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30. Kapitel.

»Ich sah dich, hingegossen
Auf üppig weichem Samt,
Von gold'nem Licht umflossen,
Von Liebesglut entflammt.
Die heißen Blicke lockten
Mich hin zur süßen Ruh'
Und meine Pulse stockten,
So schön, so schön warst du.

Ich sah Granaten blühen
In deines Haares Pracht,
Sah deine Augen glühen
Wie Sterne in der Nacht.
An deinen Busen sank ich,
Vor Glück bald bleich, bald rot;
Von deinen Lippen trank ich
Das Leben und ... den Tod!«

Endlich nahte der Tag, wo die Tänzerin wieder aufzutreten hatte. Das Haus war ausverkauft; Cortejo und der Herzog wollten, wie gewöhnlich, sie hinter der Szene aufsuchen, wurden aber abgewiesen. Graf Manfredo de Rodriganda war an seinem Platz.

Der Vorhang hob sich, und die Ballerina erschien. Gleich bei der ersten Verbeugung, mit der sie das Publikum begrüßte, warf sie einen hellen, zündenden Blick nach dem Platz hinüber, an dem der Graf saß. Dieser fühlte den Blick, der ihm das Blut aufwühlte, er fühlte auch, daß er bereits erkannt und durchschaut sei.

Er hatte abermals nur Augen für diese Künstlerin. Die Bewegungen ihrer sinnberückenden Gestalt gruben sich wie Schlangen in seine Seele ein; er wäre am liebsten hinabgesprungen zu ihr auf die Bühne, um sie vor aller Welt zu umarmen und diesen tausend Augen zu entreißen, die trunken an ihrer Schönheit hingen.

Endlich sollte der letzte Aufzug zu Ende gehen. Die Tänzerin sollte in den Wolken verschwinden. Schon hob sie die Schwingen, die sie als Engel trug, schon schwebte sie einige Fuß über der Erde da – war es etwas an der Mechanik, oder trug sie selbst die Schuld – wankte sie und stürzte herb, zwar nicht hoch, aber scheinbar so unglücklich, daß sie sich nicht erheben konnte.

Ein fürchterlicher Tumult erhob sich im Zuschauerraum. Der Vorhang fiel sofort, die Ballerina wurde nach ihrer Garderobe getragen, und der Theaterarzt beeilte sich, ihre Verletzung zu untersuchen. Eben eilte auch der Direktor herbei, als sich die Treppentür öffnete und ein ihm unbekannter Herr hereingestürzt kam.

»Wo ist Señorita Valdez?« fragte derselbe kurz und gebieterisch. – »Jedenfalls in guten Händen. Was wollen Sie?« – »Ich muß zu ihr!« – »Das geht nicht!«

Da richtete sich der Fremde stolz empor und fragte:

»Wer will es mir verbieten?« – »Ich bin der Direktor.« – »Gut, und ich bin Graf de Rodriganda, Vizekönig von Indien.«

Da riß es die Gestalt des Direktors zur tiefsten Referenz zusammen.

»Ah, Exzellenz, das ist etwas anderes«, rief er. »Folgen Sie mir!«

Er führte den Grafen darauf bis zur Garderobentür, warf einen Blick durch dieselbe und sagte:

»Die Señorita ist wieder bei Besinnung. Treten Sie ein.«

Als der Graf den kleinen, aber luxuriös eingerichteten Raum betrat, zuckte ein Blitz der Genugtuung über das Gesicht der Ballerina. Niemand ahnte, daß sie mit Fleiß gestürzt sei, um durch diesen Fall den reichen Anbeter in Aufregung zu versetzen und dadurch zu einem Schritt zu verleiten, der nicht wieder zurückgetan werden konnte.

»Mein Gott«, rief sie, »wer ist der Fremde? Man lasse mich doch allein!«

Der Arzt wandte sich um und sah den Grafen.

»Mein Herr«, sagte er streng. »Hier gibt es zunächst nur Zutritt für mich.« – »Ich bin Graf Manfredo de Rodriganda und bleibe!« erwiderte der Abgewiesene kurz. »Hat Señorita Valdez sich gefährlich verletzt?«

Der Arzt schlug, da er den Namen gehört hatte, einen anderen Ton an:

»Eine äußere Verletzung hat nicht stattgefunden; ob eine innere vorliegt, muß sich erst noch zeigen.« – »So bitte ich, die Señorita mir zu überlassen!«

Der Arzt warf einen fragenden Blick auf die Tänzerin, und da diese durch einen leichten Niederschlag ihrer Wimpern ihre Zustimmung gab, so sagte er:

»Ich stimme bei, da ich überzeugt bin, sie in guten Händen zu wissen.«

Er ging, und nun war der Graf mit der Tänzerin allein.

