Hermann Melville
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Hermann Melville

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Sechzigstes Kapitel

In Tameh wohnte ein kleiner scheußlich aussehender alter Mann, der in einem groben Tappamantel im Dorf umherzog, dabei tanzte, sang und Gesichter schnitt. Er folgte uns auf allen Wegen, und wenn niemand es sah, zupfte er uns an den Kleidern und machte uns greuliche Zeichen, die bedeuteten, daß wir mit ihm irgend wohin gehen und etwas ansehen sollten. Vergeblich suchten wir ihn loszuwerden, zuletzt mit Schlägen; aber obwohl er heulte wie besessen, ließ er doch nicht von uns ab. Wir beschworen die Eingeborenen, uns von ihm zu befreien; aber sie lachten nur, und wir mußten ihn ertragen. In der vierten Nacht kamen wir spät von einigen Besuchen im Dorf zurück; als wir um eine dunkle Baumgruppe bogen, trafen wir unseren Kobold, der wieder schwatzte und uns mit den Händen Zeichen machte. Der Doktor fluchte und eilte weiter; mich aber bewog irgend etwas, stehenzubleiben; ich wollte wissen, was das sonderbare Geschöpf von uns wollte. Sowie ich stehen blieb, schlich er sich ganz nahe heran, starrte mir ins Gesicht, zog sich dann zurück und winkte mir, ihm zu folgen. Ich tat es; nach wenigen Augenblicken waren wir außerhalb des Dorfes und im Schatten der Höhen auf der anderen Seite des Tales. Er wartete, bis ich ihn erreicht hatte; dann stiegen wir schweigend nebeneinander den Berg empor und kamen zuletzt zu einer elenden Hütte, die im Schatten der Bäume kaum sichtbar war. Der Kobold schob eine mit Zweigen befestigte Türe zur Seite und bedeutete mir mit Geberden, daß ich eintreten sollte. Da es drinnen völlig dunkel war, machte ich ihm begreiflich, daß er erst Licht machen müßte. Er verschwand im Dunkeln; ich hörte ihn zwei Hölzer aneinander reiben und sah einen Funken, an dem er eine der heimischen Kerzenfackeln anzündete, und gebückt trat ich ein. Es war ein Hundeloch. Halb verfaulte alte Matten, Bruchstücke von Kokosnußschalen und Kalebassen bedeckten den Boden; durch Ritzen im Dach, das da und dort eingefallen war, glänzten die Sterne.

Ich hieß ihn schnell mir zeigen, was er wollte. Er sah sich furchtsam um, als fürchtete er, dabei entdeckt zu werden, und suchte unter dem alten Gerümpel in einer Ecke. Endlich griff er nach einer schwarzgefärbten Kalebasse, deren Hals abgebrochen war und die an der einen Seite ein großes Loch hatte. Irgend etwas schien in das Gefäß hineingestopft, und nach einigem Zerren brachte er ein schadhaftes und vermodertes altes Paar europäischer Hosen hervor, die er eifrig vor mir ausbreitete und mich fragte, wieviel Stücke Tabak ich ihm dafür geben wollte. Ohne zu antworten, eilte ich fort; der Alte schreiend hinter mir her, bis wir das Dorf erreichten; hier gelang es mir, ihm zu entkommen. Ich beschloß, dieses ruhmlose Abenteuer niemals zu verraten. Vergeblich bat mich mein Gefährte am nächsten Morgen, ihm mein nächtliches Erlebnis mitzuteilen; ich hüllte mich in ein geheimnisvolles Schweigen. Immerhin hatte ich einen Vorteil von der Sache; denn der alte Kleiderhändler ließ mich hinfort in Frieden, wogegen er den Doktor ohne Ende verfolgte, der den Himmel vergeblich anflehte, ihn von seinem Plagegeist zu befreien.

 


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