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3. Kapitel.

Man ritt immer nach Süden zu. Der Tag neigte sich zu Ende; sie hatten nur noch eine Stunde bis zum Hereinbruch des Abends und befanden sich am Rand einer weiten Ebene, die nun hinter ihnen lag, als der Apache sein Pferd plötzlich anhielt, hinter sich zeigte und rief:

»Ugh!«

Die anderen drehten sich um, die Ebene zu durchmustern.

»Ich sehe nichts«, sagte der Majordomo. – »Wir auch nicht«, erklärten die Vaqueros, trotzdem sie Augen besaßen, die gewohnt waren, in weite Ferne zu spähen. – »Was gibt es?« fragte Emma. – »Auch Sie sehen nichts?« antwortete Helmers. – »Nein. Siehst du etwas, Karja?« – »Nicht das mindeste«, erklärte die Indianerin. – »Der Häuptling der Apachen kann doch nicht den Trupp wilder Pferde meinen, den man dort erblickt?« fragte der Majordomo. »Uff!« sagte der Apache mit geringschätziger Miene. – »Gerade den meint er«, sprach der Deutsche. – »Was gehen uns die Mustangs an?« – »Sind sie wirklich so gleichgültig, Señor Majordomo?« – »Ja. Wir sind ja mit Pferden versehen.« – »Seht sie Euch genauer an!«

Ungefähr zwei englische Meilen hinter ihnen galoppierte eine Herde von Pferden mit erhobenen Schwänzen und wehenden Mähnen einher. Sie kam immer näher. Kein Reiter, kein Sattel oder Bügel, kein Zügel, nicht die dünnste Schnur ließ sich sehen.

»Es sind Mustangs!« sagte der Majordomo. – »Uff!« rief der Apache zum zweiten Mal, jetzt aber wirklich verächtlich.

Dann lenkte der sein Pferd wieder herum und ritt im Galopp vorwärts. Die anderen mußten folgen. Emma aber drängte ihr Pferd zu Helmers heran und fragte:

»Was hat der Apache?« – »Er ärgert sich.« – »Worüber?« – »Über die Dummheit des Majordomo.« – »Dummheit? Señor Helmers, unser Majordomo ist ein sehr erfahrener Mann.« – »In häuslichen Angelegenheiten vielleicht.« – »O nein. Er ist ein tüchtiger Reiter und Schütze, ein Pfadfinder, der seinesgleichen sucht; man kann sich in jeder Beziehung auf ihn verlassen.« – »Ein Pfadfinder? Hm!« Jetzt blickte der Deutsche ebenfalls verächtlich drein. »Ja, ein Pfadfinder in den Straßen einer Stadt oder auf den Gassen eines Dorfes. Zu einem Rastreador, zu einem wirklichen Pfadfinder, gehört mehr. Sie sagen, daß man sich in jeder Beziehung auf ihn verlassen könne, und doch wären Sie verloren, wenn Sie jetzt nur allein auf seine Erfahrung und seinen Scharfsinn angewiesen wären.« – »Ah! Wieso?« – »Weil diese Pferde keine wilden Mustangs sind.« – »Was sonst?« – »Es sind die Komantschen, die uns verfolgen.« – »Die Komantschen? Man sieht doch nur die Pferde?« – »Ja, aber die Roten sind dennoch dabei. Sie haben einen Riemen um Hals und Leib der Pferde gezogen, und in diesen Riemen hängen sie mit dem linken Arm und dem rechten Bein. Sahen Sie nicht, daß uns nur die rechten Flanken der Pferde zugekehrt waren, trotzdem sie gerade hinter uns herreiten? Sie lassen ihre Tiere in schiefer Körperstellung galoppieren. Eine solche Haltung ist das sicherste Zeichen, daß ein Indianer sich hinter dem Pferd verbirgt.« – »Heilige Madonna. So werden sie uns abermals angreifen?« – »Entweder sie uns oder wir sie. Ich ziehe das letztere vor. Der Apache ist ganz meiner Meinung. Sehen Sie, wie er nach beiden Seiten späht!« – »Was sucht er?« – »Ein Versteck für uns, von dem aus wir die Komantschen fassen können. Überlassen wir ihm alles. Er ist die tüchtigste und wackerste Rothaut, die ich kenne, und auf ihn allein verlasse ich mich lieber, als auf tausende von Ihren Majordomos, so erfahren sie auch sind.« – »Gut! Verlassen wir uns auf ihn und auf noch einen!« – »Auf wen?« – »Auf Sie!« – »Ah, wollen Sie das wirklich?« fragte er mit einem freudigen Aufleuchten seiner Augen. – »Von ganzem Herzen!« antwortete sie. »Sie loben nur den Apachen, aber Sie vergessen zu sagen, daß man Ihnen ebenso vertrauen kann als ihm.« – »Glauben Sie das wirklich?« – »Ja. Ich habe Sie beobachtet. Sie sind kein gewöhnlicher Jäger, und ich glaube sicher, daß auch Sie einen Ehrennamen tragen, den Ihnen die Trapper und Indianer gegeben haben.«

