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8. Kapitel.

Wenn es einen gab, dessen Beifall die Verlobung Helmers' mit der Mexikanerin nicht ganz hatte, so war dies Bärenherz, der Häuptling der Apachen. Er hatte den Deutschen sehr liebgewonnen, wenn er es sich bei seiner schweigsamen Natur auch nicht merken ließ, und geglaubt, noch lange Zeit mit ihm durch Wald und Prärie streifen zu können, und nun mußte er diese Hoffnung aufgeben. Darum fühlte er sich unmutig und vereinsamt. Er fing sich also eines der halbwilden Pferde, setzte sich darauf und jagte in die Welt hinaus.

Dort trieb er sich einige Stunden lang im tollen Jagen herum, bis er endlich doch daran dachte, daß man ihn vermissen und suchen werde, und kehrte zurück. Dabei suchte er sich aber nicht etwa den geradesten und bequemsten Weg aus, sondern folgte den Tälern, Schluchten und Gründen, wie sie ihm gerade in die Richtung kamen, bis er, in einer Vertiefung reitend, plötzlich Stimmen vernahm. Gleich darauf ertönte ein Schuß und ein Schrei.

Ein solches Vorkommnis war verdächtig, besonders aber einem vorsichtigen Indianer. Er stieg also ab, band sein Pferd an, griff zur Büchse und pirschte sich vorsichtig der Gegend zu, wo der Schuß gefallen war. Es war nicht weit. Er kroch eine Böschung empor, deren Höhe mit wilder Myrte besetzt war. Als er diese Büsche erreichte, erblickte er zwischen diesen hindurch ein kleines, aber tiefes Tälchen, in dem sich um ein abgebranntes Feuer herum achtzehn Männer und zwei Leichen befanden. Dabei lagen eine Menge Kisten. Säcke und Packsattel auf einem Haufen. Einer der Männer hatte ein Pistol in der Hand, das er lud.

»Es bleibt dabei«, sagte er, »wer widerspricht, der wird einfach erschossen!« – »Werden uns die Schüsse nicht verraten?« fragte ein anderer schüchtern. – »Schwachkopf, wer wird sich an uns wagen!«

Bärenherz verstand das Gemisch von Spanisch und Indianisch, das an der Grenze gesprochen wird, sehr gut, diese Leute hier aber redeten rein Spanisch, das er nicht verstand. Er hielt sie für eine Jagdtruppe, deren Mitglieder untereinander in Streit geraten waren und auf sich geschossen hatten. Das kommt in Mexiko häufig vor, ohne daß es groß beachtet wird. Er zog sich also leise wieder zurück, bestieg sein Pferd und ritt nach der Estanzia.

Dort hatte man ihn allerdings vermißt, und als er anlangte, mußte er sofort an der Tafel erscheinen, wo er keine Zeit fand, der Begegnung mit den Fremden zu gedenken.

Der Freudentag verlief ungestört, zumal sich der Graf ganz und gar nicht sehen ließ; doch ermüdet die Freude den Menschen ebenso wie der Schmerz, und man legte sich zeitig schlafen.

Nun erst verließ der Graf sein Zimmer und ging zu den Olivenbäumen, wo er die Indianerin bereits seiner wartend fand. Nicht die Sehnsucht der Liebe führte ihn zu ihr, aber er mußte ihr Vertrauen wenigstens so lange aufrechterhalten, bis er den Schatz gehoben hatte. Er heuchelte also Zuneigung und Zärtlichkeit, suchte aber so bald wie möglich von ihr fortzukommen.

»Warum willst du schon gehen?« fragte sie ihn. – »Weil ich einen Ausflug nach der Höhle des Schatzes unternehme.« – »Willst du ihn jetzt schon holen?« – »Nein. Ich will nur sehen, ob er wirklich noch da ist.« – »Er ist noch da. Mein Bruder hat ihn vor kurzem erst gesehen.« – »Ich muß mich dennoch selbst überzeugen. Diese Sache ist ja zu wichtig für mich.« – »Wann kommst du wieder?« – »Noch vor Abend.« – »So schlafe wohl!«

Karja umschlang den Grafen, küßte ihn zum Abschied und ging dann fort. Er folgte langsam. Als er sein Zimmer erreichte, waren bereits seine beiden Diener beschäftigt, diejenigen seiner Sachen einzupacken, die er mitzunehmen hatte. Es war nicht viel, und darum kamen sie bald zu Ende damit.

