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Hatte schon der Sturz der Ballerina gestern bedeutendes Aufsehen erregt, so wurde dieses Aufsehen geradezu verzehnfacht durch die Nachricht, daß Graf Manfredo Rodriganda, der Vizekönig von Indien, die Tänzerin in seiner eigenen Equipage habe nach Hause fahren lassen. Heute früh nun verbreitete sich gar die Kunde, daß er die ganze Nacht bei ihr zugebracht habe, und so war es gar nicht zu verwundern, daß bereits vor der gewöhnlichen Visitenstunde ein Mann vor ihrer Wohnung aus dem Wagen sprang, dem diese Gerüchte nicht gleichgültig sein konnten – der Herzog von Olsunna.
Er eilte in förmlicher Hast die Treppe hinan, und als Elvira hineinging, um ihn anzumelden, wartete er gar nicht, bis das Mädchen wieder zurückkehrte, sondern trat sofort ein.
Er fand die Ballerina angekleidet auf der Ottomane sitzen.
»Hanetta!« rief er, die Arme ausbreitend. – »Eusebio!« antwortete sie, ziemlich kalt, beinahe ironisch. – »Was, du fliegst mir nicht entgegen?« fragte er. – »Nein«, antwortete sie sehr ernsthaft. – »Nicht? Was habe ich dir getan?« – »Nichts, mein Lieber.« – »Aber einen Grund muß es doch haben!« – »Allerdings!« – »Darf man ihn erfahren?« – »Gewiß. Ich fliege dir heute nicht entgegen, weil ich gestern während der Vorstellung erfahren habe, wie gefährlich das Fliegen ist.« – »Gut, so werde ich mir erlauben, an dein Herz zu fliegen!« – »O bitte, lassen wir lieber alles Fliegen!« wehrte sie ihn ab. – »Aber weshalb auf einmal so kalt, Hanetta? Tod und Teufel, so ist es wirklich wahr, was die Leute reden?« – »Was reden sie?« – »Daß du nach dem Grafen Rodriganda angelst!« – »Hm! Oder er nach mir. Du weißt, mein lieber Eusebio, daß ich nie nötig habe, die Angel auszuwerfen!« – »Ja, eine verdammte Hexe bist du«, lachte er gepreßt. »Also du gibst zu, daß etwas Wahres an dem Gerücht ist?« – »Ja, ich gebe es zu.« – »Donnerwetter! So hole der Teufel den Rodriganda!« – »Ich wünsche ihm im Gegenteil alles Gute, weil er es ehrlich mit mir meint.« – »So! Meine ich es etwa nicht ehrlich und gut mit dir? Ich liebe dich zum Rasendwerden und bin zu jedem Opfer bereit.« – »Nun gut, so heirate mich!«
Der Herzog blickte sie groß an und rief:
»Dummheit!« – »Ah, du hältst also eine Heirat zwischen uns für eine Dummheit?« – »Natürlich! Verlange, was du willst von mir, nur das nicht! Übrigens weißt du ja selbst ebensogut wie ich, daß eine Tänzerin in unseren Kreisen eine Unmöglichkeit ist.« – »Ich werde dir das Gegenteil beweisen. Graf Rodriganda würde mich heiraten.« – »Unsinn!« – »Ich versichere es dir! Er, der Vizekönig!« – »Abermals Unsinn!« – »Und wenn ich dir nun sage, daß er mir bereits den Antrag gemacht hat?« – »Ich glaube es nicht!« – »Er hat sich für heute abend meine Antwort erbeten.« – »So ist er einfach ein Tor!« – »Nein, er ist sehr bei Sinnen. Er trägt eine große, wirkliche Liebe im Herzen, deren Gegenstand ich bin. Leider aber möchte ich um seinetwillen wünschen, daß ich einer solchen Liebe würdiger wäre.« – »Na, siehst du!« – »Ich will aufrichtig sein: Er ist ein alter Mann, keiner kommt aus Indien zurück, ohne durch Beulen und dergleichen Schaden an seinem Körper gelitten zu haben; er ist kein Mann für ein schönes, junges Weib. Wolltest auch du mich heiraten, so hätte ich die Wahl zwischen euch beiden, und ich würde dich wählen.« – »Sehr schmeichelhaft«, nickte der Herzog zornig. »So aber wählst du ihn?« – »Höchstwahrscheinlich. Kannst du es mir verdenken, Eusebio?« – »Hm, eigentlich nicht, wenn ich gerecht sein will. Aber was wird aus mir?«
Sie lachte und meinte: »Was aus dir wird? Du bleibst natürlich Herzog von Olsunna.« – »Das ist ein schlechter Witz, an dem mir nichts liegt. Du bist das schönste Weib, das ich je gesehen habe; wir sind gute Kameraden gewesen bisher, und das soll nun auf einmal aufhören?« – »Wer sagt denn, daß es aufhören soll?« – »Na, wenn du den Rodriganda nimmst!« – »So kommst du nach Rodriganda, wenn du dich einmal nach mir sehnst.«
Der Herzog sprang auf und holte tief Atem.