»Señorita, Sie kennen mich?« fragte er. – »Ja«, antwortete sie mit einem verschämten, aber unendlich reizenden Aufschlag ihrer Lider. – »Warum wollten Sie mich hinausweisen?« – »Exzellenz, das galt nicht Ihnen, sondern dem Direktor, der hinter Ihnen eintreten wollte«, entschuldigte sie sich. – »Werden Sie sich erheben können?« – »Wohl schwerlich.« – »So gestatten Sie mir, Sorge zu tragen, daß Sie schmerzlos nach Ihrer Wohnung gebracht werden, Señorita.« – »Ich gebe mich gern unter Ihre Obhut.«

Der Graf eilte hinaus, und bald wurde die Tänzerin von einigen Theaterdienern in des Grafen eigene Equipage gehoben, die mit ihr im Schritt davonfuhr. Die Diener folgten, um sie vor der Tür ihrer Wohnung wieder auf die Arme zu nehmen und nach ihrem Schlafzimmer zu tragen. Der Graf war auf das zärtlichste besorgt für sie. Er saß, als die Fremden fort waren, bei ihr, um auf seinen eigenen Arzt zu warten, nach dem er gesandt hatte.

Im Vorzimmer aber wachte Alimpo mit seiner Elvira.

»Hat sie etwas gebrochen?« fragte das Mädchen leise. – »Leider nein«, antwortete er. – »Alimpo, du bist recht grausam und gefühllos.« – »Nein, aber ich sehe, was Wahrheit und was Komödie ist.« – »Was, du denkst, sie spielt Komödie mit solchen Schmerzen?« – »Schmerzen? Pah!« – »Ich habe es ja gesehen.« – »Aber nicht gefühlt, meine gute Elvira.« – »Hast du nicht die Gesichter gesehen, die sie vor Schmerzen schnitt?« – »Das kann ein jeder, ich auch. Sie ist gar nicht gestürzt.« – »Was denn sonst? Alle sagen, daß sie aus der Luft herabgestürzt sei!« – »Nein, sie ist nicht gestürzt, sondern sie hat sich gestürzt, sie hat sich recht sanft und behutsam drei Fuß hoch herabgleiten lassen. Ich habe es deutlich gesehen. Sie brachte das sehr täuschend fertig, denn sie ist eine Schauspielerin.« – »Denkst du das wirklich, Alimpo?« – »Ich bin überzeugt davon, daß sie damit den Grafen fangen wollte. Nun hat sie ihn und wird Gräfin de Rodriganda.« – »Mein Gott, eine Tänzerin!« – »So etwas soll öfters vorkommen.« – »Was werden die beiden jungen Herren sagen?« – »Das ist es ja, was mich so erzürnt. Ich habe beide herzlich lieb, ich habe mit ihnen Unterricht genossen, ich weiß, was sie in dieser Sache denken und fühlen werden. Ich sage dir, meine gute Elvira, die tausend Teufel, die diese Tänzerin im Leib hat, wird sie nun bald auf Rodriganda auslassen.« – »Da möchte ich nicht dabeisein.« – »Warum nicht? Der Graf will für uns sorgen. Jetzt ist er vor Liebe ganz selig, und wenn er mir eine Stellung bietet, über die ich mich freuen kann, so nehme ich sie an, ohne nach den tausend Teufeln zu fragen, die mich nichts kümmern.«

In diesem Augenblick hatte es da drinnen im Schlafzimmer allerdings nicht das Aussehen, als ob die Ballerina tausend Teufel im Leib habe. Sie lag vielmehr so ergeben und geduldig auf ihrem weichen Bett, als wolle sie einem Maler zum Bild der personifizierten Sanftmut sitzen oder liegen. Elvira hatte sie vorhin umkleiden müssen, und nun ruhte sie, nur in das feine, weiße Negligé gehüllt, mit müde geschlossenen Augen.

Der Graf hielt eine ihrer Hände in der seinigen und verwandte keinen Blick von ihr. Er hatte noch kein anderes, als nur notwendiges Wort mit ihr gesprochen und horchte nur zuweilen nach der Tür hin, ob sich nichts vernehmen lasse.

Da endlich erklangen halblaute, schnelle Schritte, und sein Hausarzt trat ein. Er wußte bereits von der Anwesenheit des Grafen und zeigte sich also nicht verwundert darüber. Er hatte in kurzer Zeit die Kranke untersucht und riet schulterzuckend zur möglichsten Ruhe und Schonung, verschrieb auch ein Medikament, das nichts schadete, er erkannte wohl, daß die Patientin vollständig rüstig sei, hielt es aber nicht für seine Aufgabe, dies zu äußern.

