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Am Tag des Königsempfangs blickten aus einem Palast der herrlichen Straße de la Amudema Platerias zwei hübsche, frische Jünglingsgesichter auf das Menschengewühl herab. Es waren die beiden Brüder Emanuel und Ferdinando de Rodriganda, die nicht die geringste Ahnung davon hatten, daß ihr Vater im Begriff stehe, ihnen eine Tänzerin als Stiefmutter zu geben und daß diese Tänzerin heute im Lorettenviertel von Madrid umherschweife.
»Was tun wir? Werfen wir uns auch in das Gewühl?« fragte Emanuel. – »Ja«, antwortete sein Bruder Ferdinando, »aber jetzt noch nicht.« – »Warum?« – »Ich will meine Karte von Mexiko vollends fertig machen.« – »Wie du dich für Mexiko nur so begeistern kannst!« – »Zürne nicht, mein Bruder! Es ist das mehr als eine bloße Schrulle. Ich fühle eine ganz besondere Zuneigung für dieses ebenso eigenartige wie reiche Land, und da ich der zweitgeborene Sohn bin, so ist es sehr leicht möglich, daß ich den Fuß einmal in das alte Land der Inkas und der Tolteken setze.« – »Wann wird die Karte fertig sein?« – »Beim Sonnenuntergang.« – »Ah, noch zwei volle Stunden! Dies dauert mir viel zu lange.« – »So gehe einstweilen und hole mich zur Dämmerung ab, wenn man die Larven hervorzusuchen beginnt.« – »Vielleicht hätte ich da zu weit zu gehen. Willst du nicht lieber zur angegebenen Zeit an den Palast Panadaria kommen?« – »Gut.« – »Aber vergiß nicht, dein Messer oder deinen Revolver einzustecken; du weißt, daß bei solchen Gelegenheiten ein jeder selbst Polizist sein muß.« – »Keine Sorge, Emanuel!« – »Also Adieu, Ferdinando!« – »Adieu!«
Der fleißige Jüngling trat vom Fenster zurück und bückte sich über seine Arbeit. Das bunte Festgetriebe existierte nicht mehr für ihn, und er legte Stift und Pinsel nicht eher wieder weg, als bis er die Karte gefertigt hatte.
Nun kleidete auch er sich an, und da er bemerkte, daß nach der eigentümlichen spanischen Sitte das Publikum bereits mit Halbmasken versehen war, so steckte auch er eine solche vor und trat darauf zum Waffenschrank.
»Was wähle ich? Eine Kugel tötet leicht, ein Messer ebenso. Ich nehme meine Boxringe, die sind Schutz genug für einen Boxer von meiner Übung.«
Damit steckte er die mit eisernen Stacheln versehenen Ringe zu sich und begab sich der Verabredung gemäß zunächst nach dem Palast Panadaria, um den Bruder zu finden. Er suchte vergebens und stand schon im Begriff, den Ort zu verlassen, als Emanuel, den er sofort an den Kleidern erkannte, sich durch die Menge Bahn brach.
»Gut, daß ich dich finde«, sagte dieser. »Um eines Abenteuers willen konnte ich dich nicht hier erwarten. Komm schnell mit, ich erzähle dir unterdessen.«
Emanuel zog den Bruder mit sich fort, bis das Gewühl ein wenig lichter geworden war, dann begann er:
»Ich stand dort am Palazzo und wartete auf dich. Da schwebten vier Sylphiden vorüber, eine immer reizender als die andere. Ich folgte ihnen mit den Augen, sie bemerkten es und blieben stehen. Nach einer kurzen Rücksprache untereinander kam eine von ihnen auf mich zu und fragte: ›Señor, erwarten Sie hier jemand? Vielleicht ein Liebchen?‹ – ›Nein, vielmehr einen Freund.‹ – ›Lassen Sie den Freund und kommen Sie lieber mit uns, wohin es Ihnen beliebt.‹ – ›Sie suchen sich also Caballeros? Von welchem Rang?‹ – ›Vom höchsten.‹ – ›Ah, dann schließe ich mich Ihnen an, mache aber die Bedingung, daß wir uns zunächst in der Nähe halten, bis mein Freund kommt.‹ – Darauf wurde sogleich eingegangen, und so promenierte ich mit den vier Damen, bis nach und nach weitere zwei Herren dazukamen. Nun ist nur noch eine der Damen übrig, nämlich die am meisten wählerische, wie mir scheint. Sie wollte bei keinem anbeißen. Versuche nun auch du dein Heil. Du bist ja ein hübscher Junge.« – »Vielleicht sind es Grisetten!« – »Nein, sie sind von Familie und machen sich unter der Halbmaske einen Scherz. Komm! Dort an der improvisierten Pulqueschenke stehen sie.« – »Du hast doch keinen Namen genannt? Auch nicht gesagt, daß wir Brüder sind?« – »Nein. Ich habe nur von einem Freund gesprochen.« – »So werden wir ›Sie‹ zueinander sagen, um auch den letzten Faden zu durchschneiden.«
Da, wo die Straße breiter wurde, hatte sich eine imitierte Pulqueschenke etabliert. An derselben standen vier Damen und zwei Herren, die den beiden Brüdern entgegensahen.
