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»Das Wasser rauscht, die Woge brüllt,
Entfesselt ist das Element.
Es wird das Herz von Grau'n erfüllt,
Für das es keine Worte kennt.
Jedoch des Wassers düsterer Grimm,
Der Woge kalt gefräß'ge Wut
Ist nicht so schrecklich, nicht so schlimm,
Als wie der Rache wilde Glut!
Das Feuer steigt, die Flamme braust,
Die lodernd in die Wolken brennt,
So daß es selbst dem Kühnsten graust,
Der sonst des Schreckens Macht nicht kennt.
Jedoch des Feuers heißer Grimm,
Der Flamme schonungslose Wut
Ist nicht so schrecklich, nicht so schlimm,
Als wie der Rache wilde Glut!«
Graf Alfonzo war der Büchse des Apachen glücklich entkommen. Er hatte bemerkt, daß seine beiden Diener stürzten, aber er hielt nicht an, um zu sehen, ob sie tot oder nur verwundet seien. Die Angst vor den Folgen seiner Unbesonnenheit trieb ihn vorwärts. Er war zwar der Sohn des eigentlichen Gebieters der Hazienda, hatte aber erfahren, was dies galt, und dazu wußte er, daß hier, so nahe an der indianischen Grenze, ganz andere Anschauungen und Gebräuche herrschten als in der Hauptstadt und ihrer Umgebung. Der Umstand, daß man auf ihn schoß, sagte ihm, mit welchen Leuten er es zu tun bekomme, falls er sich ergreifen ließ, und so hatte er nur den einen Gedanken: Fort, nach der Höhle des Königsschatzes und dann heim nach Mexiko!
Er ließ sein Tier so rasch ausgreifen, als es bei der Dunkelheit ohne Gefahr möglich war, und minderte diese Schnelligkeit auch nicht eher, als bis er das Tal erreichte, in dem seine Helfershelfer lagerten. Er wurde wieder wie gestern angerufen und gab dieselbe Antwort. Nun durfte er an das Feuer treten, das man schürte, damit man besser zu sehen vermöge.
»Seid ihr fertig?« fragte er. – »Wir sind bereit«, antwortete der Anführer. – »Und wie steht es mit den Pferden?« – »Die haben wir von den Herden Señor Arbellez' eingefangen.« – »Wie viele?« – »Achtzehn für uns und dreißig für Sie.« – »Sind Sie gesattelt?« – »Ja.« – »So laßt uns aufbrechen!« – »Und Ihre beiden Diener, die dabeisein sollen?« – »Die kommen nicht.« – »Ah! Wer wird es da sein, der Sie bedient?« – »Das wird sich finden«, antwortete er.
Erst jetzt fiel ihm ein, in welcher Verlegenheit er sich befand. Er konnte diese wüsten Menschen doch unmöglich mit in die Höhle nehmen. Sie hätten dieselbe ausgeräumt, nicht für ihn, sondern für sich. Doch hoffte er, daß sich wohl im rechten Augenblick ein Ausweg finden lassen werde. Die Männer holten ihre Pferde herbei und saßen auf. Er setzte sich mit dem Anführer an ihre Spitze, und fort ging es.
Alfonzo kannte den Berg, den die Indianerin ihm genannt hatte, aber von dieser Seite aus hatte er ihn noch nicht besucht. Er war also mit den Einzelheiten des Weges nicht vertraut, sondern wußte nur die Richtung, und darum kam man bei der Vorsicht, die geboten war, nur langsam weiter.
Erst als der Morgen zu dämmern begann, konnte man die Pferde besser ausgreifen lassen, und nun dauerte es auch nicht lange, so tauchte die dunkle Masse des El Reparo vor ihnen auf.
Sie erreichten den Berg von seiner Südseite und ritten an seinem östlichen Abhang hin. Der erste Bach wurde überschritten, und als dann Alfonzo merkte, daß der zweite in der Nähe sei, ließ er halten. Bis an die Höhle wollte er sie nicht mitnehmen. Es galt ja überhaupt zunächst, sich von dem Dasein derselben zu überzeugen.
»Was nun?« fragte der Anführer. – »Ihr wartet!« – »Ah, Sie werden uns verlassen?« – »Ja, für kurze Zeit.« – »Was ist es denn eigentlich, was wir zu laden haben?« – »Darum habt ihr euch gar nicht zu kümmern; das ist ja so ausbedungen, wie ihr wißt.«
Graf Alfonzo ritt langsam davon. Der Anführer aber wandte sich zu seinen Leuten:
»Jetzt haben wir sein Geheimnis in der Nähe. Was tun wir?« – »Ihn belauschen«, antwortete einer. – »Das ist vielleicht das beste. Wartet hier!«
Der Capitano stieg ab und folgte dem Grafen zu Fuß. Es gab Felsen und Buschwerk genug, das ihm Deckung gewährte, so daß Alfonzo, auch wenn er sich umdrehte, ihn nicht sehen konnte.
So ging es eine Strecke weiter, bis der Graf den Bach erreichte. Hier stieg er ab, band sein Pferd an den Stamm eines Eichenbäumchens und verschwand hinter den Büschen. Der Anführer wartete eine Weile, da der Graf aber nicht zurückkehrte, so eilte er, seine Leute wieder aufzusuchen. Er fand sie noch an derselben Stelle, wo er sie verlassen hatte.
»Er ist im Gebüsch verschwunden«, sagte er. »Dort hat er sein Geheimnis. Was will er tun, wenn wir etwas näher reiten! Vorwärts!«
Sie setzten sich abermals in Bewegung, gegen das Buschwerk zu, das den Bach besäumte, drangen aber nicht weiter vor, sondern blieben hier halten. Nun befanden sie sich zwar am Bach, aber noch nicht am Austritt desselben aus dem Berg. Zwischen diesem und ihnen gab es noch eine von Buschwerk bestandene Windung, so daß sie den Eingang zur Höhle nicht zu sehen vermochten. Ebenso erblickten sie nicht das Pferd des Grafen, da er es seitwärts von ihrem Standort angebunden hatte.
Alfonzo hatte inzwischen den Austritt des Wassers untersucht und gefunden, daß es möglich sei, hineinzugelangen. Er stieg also in die kalte Flut, bückte sich und kroch vorwärts. Noch aber hatte er nicht ganz den Punkt erreicht, wo die Höhle sich zu wölben begann, so gewahrte er einen hellen Lichtschein vor sich.
