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Als Don Manfredo des Abends kam, lag Hanetta zwar nicht mehr nieder, doch sie sah noch immer sehr angegriffen von dem gestrigen Sturz aus; aber diese feine, leidende Blässe, durch die doch das Rot des Lebens schimmerte, machte sie so reizend, daß der Graf fast seine vorgenommene Zurückhaltung vergessen und sie geküßt hätte.
Sie begrüßte ihn mit einem matten, aber freundlichen Lächeln und bot ihm einen Sitz ganz in ihrer Nähe an.
»Sie haben sich noch nicht völlig erholt?« fragte er. – »Nicht ganz. Ich werde einige Zeit der Zurückgezogenheit bedürfen.« – »So säumen Sie nicht, Señorita. Die Gesundheit ist ein köstliches Gut, und es gibt Leute, denen die Ihrige doppelt teuer ist.«
Da richtete sie einen ihrer unbeschreiblichen Blicke auf ihn und fragte:
»Welchen Ort halten Sie für vorteilhaft zur körperlichen Erholung für eine einfache und einsame Dame, mein lieber Don Manfredo?«
Bei diesen in einem liebevollen Ton gesprochenen Worten zog es wie heller Sonnenschein über sein Gesicht, und er antwortete:
»Oh, meine teure Señorita, welcher Ort könnte da wohl besser gelegen sein, als mein Stammschloß Rodriganda.« – »Ich kenne es nicht.« – »Es liegt bei Manresa, am Wald, und doch wieder in solcher Nähe von mehreren Städten, daß man Stadt- und Landleben zu gleicher Zeit genießt.« – »Und diesen schönen Ort stellen Sie mir zur Verfügung?« – »Oh, wenn Sie dieses Anerbieten annehmen wollten!« – »Ich will!« sagte sie mit strahlendem Lächeln und streckte ihm die Hand entgegen, die er ergriff und feurig an seine Lippen führte. – »Ist das genug?« fragte sie. – »Señorita, mit der Erhörung steigt der Mut. Soll ich Sie nur als Gast nach Rodriganda bringen, oder ...«
Er stockte doch; dieses Glück schien ihm zu groß zu sein.
»Nun, oder ...?« fragte sie in ermunterndem Ton. – »Oder als meine Braut, die dann mein angebetetes Weib werden will?«
Er blickte ihr erwartungsvoll in die Augen; sie hielt diesen Blick aus und entgegnete:
»Manfredo, ich will dir vertrauen. Nimm mich hin, aber mache mich nicht unglücklich!« – »Unglücklich?« rief er. »Lieber will ich tausend Tode sterben, ehe ich dir das geringste Weh bereite, du Herrliche! Aber ist es wahr, ist es wirklich wahr?« – »Ja«, flüsterte sie verschämt, indem sie ihren Kopf an seiner Schulter barg. – »So habe Dank, viel tausend, tausendmal. Du sollst diese Stunde nie bereuen, sondern den Himmel auf Erden haben, so weit Menschenhände ihn bereiten können. Aber ich fühle mich durch dich so unendlich glücklich, daß ich auch andere glücklich machen muß. Erlaubst du mir, meine Hanetta?« – »Gern«, lächelt sie. »Aber wen?« – »Meinen Diener und dein Mädchen.« – »Ah«, fragte sie verwundert, »diese kennen einander?« – »Sie sind beide in Rodriganda geboren und haben sich zufälligerweise hier wiedergefunden. Darf ich sie holen?« – »Sind sie da?« – »Ich wette, sie stecken miteinander in dem kleinen Zimmerchen da drüben.« – »Ich sehe, daß du hier bei mir ebensogut Bescheid weißt als ich. Komm, laß uns einmal nachsehen.« – »Leise!« bat der glückliche Mann. »Vielleicht überraschen wir sie.«
Sie schlichen sich hinaus auf den Korridor und öffneten dann plötzlich die Tür zu dem Stübchen. Richtig, da saß Alimpo mit seiner Elvira eng umschlungen, Seite an Seite, und es schien, als seien sie gerade bei einem herzhaften Kuß gestört worden. Sie erschraken fürchterlich und sprangen empor.