Er nickte.

»Sie erraten es.« – »Und welches ist Ihr Jägername?« – »O bitte, nennen Sie mich immer Antonio oder Helmers.« – »Sie wollen ihn mir nicht sagen?« – »Jetzt nicht. Wenn man ihn einmal zufällig nennen wird, werde ich mich zu erkennen geben.« – »Ah, Sie sind eitel. Sie wollen inkognito sein wie ein Fürst.« – »Ja«, lachte er. »Ein guter Jäger muß ein klein wenig eitel sein, und Fürsten sind wir alle, nämlich Fürsten der Wildnis, des Waldes und der Prärie.« – »Fürsten! Ja, da fällt mir einer jener berühmten Namen ein.« – »Welcher?« – »Matavase.« – »Ja, der ist einer der Berühmtesten. Haben Sie von ihm gehört?« – »Viel. Er soll da oben in den Felsengebirgen gewesen sein.« – »Allerdings; darum nennen ihn die Indianer Matavase, die englischen Trapper Rockyprince, und die französischen Coureurs sagen Prince du roc. Alle diese drei Namen bedeuten ein und dasselbe, nämlich Fürst des Felsens.« – »Er ist ein Weißer?« – »Ja.« – »Haben Sie ihn gesehen?« – »Nein, aber ich habe gehört, daß er ein Landsmann von mir ist.« – »Ein Deutscher?« – »Ein Deutscher«, nickte Helmers. »Er soll Karl Sternau heißen und eigentlich ein Arzt sein. Er hat Amerika bereist und ist mehrere Monate mit unserem braven Bärenherz durch die gefährlichsten Regionen des Felsengebirges gestrichen. Jetzt befindet er sich längst wieder auf dem Kontinent.«

Während dieses Gesprächs hatte man im Galopp den Weg fortgesetzt. Die offene Prärie lag hinter ihnen, und sie ritten nun durch ein Hügel- und Felsengewirr, das ganz geeignet war, ein Versteck zu bieten. Dies hatte der Apache gewollt, denn plötzlich bog er rechts ein und schlug einen schnellen, aber weiten Bogen, so daß sie nach bereits zehn Minuten eine Stelle erreichten, an der sie vorher vorbeigekommen waren.

Die Stelle war von Bärenherz sehr vorsichtig gewählt worden. Die Truppe hielt auf einer von drei Seiten geschützten Anhöhe, die steil in die Schlucht niederfiel, durch die sie vorhin gekommen waren und die auch die Komantschen passieren mußten, wenn sie die Verfolgung wirklich fortsetzten.

Der Apache stieg vom Pferd und pflockte dasselbe an. Die anderen taten ebenso.

»Jetzt die Gewehre zur Hand!« gebot Helmers. »Wir werden nicht lange warten müssen.«

Seine Gefährten gehorchten dem Gebot, sogar die beiden Mädchen ergriffen die erbeuteten Büchsen, schritten vor bis an den Rand und legten sich dort auf die Lauer.

