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22. Kapitel.

Am anderen Morgen wurde Graf de Rodriganda beerdigt. Die ganze Hautevolee beteiligte sich dabei. Don Ferdinando wurde auf dem Friedhof in seiner Begräbnisstätte beigesetzt, die er für sich hatte erbauen lassen. Graf Alfonzo wurde trotz seiner zur Schau getragenen Betrübnis viel beneidet, und nur die reinen Ehrenmänner hätten nicht mit ihm getauscht.

Nach der Beerdigung herrschte tiefe Ruhe im Haus. Alfonzo saß auf dem Diwan und dachte darüber nach, wie er seinen Reichtum nun am besten genießen könne, da wurde die Tür leise geöffnet, und – Josefa trat ein.

Er erhob sich in höchster Überraschung; ein solches Wagnis schien ihm unbegreiflich.

»Du?« fragt er. »Was willst du?« – »Dich sprechen«, antwortete sie kurz. – »Konntest du dich nicht anmelden lassen?« – »Läßt du dich anmelden, wenn du zu uns kommst?« – »Das ist ein anderer Fall! Was soll die Dienerschaft sagen, wenn sie sieht, daß du zu mir schleichst!« – »Daß wir verwandt sind«, erwiderte sie höhnisch. – »Du! Bist du toll?« – »Still! Ereifere dich nicht. Es weiß noch niemand, aber es ist sehr leicht möglich, daß sie es erfahren, und zwar von mir.« – »Du beliebst zu scherzen!« – »Ich spreche im Ernst, wenn ich auch bei schlechter Laune bin.« – »Willst du wohl die Güte haben, mir zu sagen, wer oder was dich in diese Laune versetzt hat?«

Josefa blickte den Frager zornig an und antwortete:

»Erstens der Umstand, daß du nicht die Höflichkeit hast, mir einen Sessel anzubieten.« – »Setze dich! Und zweitens?« – »Zweitens hast du mich fürchterlich beleidigt!« – »Beleidigt? Und sogar fürchterlich? Das ist schlimm, leider aber bin ich mir nichts davon bewußt.« – »Hast du nicht gesagt, ich sei häßlich und alt, hätte kein Herz und wäre zu jedem Verbrechen fähig?« – »Alles dies habe ich allerdings gesagt.«

Alfonzo sprach diese einsilbigen Antworten in einem kurzen, beinahe lustigen Ton. Josefa aber wurde immer bleicher vor Grimm, und ihre Eulenaugen bohrten sich drohend in die seinigen, als sie ihn zornig fragte:

»Darf ich annehmen, daß du dies im Scherz sagst?« – »Nein.« – »So war es Ernst, wirklicher Ernst?« – »Gewiß! Dein Vater, die alte Plaudertasche, kann es mir bezeugen.« – »Ah, welch eine neue Beleidigung!« rief sie, indem sie die dürren Hände zur Faust ballte. – »Willst du mich fordern?« lachte er. – »Nein, denn du wärst so feig, nicht zu kommen. Soll ich dir beweisen, daß ich ein Herz habe?« – »Ja.« – »Hat man ein Herz, wenn man liebt?« – »Natürlich, vorausgesetzt jedoch, daß man mit dem Herzen liebt.« – »Nun wohlan, ich liebe mit dem Herzen und zwar dich selbst.«

Es war nicht etwa ein inniger, warmer Blick, den Josefa ihrem Vetter bei diesen Worten zuwarf, sondern ein funkelnder Katzenblick, etwa wie der eines Panthers, der im Käfig steckt und sich doch auf jemand werfen möchte.

»Mich?« fragte er, laut lachend. »Das ist amüsant. Ich habe übrigens ganz und gar nichts dagegen.« – »Das ist deine einzige Antwort?« – »Willst du noch mehr Antworten? Zwei oder gar drei?«

Als Josefa hörte und sah, daß Alfonzo sich über sie lustig machte, zuckten ihre Finger und krallten sich zusammen, als ob sie ihm das Gesicht zerreißen und zerkratzen wolle. Vor Zorn zischend, entgegnete sie:

»Hast du einmal etwas von Gegenliebe gehört?« – »Freilich«, erwiderte er. »Ich habe sogar Gegenliebe gefühlt und gefunden, viele, viele Male!« – »So weißt du, daß zur Liebe Gegenliebe gehört?« – »Ja.« – »Nun wohl, ich verlange Gegenliebe von dir!« – »Pah, du bist toll!« – »Oh, ich bin sehr bei Sinnen, aber es ist möglich, daß ich noch toll werde!« sagte sie. – »Probier es doch einmal.« – »Wünsche das ja nicht, denn ich würde dich zerreißen.« – »Hm, die Krallen hättest du in der Tat dazu«, meinte er mit schneidendem Hohn. – »Alfonzo!« knirschte sie da auf. »Also du liebst mich nicht?« – »Nein, Cousinchen. Du wirst auch nie im Leben einen finden, der sich in dich verlieben möchte.«

Ein jedes seiner Worte war ein spitzer, barbarischer Dolchstoß für sie; sie bezwang sich aber.

