Hermann Melville
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Hermann Melville

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Dreiundvierzigsts Kapitel

Mein früherer Freund Kulu, dieser würdige junge Mann, wohnte in einem »Meru Boro«, im »Brotfruchtschatten«, einem hübschen Waldwinkel auf halbem Weg zwischen der Calabusa Biriteni und der Kokosnußkirche. Er war daher ein regelmäßiger Besucher des Gotteshauses. Kulu war ein schneidiger Jüngling. Elegant in seinem gestreiften Kattunhemd, das über seinen weißen Marinehosen herausfordernd gebauscht war, das Haar mit Kokosöl gesalbt, warf er den Damen siegesbewußte Blicke zu, die keineswegs unerwidert blieben.

Aber die taheitischen Schönen haben auch Blicke füreinander; manches Näschen wird gerümpft, wenn ein neuer Baumwollmantel erscheint, der vor kurzem noch in der Kiste eines verliebten Matrosen lag. Einmal sah ich eine Gruppe junger Mädchen in fleckigen Röckchen verächtlich auf eine andere weisen, die ein feuerrotes Röckchen trug: »Oih tuteh auri!« sagten sie mit unsäglicher Verachtung, »itteh meteh!« (»Du bist ein nichtswürdiges Frauenzimmer, wirklich schlecht!«)

Kulu wie die sittenstrengen jungen Damen hatten das Abendmahl genommen, aber noch am selben Abend, nachdem sie die heilige Brotfrucht genossen, begingen einige, wie ich weiß, schlimme Verstöße.

Ich wollte wissen, was ihre religiösen Vorstellungen eigentlich waren, aber das zu erfahren, war eine heikle Aufgabe.

Famo, der vordem der Läufer der Königin gewesen war, hatte sich vom aktiven Dienst zurückgezogen und in einem hübschen kleinen Häuschen, keine hundertfünfzig Schritte von der Calabusa entfernt, niedergelassen; vielleicht hatte er bereits mit dieser Nachbarschaft gerechnet, um seine drei Töchter in die gute Gesellschaft einzuführen. Jedenfalls ließen sich die Schwestern die Huldigungen des galanten Doktors gerne gefallen, und er war zu jeder Zeit und Stunde in ihrem Hause willkommen. Eines Abends sprachen wir vor. Mein langer Freund begann mit den beiden jüngeren Mädchen »Nau« zu spielen, wobei ein Stein unter drei Stößen Tuch gefunden werden muß. Ich ließ mich auf einer Matte neben Idia, der ältesten, nieder, spielte mit ihrem Grasfächer und versuchte meine Kenntnisse des Taheitischen zu vervollkommnen. Die Gelegenheit schien günstig, und ich begann: »Ah, Idia, Mikoneri, oih?« fragte ich. Das hieß etwa: »Nebenbei bemerkt, Fräulein Idia, gehören Sie zur Kirche?«

»Ja, mich mikoneri,« antwortete die Schöne, aber sie schränkte diese Erklärung sogleich in kennzeichnender Weise ein: »Mikoneri ina«, sagte sie (»Christin hier!«), die letzte Silbe nachdrücklich betonend, und sie legte ihre Hand auf den Mund, und mit den gleichen Worten berührte sie Augen und Hände. Dann veränderte sich ihr ganzes Aussehen und mit nicht mißzuverstehenden Gebärden bedeutete sie mir, daß sie in anderer Hinsicht keineswegs »mikoneri« sei. Damit brach sie in ein helles Gelächter aus, in das die zwei Schwestern einstimmten, und auch der Doktor und ich, um nicht gar zu dumm auszusehen. Kurz, sie war, wie Pope sagt:

