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16. Kapitel.

Es gelang den scharfen Augen Büffelstirns und Bärenherzens sehr leicht, die Spuren des Grafen nebst denen seiner sechs Begleiter aufzufinden und zu verfolgen. Sie führten allerdings auf die Weideplätze zu, die sich jetzt nicht unter Aufsicht befanden, da sämtliche Vaqueros auf der Hazienda waren. Es stellte sich heraus, daß man ein Pferd gefangen und dann eine gerade südliche Richtung eingeschlagen habe. Hier wurde der Fährte noch eine ganze Stunde gefolgt, dann aber gebot Büffelstirn Halt.

»Jetzt nicht weiter«, sagte er. »Wir werden auf der Hazienda gebraucht, es steht nun wirklich fest, daß der Graf nach Mexiko geht, denn die Spur geht diese Richtung. Er wird uns nicht entgehen, denn wir werden ihn in Mexiko aufsuchen.«

Sie kehrten darauf nach der Hazienda zurück, die sie im Fluge erreichten, da sie jetzt nicht mehr auf Spuren aufzumerken hatten.

Sie fanden dort alles noch in demselben Zustand, in dem sie es verlassen hatten. Die Vaqueros, die zum Schutz zurückgeblieben, waren eben dabei, die Leichen der Komantschen und die Verschanzungen mit den Kanonen hinwegzuschaffen. Der Haziendero kam ihnen mit einem freudigen Gesicht entgegen.

»Gott sei Dank, daß ihr kommt!« sagte er. »Wir befanden uns bereits in großer Sorge um euch. Wie ist es gegangen?« – »Der Schwarze Hirsch ist tot«, antwortete Büffelstirn. – »Tot? Ah, ihr habt ihn besiegt?« – »Mein Bruder Bärenherz hat ihm den Skalp genommen.« – »Und die anderen?« – »Auch sie sind tot. Von allen Komantschen sind nur sechs entkommen.« – »Wohin sind diese?« – »Nach Mexiko.« – »Nach Mexiko? Wilde Indianer nach Mexiko? Was wollen sie dort?« – »Sie begleiten den Grafen.« – »Ah! Ihr habt ihn gesehen?« – »Wir sahen ihn. Er hat die Gegend der Hazienda verlassen, aber er wird uns nicht entrinnen.« – »Laßt ihn! Er ist der Herr dieses Hauses, und ich darf nicht mit ihm rechten.«

Die beiden Häuptlinge blickten ihn erstaunt an.

»Er hat die Komantschen nach der Hazienda geführt!« sagte Büffelstirn. – »Ich bin kein Indianer!« antwortete Arbellez. – »Er hat Señorita Emma überfallen!« – »Sein Überfall ist nicht gelungen!« – »Pshaw! Die Weißen haben kein Blut in ihren Adern! Vergebt ihr dem Grafen, so habe ich nichts dagegen, aber ich selbst habe ein Wort mit ihm zu sprechen!« – »So glaubt ihr also, daß wir jetzt sicher sind?« fragte Arbellez. – »Ja.« – »So können wir zu unserem friedlichen Leben zurückkehren. Wo aber begraben wir die Leichen?«

Über das Angesicht des Mixtekas glitt ein unbeschreiblicher Zug.

»Nicht in der Erde«, sagte er. – »Wo sonst?« fragte Arbellez erstaunt. – »Im Bauch der Krokodile.« – »Oh! Das ist nicht christlich.« – »Ich bin kein Christ, und die Komantschen sind auch keine Christen. Sie sind Feinde der Mixtekas, und die Alligatoren der Mixtekas haben lange Zeit gehungert. Soll die Hazienda mit diesen Leichen verpestet werden?« – »Hm, das ist richtig! Tut also, was ihr wollt!« – »Kann ich meine zwanzig Vaqueros für heute behalten?« – »Wozu?« – »Sie sollen diese toten Komantschen mit nach dem Teich der Krokodile bringen.« – »Behalte sie, wenn es sicher ist, daß wir nicht überfallen werden.« – »Wie steht es mit unserem Bruder Donnerpfeil?« – »Er liegt noch ohne Besinnung.« – »So werden wir ihn einmal ansehen.«

Die beiden Häuptlinge traten in das Haus. Der Mixteka führte den Apachen in das Zimmer seiner Schwester, wo er das Gold und Geschmeide untergebracht hatte, das für Helmers bestimmt war. Sie fanden Karja dort. Sie lag in einer Hängematte und stierte still vor sich. Als sie die beiden Eintretenden bemerkte, sprang sie empor und fragte:

»Ihr kommt! Ihr seid Sieger?« – »Ja.« – »Und er? Haben ihn die Krokodile?« – »Nein«, antwortete Büffelstirn, sie scharf beobachtend. – »Nicht?« Ihr Gesicht verfinsterte sich. »So habt ihr ihn entkommen lassen, ihn, der meiner Rache verfallen ist?« fragte sie.