Was war das? War das Fackellicht? Oder war es der Schein des Tages, der durch irgendeine Öffnung der Höhle hereindrang? Es schien das erstere zu sein. An das Zurückweichen dachte der Graf nicht; er schob sich langsam und vorsichtig weiter, jedes Geräusch vermeidend, um nicht bemerkt zu werden.
Da plötzlich brach ein goldenes und diamantenes Blitzen und Flimmern in sein Auge. Er erschrak förmlich und fuhr empor. Und als er innerhalb der Höhle stand und die Schätze erblickte, die hier eingeschlossen waren, begann er zu zittern. Der Teufel des Goldes packte ihn mit aller Macht. Seine Augen verdunkelten und erweiterten sich abwechselnd; er hätte laut aufschreien mögen vor wonnigem Schreck; aber das ging nicht, denn – dort, kaum fünf Schritt vor ihm, kniete ein Mann am Boden und ordnete eine Partie kostbares Geschmeide, das er auf einer Mosaikplatte aufgehäuft hatte. Wer war dieser Mensch? Ah, jetzt bog er sich seitwärts; sein Profil war zu sehen, und der Graf erkannte ihn.
»Der Deutsche!« murmelte er zwischen den Zähnen. »Der Bräutigam, der mich vertrieben hat! Wer hat ihm die Höhle verraten? Ist er allein hier, oder hat er Begleitung mit?«
Sein Auge irrte suchend durch den Raum; er sah, daß Helmers allein war, er hatte keine Ahnung davon, daß Büffelstirn sich in einer nebenan liegenden Abteilung befand.
»Ah, es ist niemand hier außer ihm!« dachte er mit grimmiger Freude. »Er soll nicht eine Erbse groß von diesem Gold erhalten. Ich werde Rache nehmen. Er muß sterben!«
Er stieg leise aus dem Wasser. Nicht weit von ihm lehnte eine Kriegskeule. Sie war vom festesten Eichenholz gefertigt und mit spitz geschliffenen Kristallstücken besetzt, die einen Hieb doppelt gefährlich machten. Er faßte sie an dem mit edlen Steinen geschmückten Griff und schlich sich hinter dem Deutschen heran, der soeben eine köstlich gearbeitete Kette durch seine Finger gleiten und sie im Licht der Fackel funkeln ließ.
»Prachtvoll!« sagte derselbe. »Lauter Rubinen! Sie allein bildet einen Reichtum!«
Dann wollte er sie fortlegen, kam aber nicht dazu, denn die Keule sauste auf ihn herab und traf seinen Kopf mit solcher Wucht, daß er sofort zusammenbrach und die Kette der sich öffnenden Hand entglitt.
Jetzt stieß der Graf einen wilden, unartikulierten Schrei aus und rief:
»Gesiegt! Alles mein, alles, alles, alles!«
Ein fast wahnsinniges Entzücken bemächtigte sich seiner. Er sprang vor Freude empor und schlug die Hände zusammen wie ein Sinnloser. Wer ihn so gesehen hätte, der hätte ihn für verrückt gehalten.
Da, was war das? Er stand plötzlich wie gelähmt; er erbleichte, und seine Augen öffneten sich weit, als ob er Gespenster sehe. Aus der hintersten Ecke löste sich eine Gestalt, die ihre Augen erst erstaunt und dann mit einem grimmigen Leuchten auf ihn richtete. Es war Büffelstirn, der von seinem Gang zurückkehrte und anstatt des Freundes einen anderen erblickte, neben dem der Deutsche regungslos am Boden lag.
Mit zwei tigergleichen Sprüngen stand der Indianer bei dem Grafen und packte ihn.
»Hund, was tust du hier?« rief er.
Der Gefragte vermochte kein Wort hervorzubringen. Diesem entsetzlichen Indianer war er nicht gewachsen; das wußte er. Er war verloren – aus dem höchsten Entzücken herab in den kalten, starren Tod gestürzt. Es lief ihm eiskalt über den Rücken, und er zitterte.
»Hast du ihn erschlagen?« schrie Büffelstirn, auf den Deutschen und die am Boden liegende Keule deutend. Er rüttelte ihn dabei mit einer Gewalt, als ob ein Riese ein kleines Kind gepackt habe. – »Ja«, stöhnte der Graf vor Angst. – »Warum?« – »Diese ... diese Schätze sind schuld«, stammelte er. – »Pah! Du bist sein Feind. Sein Tod war dir schon vorher erwünscht. Wehe dir, dreifach wehe!«
Büffelstirn bückte sich, um den Freund zu untersuchen, und der Graf stand dabei wie eine bewegungslose Figur. Wie leicht konnte er die Keule erfassen und einen Kampf wenigstens versuchen. Aber er befand sich unter dem Zauber des Schatzes und unter dem Bann dieses berühmtesten der Ciboleros. Es ging ihm, wie die Sage von dem kleinen Vogel erzählt, der auch nicht flieht, wenn die Klapperschlange ihre Augen auf ihn richtet, sondern sich widerstandslos von ihr verschlingen läßt.
»Er ist tot!« sagte Büffelstirn, sich wieder erhebend. »Ich werde Gericht halten über dich, und dein Tod soll ein solcher sein, wie ihn noch keiner hier gefunden hat. Du bist der Mörder des edelsten und besten Jägers, den die Erde trug; ich werde dich tausendfach sterben lassen.«
Der Indianer stellte sich mit vor der Brust verschlungenen Armen dem Missetäter gegenüber. Seine riesige Gestalt reckte sich in ihren Muskeln, und sein Auge richtete sich faszinierend auf den Grafen.
»Ah, du bebst!« sagte er verächtlich. »Du bist ein Wurm, eine feige Memme. Wer hat dir den Weg zu dieser Höhle verraten?«
Der Gefragte schwieg. Es war ihm, als sei der jüngste Tag hereingebrochen und als stehe er vor dem ewigen Richter.
»Antworte!« donnerte der Cibolero. – »Karja«, hauchte der Graf. – »Karja? Meine Schwester?« – »Ja.«
Die Augen des Indianers funkelten wie glühende Fackeln.
»Sagst du die Wahrheit? Oder lügst du? Du nennst meine Schwester vielleicht nur, um Gnade zu erlangen und der Strafe zu entgehen!« – »Ich sage die Wahrheit; du kannst es mir glauben!« – »Ah, so mußt du teuflische Verführungskünste angewandt haben, um ihr das Geheimnis des El Reparo zu entlocken. Du hast ihr Liebe geheuchelt?«
Der Graf schwieg.