»Bst, Señor!« winkte der Deutsche dem Majordomo. »Den Kopf zurück, damit wir nicht bemerkt werden. Diese Komantschen haben scharfe Augen.« – »Späher vorüber lassen!« sagte der Apachenhäuptling in seiner kurzen Weise. – »Was meint er?« fragte einer der Vaqueros. – »Das ist doch sehr einfach«, antwortete der Deutsche. »Die Komantschen werden natürlich vermuten, daß wir auf den Gedanken kommen, ihnen aufzulauern. Daher werden sie wohl einen oder zwei Kundschafter voranreiten lassen, um sich zu überzeugen, ob wir einen Hinterhalt gelegt haben; sie kommen dann in sicherer Entfernung nach. Wir lassen also die Späher vorüber, die unserer Fährte weiter folgen werden, und warten, bis die anderen kommen. Aber wir schießen nicht aufs Geratewohl, sondern in der Reihenfolge, wie wir liegen, damit keine Kugel verschwendet wird. Der erste von uns schießt auf den ersten Komantschen, der zweite auf den zweiten und so weiter. Verstanden?«

Die Vaqueros nickten zustimmend, und nun entstand eine Pause der Erwartung.

Da endlich hörte man vorsichtig den Hufschlag zweier Pferde, und zwei Komantschen kamen langsam durch das Felsengewirr. Ihre scharfen Augen suchten jeden Schritt der Umgebung ab, wurden aber getäuscht, da die Spur der Mexikaner weiterführte. Daß diese seitwärts einen Bogen geschlagen hatten und zurückgeritten waren, daran dachten die Wilden nicht. Sie ritten vorüber und verschwanden hinter den Steinen.

Nach einigen Minuten hörte man erneutes Pferdegetrappel. Die übrigen kamen und ritten unbesorgt heran, da sie ihre Kundschafter vor sich wußten. Als der letzte von ihnen in der Schlucht erschienen war, streckte der Apache sein Gewehr vor, und der Deutsche kommandierte:

»Feuer!«

Die Büchsen krachten, diejenigen des Deutschen und des Apachen zweimal, und ebenso viele Feinde stürzten von den Pferden. Die anderen stockten einige Augenblicke. Sie wußten nicht, sollten sie fliehen oder den verborgenen Feind angreifen. Ratlos blickten sie ringsumher, bis sie endlich den Pulverdampf oben auf der Höhe gewahrten.

»Nlate tki – dort sind sie!« rief einer, mit der Hand empor deutend.

So kurz diese Pause war, die Unentschlossenheit der Wilden hatte den Weißen doch Zeit gegeben, schnell wieder zu laden. Ihre Schüsse krachten von neuem, und die Zahl der Gefallenen verdoppelte sich. Nun gab es für die wenigen Verschonten keinen Halt mehr. Sie rissen ihre Pferde herum und flohen im gestreckten Galopp davon.

»Der Komantsche ist ein Feigling!« meinte der Apache stolz und stieg langsam die Stellung nieder, um sich die Skalpe der vier von ihm erschossenen Feinde zu holen. Auch die anderen folgten, um sich der Waffen und reiterlosen Pferde zu bemächtigen. Nach einem kurzen Aufenthalt konnte der Weg wieder fortgesetzt werden.