Büffelstirn war befriedigt. Er sah, daß sie keine Liebe mehr hegte, sondern nur an Rache dachte. Er antwortete:

»Die Hunde der Komantschen haben ihn befreit und meinen Bruder, den Häuptling der Apachen, an seine Stelle gebunden, damit er von den Krokodilen gefressen werde.«

Die Indianerin blickte den Apachen erstaunt an. Sie sah mehrere neue Skalpe an seinem Gürtel, sie hatte jetzt zum ersten Mal ein Auge für die kriegerisch schöne Erscheinung Bärenherzens, und bei dem Gedanken, daß er von den Krokodilen habe zerrissen werden sollen, überkam sie ein Gefühl, wie sie es bisher noch nie empfunden hatte. Sie erbleichte.

»Den Häuptling der Apachen? Aber er steht doch unversehrt hier!« sagte sie. – »Er hat sich selbst befreit und dann die Komantschen besiegt.«

Was in diesen Worten lag, das begriff sie als Indianerin nur zu gut.

»Er ist ein Held!« sagte sie, indem ihr Blick unwillkürlich voll Bewunderung auf den Apachen fiel. »Und dieser Graf ist also entkommen?« – »Er ist nach Mexiko.« – »Zu seinem Vater?« – »Ja. Es sind sechs Komantschen bei ihm, um ihn zu geleiten.«

Da reckte sie sich empor und fragte:

»Und du läßt ihn unbelästigt reiten? Gib mir ein Pferd; ich werde ihm folgen und ihn töten!«

Büffelstirn lächelte. So gefiel ihm die Schwester.

»Bleibe!« sagte er. »Er entkommt uns nicht. Ich werde ihm folgen.« – »Du tötest ihn, wo du ihn triffst?« – »Ja. Er hat die Tochter der Mixtekas beschimpft und soll von meiner Hand fallen.« – »Oder von der meinigen«, sagte der Apache ernst. – »Uff! Mein Bruder will mich nach Mexiko begleiten?« fragte der König der Ciboleros.

Bärenherz blickte in das Gesicht der Indianerin und sah, in welchem Licht der Blick ihres Auges auf ihm ruhte. Er antwortete:

»Karja ist die Schwester des Apachen; sie soll gerächt werden!«

Er hielt den beiden zur Beteuerung die Hände entgegen, sie ergriffen dieselben und drückten sie.

»Bärenherz ist wirklich der Bruder und Freund des Häuptlings der Mixtekas; er mag mit mir gehen, sobald ich hier fertig bin«, sagte Büffelstirn. »Jetzt aber komme er mit zu unserem weißen Freund, den ich besuchen will!«

Er nahm die Decken, in welche die Kostbarkeiten geschlagen waren, und der Apache half ihm in Gesellschaft der Indianerin dabei. Als sie in das Krankenzimmer eintraten, saß Emma bei dem Leidenden. Ihre Züge waren bleich, und ihre Augen standen voll Tränen.

»Weint nicht, Señorita«, bat der Mixteka, indem er sein Paket niederlegte. »Ich werde den Freund untersuchen.«

Dann nahm er Helmers den Verband ab, erneuerte ihn und fuhr fort:

»Er wird nicht sterben.«

Da hellte sich das Gesicht des schönen Mädchens auf.

»Ist's wahr?« rief sie. »Wirklich?« – »Gewiß!« nickte er. – »Wie lange wird es währen, bis er gesund ist?«

Bei dieser Frage machte Büffelstirn ein sehr ernstes Gesicht.

»Das kann ich nicht sagen, aber sterben wird er nicht.« – »Oh, was an der Pflege liegt, das soll sicher geschehen!« – »Ich glaube es, Señorita. Darf ich Euch um etwas fragen?« – »Frage nur, Büffelstirn!« – »Señor Helmers hat zu Euch von dem Schatz der Mixtekas gesprochen?« – »Ja.« – »Ihr wißt auch, daß ich ihn mit in die Höhle des Schatzes genommen habe?« – »Ja. Der Graf wollte ihn ja dort töten!« – »Der Schatz ist wieder verschwunden; aber die Kinder der Mixtekas haben beschlossen, dem Bruder Donnerpfeil ein Andenken an diesen Schatz zu geben. Er liegt krank. Wollt Ihr es an seiner Stelle nehmen und für ihn aufbewahren?« – »Gern«, antwortete sie. »Was ist es denn, was Ihr bringt?« – »Seht es selbst!«

Büffelstirn breitete bei diesen Worten die Decken so auseinander, daß die Goldbrocken und das Geschmeide im hellen Strahl der Sonne am Boden lagen. Da vergaß Emma einen Augenblick lang den kranken Verlobten und alle ihre Betrübnis, schlug die Hände zusammen und rief:

»O Dios, welche Pracht, welcher Reichtum! Und das soll Señor Helmers gehören?« – »Es ist sein«, erwiderte der Mixteka einfach. »Oh, Madonna, so ist er ja reicher als ich und als mein Vater!«

Der Häuptling warf einen ernsten Blick auf den Kranken.