»Rede! Nur die Wahrheit kann dein Schicksal mildern. Weißt du, wie du sterben mußt?« – »Sage es«, bat Alfonzo schaudernd. – »Es gibt da droben am Berg ein Wasserloch; es ist nicht groß, aber es enthält die zehn heiligen Krokodile, in deren Bäuchen die früheren Herrscher dieses Landes die Verbrecher begruben. Die Tiere sind über hundert Jahre alt; sie haben lange Zeit gehungert. Ich werde dich hinaufschaffen und an einen Baum hängen, so daß du lebendig über dem Loch schwebst. Die Krokodile werden emporschnellen nach dir, dich aber nicht ganz erreichen. Sie werden sich um dich zerreißen, du wirst ihren stinkenden Dunst einatmen und lange Tage und Nächte über ihnen hängen, denn der Strick geht dir nicht um den Hals. So wirst du hängen in der Sonnenglut, so wirst du verschmachten, verhungern und verdursten, und dann erst, wenn dein Leichnam zu Aas verfault, wirst du herabstürzen und von den Alligatoren gefressen werden.«
Alfonzo hörte diese Worte mit unbeschreiblichem Entsetzen; seine Zunge war bewegungslos; sie lag ihm vor Furcht wie Blei im Mund; er konnte keine Bitte um Gnade aussprechen.
»Nur ein offenes Geständnis kann dieses Schicksal mildern«, fuhr der Indianer fort. »Also rede! Hast du meiner Schwester von Liebe gesprochen?« – »Ja«, stieß der Gefragte hervor. – »Aber du liebtest sie nicht?« – »Nein«, antwortete er. Er gestand und wagte nicht, eine einzige unwahre Silbe auszusprechen. – »Sie aber liebte dich?« forschte der Indianer weiter.
Auch diese Frage bejahte Alfonzo aufrichtig.
»Wo hattest du deine Zusammenkünfte mit ihr?« – »Bei den Oliven am Bach, hinter der Hazienda.« – »Nun ... du hast sie geküßt, und wenn du auch etwas Weiteres von ihr nicht fordertest, so bist du trotzdem nach der Sitte dieser Gegend ihr Mann. Du hast ihr versprochen, sie zu deiner Frau zu machen?« – »Ja.« – »Wann hat sie dir das Geheimnis verraten?« war die fernere Frage des Indianers. – »Gestern abend«, lautete die Antwort. – »Bist du allein hier?« – »Nein, ich bin von achtzehn Mexikanern begleitet.« – »Ah, sie sollten dir helfen, die Schätze fortzuschaffen, und du hast ihnen das Geheimnis mitgeteilt?« – »Sie wissen nicht, was sie transportieren sollen, und kennen auch die Höhle nicht.« – »Wo sind sie?« – »Sie halten eine Strecke von hier in unbedeutender Entfernung.« – »Gut. Dieser Mann bleibt jetzt liegen, du aber wirst mir folgen. Ich fessle dich nicht, denn du kannst mir nicht entgehen. Du bist ein Wurm, den ich mit einem einzigen Griff zermalme. Komm und folge mir!« – »Was willst du mit mir tun?« fragte Alfonzo voller Angst. – »Das wirst du erfahren.« – »Töte mich lieber gleich hier!« – »Pah! Du hast die Tochter der Mixtekas getäuscht, du wirst das dadurch sühnen müssen, daß du sie zu deinem Weib machst.« – »Oh, das werde ich tun!« rief Alfonzo schnell. – »Ah«, lachte der Indianer grimmig. »Du hältst dich für gerettet! Täusche dich nicht. Du wirst Karja zum Weib nehmen; sie wird Gräfin de Rodriganda y Sevilla werden; aber du wirst sie nicht anrühren dürfen. Komm und folge mir!«
Der Indianer faßte Alfonzo beim Arm und zog ihn nach dem Ausgang. Dort ging er mit ihm in das Wasser und schob ihn, ohne die Hand von ihm zu lassen, an das Tageslicht.
Es war, als ob durch das erneute Wasserbad und durch den Eindruck des Morgenlichts der Bann von Alfonzo genommen werde. Er atmete tief und leichter auf und fragte sich im stillen, ob er nicht vielleicht doch noch Hoffnung hegen dürfe.
»Wo ist dein Pferd?« fragte Büffelstirn. – »Es ist dort rechts an dem Eichenbaum befestigt.« – »Und wo sind die Mexikaner?« – »Hinter jenem Hügel.« – »So komm zu deinem Pferd!«
Büffelstirn schritt mit seinem Gefangenen dem Ort zu, den dieser angedeutet hatte. Kaum jedoch waren sie zwischen den Büschen hervorgetreten, so erblickten sie die Mexikaner, die etwa dreißig Schritt entfernt von ihnen zu Pferde hielten.
»Hund, du hast mich belogen!« rief der Indianer, indem er Alfonzo beim Hals packte. – »Zu Hilfe!« schrie da Alfonzo und versuchte sich loszumachen. – »Hier hast du Hilfe!« antwortete der Indianer und schlug ihm die Faust auf den Kopf, daß er zusammenbrach. Im nächsten Augenblick sah er sich bereits von den Mexikanern umringt, die allerdings noch nicht zu den Waffen griffen, weil sie überzeugt waren, daß dieser eine Mann ihnen gar nicht entgehen könne.
Darin hatten sie sich nun freilich getäuscht, denn obwohl Büffelstirn seine Schußwaffen beim Pferd gelassen hatte, so steckte doch sein gutes Messer im Gürtel. Mit einem blitzschnellen Sprung saß er hinter dem Anführer auf dessen Pferd, zog das Messer und stieß es ihm in die Brust. Im nächsten Moment flog er von dannen, aber nicht nach der Hazienda zu. Er durfte den Berg des Geheimnisses nicht verlassen, um die Höhle nicht preiszugeben. Darum sprengte er geradewegs der kleinen Schlucht zu, in der die beiden Pferde standen. Sie bot ihm eine Festung, in der er vor den Feinden sicher war.
Die Mexikaner hatten hier einige Augenblicke, über den unvermuteten und so erfolgreichen Angriff auf ihren Anführer ganz perplex, haltgemacht, nun aber erhoben sie ein wildes Geheul und sprengten hinter dem Flüchtigen her. Das war ein unverzeihlicher Fehler von ihnen. Hätten sie in ruhiger Haltung nach ihren Gewehren gegriffen, so konnte er ihren Kugeln nicht entgehen, jetzt aber schossen sie zwar ihre Gewehre ab, konnten aber im Galoppieren nicht sicher zielen, so daß die Schüsse fehlgingen.