Als er sich entfernt hatte, bog der Graf sich zu der Ballerina nieder und fragte:

»Macht Ihnen das Hören Schmerzen, Señorita?« – »Nein«, lispelte sie. – »So darf ich sprechen?«

Sie nickte müde und fuhr sich mit der feinen Hand nach der Stirn.

Seine Hand bebte leise in der ihrigen; sie fühlte es und freute sich darüber.

»Sie wissen«, fragte er, »von wem die Buketts waren, die Sie jetzt täglich des Morgens erhielten?« – »Ja.« – »Sie wußten auch, wer Ihnen den Schmuck sandte?« – »Ich ahnte es.« – »Woher, Señorita?« – »Ich hatte Sie in der Vorstellung gesehen und mich nach der Farbe Ihrer Livree erkundigt.« – »Ah«, sagte er glücklich, »da mußten Sie also meinen guten Alimpo sofort erkennen. Zürnten Sie mir?«

Sie versuchte ein leises, mildes Lächeln und antwortete:

»Im Gegenteil, Don Manfredo.« – »Sie freuten sich also?« – »Ja.« – »Ich höre, daß Sie sogar meinen Rufnamen wissen.«

Ein glückliches Lächeln umspielte ihre Lippen.

»Sind Sie mir bös«, fragte er weiter, »daß der Schreck und die Angst meines Herzens mich heute zu Ihnen hinter die Szene trieben?«

Sie schüttelte den Kopf und erwiderte:

»Nein, das war nur ritterlich.« – »Ja, Ihr Ritter möchte ich sein, jetzt, stets, allezeit, für das ganze Leben.«

Die Tänzerin schloß die Augen, als müsse die Seligkeit, die sie über seine Worte empfand, vor jeder profanen Berührung mit der äußeren Sinneswelt bewahrt werden.

»Und darf ich heute bei Ihnen wachen, Señorita?« – »O nein«, hauchte sie, aber ein schneller Augenaufschlag bat ihn gerade um das Gegenteil. »Was würde man dazu sagen?« – »Oh, man sollte nur ein einziges Wort wagen!« drohte er. – »Ich bin müde«, lispelte sie, ihre Hand aus der seinigen ziehend und nun beide Hände wie zum Nachtgebet faltend.

»Schlafen Sie! Ich bleibe!«

Der Sturz schien sie ganz widerstandslos gemacht zu haben. Sie sprach nicht mehr, und bald verkündigten ihre leisen, ruhigen Atemzüge, daß sie eingeschlafen sei.

Und nun saß der Graf während der ganzen langen, einsamen Nacht neben ihr, während die Ampel ihren purpurnen, verklärenden Schein über das Lager warf.

Nur mit Mühe vermochte sich der Graf endlich von dem bezaubernden Anblick der Ballerina loszureißen, um sich leise zu erheben und in das Vorzimmer zu treten. Er hatte gar nicht wieder daran gedacht, daß er Alimpo befohlen, dort zu wachen, und daß der Arzt auch Elvira gebeten, in der Nähe ihrer Herrin zu bleiben.

Da saßen nun beide auf dem Sofa, im tiefen Schlaf aneinandergeschmiegt. Ihre ehrlichen, treuen Gesichter machten einen guten, vertrauenerweckenden Eindruck, und der Graf murmelte vor sich hin:

»Sie lieben sich, sie sollen glücklich sein, so wie ich glücklich bin.«

Dann ließ er sich wieder neben dem Lager der Tänzerin nieder und wachte bis zum Morgen, wo eine Bewegung der Ballerina andeutete, daß sie ausgeschlafen habe.

Der Graf hatte freilich nicht bemerkt, daß sie ihn bereits seit einiger Zeit unter den Wimpern hervor beobachtete.

Endlich öffnete sie langsam die Augen.

Es hatte den Anschein, als besinne sie sich zunächst gar nicht auf das Geschehene, bis ihr Blick den seinen traf und sie nun mit einem leisen Schrei zusammenfuhr.

»Mein Gott, Graf, Sie noch hier?« fragte sie erstaunt. – »Ich hielt es für meine Pflicht, bei Ihnen zu wachen«, antwortete er lächelnd. – »Oh, mein Leben und meine Gesundheit sind doch nicht so kostbar!« – »Versündigen Sie sich nicht an der Gottheit, Señorita!« warnte er. »Sie haben Gaben erhalten, die eine jede zur Fürstin, zur Königin machen.«

Da legte sie sich auf die Seite, stemmte den Kopf in die Hand, blickte ihn fest und fast finster an und entgegnete:

»Pah, eine Tänzerin!« – »Aber dennoch wert, eine Königin zu sein!« behauptete er. – »Wagt es ein Herr, bei einer Königin zu wachen, Don Manfredo?« fragte sie. »Er wagt es nur bei der Ballerina!«

Ihr Auge leuchtete dabei in einem eigentümlich drohenden Feuer.