»Im Herzen wohl ein guter Christ,
Doch heidnisch in dem, was des Fleisches ist.«

Der Übereifer der Missionare, der Zwang und die stete Beaufsichtigung ruft diese religiöse Heuchelei hervor; aber nur beim gemeinen Volk, die Vornehmen werden nicht belästigt. An Sonntagen, an denen in den kleineren Kirchen ein zu geringer Besuch befürchtet wird, werden Leute mit Rohrstöcken als »Einpeitscher« nach der frommen Gemeinde ausgeschickt. Dies ist eine Tatsache, die auch in den »Denkwürdigkeiten aus dem Leben und der evangelischen Sendung des verstorbenen Herrn Daniel Wheeler« einem vortrefflichen Werk, auf das ich mich noch öfter berufen werde, auf S. 763 mit Abscheu erwähnt wird. Diese Leute, die an ihren weißen Drillichanzügen kenntlich sind, bilden eine Art religiöser Polizei. Sie sind an Wochentagen ebenso geschäftig wie an Sonntagen. Sie spionieren zum Schrecken der Eingeborenen auf der ganzen Insel nach Sünden und Schlechtigkeit, und sie treiben auch die Geldstrafen ein, die meistens in Grasmatten bestehen, und die für beharrliches Fernbleiben vom Gottesdienst und ähnliche Vergehen verhängt werden, für die das geistliche Gericht der Mission zuständig ist. Der alte Bob nannte diese Leute »Kennakippers«. Ich vermute, daß dies aus dem englischen Wort »Constabler« verdorben ist. Er hegte bitteren Groll gegen sie, und als er eines Tages nach Hause kam und erfuhr, daß sie ihm gerade einen Besuch abstatteten, verbarg er sich hinter einem Busch, und als sie aus dem Hause kamen, trafen, von unsichtbarer Hand geschleudert, zwei schwere grüne Brotfrüchte jeden der beiden zwischen die Schulterblätter. Unsere Matrosen und verschiedene Eingeborene waren Zeugen und priesen, sobald die Eindringlinge außer Sicht waren, Kapitän Bob in allen Tönen, besonders die Damen. Die Kennakippers sind ihre größten Feinde, denn die lästigen Kujone fallen zu allen Stunden ins Haus und spähen nach ihren kleinen Sünden.

Kulu, der zu Zeiten patriotisch und nachdenklich war, und die Leiden beklagte, die sein Vaterland heimsuchten, schalt auf die Gesetze, die Fremden den Zutritt zu jedem Hauswesen gestatten. Er selbst, der den Damen sehr ergeben war, hatte oft Unannehmlichkeiten dadurch gehabt. Sie schädigen die Leute auch materiell, denn sie laden sich täglich in einer anderen Hütte ihres Sprengels zum Essen ein, und den guten Leuten bleibt nichts übrig, als sie so gastfreundlich als möglich zu bewirten. Die Kennakippers sind unermüdlich; in tiefster Nacht lauern sie vor den Häusern und bei Tag stöbern sie Liebespaare in den Hainen auf.

Sechs Wochen vor meiner Ankunft auf der Insel hatten der Gatte einer Frau und die Gattin eines anderen Mannes Gefallen aneinander gefunden und waren miteinander ausgegangen. Sofort schlugen die Kennakippers Lärm, und eine wilde Verfolgung begann. Aber drei Monate vergingen, ehe man die Sünder entdeckte. Dann wurden wir aus der Calabusa gerufen und sahen einen Pöbelhaufen, der die Liebenden vor Gericht schleppte. Sie waren bis auf den Lendenschurz völlig nackt, ihr Haar war lang, an den Enden gebleicht und mit Blättern und Stengeln verfilzt, ihre Leiber ganz zerkratzt. Sie waren ins Innere geflüchtet, hatten in einem ganz unbewohnten Teil der Insel eine Hütte errichtet und dort zusammen gelebt, bis sie auf einem Spaziergang Pech hatten, entdeckt und, obwohl sie sich ins Dickicht flüchteten, gefangen wurden. Sie wurden verurteilt, hundert Faden am Ginsterweg zu bauen, was mindestens sechs Monate schwerer Arbeit bedeutete.

Oft, wenn ich in einem Hause saß, in ruhigem Gespräch mit den Bewohnern, sah ich sie in die größte Verwirrung und Aufregung geraten, wenn sie hörten, daß ein Kennakipper auftauchte, denn von einem dieser Kirchendiener als »tuteh auri« als »Gottloser« angezeigt zu werden, wird auf Taheiti beinahe so gefürchtet, wie einst in Europa die Inquisition. Oft, wenn sie in ein Haus traten, beschränkten sie sich darauf, pharisäisch Betstunden zu veranstalten. Die Eingeborenen nennen sie daher »Bura Artuas«, »Gottesanbeter«. –

 


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