»Ah, ist das dein Ernst, Hanetta?« fragte er. – »Das versteht sich!« – »Gib mir einen Kuß darauf!« – »Zehn anstatt nur einen!« – »Hurra, nun ist alles wieder gut«, jubelte er. – »Also sind wir einig, nun, so geh jetzt, Eusebio!« – »Gehen? Donnerwetter! Warum?« – »Weil ich jetzt sehr ehrbar sein muß. Verstehst du?« – »Hm, ja. Ich will dir gehorchen. Lebe wohl, Hanetta!« – »Lebe wohl, mein Eusebio!«
Auch Henrico Cortejo wäre gern am Vormittag zu der Ballerina gekommen, um sie zur Rede zu stellen. Er hatte gestern nicht zu ihr hinter die Szene gedurft. War es da ein Wunder, daß in ihm bei der Erinnerung an seine Unterredung mit ihr, deren Gegenstand der Graf gewesen war, die Eifersucht in ihrer ganzen Gewalt erwachte, als er erfuhr, daß Graf Rodriganda mit ihr gefahren und während der ganzen Nacht bei ihr gewesen sei?
Aber er hatte heute eine sehr dringende Konferenz mit Manfredo, und so mußte er warten, bis diese vorüber war, zumal es unter den gegenwärtigen Verhältnissen die Vorsicht gebot, sich sehr in acht zu nehmen, daß er nicht mit dem Grafen bei ihr zusammentraf.
Endlich war er frei, aber erst als er sich genau überzeugt hatte, daß der Graf noch für einige Stunden beschäftigt sei, machte er sich zu der Ballerina auf den Weg.
Hanetta empfing ihn mit großer Zärtlichkeit. Wie schon angegeben, war er zwar kein Jüngling mehr, aber ein sehr schöner Mann, und die Ballerina liebte ihn wirklich.
»Ich habe dich erwartet«, sagte sie, indem sie sich innig an ihn schmiegte. – »Wie kommt das?« fragte er ernst, beinahe finster. – »Weil ich dich liebe. Welchen anderen Grund sollte es sonst wohl haben?« – »Und gestern wiesest du mich fort!« – »Ich mußte, weil mich die Klugheit dazu zwang.« – »So habe ich also recht gehört? So ist es also aus mit der Treue, die du mir tausendmal zugeschworen hast?« – »Nein, Henrico, auf meine Treue kannst du stets bauen«, sagte sie, indem sie ihn wiederholt küßte. – »Das reime sich der Teufel zusammen. Mir schwörst du Treue, und diesem alten Rodriganda gewährst du sogar in der Nacht Audienz.« – »Ah, du bist eifersüchtig?« lachte sie. – »Ja, allerdings.« – »Wirklich? Ah, das ist köstlich!«
Jetzt lachte sie so herzlich und ausgelassen, daß er fast Miene machte, mit einzustimmen, aber er beherrschte sich und zürnte:
»Ich denke doch nicht, daß ich es bin, über den du dich lustig machst, Hanetta?« – »Das fällt mir gar nicht ein.« – »Über wen sonst?« – »Über keinen Menschen. Aber ich sage dir, daß dieser Rodriganda während der ganzen Nacht an meinem Lager gesessen wie eine barmherzige Schwester und keinen Blick von mir verwandt hat, denn er hielt mich für todkrank. Heute morgen allerdings hat er mich doch noch umarmt und geküßt.« – »Der Schurke!« brauste Cortejo auf. – »Warum Schurke?« – »Weil du mein bist!« – »Beweise es!« – »Hast du es mir nicht viele hundert Mal geschworen?« – »Ja, und ich werde mein Wort auch halten. Aber wer sagt denn, daß ich ganz ausschließlich dein sein kann?« – »Ah, das heißt, du liebst andere neben mir?« – »So meine ich das nicht. Aber erlaube mir eine Frage: Willst du etwa mich zur Frau nehmen?« – »O verdammt, wenn ich nur könnte!« knirschte er. »So ein entzückendes Wesen und solche Einkünfte als Ballerina. Ich würfe mein Amt sofort unter die Lumpen.« – »Nun, so sei also ruhig und unparteiisch, Henrico.