»Hallo, was treibt ihr denn hier für Allotria!« sagte der Graf in einem scheinbar ernsten Ton. – »Oh, Exzellenz, Sie wissen ja...!« stotterte Juan Alimpo. – »Was weiß ich denn?« – »Nun, daß diese hier – daß sie ...« – »Na, was denn?« – »Daß sie die Elvira ist.« – »Aber was geht denn dich das an?« – »Exzellenz, ich meine, daß – daß dies – daß dies meine Elvira ist!« – »Aber was sagt denn nun die Elvira dazu?«
Diese war schnell entschlossen. Sie machte einen sehr resoluten Knicks und erwiderte:
»Exzellenz, Herr Graf, dieser hier ist mein Juan Alimpo.« – »So seid ihr also einig?« – »Ganz und gar.« – »Und eure Eltern?« – »Wir haben keine, ich nicht und er nicht.« – »So habt ihr also niemand zu fragen. Aber, was werdet ihr denn nun miteinander beginnen?«
Das brave Mädchen lachte im ganzen Gesicht und entgegnete: »Das überlassen wir dem Herrn Grafen.« – »Mir?« fragte er verwundert. – »Ja. Weil Exzellenz meinem Alimpo versprochen haben, für uns zu sorgen, wenn – wenn – wenn – ich Ihnen gefalle.« – »Ach so! Und du meinst nun, daß du mir gefällst?«
Elvira blickte verschämt zu Boden und antwortete nicht.
»Nun, so antworte doch!« drängte der jetzt zu einem Scherz aufgelegte Graf.
Sie bemerkte, daß er guter Laune sei und faßte sich ein Herz.
»Meinem Alimpo gefalle ich«, sagte sie, »und da denke ich, daß ich ... hm!« – »Nur weiter, weiter!« – »Daß ich Exzellenz auch gefalle!« – »Endlich! Und weil du dies so hübsch sagst, so will ich dir gestehen, daß du auch mir gefällst.« – »Nicht wahr, sie ist nicht übel, Exzellenz?« rief da der glückliche Alimpo. – »Ja, sie ist gut, und darum will ich für euch sorgen. Was meinst du denn Alimpo, was dir lieber ist: Feldhüter mit fünfzig Duros Gehalt oder Kastellan auf Schloß Rodriganda mit freier Station und dreihundert Duros Gehalt?« – »Exzellenz, der Kastellan ist mir lieber!« rief da Alimpo rasch. – »So nimm ihn!« – »Tausend Dank, Exzellenz. Komm, meine gute Elvira, mach einen Knicks und bedanke dich bei dem Herrn Grafen.« – »Das kann ich schon ganz von selber.«
Mit diesen ernstgemeinten Worten produzierte sie ihre schönste Verbeugung.
»Und bei der zukünftigen gnädigen Frau Gräfin auch«, bemerkte Alimpo. – »Was?« fragte der Graf. »Wer hat dir denn davon gesagt?« – »Exzellenz, das habe ich gleich das erste Mal im Theater gedacht. Sie machten es gerade so wie ich: Sie guckten immer nur die eine an. Nun haben wir beide die Unsrige.«
Der Graf lachte und ging mit der Ballerina wieder hinaus. Die beiden jungen Leute standen da und sahen einander an.
»Nun, da hast du es!« sagte Alimpo. »Unser Hochzeitsgeschenk! Freut es dich?« – »Das versteht sich. Herr Kastellan kann nicht jeder sein.« – »Und Frau Kastellanin auch nicht eine jede. Nur eines freut mich dabei nicht.« – »Was?« – »Die Schloßherrin.« – »Ja. Sahst du, daß sie nur gezwungen freundlich war? Sie wird uns niemals liebhaben. Er nimmt sie ihres Gesichts und ihrer schönen Glieder wegen, und doch, wie bald kann das alles vergangen sein! So ein vornehmer Mann ist zuweilen viel weniger klug als man denken sollte.«
Während dieser kurzen Unterhaltung zwischen den Dienern saß das Brautpaar wieder drüben, scheinbar in der innigsten Liebe beieinander. Der Graf war so glücklich, daß er seiner Verlobten die höchsten Wünsche erfüllt hatte, und da er auch bei ihr dieselbe Stimmung voraussetzte, sagte er:
»Glaubst du, daß ich eine Bitte an dich habe?« – »Sprich sie aus, Manfredo«, entgegnete sie freundlich. – »Sie betrifft meinen Sachwalter.«
Manfredo blickte die Tänzerin dabei scharf an; sie aber ließ sich nicht das mindeste merken und fragte nun:
»Deinen Sachwalter? Wer ist das?« – »Es ist Henrico Cortejo.« – »Cortejo? Hm, diesen Namen muß ich bereits gehört haben.« – »Ich denke«, lächelte er. – »Ah, es ist ein Mann in mittleren Jahren; ich besinne mich auf ihn.«
Er wurde wirklich irre an ihr; sie hatte die Unschuldsmienen meisterhaft einstudiert.