»Tat ich Ihnen unrecht, Señorita?« fragte er leise. – »Ja. Ich bat Sie, mich zu verlassen.« – »Ich konnte unmöglich gehorchen.« – »Warum nicht?« – »Fragen Sie einen Seligen, warum er nicht aus dem Himmel will!« – »Und dennoch werden Sie diesen Himmel verlassen!« – »Niemals!« – »Sind Sie denn dieses Himmels würdig?«

Bei dieser Frage richtete die Tänzerin einen Blick auf ihn, dessen Hingebung ihn trunken machte.

»Prüfen Sie mich!« bat er.

Jetzt lagerte sich ein tiefer Ernst über ihr morgen frisches Gesicht.

»Prüfen?« fragte sie. »Ich Sie? Das Weib ist schwach, es lebt nur für die Liebe, aber der Mann ist stark. Prüfen Sie sich selbst, ob Sie würdig sind.«

Da kniete er vor ihr nieder, faßte ihre beiden Hände und erwiderte:

»Ich bin es, Señorita.« – »Beweisen Sie es!« – »Ich will diesen Himmel nicht geschenkt haben; ich will mir ihn nicht erbetteln, sondern erringen und erkaufen.« – »Wodurch?« – »Dadurch, daß ich Ihnen alles zu Füßen lege, was ich bin und was ich habe.« – »Auch die Grafenkrone?« fragte sie mit ungläubiger Miene, indem ihr Herz im geheimen vor Erwartung bebte. – »Auch die Grafenkrone!«

Da entzog sie ihm ihre Hände und machte eine Bewegung, als ob sie ihn von sich stoßen wolle.

»Gehen Sie, Graf!« – »Wie, Sie glauben mir nicht?« fragte er erregt. – »Nein. Ich glaube keinem Mann.« – »So lernten Sie noch niemals einen Mann kennen, Señorita!«

Nun erhob sie sich aus der liegenden in die sitzende Stellung, und ihre Augen blickten ihn blitzend an, um aber nach und nach einen schwärmerischen, ja begeisterten Ausdruck anzunehmen.

»Ja«, sagte sie, »Sie haben recht, Graf; ich lernte noch nie einen Mann kennen. Und warum? Weil es keinen gibt! Oh, auch ich habe geträumt und geschwärmt von dem alten Bild des Efeus um die Eiche; auch ich habe mich nach einem Starken, Treuen gesehnt, an dessen Brust mein Herz seine Pulse klopfen lassen dürfe, und ich habe nicht nach Reichtum, Schönheit und Stellung geblickt; ich wollte nur einen Mann, nichts als einen Mann, dessen Haupt ich bewahren könnte vor Sorge und Kummer. Pah, was habe ich gefunden!« – »Señorita, suchen Sie noch! Sie werden einen Mann finden!« – »Sie meinen sich?« – »Ja.« – »Wie wollen Sie beweisen, daß Sie wirklich derjenige sind, den ich suche?« – »Indem ich Sie an mein Herz nehme und nimmer davon lasse; indem ich Sie im Triumph nach Rodriganda führe und meinen Vorfahren anreihe; indem ich Sie von der Bühne hinweg bis hinauf zu den höchsten Stufen des Thrones geleite, indem ich für Sie wage, opfere und vollbringe, alles, was ein Großer der Erde für das Weib seiner Wahl und Liebe nur zu tun vermag.« – »Weib sagen Sie?« – »Ja.« – »Und Ihre beiden Söhne?« – »Diese werden Sie anbeten, ganz so wie ich.« – »Fast möchte ich Vertrauen fassen. In meinem Herzen wohnt ein ganzes Meer von Glück und Liebe, fast möchte ich es wagen für das, was Sie mir versprachen.« – »Tun Sie es, Señorita!« bat er. – »Nun wohl, Sie sind kein Knabe mehr, sondern ein Mann, der mit dem Leben gerungen hat. Ich will mich prüfen, ob ich Ihnen vertrauen kann. Gehen Sie jetzt und kommen Sie heute abend wieder.«

Die Tänzerin erhob sich und schob ihn nach der Tür zu; dabei aber kam es, daß sie einen Augenblick an seiner Brust ruhte. Schnell legte er die Arme um sie, und als er die weichen Formen in seinen Armen erbeben fühlte, drückte er seine Lippen auf ihren Mund mit einer Wonne, um derentwillen er für dieses herrliche Wesen sofort hätte in den Tod gehen mögen. Dann aber schob sie ihn sanft zur Tür hinaus.


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