Hermann Melville
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Hermann Melville

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Einundsiebzigstes Kapitel

Wir sprachen nun ganz offen mit Pao-Pao und baten ihn um seinen Rat. In gebrochenem Englisch sagte er uns alles, was wir wissen wollten.

Die Königin dächte in der Tat daran, den Franzosen Widerstand zu leisten, und es hieß, daß mehrere Häuptlinge aus Borabora, Huweinih, Rejatehr und Tehar, den unter dem Winde gelegenen Inseln der Gruppe, zur Zeit mit ihr berieten, ob man nicht eine allgemeine Volkserhebung organisieren könnte, ehe die Eindringlinge sich weitere Übergriffe erlaubten. Sollte man sich wirklich zu einem kriegerischen Vorgehen entschließen, so würde die Königin sicherlich froh sein, soviel Ausländer als möglich ins Heer einzustellen, aber auf Offiziersrang dürften der Doktor und ich nicht rechnen; denn es hätten sich schon eine ganze Anzahl Europäer, die die Königin kannte, freiwillig zu Offizieren angeboten. Auch daß die Königin uns in nächster Zeit Zutritt gewähren würde, hielt Pao-Pao für zweifelhaft, denn sie lebte sehr zurückgezogen; ihre Gesundheit war angegriffen und ihre Stimmung trübe, so daß sie nur ungern Besuche empfing. Früher, vor ihrem Unglück, hatte auch der Geringste Zutritt, selbst einfache Matrosen wurden empfangen.

All dies entmutigte uns keineswegs, und wir beschlossen, die Zeit in Partuwei totzuschlagen, bis sich irgend etwas Günstiges fand. Zunächst beschlossen wir, das Schiff zu besuchen, das weit draußen in der Bucht in geschützter Lage ankerte.

Als wir auf unserem Wege an einem langen niederen. Schuppen vorüberkamen, rief eine Stimme: »Weiße Männer, ahoi!« Wir wendeten uns um und sahen einen rotwangigen Engländer – man erkannte ihn auf den ersten Blick als solchen –, der bis zu seinen Knien in Sägespänen stand und darauf los hobelte. Es stellte sich heraus, daß er ein Schiffszimmermann war, der sein Schiff verlassen, sich zunächst in Taheiti aufgehalten hatte und jetzt in Imio Geschäfte machte. Er hatte Speiseschränke und andere Möbel, gelegentlich auch ein Damen-Nähkästchen, für einen wohlhabenden Häuptling zu liefern. Er war erst wenige Monate hier und besaß bereits Häuser und Land. Es ging ihm gut, und er erfreute sich bester Gesundheit, nur eines fehlte ihm: eine Frau. Und als er auf dieses Thema kam, wurde sein Ausdruck schwermütig, und er lehnte sich niedergeschlagen an die Hobelbank, »Es ist zu arg!« seufzte er, »daß man drei lange Jahre warten soll und die süße kleine Lulli die ganze Zeit im selben Haus mit dem verfluchten Häuptling aus Tehar lebt!«

Wir wurden neugierig und vermuteten, daß der arme Zimmermann sich in eine kokette Dame der Insel verliebt und einen Korb bekommen hatte. Aber dem war nicht so. Es gab ein Gesetz, das bei schwerer Strafe die Ehe einer Eingeborenen mit einem Fremden verbot, wenn dieser nicht mindestens drei Jahre auf der Insel zugebracht hatte und die Absicht bekundete, lebenslänglich dort zu bleiben. Das war das Traurige. Er hätte, sagte William, ohne dieses dumme Gesetz das Mädel schon zehnmal heiraten können, und in letzter Zeit hatte ihre Liebe nachgelassen, und sie kokettierte mit den Fremden aus Tehar. Bis über die Ohren verliebt und um sie sich für alle Fälle zu sichern, hatte er den Verwandten der jungen Dame verschiedentlich Vorschläge gemacht, daß sie sie ihm schon jetzt vor der Hochzeit überlassen sollten; aber davon wollten sie nichts hören; außerdem war ein derartiges Zusammenleben strafbar; wenn es entdeckt wurde, mußten sie Steinmauern und Straßen für die Königin bauen. Der Doktor empfand das tiefste Mitgefühl, »Bill, mein guter Bursche,« sagte er mit zitternder Stimme, »laß nur mich einmal mit ihr reden!« Aber Bill schlug diesen Freundesdienst aus und wollte nicht einmal sagen, wo seine Schöne wohnte. So ließen wir denn den trostlosen Willie an seinem Fichtenbrett hobeln und an Lulli denken und gingen weiter. Was aus seiner Freierei wurde, haben wir nie erfahren.

