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Unter einer Hazienda versteht man eine Meierei; doch sind diese mexikanischen Haziendas sehr oft mit unseren größten Rittergütern zu vergleichen, da zu ihnen zuweilen ein Länderkomplex von der Größe eines deutschen Fürstentums gehört.
Die Hacienda del Erina war ein so fürstlicher Besitz. Das massive Gebäude war aus Bruchsteinen erbaut und von Palisaden umgeben, die gegen räuberische Überfälle einen starken Schutz gewährten. Das Innere des einem Schloß gleichenden Herrenhauses war auf das feinste ausgestattet und zeigte eine solche Geräumigkeit, daß Hunderte von Menschen da Wohnung finden konnten.
Umgeben wurde das Haus von einem großen Park, in dem die prachtvollste tropische Vegetation in den strahlendsten Farben schimmerte und die üppigsten Düfte verbreitete. Hieran schloß sich auf der einen Seite der dichte Urwald, auf der anderen ein ausgedehnter Feldwuchs, und auf den beiden übrigen sah man große Weiden sich ausdehnen, auf denen sich Herden tummelten, deren Stückzahl viele tausende betrug.
Bereits als die Kavalkade an den Weiden vorüberritt, kamen mehrere Vaqueros mit lautem Jubel herbeigesprengt, um die Kommenden zu begrüßen. Der Jubel aber wurde sehr bald zum Zornesausbruch, als sie erfuhren, daß so viele ihrer Kameraden unter den Kugeln der Komantschen gefallen seien. Sie baten sofort, einen Rachezug gegen die Roten veranstalten zu dürfen.
Der Majordomo war der Kavalkade vorangeritten, um sie anzumelden. Darum stand, als die Reiter an der Estanzia anlangten, der alte Pedro Arbellez bereits unter dem Tor, um seine Tochter und deren Begleiter zu begrüßen.
Tränen der Freude schimmerten in seinen Augen, als er Emma vom Pferd hob.
»Sei willkommen, mein Kind«, sagte er. »Du mußt auf dieser gefährlichen Reise viel gelitten haben, denn du siehst sehr angestrengt aus.«
Sie umarmte und küßte ihn innig und antwortete:
»Ja, mein Vater, ich war in einer Gefahr, die größer ist als Lebensgefahr.« – »O Gott, in welcher?« fragte er, indem er auch die Indianerin freundlich bewillkommnete. – »Wir wurden von den Komantschen gefangen.« – »Heilige Mutter Gottes! Sind die jetzt am Rio Pecos?« – »Ja. Hier diese beiden Männer sind unsere Retter.«
Emma nahm den Deutschen und den Apachen bei der Hand und führte sie dem Vater zu.
»Dieser hier ist Señor Antonio Helmers aus Deutschland, und dieser ist Shoshinliett, der Häuptling der Apachen. Ohne sie hätte ich die Squaw eines Komantschen werden müssen, und die anderen hätte man am Pfahl zu Tode gemartert.«
Dem alten, braven Verwalter trat schon bei dem Gedanken daran der Angstschweiß auf die Stirn.
»Mein Gott, welch ein Unglück, und doch zugleich auch wieder welch ein Glück!« sagte er. »Willkommen Señores, von ganzem Herzen willkommen! Ihr sollt mir alles erzählen, und dann will ich sehen, wie ich Euch dankbar sein kann. Kommt herein und seid die Herren dieses Hauses!«
Das war ein sehr freundlicher und liebenswürdiger Empfang. Überhaupt machte der Anblick des alten Mannes den Eindruck der Ehrlichkeit und Biederkeit, man mußte ihn sofort liebhaben.
Die Gäste kamen durch das Palisadentor, übergaben ihre Pferde einigen Knechten und traten in das Gebäude; während der Majordomo mit den Vaqueros in dem Vorraum zurückgeblieben war, führte der Haziendero die beiden anderen mit den Damen nach dem Empfangszimmer, wo Platz genommen wurde, bis Emma in großen Umrissen ihr Abenteuer berichtet hatte.