Da sahen sie, daß sich der Indianer plötzlich vom Pferd warf und links in die Büsche eindrang, während er das Tier laufen ließ. Sofort sprangen auch sie von den Pferden und stürmten mit dem Ruf. »Hurra, ihm nach! Rächt den Capitano!« auf die Büsche zu, hinter denen der Cibolero verschwunden war. Kaum aber hatten die vordersten ihren Fuß zwischen die Sträucher gesetzt, so krachte ihnen ein Schuß entgegen, dann noch einer, ein dritter und vierter – und vier Männer lagen tot am Boden. Die anderen wichen schnell zurück.
»Verdammt!« rief einer. »Er hat Gewehre gehabt!« – »Hinein, ehe er wieder ladet!« rief ein anderer. – »Nein, geht zur Seite!« sagte ein dritter. »Diese Schlucht ist steil, er kann nur hier wieder heraus!«
Während sie seitwärts hielten und berieten, hatte der Indianer Zeit, seine und des Deutschen Büchse wieder zu laden. Nun kroch er mit den Gewehren so weit vor, bis er ein gutes Ziel bekam, drückte los, und bevor noch die Mexikaner zurückgewichen waren, hatten sie wieder vier der Ihrigen verloren; es waren also von der Hand des kühnen Cibolero neun gefallen.
Aber es drohte ihnen noch eine andere, ebenso große Gefahr.
Der Apache mit seinen zehn Vaqueros und Ciboleros hätte nämlich schon längst hier sein sollen, aber die Indianerin hatte sich in der Finsternis geirrt. Auf diese Weise war ein nicht unbedeutender Umweg entstanden, so daß der kleine Trupp erst nach Alfonzo und seinen Mexikanern an seinem Ziel anlangte.
»Hier ist der Bach«, sagte Karja zu Bärenherz. »Wir werden gleich an der Höhle sein.«
Der Apache ließ seine Augen aufmerksam umherschweifen.
»Ugh!« rief er und deutete nach den Spuren, die zu sehen waren.
Sofort sprang ein Vaquero ab und suchte am Boden.
»Das waren nicht zwei, sondern das sind viele gewesen«, sagte er. – »Der Graf mit seinen Leuten«, meinte Bärenherz kurz, indem er sein Pferd wieder in Bewegung setzte.
Bald jedoch blieb er abermals halten und deutete vorwärts, wo ein menschlicher Körper lag. Sofort sprangen mehrere der Vaqueros von den Pferden, um denselben zu besichtigen.
»Der Graf! Graf Alfonzo!« meinten sie überrascht. – »Verwundet?« fragte der Apache. – »Man sieht keine Wunde.« – »Tot?« – »Es scheint so.«
Der Apache schüttelte geringschätzend den Kopf.
»Nicht tot«, versetzte er. »Ein Hieb nur. Bindet ihn!«
Noch waren sie beschäftigt, den Bewußtlosen zu fesseln, als schnell hintereinander vier Schüsse fielen.
Bärenherz ritt zwischen die Büsche hinein und überblickte das jenseits des Baches liegende Terrain.
»Ugh!« rief er zum zweiten Mal, während die anderen ihm schnell folgten.
Plötzlich deutete ein Vaquero auf den Körper des Anführers der Mexikaner und sagte:
»Ah, hier eine Leiche!« – Und gleich darauf rief ein zweiter: »Und dort noch mehrere.«
Der Apache aber versetzte:
»Acht, noch neun übrig. Absteigen!«
Dann warf er sich mit den übrigen vom Pferd, nahm seine nie fehlende Büchse in die Hand und gebot:
»Alle erschießen!«
Er zählte mit den Vaqueros und Ciboleros elf Personen. Sie alle legten an und zielten. Zehn Schüsse krachten zu gleicher Zeit; nur er hatte nicht geschossen, und erst, als von den neun Mexikanern sieben gestürzt waren und nur noch zwei übrigblieben, ließ auch Bärenherz seine Büchse reden, und in zwei Sekunden waren auch die beiden letzten tot.
Nun rannten alle dahin, wo die Gefallenen lagen. Sie hatten den Ort noch nicht erreicht, so trat der Häuptling der Mixtekas aus den Büschen heraus.
»Büffelstirn!« riefen die Vaqueros. »Wo ist Donnerpfeil?« – »Tot«, antwortete er. – »Wer hat ihn getötet?« fragte Bärenherz in einem Ton, dem man es anhörte, daß das Schicksal des Mörders bereits eine beschlossene Sache sei. – »Graf Alfonzo.« – »Wo?« – »Das kann ich hier nicht sagen«, antwortete Büffelstirn. »Aber schnell zurück! Ich muß den Grafen haben.« – »Wir haben ihn bereits«, sagte Bärenherz einfach.
Während nun die anderen den gefallenen Mexikanern die Waffen nahmen und sich darin teilten, kehrten Büffelstirn, Bärenherz und Karja an den Ort zurück, wo Alfonzo lag. Dieser wurde genauer untersucht, und es fand sich, daß der Apache recht gehabt hatte. Er war nur betäubt, aber nicht tot.
Büffelstirn hatte seine Schwester bis jetzt mit keinem Blick beachtet; jetzt wandte er sich an den Apachen:
»Will mein Bruder dafür sorgen, daß niemand an den Quell des Baches kommt?« – »Ja«, antwortete dieser. – »So werde ich bald zurückkehren.«
Mit diesen Worten ging Büffelstirn, um die Höhle wieder aufzusuchen. Als er sie erreichte, war die Fackel abgebrannt. Er steckte eine neue an und trat zu dem Deutschen. Er bemerkte sofort, daß dieser anders lag, als wie er ihn verlassen hatte, und beeilte sich infolgedessen, ihn nochmals zu untersuchen. Nun fand er zu seiner unaussprechlichen Freude, daß der Puls wieder ging. Der Deutsche mußte für kurze Zeit zu sich gekommen sein und sich bewegt haben; jetzt aber lag er in vollständiger Lethargie. Der Indianer faßte ihn und schaffte ihn sorgfältig hinaus ins Freie. Als er ihn dort in das Gras legte, waren die Vaqueros soeben wieder erschienen. Sie alle hatten Helmers trotz der kurzen Zeit, die er sich auf der Hazienda befand, liebgewonnen, und klagten laut und aufrichtig um ihn. Der Apache aber schlug mit der Hand auf die emporstehende Mündung seiner Büchse und rief:
»Wenn mein weißer Bruder stirbt, dann wehe seinem Mörder. Die Vögel des Waldes sollen seinen Leib zerreißen. Shoshinliett, der Häuptling der Apachen, hat es gesagt.«
Der Apache beugte sich über den Deutschen und untersuchte seinen Kopf.