»Señoritas und Señores, dies ist mein Freund, den ich erwartete«, sprach Emanuel sie an. »Er verspätete sich, weil er beim russischen Gesandten aufgehalten wurde.«
Diese wohlberechneten Worte gaben dem Angekommenen einen Nimbus, der nicht ohne Wirkung blieb. Man verbeugte sich ungewöhnlich tief vor ihm.
Ferdinando hatte inzwischen die Gestalt der vierten Dame mit Kenneraugen überflogen. Sie trug einen langen, fledermausartigen Mantel, der von ihrer Gestalt nichts sehen ließ, aber das Haar war prachtvoll, das Ohr klein, die Lippen zum Küssen schön und das Kinn von jener schönen Rundung, die auf einen vollen Körperbau schließen läßt, und eben jetzt, als sie sich verbeugte und ihre Lippen sich ein wenig öffneten, erblickte Ferdinando zwei Reihen kleiner Zähne, die gar nicht prächtiger gedacht werden konnten. Sein Entschluß war gefaßt; er wandte sich ausschließlich nur an sie:
»Señorita, bitte, Ihren Arm!«
Er sprach nur die vier Worte, ohne alle Phrase, aber es lag in seiner Stimme ein eigenartiger Wohlklang, dem man nicht gut widerstehen konnte.
»Sie sollen ihn haben, Señor.«
Auch ihre Stimme hatte etwas unendlich Weiches und Sympathisches an sich. Sie legte ihren Arm in den seinigen, und nun brachen die vier Paare auf.
Es wurde zunächst wacker herumgetollt, zuweilen eine Tasse Schokolade und ein Glas Wein getrunken. Die vier Paare hielten sich einzeln, aber doch immer in einer Gruppe, so daß man sie sah, aber gegenseitig keines der Zwiegespräche verstehen konnte.
Ferdinando hatte längst erkannt, daß er es mit einer ausgezeichneten Schönheit zu tun habe. Schon als sie ihm den Arm gab und er die elektrisierende Fülle und Rundung desselben fühlte, war es wie eine glückliche Ahnung über ihn gekommen. Sodann war ihm der unendlich leichte, schwebende Gang sehr bald aufgefallen, und endlich hatte er an dem Faltenwurf des Mantels bemerkt, daß dieser eine Venus verhüllen müsse.
Jetzt schritten sie hinter den anderen drei Paaren langsam dahin, leise, trauliche, abgebrochene Worte flüsternd.
»Werden Sie mir sagen, wer Sie sind?« bat sie. – »Jetzt nicht, erst dann, wenn Sie mir auch Ihren Namen nennen.« – »Vielleicht werde ich es tun, darf ich raten?« – »Ja, bitte, Señorita!« – »Sie sind adlig. Dies vermute ich an Ihrem Benehmen. Ferner sind Sie sehr reich.« – »Hm! Woraus ziehen Sie diesen Schluß?« – »Aus dem Brillantring, den ich hier fühle und immer funkeln sehe.«
Ferdinando hatte seinen rechten und ihren linken Handschuh ausgezogen, so daß sie sich jetzt barhändig führten. Dabei hatte er das kleine und doch so kräftige Händchen bewundert, das sie ihm so widerstandslos überlassen hatte.
