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6. Kapitel.

Als Karja, die Indianerin, sich nach ihrem Zimmer begab und an der Tür des Grafen vorüberging, öffnete sich diese, und Graf Alfonzo trat für einen Augenblick heraus.

»Karja«, fragte er, »kann ich dich heute sprechen?« – »Wann?« fragte sie. – »Zwei Stunden vor Mitternacht.« – »Wo?« – »Unter den Ölbäumen am Bach.« – »Ich komme!«

Als der Abend hereingebrochen war, versammelte man sich im Speisesaal, wo ein großartiges Souper aufgetragen wurde. Auch die beiden Indianerhäuptlinge waren anwesend, der Graf jedoch ließ sich nicht sehen. Er hatte sich bereits nach den Ölbäumen geschlichen, in deren Nähe das Wasser so vertraulich rauschte. Um die angegebene Zeit kam die Indianerin. Er umschlang sie und zog sie zu sich nieder. Sie zeigte sich schweigsamer als bisher.

»Was hast du, Karja?« fragte er. »Liebst du mich nicht mehr?« – »O doch, obgleich ich dich nicht mehr lieben sollte«, erwiderte sie. »Freust du dich etwa nicht, daß ich gerettet worden bin?« – »Ah! Wie kommst du auf diesen Gedanken?« – »Hättest du sonst meine Retter beleidigt?« – »Sie gehören hinaus auf die Weide, nicht aber in die Estanzia.«

Die Indianerin schüttelte den schönen Kopf.

»Du bist nicht edel, Alfonzo.« – »O doch, aber ich hasse alles Häßliche.« – »Ist dieser Donnerpfeil etwa häßlich?« – »Donnerpfeil? Der große Reiter und Rastreador? Den habe ich ja noch gar nicht gesehen.« – »Du hast ihn allerdings gesehen. Es ist Helmers.« – »Verdammt! Nun begreife ich auch die Forderung.« – »Wirst du dich mit ihm schlagen?« – »Fällt mir nicht ein. Er ist mir nicht ebenbürtig!«

Die Indianerin liebte Alfonzo, und sie hatte Angst um ihn, darum sagte sie:

»Daran tust du recht, du wärest sonst verloren.«

Es ist nicht angenehm für einen Mann, von der Geliebten zu hören, daß sie einen anderen für stärker und tapferer hält. Er antwortete daher:

»Du täuschst dich. Sahst du mich einmal schießen oder fechten?« – »Nein.« – »Nun, so kannst du auch nicht über mich urteilen. Ein Ritter, ein Graf muß ja in solchen Dingen jedem Jäger überlegen sein. Du wirst mich erst kennenlernen, wenn ich dich zu meiner Gemahlin erhoben habe.« – »Oh, das wird nie geschehen!« – »Warum zweifelst du?« – »O Alfonzo, ich möchte dir ja so gern glauben. Ich liebe dich, und wir würden glücklich sein.« – »Ja, wir werden es, und ob früher oder später, das kommt ganz auf dich an, mein süßes Herz. Kennst du nicht die Bedingung, die ich dir gesagt habe?« – »Sie ist hart, denn sie verlangt, daß ich meinen Schwur breche, daß ich zur Verräterin an meinem Volk werde.« – »Der Schwur bindet dich nicht, da du ihn als Kind gabst und dein Volk kein Volk mehr ist. Wenn du mich liebst und die meinige werden willst, so ist nur mein Volk das deinige. Ich bin jetzt nach der Hacienda del Erina gekommen, um mir Gewißheit zu holen. Muß ich auch dieses Mal ohne dich abreisen, so gehe ich nach Spanien, und wir sind getrennt für immer.« – »Du bist grausam.« – »Nein, ich bin nur vorsichtig. Ein Herz, das kein Opfer zu bringen vermag, kann nicht wirklich lieben.« – »Oh«, rief Karja, ihn umschlingend, »ich liebe dich ja unendlich! Glaube es mir doch!« – »So beweise es mir!« – »Muß es wirklich sein?« – »Ja. Wir brauchen die Schätze der Königshöhle, um dem Vaterland einen neuen Herrscher zu geben. Und die erste Tat dieses Herrschers wird sein, dich in den Adelsstand zu erheben, damit du Gräfin Rodriganda werden kannst.« – »Das wird wirklich geschehen?« – »Ich schwöre es dir zum tausendsten Mal.« – »Und du wirst meinem Bruder niemals verraten, daß ich es war, die dir das Geheimnis mitteilte?« – »Niemals. Er wird gar nicht erfahren, wer die Schätze gehoben hat.«

Alfonzo fühlte die Indianerin nachgiebig werden, und seine Brust schwoll vor Entzücken. Er heuchelte ihr nur Liebe, um ihr das Geheimnis zu entlocken, und hätte ihr jetzt alles, alles versprochen, um sie nur zum Reden zu bringen.