»Es ist ein Keulenschlag«, sagte er. »Die Schale des Gehirns ist zerbrochen. Man mache eine Bahre auf zwei Pferden, damit er nach der Hazienda geschafft werden kann. Ich aber werde gehen, um das Kraut Oregano zu suchen, das jede Wunde heilt und kein Fieber in dieselbe kommen läßt.«
Während nun die Hirten sich entfernten, um eine Bahre herzustellen, und Bärenherz das Wunderkraut suchte, blieb Büffelstirn mit seiner Schwester allein zurück.
»Du zürnest mir?« fragte sie leise.
Büffelstirn blickte sie nicht an, aber er antwortete:
»Der gute Geist ist von der Tochter der Mixtekas gewichen.« – »Er ging nur kurze Zeit von mir«, sagte sie. – »Aber in dieser kurzen Zeit ist viel Trauriges geschehen. Du liebtest den Grafen?« – »Ja.« – »Du glaubtest, daß er dich wieder liebe?« – »Ja.« – »Er versprach, dich zu seinem Weib zu machen?« – »Ja.« – »Und das glaubtest du ihm?« – »Ja. Er gab mir eine Schrift, in der er es mir versprach.« – »Ugh! Und diese Schrift hast du noch?« – »Sie liegt in meinem Zimmer.« – »Du wirst sie deinem Bruder geben?« – »Nimm sie!« – »Du liebst ihn noch?« – »Nein. Ich hasse ihn.«
Alfonzo lag neben ihr. Karja trat ihm mit dem Fuß ins Gesicht.
»Warum liebst du ihn nicht mehr?« – »Er belog mich und liebte eine andere.« – »Wen?« – »Emma, die Tochter des Haziendero.«
Karja erzählte nunmehr ihrem Bruder, daß Alfonzo in das Zimmer der Haziendera gedrungen war. Während dieses Berichts schlug der Gefesselte die Augen auf. Er hörte jedes Wort, das gesprochen wurde.
»Wirst du mir verzeihen?« fragte sie endlich zaghaft. – »Ich werde nur dann verzeihen, wenn du mir gehorchst.« – »Ich werde gehorchen. Was soll ich tun?« – »Das wirst du später erfahren. Jetzt besteigst du das Pferd und reitest nach der Hazienda zurück, um mir alle Indianer, die Kinder der Mixtekas sind, hierherzusenden. Du sagst ihnen, daß Tecalto, ihr Fürst, ihrer bedarf. Sie werden alles andere im Stich lassen und kommen.« – »Ich gehe schon.«
Mit diesen Worten bestieg Karja das Pferd und sprengte davon.
Als der Häuptling sah, daß dem Grafen die Besinnung zurückgekehrt war, blitzte er ihn mit verächtlichen Augen an und sagte:
»Das Bleichgesicht wird keine Gnade finden. Es hat gelogen.« – »Welche Lüge meinst du?« fragte der Gefesselte. – »Daß die Mexikaner hinter jenem Hügel seien.« – »Ich sagte die Wahrheit. Aber sie sind mir gefolgt, ohne daß ich es wußte.« – »Du riefst dann um Hilfe. Du hättest vielleicht Gnade gefunden, nun aber nicht.«
Büffelstirn wandte sich stolz ab und würdigte den Gefangenen keines Blickes mehr. Bald kehrte Bärenherz zurück, legte die ausgedrückten Kräuter auf den Kopf des Deutschen und verband ihn.
Auch die Hirten waren fertig. Sie hatten aus Ästen und Decken der getöteten Mexikaner eine sehr weiche und bequeme Tragbahre errichtet, die auf zwei nebeneinander hergehenden Pferden befestigt wurde. Darauf wurde Helmers gelegt.
»Was wird mit dem Grafen?« fragte einer der Vaqueros. – »Der gehört mir!« antwortete Büffelstirn. »Bringt Donnerpfeil nach der Hazienda. Bärenherz wird bei mir bleiben.«
Der Zug rückte ab. Die beiden Häuptlinge standen einige Zeit schweigend nebeneinander, dann löste Büffelstirn die Beinfesseln des Gefangenen, so daß dieser aufstehen konnte, und band ihn, als dies geschehen war, mit einem Riemen an den Schwanz seines Pferdes. Hierauf sagte er zu dem Apachen:
»Mein Bruder, folge mir!« worauf beide aufstiegen und davonritten. Es war für den Grafen keine Kleinigkeit, den beiden Reitern zu folgen, vielmehr der qualvollste Weg seines Lebens, den er je gegangen war.
Büffelstirn hatte die Leitung übernommen. Er lenkte um den steil abfallenden Hang des Berges herum und dann die Anhöhe hinauf. In der Zeit von einer Stunde hatten sie das Plateau des Höhenzugs erreicht, und nun ging es in den dichten Urwald hinein. Mitten in demselben lagen, nach allen Seiten von fast undurchdringlichem Gestrüpp umgeben, die Ruinen eines alten Aztekentempels. Dieser hatte aus einer abgestumpften Pyramide bestanden, die von Vorhöfen rund umgeben gewesen war, um die sich eine hohe Mauer zog. Jetzt lag alles in Schutt und Trümmern.
In einem dieser alten Vorhöfe hatte sich eine tiefe Lache gebildet, in der sich die Feuchtigkeit des Waldes sammelte. Dorthin führte der Indianer den Freund und den Gefangenen.