»Wollen Sie nicht auch raten, was ich bin?« fragte sie. – »Nein.« – »Ah! So bin ich also ganz ohne Interesse für sie?« – »Nicht so, Señorita! Es ist mir, als wandle eine Fee, ein lichter Engel neben mir; das will ich glauben und diesen Traum nicht durch triviale Fragen zerstören.« – »So träumen Sie also?« fragte sie in einem Ton, der beinahe innig genannt werden konnte. – »Ja.« – »Ich hätte Sie eher für einen Mann der Tat gehalten.« – »Das bin ich auch ganz gewiß; aber sobald ein sympathisches Wesen sich an meiner Seite befindet, dann spreche ich nicht viel, dann fühle und empfinde, dann denke und träume ich lieber.« – »Gut, auch ich bin so. Kommen Sie also, und lassen Sie uns träumen.«
Damit gab sie sich und ihm eine plötzliche Schwenkung, so daß sie, ungesehen von den anderen, in ein Seitengäßchen einbogen.
»Aber, Señorita, wir verlieren die Freunde.« – »Freunde? Pah! Kommen Sie nur!«
Ihre Stimme klang halb traurig und halb hart; es lag etwas Magisches in dem Klang derselben. Sie führte ihn durch viele Straßen und Gassen langsam auf den Manzanares zu, dessen Wellen im Mondstrahl wie Silber funkelten. Dort blieb sie stehen.
»Wir wollten träumen«, sagte sie. »Das geht auf dem Wasser am besten. Können Sie rudern?« – »Ja, aber wir nehmen uns trotzdem einen Schiffer.« – »Warum?« – »Ich will heute nur Ihnen gehören, nicht aber meine Zeit dem Fahrzeug widmen.« – »Dann werden wir aber nicht allein sein.« – »Diese Leute sind aus Gewohnheit taub. Kommen Sie!«
Ferdinando führte seine schöne Begleiterin zu einem der Kähne und half ihr hinein. Sofort kam der Bootsmann herbei und griff nach den Rudern.
»Wohin?« fragte er. – »Spazieren.«
Nun wußte er, daß er nach eigenem Belieben rudern und fahren konnte. Er kannte diese Art von Leuten, die mit jeder Richtung zufrieden sind, sobald man nur nicht sieht und nicht hört, was sie tun und sprechen.
Ferdinando setzte sich neben seine Dame, und sie sagte nichts dagegen, daß er noch näher an sie heranrückte, als es eigentlich notwendig war. Gleich darauf stieß der Kahn vom Ufer.
Ja, nun träumten sie! Sie sprachen kein Wort. Ferdinando hatte ihre Hände ergriffen und bedeckte sie mit Küssen. Dann lehnte er den Kopf an ihre Schulter und träumte hinaus in die stille, helle Nacht.
Als er wieder zu ihr aufblickte, erschrak er beinahe, und doch war es eine große Seligkeit, die ihn durchzuckte, denn sie hatte die Maske abgenommen, und nun blickten ihm aus einem zauberisch schönen Angesicht zwei herrliche, beinahe phosphoreszierende Augen entgegen. Er holte ein-, zwei-, dreimal tief Atem.
»Wie schön, o wie schön!« flüsterte er. – »Bin ich wirklich so schön?« fragte sie ihn leise. – »Ja, sinnbetörend schön.« – »Und Ihr Antlitz, darf ich es nicht auch sehen?« – »Was sind meine Züge gegen Ihr Bild! Aber dennoch will ich es Ihnen zeigen.«
Auch er nahm jetzt die Maske ab, und nun schauten sie sich einander in die Augen, und diese Blicke drangen in ihre Herzen.
Er zog sie an sich, ohne zu fragen. Er drückte sie an sein Herz, sie ließ es sich gefallen; ihr Busen wogte stürmisch an seiner Brust, ihre weichen Glieder schmiegten sich zärtlich an die seinigen, ihre Blicke senkten sich in seine Augen, und ihre Lippen schwellten ihm halb geöffnet und feucht entgegen, um die Küsse zu empfangen und zu vergelten, die jetzt zwischen ihnen die einzige Sprache bildeten.
»Du bist herrlich, du bist unvergleichlich«, gestand er endlich im Liebesrausch. – »Auch du bist schön«, flüsterte sie. – »Laß uns nicht zum letzten Mal beisammen sein.« – »Und doch müssen wir scheiden«, klagte sie, »denn ich bin die Braut eines anderen.« – »Ich kämpfe mit ihm, ich töte ihn!« – »Nein.«
Dieses Nein klang so fest, so schroff und bestimmt, daß er aufblickte.