»Mein Jesus«, klagte der Haziendero, »was müßt ihr gelitten haben, ihr beiden Mädchen! Aber Gott hat diese beiden Señores gesandt, um euch zu retten. Ihm und ihnen sei Dank gesagt. Was wird der Graf und was wird Tecalto sagen, wenn sie es hören!« – »Tecalto?« fragte die Indianerin. »Ist Büffelstirn, mein Bruder, da?« – »Ja, er ist gestern angekommen.« – »Und der Graf auch?« fragte Emma. – »Ja, bereits eine Woche. Ah, da ist er!«
Die Tür zu dem nebenan liegenden Speisesaal öffnete sich, und Graf Alfonzo trat heraus. Er trug einen rotseidenen, persisch in Gold gestickten Schlafrock, eine Hose vom feinsten weißen, französischen Linnen, blaue Samthausschuhe und einen türkischen Fez auf dem Kopf. Er verbreitete einen solchen Duft um sich, daß man hätte meinen können, in einer Parfümeriehandlung zu sein. Die offengebliebene Tür erlaubte, einen Blick in den Speisesalon zu tun. Die Ausschmückung desselben war mehr als fein, war luxuriös, und an der Serviette, die der Graf in der Hand trug, bemerkte man, daß er beschäftigt gewesen war, in den Genüssen und Delikatessen Mexikos zu schwelgen.
»Man nannte meinen Namen«, sagte er. »Ah, die schönen Damen sind es! Glücklich wieder zurückgekehrt, Señoritas?«
Bei seinem Anblick war die Indianerin blutrot geworden, was dem scharfen Auge des Apachen nicht entging; Emma aber blieb sich vollständig gleich. Sie antwortete kalt, wenn auch höflich:
»Wie Sie sehen, Graf. Bald wären wir nicht wieder zurückgekehrt. Und doch war es nur ein kleiner Unfall, der uns betraf. Die Komantschen nahmen uns nämlich ein wenig gefangen.« – »Donnerwetter!« rief er. »Ich werde sie züchtigen lassen!« – »Das wird nicht sehr leicht sein«, erwiderte Emma spöttisch. »Übrigens sind wir ja davongekommen, hier unsere Lebensretter.«
Der Graf trat einige Schritte zurück, setzte den Zwicker auf die Nase, betrachtete die beiden »Retter«, zog ein sehr enttäuschtes Gesicht und fragte:
»Wer sind diese Leute?« – »Dieser hier ist Señor Helmers aus Deutschland, und der andere ist Bärenherz, der Häuptling der Apachen.« – »Ah, ein Deutscher und ein Apache. Das gehört allerdings zusammen. Wann reisen diese Señores wieder ab? Doch sogleich?« – »Sie sind meine Gäste und werden bleiben, so lange es ihnen beliebt«, entgegnete der Haziendero. – »Aber, Arbellez, wo denkt Ihr hin!« rief da der Graf. »Seht Euch diese Männer an. Ich und sie unter einem Dach! Sie riechen nach Wald und Sumpf. Ich würde sofort abreisen!«
Der Haziendero richtete sich auf. Sein Auge flammte vor Zorn.
»Ich kann Ew. Erlaucht nicht halten«, versetzte er. »Diese Señores haben das Leben und das Glück meines Kindes gerettet und sind mir hochwillkommen.« – »Ah! Ihr widersprecht mir?« rief der Graf. – »Ja«, antwortete Arbellez fest. – »Wißt Ihr, daß ich hier der Gebieter bin?« – »Das weiß ich nicht.« – »Nicht?« zischte Alfonzo. »Wer sonst?« – »Graf Ferdinando. Ihr seid hier nur als Gast anwesend. Übrigens hätte selbst Graf Ferdinando keine Stimme in dieser Angelegenheit. Ich bin Pächter auf Lebenszeit. Wer will mir befehlen, wen ich bei mir empfangen soll oder nicht?« – »Verdammt, das ist stark.« – »Nein, stark war mir Ihre Unhöflichkeit und Rücksichtslosigkeit gegen meine Gäste. Wenn Ihnen schon der Wald- und Sumpfgeruch nicht angenehm ist, von dem ich allerdings ganz und gar nichts merke, so weiß ich wirklich nicht, ob diese Señores nicht Ihre Parfüms auffällig finden, die ich recht gut bemerke. Ich werde meine Gäste jetzt in den Speisesaal führen und überlasse es Ihnen, weiterzuspeisen oder nicht.«
Damit öffnete der Haziendero die Tür des Saales noch weiter und bat die beiden mit der höflichsten Verbeugung, Zutritt zu nehmen. Der Indianer hatte teilnahmslos dagestanden; kein Blick seines Auges hatte den Grafen getroffen, und fast schien es, als ob er auch kein Wort desselben verstanden habe. Er schritt stolz und wortlos in den Saal. Helmers dagegen wandte sich zuvor zum Grafen:
