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5. Kapitel.

Weit draußen, mitten zwischen halbwilden weidenden Pferdegruppen, saßen die rauhen Vaqueros an der Erde und erzählten sich die Abenteuer ihrer jungen Herrin, die sich sehr schnell herumgesprochen hatten. Bärenherz saß schweigsam dabei. Er sagte kein Wort dazu, obgleich er alles besser und wahrer hätte erzählen können. Die beiden kamen und setzten sich mit zu den anderen, die sich nicht stören ließen, obgleich nun auch der zweite Held der Erzählung zugegen war. Dieser nahm zuweilen das Wort, und so entwickelte sich nach und nach eine jener fesselnden Unterhaltungen, die man nur beim Lagern in der Wildnis zu hören bekommt.

Da drang ein zorniges Schnauben und Röcheln in das Gespräch hinein.

»Was ist das?« fragte Helmers, der sich bei diesem Geräusch schnell umdrehte. – »Es ist der Rapphengst«, antwortete einer der Vaqueros. – »Was ist mit ihm?« – »Er soll verhungern, wenn er nicht gehorcht.« – »Verhungern? Warum?« – »Er ist unzähmbar.« – »Pah!« – »Pah? Señor, zweifelt ja nicht! Wir haben uns alle Mühe mit ihm gegeben. Wir haben ihn nun schon dreimal im Korral gehabt, um ihn zu zähmen, aber wir mußten ihn immer wieder freigeben. Er ist ein Teufel. Wir alle sind Reiter, das könnt Ihr glauben, aber alle hat er abgeworfen, außer einem.« – »Wer ist dieser eine?« – »Büffelstirn hier, der Häuptling der Mixtekas. Er allein wurde nicht abgeworfen, aber dennoch hat er ihn nicht bezwungen.« – »Unmöglich. Wer nicht abgeworfen wird, der muß doch Sieger bleiben.« – »So dachten auch wir. Aber der Teufel von einem Rapphengst ist mit ihm in das Wasser gegangen, um ihn herabzutauchen, und als dies nichts fruchtete, hat er ihn in den dichtesten Wald getragen und einfach abgestreift.« – »Donnerwetter!« rief Helmers. – »Ja«, nickte Büffelstirn. »Es ist eine Schande, aber es ist wahr. Und ich darf mich doch rühmen, daß ich schon manches Pferd totgemacht habe, das nicht gehorchen wollte.«

Der Vaquero fuhr fort:

»Es sind viele berühmte Reiter und Jäger hier auf der Estanzia gewesen, um ihre Kraft und Gewandtheit zu versuchen, aber immer vergebens. Sie alle sagen, daß es nur einen gibt, der den Hengst bezwingen kann.« – »Wer sollte das sein?« – »Das ist ein fremder Jäger da oben am Red River, der selbst den Teufel in die Hölle reiten würde. Dieser Mann ist mitten in wilde Pferdetrupps geraten und von Kopf zu Kopf über die Tiere hinweggelaufen, um sich das beste herauszuholen.«

Helmers lächelte belustigt und fragte:

»Hat er einen Namen?« – »Das versteht sich.« – »Welchen?« – »Wie er eigentlich heißt, das weiß ich nicht, aber die Roten nennen ihn Itintika, den Donnerpfeil. Es haben viele Jäger, die aus dem Norden kamen, von ihm erzählt.«

Helmers ließ es sich nicht merken, daß von ihm selbst die Rede sei, auch Bärenherz und Büffelstirn zuckten mit keiner Miene. Der erstere aber fragte:

»Wo ist das Pferd?« – »Dort hinter jener Truppe liegt es.« – »Gefesselt?« – »Natürlich!« – »Alle Teufel, das ist Unrecht.« – »Pah. Señor Arbellez hält große Stücke auf seine Pferde, aber dieses Mal hat er doch geschworen, daß der Rappe gehorchen oder verhungern soll.« – »So habt ihr ihm auch das Maul verbunden?« – »Versteht sich.« – »Zeigt mir ihn.« – »So kommt, Señor.«

Eben, als sie sich vom Boden erhoben, sahen sie den alten Arbellez mit seiner Tochter und Karja herbeigeritten kommen. Es war der gewöhnliche Inspektionsritt, den er vor der Nacht zu unternehmen pflegte. Die Vaqueros ließen sich nicht stören und führten Helmers zu dem Hengst.