»Nicht wahr, Señorita, Donnerpfeil wird Euer Gemahl werden?« fragte er. – »Ja«, antwortete sie, doch ein wenig errötend. – »Und Ihr werdet ihn nie verlassen?« – »Niemals!« beteuerte sie. »Warum fragst du so?« – »Weil er es vielleicht sehr bedürfen wird, daß Ihr ihn nicht verlaßt. Hat er nicht von seiner Heimat zu Euch gesprochen?« – »Ja.« – »Woher ist er?« – »Aus der Gegend von Mainz, in Deutschland.« – »Hat er Verwandte?« – »Einen Bruder.« – »Was ist dieser?« – »Steuermann.« – »Uff! Wenn Donnerpfeil dieses Geldes nicht bedarf, so wünsche ich, daß sein Bruder es bekommt. Wollt Ihr dies besorgen?« – »Gern. Es ist ein großer Reichtum, aber er blendet mich nicht. Mein Vater ist reich genug, um mich und Señor Helmers glücklich und sorglos zu machen; der Bruder in Deutschland wird das Gold erhalten.« – »Und die Schmucksachen?« – »Alles. Übrigens wird Señor Helmers sich nicht sträuben, diese Sachen nach Deutschland zu schicken; ich glaube mich da nicht zu täuschen.«

Büffelstirn warf abermals einen Blick auf den Kranken und erwiderte:

»Nein, er wird sich sicherlich nicht sträuben. Also Ihr versprecht mir, das Gold zu schicken?« – »Ich werde es fortsenden.« – »Und ihn nie verlassen?« – »Nein! Aber was bezweckst du mit diesen Fragen?« – »Ich habe dazu meine guten Gründe, die Ihr sicher noch erfahren werdet. Ist der Arzt noch nicht angekommen, nach dem Ihr gesandt habt?« – »Nein.« – »So bin ich begierig zu wissen, was er sagen wird.«

Der Indianer trat abermals zu dem Kranken, um ihn zu betrachten. Emma aber bückte sich nieder und ließ die Ketten und Ringe funkelnd durch ihre Finger gleiten. Dadurch entstand ein leiser, golden-metallischer Klang, der einen eigentümlichen Eindruck auf den Kranken hervorbrachte. Sobald dieser Klang sich hören ließ, öffnete nämlich Helmers die Augen und blickte im Kreis umher. Sein Blick hatte nichts Gestörtes oder Stieres an sich; er war nur unendlich traurig; Helmers schien die anwesenden Personen zwar zu sehen, aber nicht zu erkennen.

»Ich bin erschlagen!« flüsterte er. – »O Dios, er redet«, rief da Emma und eilte mit raschen Schritten zum Bett. »Was sagtest du, mein Lieber?« fragte sie mit zitternder Stimme.

Der Kranke blickte sie an und antwortete:

»Ich bin erschlagen worden.« – »Ah, er phantasiert!« rief jetzt das Mädchen ängstlich. »Antonio, kennst du mich denn nicht?« – »Ich kenne dich«, antwortete er. – »So sage meinen Namen!« bat sie. – »Ich weiß ihn nicht.« – »O Madonna, er weiß ihn nicht. Kennst du denn deine Emma nicht?« – »Ich kenne sie; aber ich bin erschlagen worden.«

Da strömte ihr das Wasser aus den Augen, und sie fragte unter Tränen:

»Und diese beiden Häuptlinge?« – »Auch sie kenne ich, weiß aber nicht, wer sie sind.« – »Oh, Büffelstirn und Bärenherz sind dir doch bekannt?« – »Ja, ich kenne sie; aber ich bin erschlagen worden.« – »Er redet irre, er hält sich für tot!« jammerte Emma.