Die Lache war mit der Zeit zu einem Teich, fast zu einem kleinen See geworden, bis zu dessen Ufer sich hohe Bäume heranzogen. Dort stiegen die beiden Häuptlinge ab. Der Mixteka setzte sich in das hohe Gras und winkte dem Apachen, neben ihm Platz zu nehmen. Sie saßen nach Indianerart erst eine Weile schweigsam da, dann fragte Büffelstirn:
»Mein Bruder hat den Deutschen lieb, der Donnerpfeil genannt wird?« – »Ich liebe ihn!« antwortete der Apache kurz. – »Dieser Weiße wollte ihn töten.« – »Er ist sein Mörder, denn vielleicht stirbt unser Freund.« – »Was verdient ein Mörder?« – »Den Tod.« – »Er soll ihm werden.«
Wieder verging eine Weile in düsterem Schweigen, dann begann Büffelstirn von neuem:
»Mein Bruder kennt das Volk der Mixtekas?« – »Er kennt es«, nickte Bärenherz. – »Es war das reichste Volk in Mexiko.« – »Ja, es hatte Schätze, die niemand messen konnte«, stimmte der Apache bei. – »Weiß mein Bruder, wohin die Schätze gekommen sind?« – »Er weiß es nicht.« – »Kann der Häuptling der Apachen schweigen?« – »Sein Mund ist wie die Mauer des Felsens.« – »So soll er wissen, daß Büffelstirn der Hüter dieser Schätze ist.« – »Mein Bruder Büffelstirn mag diese Schätze verbrennen. Im Gold wohnt der böse Geist. Wenn die Erde von Gold wäre, würde Bärenherz lieber sterben als leben.« – »Mein Bruder hat die Weisheit der alten Häuptlinge. Aber andere lieben das Gold. Dieser Graf wollte den Schatz der Mixtekas besitzen.« – »Ugh!« – »Er kam mit achtzehn Dieben, um ihn zu rauben.« – »Wer hat ihm den Weg zum Schatz gezeigt?« – »Karja, die Tochter der Mixtekas.« – »Karja, die Schwester Büffelstirns? Ugh!« – »Ja«, sagte Büffelstirn traurig. »Ihre Seele war finster, denn sie liebte diesen weißen Lügner. Er versprach ihr, sie zu seinem Weib zu machen, aber er wollte sie verlassen, sobald er den Schatz hatte.« – »Er ist ein Verräter.« – »Was verdient ein Verräter?« – »Den Tod.« – »Und was verdient ein Verräter, der zugleich ein Mörder ist?« – »Den doppelten Tod.« – »Mein Bruder hat recht gesprochen.«
Es entstand wieder eine Pause des Schweigens. Diese beiden Häuptlinge bildeten einen fürchterlichen und unerbittlichen Gerichtshof, gegen dessen Urteil es keine Berufung gab. Büffelstirn wäre auch allein mit Alfonzo fertig geworden, aber er hatte den Apachen mitgenommen, um seiner Rache ein gerechtes Urteil unterzulegen. Die beiden Indianer hielten eines jener sogenannten Präriegerichte, vor denen die Verbrecher der Wildnis so große Angst haben.
Sie sprachen in dem Idiom der Apachen, das Alfonzo nicht verstand, aber er ahnte, daß man jetzt über ihn entscheide. Er bebte vor Furcht, denn er dachte an die Krokodile, von denen Büffelstirn gesprochen hatte. Hier war der Teich, und gerade an dem Ort, wo sie saßen, ragte ein schief gewachsener Zedernstamm weit hinaus über das Wasser, und seine Zweige senkten sich beinahe bis auf den Spiegel desselben herab. Es schwamm dem Spanier vor den Augen, wenn er seinen Blick dorthin richtete.
Da begann Büffelstirn wieder:
»Weiß mein Bruder, wo der doppelte Tod zu finden ist?« – »Der Häuptling der Mixtekas mag es mir sagen.« – »Dort.« Büffelstirn deutete hinaus auf das Wasser. Der Apache warf keinen Blick hinaus, entgegnete aber, als ob sich das von selbst verstehe:
»Die Krokodile wohnen dort?« – »Ja. Du sollst sie sehen.«
Er trat an das Wasser, streckte die Arme aus und rief:
»Yim-eta – kommt!«
Auf diesen Ruf begann es im Wasser zu rauschen. Neun oder zehn Furchen bildeten sich von verschiedenen Richtungen her, und ebenso viele Krokodile schossen herbei. Sie blieben am Ufer halten und streckten die häßlichen Köpfe heraus. Es waren teils Brillen-, teil Hecht-Kaimans, und keiner hatte eine Länge unter vierzehn Fuß. Ihre Leiber glichen schlammbedeckten Baumstämmen, ihre Köpfe boten den häßlichsten und zugleich furchterweckendsten Anblick, den man sich denken kann, und während sie die langen Schnauzen aufrissen und zuklappten, um ihren Hunger zu zeigen, sah man ganze Reihen fürchterlicher Zähne, die gewiß nichts freiließen, was sie einmal gefaßt hatten.
Ein Schrei des Entsetzens erscholl. Alfonzo hatte ihn ausgestoßen.
Die beiden Indianer warfen ihm einen verächtlichen Blick zu. Der Indianer zuckt selbst unter den fürchterlichsten Qualen mit keiner Wimper. Er glaubt, daß einer, der am Marterpfahl einen einzigen Klageton ausstößt, nicht in die ewigen Jagdgründe komme, die den Himmel der Rothäute bilden. Darum werden die Kinder bereits an das Ertragen der Schmerzen gewöhnt, und die Weißen werden meist auch deshalb von ihnen verachtet, weil sie eine feinere Konstitution besitzen und gegen alle Arten des Schmerzes empfindlicher sind als die Indianer.
»Siehst du sie?« fragte Büffelstirn. »Es sind wackere Tiere, von denen keins unter zehn mal zehn Sommer alt ist. Und siehst du auch die Lassos, die ich mitgebracht habe? Ich nahm sie den Mexikanern ab, die wir erschossen.« – »Ich verstehe meinen Bruder«, erwiderte der Apache kurz. – »Wie hoch denkst du, daß ein Krokodil aus dem Wasserspringen kann?« – »Es kann die Schnauze höchstens vier Fuß weit aus dem Wasser bringen, wenn der Grund tiefer ist als sein Leib.« – »Und wenn es den Grund mit dem Schwanz berühren kann?« – »So schießt es noch einmal so weit hervor.« – »Nun wohl. Der Grund ist tief. Die Füße dieses Mannes sollen also vier Fuß über dem Wasser hängen. Wer soll auf diesen Baum klettern? Du oder ich?« – »Ich will es tun«, sagte der Apache.
Beide Indianer erhoben sich darauf von ihren Sitzen, traten zu Alfonzo und banden ihm die Hände auf den Rücken, indem sie ihm einen Lasso doppelt unter den Armen hindurchzogen. Dadurch wurde dieser Lasso so stark, daß er unzerreißbar genannt werden konnte. An ihm wurden wieder zwei andere Lassos befestigt, deren Enden der Apache in seine Hände nahm, um an dem Baum emporzuklettern.
Jetzt endlich merkte der Graf, daß man Ernst machte. Der Angstschweiß trat ihm in großen Tropfen auf die Stirn, und vor den Ohren begann es ihm zu rauschen wie im Sturmwind.
»Gnade, Gnade!« bat er jammernd.