»Tragt es leise hinab und sattelt die Pferde. Draußen bei der großen Zeder treffen wir uns!« gebot er den Leuten, darauf ging er hinab, um langsam voranzuschreiten. Dabei bemerkte er ein helles Licht, das aus dem Fenster von Emmas Schlafzimmer drang. Ah, das war die Braut, die schöne, die ihn verschmäht hatte! War vielleicht der Bräutigam bei ihr? Er mußte das wissen; die Eifersucht packte ihn. Er wußte, daß an den Palisaden mehrere lange, starke Stangen lagen. Er holte eine derselben, lehnte sich an die Mauer und kletterte daran in die Höhe. Sie war so lang, daß er neben das offene Fenster kam und in das Zimmer sehen konnte.

Da erblickte er Emma, die ihm in diesem Augenblick so bezaubernd schön erschien, daß er nicht widerstehen konnte, sondern den Fuß auf die Fensterbrüstung setzte und sich in das Gemach hineinschwang. Sie hörte das Geräusch, drehte sich um und stieß einen Schrei des Schrecks aus.

»Was wollen Sie?« fragte sie entsetzt. – »Liebe!« stammelte er, völlig berauscht von ihrem Anblick.

Ihr Auge blitzte auf. In ihrem Zimmer befand sich zwar keine Waffe, aber sie war mutig und entschlossen.

»Liebe?« fragte sie. »Nicht Liebe sollst du finden, aber Verachtung und Blut!«

Mit einem schnellen Griff riß sie ihm das Messer aus dem Gürtel, zückte es gegen ihn und gebot:

»Augenblicklich verlassen Sie mich wieder!« – »Dich verlassen, du Herrliche?« erwiderte er. »Nein, nein, und tausendmal nein!«

Er griff zu und faßte ihr Handgelenk, so daß sie nicht stechen konnte. Sie rangen nun um den Besitz des Messers. Er war stärker als sie, aber die Verzweiflung gab ihr Kraft genug, den Griff der Waffe festzuhalten. Er hatte den anderen Arm um sie geschlungen und drückte sie an sich. Sie fühlte seinen Atem und seine Küsse, sie erkannte, daß sie unterliegen müsse, wenn sie aus Scham länger schwiege, da rief sie um Hilfe, ein-, zwei-, dreimal.

Gleich darauf nahte draußen ein schneller, leichter Schritt.

»Um Gottes willen, was rufst du?« erklang die Stimme der Indianerin, deren Wohnung neben derjenigen Emmas lag und die also den Hilferuf zuerst gehört hatte.

Der Graf drückte Emma fester an sich und versuchte, ihr den Mund zuzuhalten, es gelang aber nicht.

»Rufe die Leute herbei, der Graf hat mich überfallen! Schnell, schnell!« – »Der Graf? Ah!«

Karja klingte an der Tür, fand sie aber verschlossen. Eine lange Minute verging, dann hörte man die leichten Füße Karjas zurückkehren; ein Schuß krachte, und die Tür flog auf. Wie der Engel der Rache stand die Indianerin vor derselben, die rauchende Büchse noch in der Hand. Sie hatte das Schloß mit der Kugel geöffnet.

»Lügner! Treuloser!« rief sie.

Graf Alfonzo ließ jetzt Emma los; als er aber sah, daß die Büchse nur einen Lauf hatte, lachte er und wollte das Mädchen wieder packen; da aber faßte ihn die Indianerin und schleuderte ihn mit solcher Gewalt gegen die Wand, daß er zu Boden sank. Zugleich ertönten laute Stimmen. Man hatte den Schuß gehört und eilte herbei.

Da sprang der Graf, der seiner Sinne kaum mächtig gewesen war und erst jetzt wieder zu sich kam, auf den Fensterstock zurück, faßte die Stange und ließ sich hinab. Einen Augenblick später hörten ihn die beiden Mädchen mit noch mehreren Pferden fortgaloppieren.

»Heilige Madonna, wer schießt, was gibt es hier oben?« erschallte die Stimme des Hazienderos, der mit der Dienerschaft herbeigeeilt kam.

Zu gleicher Zeit ertönte in der Ferne ein Schuß und noch einer, worauf zwei Schreie erfolgten.

»Gott, Gott, was ist das?« fragte Arbellez, der jetzt eintrat. – »Der Graf überfiel mich, Vater.« – »Der Graf? Was wollte er? Hattest du denn nicht zugeschlossen?« – »Er kam durch das Fenster.« – »Durch das Fenster? Wie ein Dieb? O mein Gott! Und wer schoß dann?« – »Ich!« erwiderte die Indianerin mit bleichen Lippen. »Ich hätte ihn erschossen, wenn ich zwei Läufe gehabt hätte. Ich holte die Büchse aus dem Waffenschrank.« – »Ah! Und wer schoß da unten?« – »Ich weiß es nicht.« – »Zieht euch an, Kinder, und kommt in den Saal. Das muß besprochen werden.«

Nach kurzer Zeit waren sämtliche Bewohner des Hauses versammelt; auch Bärenherz trat ein. Er hatte zwei noch blutende Skalpe am Gürtel hängen.