Wenn man von Pao-Paos Haus nach dem Hafen von Telu ging, sah man das Wasser nicht, bis man aus dem Hain tretend, plötzlich die Bucht vor sich hatte, die viele Reisende für die schönste der Südsee halten. Man glaubt, am Ufer eines tiefen grünen Stroms zu stehen, der sich durch eine Bergschlucht ins Meer ergießt. Ein majestätisches Vorgebirge am anderen Ufer bildet Telu gegenüber eine grüne Wand, an deren Fuß still die tiefen Wasser liegen. Links sieht man die Bai sich erweitern, sieht die Öffnung im Riff, durch die die Schiffe einfahren, und weiter draußen das Meer. Zur Rechten macht sie eine Krümmung um das Vorgebirge und schneidet tief ins Land, fast überall von grünen Bergen eingeschlossen, die mit wunderlichen Spitzen zum Himmel ragen. Nur an einer Stelle ist das Ufer eben und erstreckt sich in einer weiten dunstigen Ebene bis zu einem Amphitheater von Hügeln. Dort liegt die große Zuckerpflanzung, von der ich sprach. Jenseits der Hügelreihe erheben sich die schroffen Spitzen des Gebirges im Inland, unter ihnen das schweigende Splißeisen, das wir so oft von der anderen Seite der Insel bewundert hatten.

Im Hafen lag nur ein einziges Fahrzeug, das gute Schiff »Leviathan«. Wir sprangen in ein Kanu und paddelten hinüber. Obwohl es noch früh am Nachmittag war, schien alles still; als wir an Bord kamen, fanden wir vier oder fünf Matrosen, die unter einer Persenning am Vorderkastell lungerten. Der Empfang war nicht gerade warm; und obschon sie sonst frisch und wohl aussahen, schienen sie zu Ehren unseres Besuches ein besonders mürrisches Gesicht zu machen. Es interessierte sie auch nicht sehr, zu hören, daß wir uns verdingen wollten, und was sie uns von dem Schiff erzählten, klang so, als ob sie uns abzuschrecken suchten. Wir fragten, wo denn die übrige Mannschaft wäre; ein unfreundlicher alter Kerl antwortete: »Eine Bootsmannschaft ist zum Teufel gegangen: fuhr auf der letzten Kreuzfahrt nach einem Walfisch und ist nicht wiedergekehrt. Die Steuerbordwache ist heut nacht ausgerissen, und der Schiffer ist an Land, um sie wiederzukriegen.«

»Anheiern lassen wollt'r eich, Herzichens?« rief ein krausköpfiger kleiner Irländer aus Belfast, »da fahrt nur lieber gleich wieder an Land, Bibchen, sonst nimmt'r eich in See, ob'r wollt oder nicht, der Teifel von'en Schiffer! Seht, daß'r weiterkommt, Kinderchens, steiert klar von so'n Hellteifel, wenn eich's Leben lieb is! Se lassen uns hungern un se quälen uns dod! Hol mal's Kanu von die armen Teifels längseit, Dick, und dann paddelt'r fort, was'r kennt, ja!«

Wir blieben aber dennoch, wollten mehr und Erfreulicheres hören und luden uns zum Abendessen ein. Nie hatte ich besseres Pökelfleisch gegessen als dort in der Back, das Brot war hart, trocken und spröde wie Glas, und beides war reichlich vorhanden. Während wir unten im Logis saßen, hörten wir den Steuermann oben rufen. Seine Stimme war mir sympathisch; es war die eines richtigen Seemannes, nicht die eines Aufsehers.

Auch der »Leviathan« gefiel uns. Wie alle geräumigen alten Walfischjäger, hatte er ein mütterliches Aussehen: breit in den Spanten, mit glatten Decks, und vier pausbäckige Boote an der Brust. Die Segel waren lose aufgegeit, als hätten sie lang gedient und wären leicht zu trimmen. Die Wanten hingen schlaff, und das laufende Gut ging nicht schwer wie in manchen »eleganten« Schiffen, wo es sich in den Blockscheiben klemmt; im Gegenteil, die Taue liefen glatt durch, als ob sie den Weg schon oft gemacht hätten.

Als es dunkelte, stiegen wir wieder in unser Kanu und paddelten ans Ufer, völlig überzeugt, daß das gute Schiff die schlechte Nachrede keineswegs verdiente.

 


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