»Du liebst ihn?« fragte er. – »Nein, ich liebe ihn nicht.« – »So opferst du dich.« – »Auch nicht.« – »So weiß ich nicht, was ich denken soll.« – »Denke, wie du vorhin sagtest, daß ich eine Fee bin, die heute herniedergestiegen ist, um dir die Seligkeit aller Himmel zu zeigen und dann wieder gehen muß.« – »So wollte ich, ich verschwände mit dir.« – »Du würdest dich auf einem einsamen Schloß wiederfinden, wo weder Glück noch Liebe wohnen. Suche nie, niemals nach mir.«
Damit befahl sie dem Ruderer, wieder umzulenken und stromaufwärts zu fahren, und als er es getan, da saßen sie abermals nebeneinander, innig umschlungen und süße Worte und süße Küsse tauschend. Da kam ihnen ein Boot entgegen, in dem sich außer den Bootsführern zwei Herren und zwei Damen befanden.
Der Mond schien Ferdinando und seiner Dame hell und voll ins Gesicht.
»Lege die Maske vor«, bat er sie und tat dasselbe, sie aber schüttelte verächtlich mit dem Kopf. Sie dachte nur der süßen Regungen, die sie jetzt durchfluteten, sie dachte nicht daran, daß ihr ein Bekannter hier in diesem Boot begegnen könne.
Die anderen kamen näher, jetzt waren sie da, und eine Stimme rief:
»Donnerwetter, Hanetta, ist's wahr?«
Und eine zweite fiel sogleich ein:
»Ja, sie ist's! Sie ist in Madrid!« – »Halt, halt!« riefen dann beide Stimmen zu gleicher Zeit.
Und in demselben Augenblick ließen sie auch den Kahm umlenken.
»Um Gottes willen, fort!« bat die Ballerina. – »Es ist der Herzog Olsunna und sein Wicht! Kennst du sie?« fragte Ferdinando. – »Ja. Sie haben mich gesucht, um mich zu belästigen.« – »Sie sollen es nicht tun«, sagte er. – »Heilige Madonna, nur keinen Kampf!« – »Nein, eine Zurechtweisung. Hab keine Angst. Nimm die Maske vor.«
Ferdinando stand aufrecht im Boot und gebot, direkt an das Ufer zu steuern. Es geschah, und währenddessen schlug die Ballerina die Mantille um und legte die Maske vor.
Aber das andere Boot hatte zwei Ruderer, es erreichte das Ufer eher, wo der Herzog und Gasparino Cortejo auf die Nahenden warteten. Ferdinando bewehrte seine Faust mit dem Schlageisen.
»Halt!« rief jetzt der Herzog. »Ausgestiegen!«
Ferdinando bezahlte seinen Bootsmann und stieg mit Hanetta aus. Der Herzog und Gasparino taten desgleichen.
»Ich bitte, die Masken abzunehmen!« rief Olsunna. – »Mit welchem Recht?« fragte Ferdinando. – »Mit dem Recht der Freundschaft.« – »Mit Zudringlichen hege ich keine Freundschaft. Geht, Señores!« – »Ah! Wir verlangen diese Dame!«
Da stellte sich Ferdinando vor die Ballerina und rief:
»Holt sie Euch!« – »Gut!«
Olsunna streckte seine Rechte aus, erhielt aber sogleich einen so kräftigen Hieb auf den Kopf, daß er zusammenbrach.
»Der eine ist abgetan«, sagte der mutige Jüngling. »Und nun der andere.«
Im nächsten Augenblick hatte Gasparino Cortejo, ehe er es sich versah, einen ähnlichen Hieb, und auch er stürzte zu Boden.
»Nun kommt, Señorita, die Bahn ist frei.«
Ferdinando gab Hanetta seinen Arm und führte sie davon. Keiner der Zurückbleibenden wagte es, ihn zu belästigen.
Zunächst beeilten sie ihre Schritte, als sie aber einige Gassen hinter sich hatten, gingen sie langsamer.
»O heilige Madonna«, sagte Hanetta aufatmend, »welche Angst hatte ich!« – »Um wen?« fragte er.