»Sie sind Graf Alfonzo de Rodriganda?« – »Ja«, antwortete der Gefragte erstaunt, daß ihn der Jäger anzureden wagte. – »So. Señor Arbellez hatte vergessen, Sie auch uns vorzustellen. Sie sind gefordert. Was wählen Sie, Degen, Pistolen oder Kugelbüchsen?« – »Sie wollen sich mit mir schlagen?« fragte der Graf viel erstaunter als vorher. – »Versteht sich. Hätten Sie mich draußen vor der Hazienda beleidigt, so hätte ich Sie niedergeschlagen wie einen dummen Jungen; da es aber unter dem Dach meines Gastfreundes geschah, so nahm ich Rücksicht auf ihn und auf die Gegenwart dieser Damen. Nun ich jedoch höre, daß Sie in diesem Haus eigentlich keinen Pfifferling gelten, so biete ich Ihnen die Wahl der Waffen an.« – »Schlagen? Mit Euch? Gott, wer seid Ihr denn? Ein Jäger, ein Herumläufer! Pah!« – »Also nicht? So seid Ihr ein Lump, ein Feigling, ein ganz erbärmlicher Wicht! Laßt Ihr auch diese Prädikate auf Euch sitzen, so seid Ihr gerichtet auf alle Zeit. Tut, was Euch beliebt!«
Helmers schritt dem Apachen nach. Der Graf stand ganz perplex da.
»Arbellez, das leidet Ihr?« fragte er den Haziendero. – »Wenn Ihr es leidet!« antwortete dieser. »Komm, Emma, komm, Karja. Unser Platz ist da drinnen bei den Ehrenmännern.« – »Ah, welche Niederträchtigkeit! Das werde ich Euch eintränken, Arbellez.« – »Versucht es!«
Der wackere Alte ging in den Saal, die beiden Damen mit ihm. Als jedoch Emma an dem Grafen vorüberschritt, sagte sie mit verächtlich gekräuselten Lippen und funkelnden Augen:
»Das war niederträchtig, das war armselig!«
Die Indianerin folgte ihr mit niedergeschlagenen Augen, es widerstrebte ihr, den Geliebten zu verachten, und dennoch konnte sie ihm nicht in das Gesicht sehen. Graf Alfonzo blieb stehen und kehrte nicht wieder nach dem Saal zurück. Er warf die Serviette zu Boden, stampfte mit den Füßen und knirschte:
»Das sollt Ihr mir büßen, und bald, bald, bald!«
Nach dieser ohnmächtigen Zornesäußerung suchte er sein Zimmer auf.
Die anderen nahmen unterdessen ein lukullisches Mahl ein. Da gab es große Schnitte von Wassermelonen mit fleischfarbigem Inneren, deren wohlschmeckender Saft in rosigen Tropfen auf die silbernen Platten perlte; halb geöffnete Granaten, Früchte des Kerzenkaktus, Orangen, süße Limonen, Grenadillen und alle die Fleisch- und Mehlspeisen, an denen die mexikanische Küche so überaus reich ist. Während des Essens wurden die Erlebnisse noch ausführlicher besprochen, als es bisher möglich gewesen war; dann bat der Haziendero, den Señores ihre Zimmer anweisen zu dürfen.
Die beiden Freunde wohnten nebeneinander. Es war dem Deutschen aber unmöglich, lange in dem engen Raum zu bleiben; er verließ ihn und suchte den Garten auf, wo er sich von Wohlgerüchen umduften ließ, bis er hinaustrat in das Freie, um die herrlichen mexikanischen Renner auf der Weide zu beobachten.
Indem er so an den Palisaden hinschlenderte und um eine Ecke bog, erhob sich plötzlich vor ihm eine Gestalt, deren frappantes Äußeres ihn zum Stehen brachte. Der hohe, starke Mann war vollständig in ungegerbtes Büffelleder gekleidet, so wie die Ciboleros sich zu tragen pflegen; auf dem Kopf saß ihm der obere Teil eines Bärenschädels, von dem einige Streifen Fell bis fast herab zur Erde schleiften. Aus dem breiten Ledergürtel guckten die Griffe von Messern und anderen Werkzeugen, von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte herüber hatte er einen fünffach geflochtenen Lasso um den Leib geschlungen, und an der Palisade lehnte eine jener alten, schmiedeeisernen Büchsen, wie sie vor hundert Jahren in Kentucky gemacht wurden und die ein gewöhnlicher Mann nicht zu handhaben vermag, so schwer sind sie.