Die beiden Rächer hörten nicht darauf.
»Gnade!« wiederholte er. »Ich will alles tun, nur hängt mich nicht für diese Krokodile auf!«
Auch dieses Flehen fand keine Antwort. Büffelstirn faßte Alfonzo und zog ihn nach dem Baum hin.
»Tut es nicht! Ich will euch alles geben, meine Grafschaft, meine Besitzungen, ganz Rodriganda. Ich verzichte auf alles, was ich habe, nur schenkt mit das Leben!«
Jetzt endlich antwortete der Häuptling der Mixtekas:
»Was ist Rodriganda? Was ist deine Grafschaft, was sind deine Besitzungen! Du hast die Schätze der Mixtekas gesehen, die ich nicht mag, und du bietest mir deine Armut an! Bleibe ein Graf und stirb! Sieh diese Tiere, die noch nie einen weißen Grafen gefressen haben. Du wirst vier oder fünf Tage am Baum hängen und deine Füße emporziehen, wenn sie nach ihnen schnappen, sobald du aber schwach und müde wirst, werden sie dir dieselben abreißen. Dann verblutest du dich und stirbst. Und wenn nachher dein Leib verfault, so stürzt er herab und wird von ihnen verzehrt. Das ist das Ende eines weißen Grafen, der eine verachtete Indianerin betrügen wollte!« – »Gnade! Gnade!« flehte Alfonzo abermals in höchster Todesangst. – »Gnade? Hast du Gnade gehabt, als du den Freund der Häuptlinge mit der Keule erschlugst? Hast du Gnade gehabt, als du das Herz in der Brust der Indianerin tötetest? Und sind dies deine einzigen bösen Taten gewesen? Wahkonta hat dem Menschen versagt, alles zu wissen, ich kenne dein Leben nicht, aber wer so Böses tut wie du, der hat bereits vorher viel Böses getan. Wir rächen es zu gleicher Zeit mit dem, was du an uns getan hast. Die Krokodile werden dich fressen, aber du bist noch schlimmer als eins dieser Tiere. Wahkonta hat sie geschaffen, um Fleisch zu fressen, den Menschen aber hat er geschaffen, damit er gut sein soll. Deine Seele ist böser, als die ihrige.«
Damit schob Büffelstirn den Unglücklichen näher an das Wasser hin. Alfonzo wehrte sich nach Kräften. Er hatte die Beine frei und stemmte sich mit verzweifelter Anstrengung auf dem Boden fest. Da schlang ihm der Mixteka einen Riemen um die Füße und band dieselben zusammen, so daß er nun völlig wehrlos war.
»Gnade! Erbarmen!« wimmerte und stöhnte er.
Es half ihm nichts. Der starke Häuptling trug ihn nach dem Baum, und der Apache kletterte hinauf, die Enden der Lassos zwischen den Zähnen. Oben angekommen, setzte er sich fest und ließ zugleich die zehnfach zusammengeflochtenen Riemen über einen starken Ast laufen. Nun zog er den Grafen mit den Lassos am Stamm empor, während Büffelstirn schob: es ging langsam, aber sicher.
»Oh, laßt mich los, laßt mich doch los!« rief der zu einem so fürchterlichen Tod Verurteilte. »Ich will euch dienen und gehorchen als der geringste von euren Knechten!« – »Ein Graf hat Knechte, ein freier Indianer aber nicht!« lautete die Antwort.
Der Anblick der Alligatoren war entsetzlich. Die Lache war zu klein für sie, sie fanden keine Nahrung mehr in derselben. Sie hatten jahrelang gehungert, und nun sahen sie, daß Sie Speise bekommen sollten. Sie hatten aus Mangel an Nahrung bereits sich selber angefressen, dem einen fehlte ein Fuß, dem anderen irgendein Stück seines Leibes. Jetzt drängten sie sich unter dem Baum zu einem Klumpen zusammen. Ihre furchtbaren Schwänze peitschten das Wasser zu Schaum, ihre tückischen Augen schössen giftige, begehrende Blicke, und ihre geöffneten Rachen schlug mit einem Geräusch zusammen, das so klang, als ob man zwei starke Bretter zusammenschlage. Diese zehn Ungeheuer bildeten einen Knäuel, den man für einen einzigen, gräßlichen Drachen mit zehn Rachen und ebenso vielen Schwänzen halten konnte.
Der Gefangene schauderte.
»Laßt mich frei, ihr Ungeheuer!« brüllte er. – »Mein Bruder mag kräftiger ziehen!«
Diese Aufforderung an den Apachen war die einzige Antwort Büffelstirns.
»So seid verflucht und vermaledeit in alle Ewigkeit.«
Diese Worte kreischte der Graf, indem seine blutunterlaufenen Augen vergebens nach Rettung suchten.
»Es ist genug«, sagte der Mixteka, der mit den Augen eines Kenners die Entfernung des Astes vom Wasser mit der jetzigen Länge des Lassos verglich. »Mein Bruder schlinge den Lasso um den Stamm des Baumes und mache einen festen Knoten.«
Der Apache folgte diesem Gebot. Büffelstirn hatte bis jetzt mit einer Hand sich am Baum gehalten, während er mit der anderen den Gefangenen gepackt hielt. Es gehörte eine riesige Körperstärke dazu. Wäre die Zeder nicht so stark gewesen, so hätte sie bei ihrer schrägen Lage unter der Last der drei Männer brechen müssen. Jetzt war der entscheidende Augenblick gekommen. Alfonzo sah und fühlte das und rief mit beinahe unartikulierten Lauten:
»Seid ihr denn keine Menschen, seid ihr Teufel?« – »Wir sind Menschen, die einen Teufel richten«, antwortete der Mixteka. »Fahre hin!«
Ein gräßlicher, weithin tönender Schrei erscholl. Der Sprecher hatte Alfonzo losgelassen und ihm einen kräftigen Stoß gegeben. Dieser Stoß schleuderte den Gefangenen vom Baum herab und über die Wasserfläche hinaus. Er schwang am Lasso hin und her, und allemal, wenn er während dieser Pendelbewegungen dem Wasser nahe kam, schossen die Krokodile empor, um ihn zu packen.
»Es ist gut. Mein Bruder komme herab!«
Der Apache folgte dieser Aufforderung Büffelstirns und stieg vom Baum. Sie standen am Ufer und sahen dem grauenhaften Schauspiel zu, bis die Schwingungen immer kleiner wurden und der Verurteilte endlich von dem Ast gerade herniederhing.