»Nun werden wir für alle Zeiten sicher sein«, meinte Emma. – »Glauben Sie das nicht, Señorita!« sagte Helmers. – »Nicht? Ich dächte, die Lehre, die wir ihnen gegeben haben, sei hart genug!« – »Gerade deshalb werden sie auf Rache sinnen. Sehen Sie, daß der Apache da links hinüberblickt?« – »Ja. Was will er?« – »Dorthin führt die Fährte der beiden Späher, die gleich den anderen geflohen sind. Sie werden die übriggebliebenen treffen und uns folgen, bis sie wissen, wo wir sind und wo wir bleiben. Dann kehren sie um und holen genug Krieger, um die Hazienda zu überfallen.« – »Oh, die Hazienda ist fest. Sie ist eine kleine Festung.« – »Ich kenne diese Art von Meiereien oder Gutshöfen. Sie sind aus Stein gebaut und gewöhnlich mit Palisaden umgeben. Was aber hilft das gegen einen Feind, der unvermutet kommt?« – »Wir werden wachen.« – »Tun Sie das!« – »Und Sie mit. Ich will hoffen, daß Sie doch unser Gast sein werden!« – »Ich muß sehen, was Bärenherz dazu sagt. Von ihm kann ich mich nicht trennen.« – »Er wird bleiben!« – »Er ist ein Freund der Freiheit. Er hält es in einem Gebäude nie längere Zeit aus.« – »Oh«, lächelte sie, »ich sehe, daß er es aushalten wird.« – »Woher vermuten Sie das?« – »Aus den Blicken, mit denen er Karja betrachtet.« – »Ha! Sie beobachten richtig, wie ich auch schon bemerkt habe. Aber ich denke, die Indianerin liebt bereits den Grafen?« – »Gewiß. Bärenherz sollte mich dauern, wenn er sich hinreißen ließe.« – »Dauern? Pah! Er ist von einem eisenharten Stoff gemacht. Er wird nie um Liebe winseln und sich auch einer unerwiderten Neigung wegen nicht zu Tode jammern.« – »Aus welchem Stoff sind denn Sie gemacht?« neckte sie. – »Vielleicht aus demselben.« – »So würden auch Sie nicht jammern?« – »Nie!« – »Und doch habe ich gehört, daß der Deutsche ein Herz hat, wie kein anderer, so tief und so weich. Er soll sogar ein Herzenswort besitzen, das in keiner anderen Sprache vorkommt.« – »Sie meinen das Wort ›Gemüt‹? Ja, dieses Wort hat kein anderes Volk. Der Deutsche allein hat ein Gemüt und zugleich einen Charakter. Und ein Präriemann, mag er nun stammen von welchem Volk es nur immer sei, bettelt selbst um die Liebe nicht.« – »Das ist stolz!« – »Aber richtig. Das Weib, das ich liebe, soll mich auch achten. Aber bitte, wir bleiben zurück! Der Apache eilt, weil es vor allen Dingen gilt, einen sicheren Lagerplatz aufzusuchen, und das wollen wir ihm durch unser Zögern nicht erschweren.«

Es ging nun in munterer Schnelligkeit vorwärts, bis sie einen breiten Wasserlauf erreichten. Der Apache folgte demselben, bis das Flüßchen einen Bogen bildete. Hier hielt er an.

»Hier sicher?« fragte er Helmers in seiner kurzen Weise.

Der Gefragte musterte mit prüfendem Blick die Umgebung und nickte zustimmend.

»Hier ist's gut«, sagte er. »Von drei Seiten schützt uns der Fluß, und die andere können wir recht gut bewachen. Steigen wir also ab!«

Sie sprangen alle von den Pferden und richteten das Lager vor. Innerhalb des Dreiviertelkreises, den der Fluß bildete, und hart an dem Ufer desselben wurden die Pferde postiert; dann kam das Feuer, um das sich die Gesellschaft lagerte, und die vierte, die Landseite, wurde von Büschen abgeschlossen, in die man eine Wache legte.

Helmers richtete für Emma aus Zweigen und Laub ein weiches Lager vor; Bärenherz tat dasselbe für die Indianerin. Es war dies von seiten des Apachen eine ganz ungewöhnliche Auszeichnung, denn kein Wilder läßt sich herbei, eine Handreichung zu leisten, die die Frau oder das Mädchen selbst tun könnte.

Nachdem man die Ereignisse des Tages ausführlich besprochen hatte, wozu jedoch der Apache kein Wort sagte, legte man sich zur Ruhe.

Es war die Anordnung getroffen, daß ein jeder drei Viertelstunden wachen sollte. Bärenherz und Helmers hatten die letzten Wachen übernommen, da die Zeit kurz vor Beginn des Tages, in der die Wilden ihre Angriffe am liebsten zu unternehmen pflegen, die gefährlichste ist.

Doch verging die Nacht ohne alle Störung, und man brach am Morgen mit erneuten Kräften auf. Während des Weiterritts ließen sich die Komantschen nicht wieder sehen; man kam nach und nach in kultiviertere Gegenden und erreichte am Nachmittag das Ziel.


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