohne auf mehr zu warten, endgültig zurück.
Einige Augenblicke später kam auch Jermin, der sich zu einem Vergleich hatte herbeilassen müssen, mit zerrissener Jacke und zerschundenem Gesicht ihm nach, und beide blieben etwa eine Viertelstunde in der Kabine. Die rauhe Stimme des Steuermanns überschrie die dünne und sanfte Rede des Kapitäns. Es war der erste Konflikt mit der Mannschaft, in dem Jermin den kürzeren gezogen, hatte, und er war entsprechend in Wut. Wie der Steward uns später berichtete, hatte er dem Kapitän gesagt, er möge sich in Zukunft gefälligst selber um sein Schiff kümmern, wenn er seine Offiziere so behandeln lasse; er für sein Teil habe genug davon. Noch manches scharfe Wort fiel, aber schließlich versicherte ihm der Kapitän, daß der Zimmermann bei der ersten Gelegenheit gründlich ausgepeitscht werden sollte, obschon dies, wie die Dinge lagen, ein gewagtes Experiment schien. Daraufhin willigte Jermin widerstrebend ein, die Sache vorläufig auf sich beruhen zu lassen, und bald ertränkte er sein ganzes Denken in einer Bowle von heißem Punsch, die der Kapitän klüglicherweise schon vorher beim Steward bestellt hatte.
Dabei blieb es, und die Sache hatte keinerlei weitere Folgen.