Jetzt zeigte es sich, daß der Mixteka ein sehr gutes Augenmaß gehabt hatte. Alfonzo hing so, daß die aus dem Wasser emporschnellenden Krokodile gerade noch seine Füße packen konnten. Dadurch war er gezwungen, dieselben emporzuziehen, sobald eines der Tiere danach schnappte. Ging ihm die Kraft zu dieser Bewegung aus, so war er verloren. Er hatte viel gesündigt, aber dieser Tod und diese Todesangst wog viele, vielleicht alle seine Sünden auf.
»Es ist vollbracht! Wir wollen gehen!« sagte der Apache, dem selbst schauderte. – »Ich folge meinem Freund«, stimmte Büffelstirn bei.
Dann stiegen sie auf und ritten davon, noch lange verfolgt von dem Angstgeheul des Grafen.
Sie konnten jetzt schneller reiten als bergaufwärts, wo der Gefangene an dem Pferdeschweif gehangen hatte. Als sie unten am Bach ankamen, fanden sie bereits mehrere Indianer vor. Sie alle gehörten zu dem dem Untergang geweihten Stamm der Mixtekas und waren von Karja herbeigeschickt worden. Ihr Häuptling wandte sich jetzt an den Apachen:
»Ich danke meinem Bruder, daß er mir geholfen hat, das Bleichgesicht zu richten und zu bestrafen. Er kann nun nach der Hazienda zurückkehren und nach der Wunde Donnerpfeils sehen. Ich kann morgen nachkommen, denn ich habe hier vieles zu tun.«
Bärenherz ritt sofort davon. Der Mixteka aber winkte die Indianer zu sich, die einen Kreis um ihn bildeten, um seine Befehle zu vernehmen. Er blickte ernst umher und begann:
»Wir sind die Söhne eines Stammes, der sterben muß. Die Bleichgesichter geben uns den Tod. Sie trachten nach unseren Schätzen, aber sie haben sie nicht erhalten. Eure Väter haben den Meinigen geholfen, diese Schätze zu verbergen, und keiner von ihnen hat den Ort verraten, wo sich dieselben befinden. Würdet auch ihr so schweigsam sein?«
Sie alle senkten bejahend die Köpfe, und der Älteste von ihnen antwortete in aller Namen:
»Verflucht sei der Mund, der einem Weißen den Ort verraten könnte!« – »Ich glaube euch. Ich habe gewußt, wo sich die Schätze befinden, aber ein Bleichgesicht hat sie entdeckt. Dieses Bleichgesicht hat einen Teil derselben gefunden, und dieser Teil muß nun an einem anderen Ort verborgen werden. Wollt ihr mir helfen?« – »Wir helfen.« – »So schwört bei den Seelen eurer Väter, eurer Brüder und Kinder, daß ihr das neue Versteck nicht verraten und auch den geringsten Teil der Schätze niemals antasten wollt!« – »Wir schwören es«, erklang es im Kreis. – »So sorgt zunächst für eure Pferde, und dann kommt!«
Nachdem den Pferden gehörige Weide gegeben worden war, verschwanden die roten Gestalten im Eingang der Höhle, in der nun ein geheimnisvolles Regen und Treiben begann. Nur ein einziger blieb im Freien zurück, um über die Sicherheit der Pferde und das Gelingen des Unternehmens zu wachen.
Diese Arbeit dauerte die ganze Nacht hindurch, und erst als der Tag anbrach, kamen die Mixtekas einer nach dem anderen aus der Höhle gekrochen. Ein jeder brachte eine Last mit, die sie alle auf einen gemeinschaftlichen Haufen legten. Es waren die größten Nuggets und Goldbrocken nebst dem Geschmeide, das Helmers sich ausgewählt hatte.
»So!« sagte Büffelstirn, indem er den Haufen betrachtete. »Schlagt es in die Decken und ladet es auf das Pferd. Dies ist das Geschenk der Mixtekas an den einzigen Weißen, der die Schätze der Könige gesehen hat, weil ich es ihm erlaubte. Möge er durch dasselbe glücklich werden.«
Als das Packpferd, das er gestern früh mit dem Deutschen mitgebracht hatte, beladen war, kehrte er noch einmal in das Innere der Höhle zurück. Die vorderste Abteilung derselben, die Helmers und Alfonzo gesehen hatten, war jetzt vollständig leer und ausgeräumt. Büffelstirn blickte sich noch einmal um, dann trat er in eine Ecke, wo eine Zündschnur aus der Erde ragte, brannte sie mit seiner Fackel an und verließ schleunigst die Höhle.
Draußen zogen sich alle weit zurück und warteten. Es vergingen einige Minuten, dann ließ sich ein dumpfes Krachen vernehmen, die Erde bebte, ein dunkler Qualm stieg aus der vorderen Seite des Berges auf, die Felsen barsten, die Erde senkte sich langsam und brach mit einem rollenden Getöse zusammen. Der Eingang zur Höhle und der vorderste Teil derselben waren verschüttet. Der Bach schäumte über die Trümmer, erst wild und kämpfend, bald aber hatte er sich einen Weg nach seinem Bett gebahnt – der Zugang zu den Schätzen der Könige der Mixtekas war verschlossen.
»Reicht euch die Hände und schwört noch einmal, daß ihr schweigen wollt bis zum Tod!« gebot Büffelstirn seinen Leuten.
Die Indianer leisteten den Schwur, und es war jedem einzelnen anzusehen, daß er lieber sterben als seinen Schwur brechen werde. Noch einen langen Blick warfen sie auf die Stätte, die während der letzten vierundzwanzig Stunden so Ungewöhnliches gesehen hatte, dann sprengten sie davon.
Während dieser Zeit ritt der Apache ernst und trübe gestimmt nach der Hazienda zurück.
An seinem Geist zogen alle die Ereignisse vorüber, die in den letzten Tagen ihn und seine Freunde betrafen.
Insbesondere beschäftigte ihn das Schicksal Donnerpfeils, an dessen Aufkommen er zweifelte.
Die Sonne war über das mexikanische Land bereits hochgestiegen und sandte heiß und brennend ihre Strahlen auf Tiere und Menschen.
Der Apache aber fühlte die Hitze nicht, denn sein Geist war zu sehr beschäftigt; und fast wie sinnverloren und unempfänglich für das, was ihn umgab, ritt er weiter.
Sein Pferd, das den Weg genau kannte, führte ihn, ohne daß es sein Reiter lenkte, nach der Hazienda, in der Donnerpfeil bereits untergebracht worden war.