»Nicht wahr, du kennst ihn?« fragte er. – »Nicht so, was man eigentlich kennen nennt. Er war drei- oder viermal bei mir, und das war an den Abenden, an denen ich Kollegen bei mir sah. Diese pflegen gewöhnlich eine kleine Bank aufzulegen, und da schienen sie diesen Cortejo gern dabei zu sehen. Er wurde mir zu diesem Zweck mitgebracht und vorgestellt.«
Der Graf war beruhigt, konnte aber, wenn er sich nicht verraten wollte, von dem Thema nicht gut abbrechen; darum sagte er:
»Ich hörte das, und da ich es nicht liebe, daß meine Beamten Spieler sind, so wollte ich mich bei dir nach der Höhe seiner Verluste erkundigen.« – »Das ist nicht bedeutend, mein Lieber«, sagte sie mit ruhigem Lächeln, während sie im Innern den Liebhaber verachtete, daß er sich von ihr hatte täuschen lassen. »Man spielte nicht hoch, und so konnte Verlust oder Gewinn nur wenige Duros betragen.« – »Sahst du den Herzog von Olsunna auch in diesen Kreisen?« – »Ja. Zweimal nur. Dieser Señor schien sich bald unheimlich zu fühlen, weil die Künstler selten oder nie gewillt sind, Standesvorurteilen Weihrauch zu streuen.« – »Sie mögen in mancher Beziehung recht haben. Auch die Kunst adelt, allerdings nur den einzelnen, nicht aber ganze Geschlechter.«
Auch in diesem Punkt war der Graf von der gewandten Fechterin geschlagen worden. Er ging nun zu dem Näheren über:
»Du wirst zweifelsohne nicht mehr auftreten?« – »Nein.« – »Wann gedenkst du nach Rodriganda zu gehen, meine Hanetta? Ich bin leider noch einige Zeit hier gebunden.« – »Das läßt sich arrangieren, mein Lieber.« – »Ganz nach deinem Willen.« – »Ich muß für einige Tage nach Madrid, und während dieser Zeit kannst du deine Arbeiten hier beenden.« – »Ah, du willst allein in die Hauptstadt?« fragte er, mehr besorgt als verwundert. – »Allerdings.« – »Trotz deiner gegenwärtigen Schwäche?« – »Diese hat nicht viel zu bedeuten. Das ruhige Sitzen im Kupee oder in der Diligence kann mir nicht schaden, wohl aber das Tanzen auf der Bühne.« – »Möchtest du nicht lieber warten, bis ich dich begleiten kann?« – »Dies geht nicht, mein Lieber. Erstens ginge eine kostbare Zeit verloren, und zweitens müßtest du dich da mit einem Gegenstand beschäftigen, den ich gern so fern wie möglich von dir halten möchte.« – »Welcher ist es?« – »Das Theater. Ich konnte natürlich nicht ahnen, daß mein Schicksal eine so plötzliche und ungeahnte Änderung erfahren würde, und so habe ich einen Kontrakt mit einer Bühne in Madrid unterzeichnet und auch bereits abgesandt. Dieser muß gelöst werden, und deshalb will ich nach der Hauptstadt reisen.« – »Und doch wäre es vielleicht vorteilhafter, wenn ich diese Sache in die Hand nähme, mein liebes Kind. Man wird dir Schwierigkeiten machen, während mich die Lösung des Kontrakts wohl nur ein Wort kostet.« – »Ich sagte dir bereits, daß es mir geradezu eine Ehrensache ist, dich nicht mit Bühnenverhältnissen zu belästigen. Du sollst mich erst dann bekommen, wenn ich frei von diesem Staub bin, mein lieber Manfredo.« – »Eigentlich muß ich dir für diese zarte Rücksichtnahme dankbar sein«, gestand er zu. »Aber wirst du die Reise auch wirklich aushalten können?« – »Ohne Zweifel!« – »So wirst du mir erlauben, für das Pekuniäre Sorge zu tragen.« – »Nur, um dir ein Vergnügen zu machen, mein Lieber. Ich bin nicht arm.« – »So nimmst du eine Anweisung an meinen Bankier an?« – »Ja.« – »Und wann reist du?« – »Morgen. Je eher ich aufbreche, desto eher kehre ich zu dir zurück, mein Geliebter.«
Die Ballerina umschlang den Grafen zärtlich und küßte ihn auf den ergrauten Bart. Er war so glücklich und hatte keine Ahnung davon, daß sie gar keinen Kontrakt mit dem Theater in Madrid abgeschlossen hatte, sondern nur deshalb die Residenz besuchte, um vor ihrer Vermählung noch eine kurze Zeit mit ihren früheren Freundinnen in Lust und Schwelgerei zu verbringen. Gerade in Madrid hatte sie ja die wildeste Zeit ihres Lebens verbracht. In den dunklen und verrufenen Gäßchen dieser Hauptstadt hatte sie auch Henrico Cortejo und den Herzog von Olsunna kennengelernt.