Da trat Büffelstirn zu ihr heran, legte ihr die Hand auf den Arm und fragte:

»Señorita, wollt Ihr mir eine Frage beantworten, und so wahr, als ob Euch der große Geist selber fragt?« – »Ja.« – »Was werdet Ihr tun, wenn unser Freund Donnerpfeil stets so bleibt, wie er jetzt ist?« – »Oh, ich werde ihn nicht verlassen, nie, nie! Aber er wird zu sich selbst kommen.« – »Es ist möglich, daß er wieder gesund wird, aber sein Gehirn ist erschüttert. Gebt uns die Hand darauf, daß Ihr ihn nicht verlassen wollt!«

Das schöne Mädchen zerfloß fast in Tränen. Sie reichte den beiden Indianern die Hand und sagte mit energischem Ton:

»Ich bin seine Verlobte; ich werde sein Weib sein, mag er nun so bleiben oder nicht. Aber ich wünsche, daß er gerächt werde an dem, der ihn erschlagen wollte!« – »Er wird gerächt; ich habe es geschworen«, versicherte der Mixteka, und auch der Apache wiederholte diese Worte.

Da hörte man das Getrabe von Pferden im Hof. Emma trat an das Fenster.

»Der Arzt!« sagte sie. »Oh, nun werden wir sogleich hören, was wir zu hoffen und zu befürchten haben.«

Es dauerte gar nicht lange, so brachte der Haziendero den Arzt in das Zimmer. Dieser ließ sich alles genau erzählen und trat dann an das Bett, um den Kranken zu untersuchen. Letzterer verzog während der Untersuchung das Gesicht zwar außerordentlich schmerzlich, gab aber keinen Laut von sich. Er hielt selbst in der geistigen Gestörtheit den Grundsatz fest, daß man den Schmerz beherrschen müsse. Als der Arzt ihn fragte: »Wer sind Sie, Señor?« antwortete er mit unendlicher Trauer: »Ich weiß es.« – »Und wie heißen Sie?« – »Das ist mir unbekannt.« – »Kennen Sie nicht den Señor Helmers?« – »Ich kenne ihn; aber ich bin erschlagen worden.« – »Wo befindet er sich jetzt?« – »Ich weiß es nicht.« – »Wer hat Sie denn erschlagen?« – »Ich weiß es nicht.« – »Und wo wurden Sie erschlagen? Wissen Sie auch das nicht?« – »O ja; aber ich bin erschlagen worden.«

So beantwortete der Kranke jede an ihn gerichtete Frage. Er behauptete, alle zu kennen und alles zu wissen, aber er kannte niemand und wußte nichts weiter, als daß er erschlagen worden sei. Der Arzt schüttelte den Kopf.

»Es ist ein Schädelbruch vorhanden«, versetzte er, »aber ich kann nichts zu seiner Heilung tun. Das Wundkraut, das Sie aufgelegt haben, ist das einzige, was helfen kann. Wenn der Bruch zuheilt, kommt ihm vielleicht die Erinnerung wieder. Darum darf man nicht denken, daß alles verloren sei.«

Als er mit den anderen das Zimmer verlassen hatte, warf sich Emma neben dem Kranken auf die Knie, erfaßte seine Hände und fragte:

»Kennst du mich wirklich nicht, Antonio?« – »Ich kenne dich«, antwortete er. – »So nenne mich beim Namen, oh, nur ein einziges Mal!« – »Ich weiß den Namen nicht.« – »Hast du mich lieb?« – »Ich habe dich lieb!« – »Sehr?« – »Sehr!« beteuerte er mit dem Ausdruck der Trauer im Angesicht. – »Oh, ich werde dich nicht verlassen, auch wenn du immer krank bleibst!« – »Ich bin nicht krank, ich bin erschlagen worden!« sagte er.

Emma schluchzte laut auf, netzte sein Gesicht mit ihren Tränen und trocknete es wieder mit heißen Küssen, die er geduldig entgegennahm, ohne sie zu erwidern.

Drunten im Hof und draußen im Feld wurden jetzt die Leichen der Komantschen zusammengetragen, um auf Pferde gebunden und nach dem Teich der Krokodile geschafft zu werden. Alles, was sie bei sich getragen hatten, überließ der Haziendero seinem Gesinde. Als die Transportpferde eingefangen, aneinandergebunden und mit ihrer toten Menschenlast beladen worden waren, bildeten sie einen langen Zug.

Von der großen Zahl der Komantschen lebten nur noch sechs, und auch diese konnten nicht sagen, ob sie ihre Jagdgründe wiedersehen würden. Die Alligatoren aber hatten nach so langer Fastenzeit einen gräßlichen Überfluß, denn die in den Teich geworfenen Leichen brachten diesen fast zum Überlaufen. Es bedurfte langer Zeit, ehe die Bestien diesen Fraß zu bewältigen vermochten, und es konnten wohl Wochen vergehen, ehe eine menschliche Lunge die Atmosphäre der Tempelruinen wieder einzuatmen vermochte.


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