»Nun gut, du sollst erfahren, wo sich der Königsschatz befindet. Aber nur unter der Bedingung, daß ich dir erst am Tag unserer Verlobung das Geheimnis offenbare.« – »Das geht nicht«, sagte er enttäuscht. »Du erhältst den Adel nur nach der Entdeckung des Schatzes, und eher darf den Gesetzen des Landes gemäß unsere Verlobung nicht stattfinden.« – »Ist dies wirklich wahr?« fragte sie.

Alfonzo umschlang sie, drückte sie an sich und küßte sie zärtlich auf die schwellenden Lippen. – »Es ist so, glaube es mir doch, meine liebe, liebe Karja. Du weißt ja, daß ich ohne dich nicht leben kann! Du bist zwar ein Fürstenkind, aber das gilt nach spanischen Gesetzen nicht als Adel. Meinem Herzen bist du teuer und ebenbürtig, vor der Welt aber ist dies anders. Magst du mir denn nicht vertrauen, mein Leben?« – »Ja, du sollst es erfahren«, erwiderte Karja, deren Widerstand unter seinen Zärtlichkeiten zusammenschmolz. »Aber dennoch wirst du mir eine ganz kleine Bedingung erlauben. Gib mir vorher eine Schrift, in der du bekennst, daß ich gegen Überantwortung des Schatzes deine Frau werden soll.«

Diese Bedingung war Alfonzo höchst fatal; aber sollte er jetzt, so nahe am Ziel, einer Albernheit wegen zaudern? Nein. Diese Indianerin war nicht die Person, mit einigen geschriebenen Worten irgendwelche Ansprüche rechtfertigen zu können; darum antwortete er bereitwillig:

»Gern, sehr gern, meine Karja! Ich tue ja damit nur das, was ich selbst von ganzem Herzen wünsche. Also sag, wo liegen die Schätze?« – »Erst die Schrift, lieber Alfonzo!« – »Schön. Ich werde sie bis morgen mittag anfertigen.« – »Und dein Siegel darunter setzen?« – »Jawohl!« – »So werde ich dir am Abend den Ort beschreiben.« – »Warum erst am Abend? Die Schrift ist ja bereits am Mittag fertig. Darf ich da zu dir kommen?« – »Nein. Ich muß jeden Augenblick gewärtig sein, daß Emma oder eine der Dienerinnen mich aufsucht. Man könnte uns leicht überraschen.« – »So kommst du zu mir?« – »Ich zu dir?« fragte sie zögernd. – »Fürchtest du dich?« – »Nein. Ich werde kommen.« – »Ich kann mich darauf verlassen?« – »Ja, gewiß!«

Da zog er Karja abermals an sich und küßte sie, obgleich ihm diese Zärtlichkeit eine gewisse Überwindung kostete. Sein Herz war zwar weit, aber eine Indianerin war doch nicht nach seinem Geschmack. Er liebte – wenigstens für jetzt – eine andere, und diese andere war Emma Arbellez, deretwegen er so oft von Mexiko nach der Hazienda kam, Emma Arbellez, die ihn doch stets so kalt und schroff zurückwies und ihm noch heute ihre Verachtung in so deutlichen Ausdrücken zu verstehen gegeben hatte.

Während Alfonzo und die Indianerin unter den Oliven saßen, führte Helmers den Häuptling Tecalto nach seinem Lagerplatz im Gras der Weide. Er war seit langer Zeit die freie Gottesnacht gewöhnt und wollte, ehe er sich im Zimmer schlafen legte, noch eine Lunge voll frischer Luft sammeln. Darum ging er, als er sich von dem Häuptling verabschiedet hatte, noch nicht in die Hazienda zurück, sondern trat in den Blumengarten, wo er sich am Rand des künstlichen Bassins niederließ, in dem eine Fontäne ihren belebenden Wasserstrahl in die Höhe schoß.

Er hatte noch nicht lange hier gesessen, als er leise Schritte hörte. Gleich daraufkam eine weibliche Gestalt langsam den Gang dahergeschritten und gerade auf die Fontäne zu. Er erkannte Emma und erhob sich, um nicht vielleicht für einen Lauscher gehalten zu werden. Sie erblickte ihn und zauderte, weiterzugehen.