Das Tier lag, an allen vieren gefesselt und mit einem Korb vor dem Maul, am Boden. Die Augen waren ihm vor Wut und Aufregung mit Blut unterlaufen, jede einzelne Ader war zum Zerplatzen geschwollen, und aus dem Maulkorb troff der Schaum in großen Flockentrauben.

»Alle Wetter, das ist ja die reine Sünde!« rief Helmers. – »Macht es anders, Señor«, meinte der Vaquero, kaltblütig die Schultern zuckend. – »Das ist Tierquälerei. Das darf man nicht leiden. Auf diese Weise wird das edelste Pferd vollständig umgebracht.«

Helmers hatte sich ganz in Ekstase hineingeredet. Da kam Arbellez mit den Mädchen an.

»Was gibt es, Señor Helmers, daß Ihr Euch so ereifert?« fragte er. – »Ihr bringt den Hengst um!« antwortete dieser. – »Das will ich auch, wenn er nicht gehorchen lernt.« – »Er wird gehorchen lernen, so aber nicht.« – »Wir haben alles vergebens versucht.« – »Gebt ihm einen tüchtigen Reiter auf den Rücken!« – »Hilft nichts!« – »Pah! Darf ich es versuchen, Señor?« – »Nein.«

Helmers sah ihn erstaunt an.

»Warum nicht?« fragte er. – »Weil mir Euer Leben zu lieb ist.« – »Pah! Ich will lieber sterben, als dieses länger mit ansehen. Ein guter Pferdemann hält das nicht aus. Also, darf ich den Rappen reiten? Bitte, Señor!«

Da drängte Emma besorgt ihr Pferd heran und bat ängstlich:

»Vater, erlaube es ihm nicht! Der Rappe ist zu gefährlich!«

Der Deutsche blickte ihr mit einem glücklichen Lächeln in das Gesicht. Ihre Angst war ihm ja ein Beweis, daß er ihr nicht gleichgültig sei, dennoch aber fragte er sehr ernst:

»Señorita, hassen Sie mich?« – »Hassen? Mein Gott, warum sollte ich das?« – »Oder verachten Sie mich?« – »Das noch viel weniger!« – »Nun, warum beleidigen Sie mich in dieser Weise? Nur ein Knabe unternimmt, was er nicht auszuführen vermag. Ich sage Ihnen, daß ich den Schwarzen ganz und gar nicht fürchte.« – »Sie kennen das Tier nicht, Señor«, mahnte Arbellez. »Es sind viele hier gewesen, die behaupten, daß nur Itintika, der Donnerpfeil, es bändigen könne.« – »Kennen Sie diesen Itintika?« – »Nein, aber er ist der beste Rastreador und Reiter, der zwischen den beiden Meeren lebt.« – »Und dennoch bitte ich um den Hengst.« – »Ich warne Sie.« – »Ich bleibe bei meiner Bitte.« – »Nun wohl, ich muß sie ihnen gewähren, denn Sie sind mein Gast, aber es tut mir leid um die Folgen. Zürnen Sie mir später nicht!«

Da stieg Emma schnell vom Pferd, trat auf Helmers zu und bat, seine Hand ergreifend:

»Señor Helmers, wollen Sie nicht doch um meinetwillen von dem Pferd ablassen? Mir ist so unendlich angst!«

Er erglühte vor Wonne, und sein Auge traf mit einem glühenden Strahl das ihrige.

»Señorita«, entgegnete er, »sprechen Sie aufrichtig: Ist es eine Ehre oder eine Schande für mich, wenn ich erst behaupte, daß ich mich nicht fürchte, und dann doch zurücktrete?«

Sie senkte den Kopf, sie sah ein, daß er recht hatte, daß er vor den anderen, die alle gute Reiter waren, nicht zurückkonnte. Darum fragte sie kleinlaut:

»Sie wollen es also wirklich wagen?« – »Oh, Señorita Emma, für mich ist das kein Wagnis!«

Helmers blickte dem schönen Mädchen dabei mit einer so offenen, heiteren Zuversichtlichkeit in die Augen, daß es zurücktrat und an die Möglichkeit des Gelingens glaubte.

»Wohlan, nun gilt's!«

Mit diesen Worten trat er an den Hengst heran und wies die Vaqueros zurück, die ihm helfen wollten, die Fesseln abzunehmen. Das Tier wälzte sich noch immer schnaubend und stöhnend am Boden. Helmers nahm ihm den Korb ab und zog das Messer. Nur das Ende eines Lassos war dem Pferd um das Maul gebunden. Der Deutsche nahm diesen Riemen in die Linke, schnitt mit dem Messer die Fesseln erst der Hinter-, dann auch der Vorderbeine durch und saß, als der Rappe emporschnellte, wie angegossen auf dessen Rücken.