»Soll ich dich in der Hauptstadt abholen?« fragte der Graf. – »Nein, mein Lieber. Ich werde nur kurze Zeit dort verweilen.« – »Ich möchte dich bitten, meine Söhne mit zu besuchen.« – »O nein, das möchte ich nicht tun. Jetzt bin ich noch im Engagement. Sie sollen mich erst dann sehen, sobald ich nichts anderes mehr bin, als nur die Eurige.« – »So wirst du mich hier abholen?« – »Ja.« – »Dann verweile nicht gar zu lange, meine Geliebte, denn ich werde dich mit großer Sehnsucht erwarten. In einer Woche sind meine Arbeiten beendet.« – »Dann bin ich wieder bei dir.«
*
Fast zu derselben Zeit wurde im Palais des Herzogs von Olsunna auch von Madrid gesprochen. Der Herzog saß in seinem Sessel, und vor ihm stand Gasparino Cortejo, sein Haushofmeister.
»Ja«, sagte der erstere. »Wir haben jetzt verdammtes Pech.« – »Es muß ertragen werden!« – »Da letzthin der Skandal wegen der deutschen Hauslehrerin und wegen deiner Zarba, oder wie diese kleine Zigeunerin hieß.« – »Ich denke nicht mehr an sie!« – »Das glaube ich dir! Und jetzt wird mir wieder diese grandiose Ballerina weggekapert.« – »Das ist freilich unangenehm. Dieser Rodriganda konnte Besseres tun, als sich auf diese Weise an seinem grauen Haar zu versündigen!« – »Na, für Hirschgeweihe wird man wohl sorgen! Und dein Adonis-Vater auch mit.« – »Fällt ihm nicht ein!« – »Leugne nicht! Ich habe mir sagen lassen, daß er um die Ballerina herumgelaufen ist, leider aber, ohne erhört zu werden. Hahahaha! Ein Sachwalter, der mit dem Herzog von Olsunna in die Schranken tritt. Ich hätte ihn für gescheiter gehalten.« – »Ich nicht«, sagte der Sohn, der recht wohl wußte, daß sein Vater dem Herzog den Rang abgelaufen hatte.
»Nun ist eine tote Zeit eingetreten. Wie bringt man diese am besten hin? Willst du nicht einiges vorschlagen?« – »Wenn es auf mich ankäme, ich reiste nach Madrid. Der König von Portugal kommt auf Besuch, da gibt es Festlichkeiten und manches Schaugepränge, mit dem man sich die Zeit vertreibt.« – »Nicht übel. Wann kommt der König?« – »Sonnabend.« – »So reisen wir, und zwar zusammen schon morgen.«
So war mit leichtem Sinn eine Disposition getroffen worden, die für die Betreffenden nur verhängnisvoll werden sollte.
Als die Ballerina Madrid erreicht hatte, stieg sie in einem der ersten Hotels ab, denn sie besaß die Mittel dazu, vertiefte sich aber gar bald in die engen Gäßchen des südwestlichen Stadtteils, in denen man des Abends kein ehrbares Frauenzimmer zu treffen vermag. Hier suchte sie sich frühere Bekannte zusammen, um die Dispositionen zu ihren zweifelhaften Belustigungen zu entwerfen.