»Bitte, Señorita, treten Sie getrost näher«, bat er. »Ich werde mich sogleich entfernen, um Sie nicht zu stören.« – »Ach, Sie sind es, Señor Helmers«, antwortete sie. »Ich glaubte, daß es ein anderer sei, und dachte, Sie hätten sich bereits zur Ruhe begeben.« – »Das Zimmer ist mir noch zu unbequem und drückend; man muß sich erst daran gewöhnen!« – »Es ging mir ganz ebenso, darum suchte ich vorher noch den Garten auf.« – »So genießen Sie den Abend ungestört. Gute Nacht, Señorita.«

Helmers wollte sich zurückziehen, sie aber nahm ihn bei der Hand, um ihn zurückzuhalten.

»Bleiben Sie, wenn es Ihnen Bedürfnis ist«, sagte sie. »Unser Gott hat Luft und Duft und Sterne genug für uns beide. Sie stören mich nicht.«

Er gehorchte und nahm neben ihr am Rand des Bassins Platz.

Unterdessen hatte sich der Häuptling der Mixtekas hart an der Gartenpalisade niedergelegt. Er blickte träumerisch gen Himmel und ließ seine Phantasie hinaufsteigen in jene ewigen Welten, wo die Sonnen rollen, die von seinen Ahnen verehrt worden waren. Dabei aber hatte er doch Sinn für das kleinste Geräusch seiner Umgebung.

Da war es ihm, als ob er im Innern des Blumengartens leise Schritte und dann auch unterdrückte Stimmen vernehme. Er wußte, daß der Graf sich bemühte, so oft wie möglich in die Nähe seiner Schwester Karja zu kommen, und ebenso, daß diese dem Bestreben des Grafen keinen Widerstand entgegensetzte. Sein Argwohn erwachte. Weder der Graf noch Karja waren seit einer Stunde in der Hazienda zu sehen gewesen. Sollten sie ein Stelldichein im Garten verabredet haben? Er mußte das erfahren, das war notwendig für ihn und sie.

Er erhob sich also und schwang sich mit echt indianischer Leichtigkeit über die Palisaden in den Garten hinüber. Dort legte er sich auf den Boden und schlich mit solcher Unhörbarkeit näher, daß selbst das geschärfte, jetzt aber in Sicherheit gewiegte Ohr des Deutschen nichts vernahm. So erreichte er unbemerkt die andere Seite des Bassins und konnte nun jedes Wort der Unterhaltung verstehen.