Jetzt begann ein Kampf zwischen Reiter und Pferd, wie ihn noch keiner der sich vorsichtig zurückziehenden Zuschauer gesehen hatte. Der Hengst ging vorn und hinten in die Höhe, bockte zur Seite, schlug und biß, warf sich zu Boden, wälzte sich, sprang wieder empor – immer blieb der Reiter über ihm. Es war zunächst ein Kampf der menschlichen Intelligenz gegen die Widerspenstigkeit eines wilden Tieres, dann aber wurde es ein Kampf allein der menschlichen Muskeln gegen die tierische Kraft. Das Pferd schwitzte förmlich Schaum, es schnaubte nicht, sondern es grunzte, stöhnte, es strengte den letzten Rest seines Willens an, aber der eisenfeste Reiter gab nicht nach, mit stählernem Schenkeldruck preßte er das Pferd zusammen, daß diesem der Atem auszugehen drohte, und nun erhob es sich zum letzten Mal mit allen vieren in die Luft, dann – schoß es davon, über Stock und Stein, über Graben und Büsche, daß man es mit seinem Reiter in einer halben Minute nicht mehr erblickte.

»Donnerwetter, so etwas habe ich noch nicht gesehen!« gestand Arbellez. – »Er wird den Hals brechen«, sagte einer der Vaqueros. – »Nun nicht mehr«, meinte ein anderer. »Er hat gesiegt.« – »Oh, war es mir angst!« gestand Emma. »Aber ich glaube nun wirklich, daß keine Gefahr mehr vorhanden ist. Nicht war, Vater?« – »Sei ruhig. Wer so fest sitzt und solche Stärke zeigt, der stürzt nun nicht mehr herab. Das war ja gerade, als ob Teufel gegen Teufel kämpften. Ich glaube, dieser Itintika könnte es auch nicht besser machen.«

Da trat Büffelstirn heran und sagte:

»Nein, Señor, er kann es nicht besser machen, sondern nur ganz genauso.« – »Wieso? Ich verstehe nicht.« – »Dieser Señor Helmers ist ja Itintika, der Donnerpfeil.« – »Was?« fuhr Arbellez auf. »Er? Der Donnerpfeil?« – »Ja. Fragt hier den Häuptling der Apachen.«

Arbellez richtete einen fragenden Blick auf den Genannten.

»Ja, er ist es«, sagte dieser einfach. – »Ja, wenn ich das wußte, so hätte ich keine solche Angst ausgestanden«, erklärte der Haziendero. »Es war mir wahrhaftig so, als ob ich selbst auf dem Tier säße.«

Emma blickte still vor sich hin, aber in ihrem Auge brannte ein glückliches, inniges Feuer. Helmers hatte recht gehabt, er konnte nicht zurück, es hatte sich um seine Ehre gehandelt, und nun wußte sie, daß er ein noch viel größerer Held sei, als sie bisher gedacht hatte.

Voller Erwartung blieben alle halten, und keiner ging von dem Platz fort. So verfloß eine Viertelstunde, da kehrte Helmers zurück. Der Rapphengst war zum Zusammenbrechen müde, aber der Reiter saß lächelnd und frisch auf seinem Rücken. Emma ritt ihm entgegen.

»Señor, ich danke Euch!« sagte sie.

Ein anderer hätte gefragt. »Wofür?« Er aber verstand sie und lächelte ihr glücklich zu.

»Nun, Señor Arbellez«, fragte er, »braucht es denn gerade wirklich dieser Itintika zu sein?« – »Natürlich!« – »Na, ich denke, wir können ihn entbehren, denn ich kann es auch.« – »Weil Ihr es seid, ja.« – »Aha, so ist mein Geheimnis verraten!« lachte er. – »Und das Inkognito des Fürsten der Savanne ist zu Ende«, fügte Emma hinzu.

Es wurde ihm von allen Seiten die lauteste Bewunderung zuteil, er aber wehrte alle Lobeserhebungen ab und sagte:

»Ich bin noch nicht fertig. Darf ich Sie auf Ihrem Ritt begleiten, Señor Arbellez?« – »Ist das Pferd nicht zu müde?« – »Es muß, ich will es so.« – »Gut, so kommt!«

Sie ritten nun die weiten Plätze ab, auf denen Pferde, Rinder, Maultiere, Schafe und Ziegen weideten, und kehrten dann nach Hause zurück, wo der Rapphengst angepflockt wurde.


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