»Was ist das?« fragte der Haziendero schaudernd. – »Zwei Kopfhäute«, antwortete der Indianer einfach. – »Woher?« – »Ich konnte noch nicht schlafen und ging hinaus in die Nacht. Da hörte ich meine weiße Schwester um Hilfe rufen. Ich war weit fort, aber das Fenster war offen, und ich vernahm es. Ich eilte herbei und sah einen Mann davonspringen, dem ich nachsetzte. Zwei andere warteten auf ihn. Sie ritten davon. Ich erhob mein Gewehr. Es war sehr dunkel, aber ich schoß zwei von den Pferden und nahm ihre Skalpe. Es sind die Diener des Grafen.« – »So ist er entkommen?« – »Ja.« – »Und die Unschuldigen sind erschossen.« – »Pshaw! Wer mit dem Grafen reitet, ist nicht unschuldig.«

Mit diesen Worten verließ der Apache das Zimmer, kehrte aber sofort wieder um und fragte:

»Wo ist Donnerpfeil, mein weißer Bruder?« – »Ja, wo ist Señor Helmers, daß er nicht kommt, wo sein Schutz nötig ist?« fragte Arbellez. – »Er ist fort«, antwortete Emma. – »Fort? Wohin?« – »Mit Tecalto.« – »Wohin, frage ich!« sagte Arbellez ängstlich. – »Ich darf es nicht sagen.« – »Mit meinem Bruder? Wirklich?« erkundigte sich die Indianerin. – »Ja. Er sagte es.«

Der Apache schüttelte den Kopf.

»Meine weiße Schwester mag ihre Lippen öffnen«, versetzte er. »Was will der Graf in ihrem Wigwam? Nicht weit von hier lagen viele böse Weiße mit Sätteln, Kisten und Säcken, auch waren Tote dabei. Und meine tapferen Brüder sind fort. Das ist eine große Gefahr. Meine Schwester mag ja sprechen.« – »Aber er hat es mir verboten.« – »So hat er nicht gewußt, was geschieht, wenn er fort ist.« – »O Gott, so rede doch«, drängte der Estanziero. »Er befindet sich in Lebensgefahr!« – »So muß ich reden. Er wird es mir verzeihen. Er ist mit Tecalto nach dem Schatz der Könige.« – »Nach dem Schatz der Könige?« fragte Karja erschrocken. – »Ja.« – »Und der Graf ist auch hin. Und Männer waren in der Nähe mit Säcken und Kisten?« – »Ja«, antwortete der Apache. – »Wie viele?« – »Zweimal fünf und acht.« – »Oh, das ist Gefahr, das ist Gefahr!« rief da die Indianerin. »Der Graf, der Lügner, der Verräter, will den Schatz der Könige stehlen. Er wird Señor Helmers und meinen Bruder dort finden und sie töten. Señor Arbellez, blast in das Nothorn. Laßt Eure Vaqueros und Ciboleros kommen. Sie müssen nach der Höhle des Schatzes, um die zwei zu retten!«

Jetzt gab es einen Wirrwarr von Fragen und Antworten, bei dem nur der Apache seine Ruhe behauptete. Er hörte die einzelnen Fragen und Entgegnungen und sagte:

»Wer weiß, wo die Höhle liegt?« – »Ich«, antwortete Karja. »Ich werde euch führen!« – »Kann man reiten?« – »Ja.« – »So gebt mir dieses Mädchen und zehn Ciboleros und Vaqueros mit. – »Ich gehe auch mit!« rief Arbellez. – »Nein!« entschied der Apache. »Wer soll die Hazienda schützen? Man rufe alle Männer und gebe mir zehn von ihnen. Die anderen beschützen die Hazienda.«

Dabei blieb es. Der Haziendero stieß in das Horn, und auf dieses Zeichen kamen die Wächter der Herden und sonstige Bedienstete herbeigesprengt. Der Apache suchte sich zehn von ihnen aus; sie wurden bewaffnet. Auch Karja stieg zu Pferde; dann ritten sie ab, während die anderen, gut Wache haltend, zurückblieben. Die Verwirrung war schuld, daß bis zum Abreiten der kleinen Truppe doch eine ziemliche Zeit vergangen war.


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