Da schlang sie die Arme um ihn und drückte ihn heiß und fest an sich.
»Um dich! Aber du warst ein Held!« – »An deiner Seite wird ein jeder zum Helden!« – »Aber, Geliebter, die zwei hast du erschlagen.« – »Nein, sie sind nur ohne Besinnung. Ich kenne meinen Hieb.« – »Laß uns nach meinem Hotel eilen; obwohl ich nicht fremd hier bin, so wohne ich doch jetzt in einem solchen.« – »So komm!«
Arm in Arm erreichten sie in so kurzer Zeit das Hotel, daß Ferdinando wünschte, der Weg wäre länger gewesen.
»Wirst du nun befehlen, daß ich mich verabschiede?« fragte er, als sie vor dem Portal standen. – »Willst du denn fort?« erwiderte sie leise. – »Fort? Ich? Ich möchte jede Viertelstunde bei dir mit meinem Leben erkaufen!« – »So komm!«
Hanetta führte Ferdinando nunmehr eine breite Treppe empor, sodann einen Korridor entlang bis an eine Tür, die sie öffnete, und bat:
»Tritt ein! Hier wohne ich!«
Ferdinando sah ein fein ausgestattetes Zimmer, neben dem ein Kabinett lag.
»Geh einstweilen in das Kabinett, ich werde klingeln. Bis jetzt hat dich niemand gesehen.«
Er gehorchte. Als er nach einiger Zeit von ihr geholt wurde, fand er ein lukullisches Souper aufgetragen.
»Du hast mich deine Fee genannt«, lächelte sie. »ich muß dich also speisen und tränken, wie es Pflicht und Sitte guter Feen ist. Setz dich.« – »Welchen Platz weist du mir an?« fragte er. – »Hm! Soll ich die Wirtin sein oder die Hausfrau?«
Er erglühte vor Glück bei dieser Frage und antwortete:
»Bitte, die Hausfrau!« – »Gut, so bedienen wir einander.«
Sein Auge hing ganz trunken an ihr, und je länger das Nachtmahl währte, desto fester fühlte er sich gefangen im Bann dieser Zauberin. Der Wein goß ganze Feuerströme in seine Adern, ihre Blicke, die unwillkürliche Berührung ihrer Hände und Füße, der leise, süße Flüsterton ihrer Stimme, das Geheimnisvolle zwischen ihnen, das alles wirkte zusammen, dem jungen Grafen die Selbstbeherrschung zu rauben.
Nach dem Mahl nahm er auf dem Sofa Platz, und benommen von den reichlich genossenen schweren Weinen schlief er bald ein. Und als er am Morgen erwachte, da wußte er nicht, ob die Wirklichkeit Traum oder der Traum Wirklichkeit gewesen sei.
»Und nun bist du mein und wirst mir sagen, wer du bist!« bat er. – »Jetzt noch nicht«, entgegnete sie lächelnd. – »Wann denn?« – »Heute abend.« – »Darf ich da wiederkommen?« – »Ja, du darfst, jetzt aber geh, du lieber, lieber Herzensschatz!«
Sie umarmten sich noch heiß und innig und schieden. Ferdinando ging.
Er sah nicht, daß sie am Fenster stand und ihn so lange wie möglich mit trüben, verzehrenden Blicken verfolgte. Er sah auch nicht, daß gegenüber dem Hotel ein alter Vagabundo – Bummler – lag, den Eingang mit scharfen Blicken überwachend, und, als Ferdinando heraustrat, sich erhob und ihm folgte, um seine Wohnung und seinen Namen zu erkunden.
Emanuel hatte inzwischen seinen Bruder mit Schmerzen erwartet und bat ihn jetzt, ihm sein Abenteuer zu erzählen. Beide Brüder hatten keine Geheimnisse voreinander, und so erfuhr Emanuel alles, was Ferdinando erlebt hatte.
Der erstere schüttelte sehr ernst den Kopf.