»Señor, ich sollte Ihnen eigentlich zürnen«, sagte Emma soeben. – »Warum?« – »Weil Sie mir heute so große Angst verursacht haben.« – »Wegen des Pferdes?« – »Ja.« – »Sie haben sich umsonst geängstigt, denn ich habe Pferde gebändigt, die noch viel schlimmer waren. Der Rappe ist nun so fromm, daß ihn jede Dame unbesorgt reiten kann.« – »Ein Gutes hat der Vorgang doch gehabt, nämlich, daß Sie Ihr Inkognito aufgegeben haben, Sie eitler Mann!« – »Oh«, lachte er, »eine eigentliche Eitelkeit war es nicht. Man muß zuweilen vorsichtig sein. Gerade dadurch, daß man mich für einen ganz gewöhnlichen und ungeübten Jäger hielt, habe ich oft die größten Vorteile errungen.« – »Aber mir konnten Sie es doch wenigstens offenbaren. Sie hatten mir ja bereits ein viel größeres Geheimnis anvertraut.« – »Ein Geheimnis, das für mich wohl niemals einen Wert haben wird. Ich werde die Höhle des Königsschatzes niemals entdecken, obgleich ich mich hier in der Nähe desselben befinden muß.« – »Ah, woraus schließen Sie das?« – »Aus der Bildung der Berge und dem Lauf des Wassers. Die Gegend, die wir zuletzt durchritten, stimmt ganz genau mit einem Teil meiner Karte.« – »So haben Sie ja einen Anhalt gefunden und können weitersuchen.« – »Es fragt sich sehr, ob ich das tue. Ich bin nämlich im Zweifel, ob ich ein Recht dazu habe.« – »Sie hätten doch jedenfalls das Recht des Finders. Ich überschätze den Wert des Goldes keinesfalls, aber ich weiß doch auch, daß der Besitz desselben vieles gewährt, wonach Tausende vergeblich streben. Suchen Sie, Señor! Es sollte mich freuen, wenn Sie die Höhle fänden!« – »Ja, die Macht des Goldes ist groß«, sagte er nachdenklich, »ich habe in der Heimat einen armen Bruder, dessen Glück ich vielleicht machen könnte. Aber wem gehört der Schatz? Doch wohl den Nachkommen derer, die ihn versteckten.« – »Wissen Sie nicht, von wem Ihre Karte stammt?« – »Von einem Jäger, wie ich Ihnen bereits sagte. Er war verwundet und starb, ehe er mir die notwendigen mündlichen Aufklärungen geben konnte.« – »Und es steht kein Name darauf?« – »Nein. In der einen Ecke befindet sich ein rätselhaftes Zeichen, das ich nicht zu erklären vermag. Ja, ich nehme es mir vor, ich werde suchen. Aber wenn ich den Schatz wirklich finden sollte, so werde ich ihn nicht berühren, sondern nach den rechtlichen Besitzern desselben suchen. Sollten diese nicht zu finden sein, so ist es noch immer Zeit, sich zu entschließen.« – »Señor, Sie sind ein Ehrenmann«, sagte die Mexikanerin warm. – »Ich tue nur, was ich muß, und unterlasse alles Unrecht.« – »Ihr Bruder ist also arm?« – »Ja. Er ist ein Seemann, der es wohl nie zur Selbständigkeit bringen kann, so lange er auf seine eigene Kraft angewiesen ist, und ich selbst besitze nur eine kleine Summe, die ich aus dem Ertrag meiner Jagdstreifereien gelöst habe.« – »Sie besitzen mehr! Sollte ein ›Donnerpfeil‹ wirklich so arm sein? Gibt es nicht Reichtümer, die mit dem Besitz des Goldes nichts zu tun haben?« – »Ja, es gibt solche Schätze. Ich kenne einen solchen Schatz, der kostbarer ist, als alles Gold der Erde, und hätte ich tausend Leben, so würde ich sie alle opfern, um nach dem Besitz dieses Schatzes ringen zu dürfen. Ja, Señorita, ich bin Itintika, der Donnerpfeil; ich gehöre zu den gefürchtetsten Pfadfindern der Wildnis. Der Bösewicht zittert vor mir, mag er nun eine weiße oder eine rote Haut tragen. Ich bin an Gefahren gewöhnt, aber um diesen Schatz zu erobern, würde ich mit allen Weißen und Indianern des Westlandes kämpfen.« – »Darf man diesen Schatz kennenlernen?« – »Soll ich ihn nennen?« fragte er leise.

In seiner Stimme klang jene unbeschreibliche Modulation, die nur eine Folge echter, wahrer Liebe ist. Dieser Ton fand Widerhall in ihrem Herzen. Sie antwortete:

»Sagen Sie es!« – »Sie – Sie sind es!« sprach er da, indem er ihre Hand ergriff. »Glauben Sie das?« – »Ja, ich glaube es!« erwiderte sie einfach und innig. »Klingt das nicht wie eine Anmaßung, Señor? Aber es ist die Wahrheit, denn auch ich fühle es, daß man ein Menschenherz höher schätzen kann als alle Reichtümer dieser Erde! Ich selbst kenne ja auch einen solchen Schatz.«

Es durchzitterte ihn in süßer, wonniger Ahnung bei diesen Worten, und er fragte:

»Welcher Schatz ist es, Señorita?« – »Sie sind es – nein, du bist es, Antonio!«

Bei diesen Worten schlang sie die Arme um seinen Nacken und legte das Köpfchen an seine Brust.

»Ist's wahr, ist's möglich?« fragte er. – »Ja. Ich habe dich bewundert von dem Augenblick an, wo du meine Fesseln zerschnittest und mich mit starker Hand auf dein Pferd schwangst, und ich habe dich geliebt von dem Augenblick an, wo ich dir in dein gutes, treues Auge blicken konnte. Ich bin dein, du starker, du guter, du lieber Mann, und jeder Moment meines Lebens soll nur dir allein gewidmet sein.«

Da legte auch er seine Arme um sie und flüsterte fast betend:

»Herrgott, ich danke dir! Das ist des Glücks fast zu viel für einen armen Jägersmann.«

Ihre Lippen suchten sich, und als sie sich in einem langen, seligen Kuß fanden, da hörten sie beide nicht, daß sich an der anderen Seite des Bassins etwas zu bewegen begann. Es war Mokaschimotak, der Häuptling Büffelstirn, der sich an die Palisaden zurückschlich, um sich über dieselben hinüberzuschwingen und sich zur Ruhe zu legen.


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