»Wer bist du?« fragte Helmers im ersten Augenblick des Erstaunens. – »Ich bin Büffelstirn, der Indianer«, antwortete der Gefragte. – »Tecalto bist du? Mokaschimotak, der Cibolero?« – »Ja. Kennst du mich?« – »Ich sah dich noch nie, aber ich habe viel, sehr viel von dir gehört.« – »Wer bist du?« – »Mein Name ist Helmers, ich bin ein Deutscher.«
Das ernste Gesicht des Indianers klärte sich auf. Er war vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt und konnte als eine Schönheit des indianischen Typus gelten.
»So bist du der Jäger, der Karja, meine Schwester, befreit hat?« – »Der Zufall war mir hold.« – »Nein, das war kein Zufall. Du hast dir die Pferde der Komantschen geholt und bist ihnen nachgeritten. Büffelstirn ist dir vielen Dank schuldig. Du bist so tapfer wie Matavase, der Fürst des Felsens, der auch ein Deutscher ist.« – »Kennst du die Deutschen?« – »Ich kenne einige. Sie werden von den Amerikanern Dutchmen genannt. Sie sind stark, tapfer und klug, wahr und treu. Ich habe gehört von einem von ihnen, den die Apachen und Komantschen Itintika, den Donnerpfeil, nennen.« – »Gesehen hast du ihn noch nicht?« fragte der Deutsche. – »Nein, er heißt der Donnerpfeil, weil er schnell und sicher ist wie der Pfeil und mächtig und schwer wie der Donner. Seine Büchse fehlt nie ihr Ziel, und sein Auge irrt auf keiner Spur. Ich habe viel von ihm gehört, ich habe ihn bisher noch nie gesehen, aber heute sehe ich ihn.« – »Wo?« fragte Helmers überrascht. – »Hier. Du bist es.« – »Ich? Woran erkennst du mich?« – »Siehe deine Wange an. Donnerpfeil hat einen Bowiemesserstich durch die Wange erhalten, das weiß ein jeder, der einmal von ihm gehört hat. Solche Erkennungszeichen merkt man sich. Habe ich richtig geraten oder nicht?«
Helmers nickte.
»Du hast recht. Man nennt mich allerdings Itintika, den Donnerpfeil.« – »So danke ich Wahkonta – Gott –, daß er mir erlaubt hat, mit dir zu sprechen. Du bist ein tapferer Mann, reiche mir deine Hand und sei mein Bruder.«
Sie schlugen ein, und Helmers sagte:
»So lange unsere Augen einander erblicken, soll Freundschaft sein zwischen mir und dir!«
Und der Indianer fügte hinzu:
»Meine Hand sei deine Hand und mein Fuß dein Fuß. Wehe deinem Feind, denn er ist auch der meinige, und wehe meinem Feind, da er auch der deinige ist. Ich bin du, und du bist ich, wir sind eins!«
Dieser Büffelstirn war kein Indianer nach der Art der nördlichen Roten. Er war gesprächig und mitteilsam, und doch wohl trotzdem nicht minder furchtbar, als einer jener schweigsamen Wilden, die es für eine Schande halten, gleich einem Weib den Gefühlen des Herzens Worte zu verleihen.
»Du wohnst in der Hazienda?« fragte Helmers. – »Nein«, antwortete der Büffeljäger. »Wer mag wohnen und schlafen in der Luft, die zwischen Mauern gefangen ist. Ich wohne hier.«
Er deutete auf das Rasenstück, auf dem er stand.
»So hast du das beste Lager auf der ganzen Estanzia. Ich konnte es in der Stube nicht aushalten.« – »Auch Bärenherz, dein Freund, hat die Weide aufgesucht.« – »Er ist hier?« – »Ja. Ich habe bereits mit ihm gesprochen und ihm gedankt. Wir sind Brüder geworden wie ich und du.« – »Wo ist er?« – »Er sitzt da drüben bei den Vaqueros, die von dem Überfall der Komantschen erzählen.« – »Laß uns zu ihnen gehen.«
Der Indianer ergriff seine schwere Büchse, warf sie auf die Schulter und führte den Deutschen.