»Warum?« fragte sie. »Hast du bereits einmal gehört, daß man sich Liebe erzwingen kann?« – »Etwa mit einem Liebestrank? Pah!« – »Nein, sondern durch wirkliche Gewalt, wirklichen Zwang.« – »Das träumst du nur.« – »Und doch ist es Wahrheit, das werde ich dir beweisen.« – »Du machst mich neugierig.«

Alfonzo spielte mit Josefa wie die Katze mit der Maus, aber es war nur der Leichtsinn, der ihn dazu verführte, denn er vermochte sich nicht zu denken, welche Folgen eine solche Grausamkeit haben mußte.

»Ich werde dich durch eine Grafenkrone zwingen«, sagte sie. – »Du sprichst in Rätseln.« – »So will ich deutlicher sein: Wenn du mich nicht zur Gräfin machst, so ist es um deine Grafenkrone geschehen.«

Alfonzo erbleichte jetzt doch. Er dachte daran, daß sie eines jeden Verbrechens fähig sei, und antwortete:

»Sei verständig, Josefa! Die Liebe läßt sich nicht geben und nicht nehmen: ich kann ja nichts dafür, daß ich für dich nicht das empfinde, was du für mich fühlst.« – »Du sollst es aber empfinden, ich will es so!«

Dabei stampfte sie den Boden mit ihrem Fuß.

»Bitte, beherrsche dich!« sagte er ernst. – »Ich habe mich beherrscht, jahrelang. Ich habe meine Liebe versteckt, tief in der Brust, bis sie mir das ganze Herz zerrissen hat. Ich habe mich beherrscht auch heute und jetzt, wo du mich mit Ironie zerfleischst. Und ich beherrsche mich noch einmal, indem ich dich bitte, doch nur den Versuch zu machen, mich zu lieben. Alfonzo, ich beschwöre dich, versuche es!«

Josefa trat auf ihn zu, um seine Hand zu erfassen, er aber entzog ihr dieselbe und entgegnete:

»Spiele nicht Komödie, Cousine, und gehe in dein Zimmer, ich kann dir nicht helfen!«

Josefa blickte ihn mit einem tiefen, unbeschreiblichen Blick an. Hätte er jetzt die Hand nach ihr ausgestreckt, sie wäre unendlich glücklich geworden, sie wäre ein gutes, braves Weib geworden, alles Böse in ihr wäre gewichen vor der einen, unwiderstehlichen Macht der Liebe. Er aber tat es nicht.

»Nun wohlan«, sagte sie, »da du mir nicht helfen kannst, so muß ich mir selber helfen. Nicht wahr, mein Vater geht nach Verakruz?« – »Ja; er schafft die Leiche fort.« – »Wann kommt er wieder?« – »Es wird über eine Woche dauern.« – »Gut, so gebe ich dir Zeit bis dahin. Nach der Rückkehr des Vaters werde ich dich fragen. Weist du mich dann auch noch zurück ...« – »Ich weise dich sicher zurück!« unterbrach er sie. »Ich werde dich zurückweisen, selbst wenn du mir fünfzig Jahre Bedenkzeit gibst.« – »So haßt und verachtest du mich?« – »Weder das eine noch das andere. Ich scheue dich: das ist alles, was ich für dich fühle. Gib dich damit zufrieden!« – »Er scheut mich!« sagte sie mit zitternder Stimme. »Ich bin ihm nichts als eine Vogelscheuche!« – »Ja, Cousine, dies ist das richtige Wort!« lachte er.

Josefa kniff die schmalen Lippen zusammen und ballte abermals die Fäuste.

»Nimm dich in acht, Alfonzo!« zischte sie drohend. »Du hast mich nun genug beleidigt!« – »So gehe doch!« – »Ja, ich gehe! Du weißt, wie lange ich dir Frist gegeben habe. Adieu.« – »Adieu! Und merke dir, daß du dich anmelden zu lassen hast, wenn du wieder mit mir sprechen willst.«

Josefa ging, und Alfonzo sank lachend in seinen Diwan. Er hatte nach seiner Meinung eine Art Lustspiel durchlebt und dachte gar nicht daran, wie bald dasselbe zum Trauerspiel werden könne.


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