»Mein Bruder, du hast ein sehr großes Unrecht begangen«, sagte er. – »Ich weiß es, aber siehe sie erst, und dann verurteile mich.« – »Ich verurteile dich nicht. Aber ich bitte dich, sie nicht wieder aufzusuchen!« – »Nicht? Oh, ich würde sie aufsuchen mitten unter dem Lavaregen des Vesuvs.« – »Du bist krank!« – »Ja, aber im Herzen.« – »Und du weißt wirklich noch nicht, wer sie ist?« – »Nein.« – »Du konntest im Hotel fragen.« – »Das tut kein Kavalier. Heute abend wird sie es mir freiwillig sagen.«
Emanuel gab sich alle Mühe, den Bruder anderen Sinnes zu machen, es gelang ihm jedoch nicht. Sie waren noch über diesem Thema, als der Diener den Herzog von Olsunna meldete.
Beide Brüder blickten einander auf das höchste überrascht an, hatten aber noch kein Wort sprechen können, so trat der Genannte bereits ein, verbeugte sich freundlich, reichte jedem die Hand, die auch angenommen wurde, und meinte dann, als er Platz genommen und die Brüder einen Moment forschend angeblickt hatte, in leichtem Ton:
»Ich konnte meine kurze Anwesenheit in Madrid nicht vorübergehen lassen, ohne Sie aufzusuchen, Señores, zumal ich mich nach einem ganz eigentümlichen Vorkommnis bei Ihnen erkundigen möchte. Darf ich Ihnen einige Fragen vorlegen, Don Ferdinando?«
»Immerhin«, antwortete dieser. »Natürlich aber behalte ich mir vor, ob ich zu antworten habe oder nicht.«
Der Herzog verbeugte sich zustimmend und begann:
»Sie unternahmen gestern abend eine Kahnfahrt auf dem Manzanares mit einer Dame?« – »Ja.« – »Kannten Sie diese Dame?« – »Nein.« – »Aber heute kennen Sie dieselbe?« – »Nein. So weit es sich mit der Ehre und der Diskretion eines Edelmanns verträgt, bin ich jedoch bereit, einem jeden Kavalier Auskunft zu erteilen. Ich sage Ihnen daher, daß ich erst heute abend erfahren werde, wer die Señorita ist.«
Der Herzog lächelte überlegen.
»Sie werden es heute nicht erfahren, weil sie eine Viertelstunde nach Ihrem Fortgang Madrid verlassen hat.« – »Alle Teufel!« brauste Ferdinando auf. »Ich hoffe nicht, daß Sie lügen!« – »Lügen? Pah! Einer Dirne wegen!« – »Herr! Durchlaucht!« – »Gemach, gemach! Ich kenne sie besser, als Sie sie kennen. Sie waren es, der mir gestern den Boxring an den Kopf schlug?« – »Ja.« – »Das war sehr tapfer von Ihnen. Ich werde später mit Ihnen weiter darüber sprechen. Also Sie werden Ihre Schönheit hier nicht wiederfinden; aber einen sehr großen Trost kann ich Ihnen geben, sie wird Ihnen sehr bald und in sehr intimer Weise wiederbegegnen.« – »Durchlaucht, welchen Zweck hat denn eigentlich Ihr Besuch? Den Zweck der Beleidigung?« – »Nicht im mindesten. Ich wollte nur wissen, wer mich gestern niedergeschlagen hat.« – »Und wie kamen Sie da auf mich?« – »Weil einer unserer Schiffer Ihnen heimlich bis zum Hotel folgte; ich ließ es bewachen und hörte, daß Sie herausgetreten seien. Das ist alles. Adieu, Señores!«
Der Herzog ging, und die Brüder gaben sich keine Mühe, ihn zurückzuhalten.
»Was war das? Was wollte er?« fragte Emanuel. – »Darüber zerbreche ich mir den Kopf nicht, das werden wir schon erfahren. Jetzt muß ich vor allen Dingen nach dem Hotel.« – »Sei nicht zu schnell, nimm mich mit.« – »So komm!«
Die Brüder fanden die Worte des Herzogs bald bestätigt. Die Ballerina war abgereist, ohne eine Spur zu hinterlassen. Papiere hatte sie gar nicht besessen, es fehlte also jeder Nachweis, da es Fremdenbücher nicht gab. Unverrichteter Sache kehrten sie wieder nach ihrer Wohnung zurück.
Ferdinando aber dachte an die fremde Señorita wie an einen Stern, der ihm in dunkler Nacht erschienen war, und träumte von ihr und hoffte von Tag zu Tag fester, daß er sie wiedersehen werde.