« – »Der Teufel mag das sein«, zürnte er. – »Aber anhören mußt du mich doch! Du hast ein Weib, eine kranke, elende Frau, die vielleicht nicht lange mehr leben wird, aber du hast sie doch. Es ist also ungerecht, mich an dich zu binden.« – »So willst du wohl gar los von mir?« – »Nein. Ich liebe dich wie vorher; aber ich denke, wenn ich mir einen alten, schwächlichen Mann nehmen würde, so könntest du nichts sagen, denn dann wären unsere Chancen gleich. Rechne dazu noch, daß dieser alte Mann der Graf de Rodriganda ist, so wirst du sofort erkennen, wie viele und große Vorteile für dich daraus entspringen müssen.« – »Ah, es soll also aus dem damaligen Spaß wirklich Ernst werden?« – »Wahrscheinlich!« – »Hattest du denn damals bereits eine Ahnung?« – »Er schickte mir an jenem Abend einen kostbaren Schmuck.« – »Donner und Doria, ist das möglich?« – »Ja. Er war zum ersten Mal im Ballett gewesen, und ich hatte ihn da gleich so hingerissen, daß er direkt vom Theater zum Juwelier gegangen ist, um mir den Schmuck zu kaufen.« – »Ist das Geschenk bedeutend?« – »Es hat einen Wert von fünfzehntausend Duros; ich habe es taxieren lassen.« – »Alle Wetter! So ist es ihm Ernst?« – »Gewiß.« – »Und dir?« – »Henrico, könntest du mich zum Weib nehmen, oh, wie gern würde ich die Deine! Da dies aber nicht der Fall ist, so wäre ich die größte Törin, wollte ich den Mann abweisen, der Graf, Vizekönig, hundertfacher Millionär und – ein alter Mann ist, der wohl nicht mehr lange zu leben hat.« – »Ah, du rechnest gut.« – »Je leidenschaftlicher du bist, desto nüchterner muß ich handeln.«
Henrico Cortejo schritt einige Mal in dem Zimmer hin und her, dann blieb er vor ihr stehen und fragte:
»Du liebst mich also wirklich. Hanetta?« – »Von ganzem Herzen«, versicherte sie, ihn küssend. »Wahr und treu.« – »Diesen Grafen aber liebst du nicht?« – »Nicht im mindesten.« – »Es ist nur der Reichtum und die Machtstellung, die dich veranlaßt, ihm deine Hand zu geben?« – »Nur das allein.« – »Du wirst auch als Gräfin mich lieben und mir treu sein?« – »Gerade so wie jetzt.« – »Gut, so will ich dich nicht halten. Nimm ihn! Ich weiß, daß von deiner Macht und von deinem Besitz auch einige Körner auf mich herabfallen werden. Wann gedenkst du ihm dein Jawort zu geben?« – »Heute abend.« – »So nimm ihn fest, daß er nicht weichen kann.« – »Sorge dich nicht um mich! Aber dich muß ich warnen. Der Graf weiß, daß du bei mir verkehrtest. Sein Diener verriet es mir.« – »Alimpo?« – »Ja. Rodriganda ahnt natürlich, daß uns ein inniges Verhältnis verbindet; diese Meinung müssen wir ihm nehmen.« – »Auf welche Weise?« – »Indem wir ihn wissen lassen, daß du nur zweimal, und zwar in Gesellschaft, bei mir gewesen bist, als man bei mir wie gewöhnlich eine kleine Bank legte.« – »Gut.« – »Übrigens versteht es sich ganz von selbst, daß wir uns weiter nicht kennen.« – »Einverstanden.« – »Später werden wir uns in den neuen Verhältnissen orientiert haben, und dann kann es nicht schwer sein, Zeit und Ort zu finden, wo und wann wir sicher sind. Jetzt aber geh, Henrico, man könnte uns beobachten.«
Auch Cortejo gehorchte. Sie nahmen einen innigen Abschied, und dann ging er, um dieses Zimmer nicht wieder zu betreten.
Jetzt war das schöne Weib entschlossen, für seine Reize eine Grafschaft einzutauschen.