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27. Kapitel.

Hat der freundliche Leser bisher zwei so verschiedene Brüderpaare kennengelernt, wie die Grafenbrüder Emanuel und Ferdinando de Rodriganda und die Beamtenbrüder Gasparino und Pablo Cortejo, so wird es ihm sicher ein sehr großes Rätsel sein, warum die beiden Grafen trotz ihrer freundlichen und hochherzigen Eigenschaften von den beiden Cortejos auf eine Weise und mit einer Grausamkeit verfolgt und betrogen wurden, die selbst vor dem ärgsten und unmenschlichsten Verbrechen nicht zurückbebte. Dieses Rätsel soll jetzt gelöst und der bisher so dunkle Schleier gelüftet werden.

*

Es war zu Saragossa, kurze Zeit nachdem die schöne Zigeunerin Zarba sich mit Gasparino Cortejo entzweit und der Hauslehrer Sternau seine Señorita Wilhelmi den Händen des Herzogs von Olsunna entrissen hatte. Da traten dort zwei Persönlichkeiten auf, die beide, eine jede auf ihre Weise und in ihrem Kreis, ein gerechtes Aufsehen erregten.

Die eine dieser beiden Persönlichkeiten war der alte Graf Manfredo de Rodriganda, der Vater der damals noch jungen Brüder Emanuel und Ferdinando.

Er hatte lange Zeit als Vizekönig der spanischen Besitzungen in Ostindien gelebt, und man sagte sich, daß er aus diesen Ländern geradezu ungeheure Schätze mitgebracht habe. Jetzt hatte er sich in den Ruhestand versetzen lassen und war nach Madrid gekommen, um die letzten Studien seiner beiden Söhne zu überwachen. Da er in der Nähe von Saragossa reiche Güter besaß, so verweilte er nur vorübergehend in dieser Stadt, um die Administration dieser Besitzung einer eingehenden Prüfung zu unterwerfen.

Einer seiner hervorragendsten Administratoren war Henrico Cortejo, der Vater der beiden Brüder Gasparino und Pablo Cortejo. Überhaupt waren die Cortejos seit Menschengedenken bei den Rodriganda bedienstet gewesen, und man sagte sich, daß dieser Henrico ein ganz besonderer Liebling des alten Vizekönigs Don Manfredo sei.

Don Manfredo trat mit einem ungewöhnlichen Glanz auf. Er war eine hohe, volle, imponierende Erscheinung. Zwar war sein Haupt- und Barthaar weiß gebleicht und sein Gesicht von der Sonne Indiens dunkel gebräunt, aber dies gab ihm ein schönes, frisches und ehrwürdiges Aussehen.

Ein noch schönerer Mann freilich war der erwähnte Administrator Henrico Cortejo. Er war in den kräftigsten Mannesjahren und stand, obgleich er zwei ziemlich erwachsene Söhne hatte, in dem Ruf, daß er der Löwe der Damenwelt von Saragossa sei. Gasparino, der eine seiner Söhne, der sich mit ihm in Saragossa befand, konnte ihm hierin keine Konkurrenz machen.

Die andere Person, die ein solches Aufsehen erregte, war die Primaballerina, die erste Tänzerin des dortigen Theaters.

Wie ein Komet, wie ein leuchtender Meteor war sie plötzlich und unerwartet am Himmel von Saragossa erschienen, und so schnell, wie sie gekommen war, so schnell hatte sie alle Welt erobert und sie sich zu ihren Füßen gelegt.

Sie hieß Hanetta Valdez und sollte, der Sage nach, von ganz armen, obskuren Eltern abstammen, hatte also ihre Erfolge allein nur ihrer Schönheit und Geschicklichkeit zu verdanken. Zu ihren Bewunderern gehörte bald auch der Herzog von Olsunna, doch sagte man sich, daß es ihm nicht gelänge, in ihrer Gunst große Fortschritte zu machen.

Ihr erklärter Liebling, so flüsterte man sich zu, solle Henrico Cortejo, der Vater der zwei Söhne, sein.

Graf Manfredo de Rodriganda war von seinen Geschäften zu sehr in Anspruch genommen, um während der ersten Zeit viel an Zerstreuung und Vergnügungen zu denken, sobald er jedoch die notwendigsten derselben erledigt hatte, mußte er auch seine hohe Stellung berücksichtigen und seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen Rechnung tragen.

Er machte und empfing Visiten, veranstaltete Soireen, besuchte das Theater, war aber noch nicht dahin zu bringen gewesen, das Ballett zu sehen. Seine echt spanische ernste Lebensanschauung sträubte sich dagegen. Je mehr er aber über die berühmte Ballerina hörte, desto weniger energisch wurde sein Widerstand, und als er einst in einem Kunstladen die Fotografie der Tänzerin erblickte, folgte er einer unwillkürlichen Eingebung, kaufte sie und nahm sie mit nach Hause.

Dort saß er nun oft allein, in die Betrachtung der herrlichen Gestalt und der reizenden Züge ganz versunken, und es war ihm, als ob er von den faszinierenden Augen des Bildes förmlich bezaubert werde.

Einige Zeit später hatte sein Kammerdiener im Zimmer zu tun. Es war der kleine, dürre Juan Alimpo, den wir später als Kastellan auf Rodriganda gesehen haben. Als dieser das Porträt erblickte, blieb er ganz erstaunt stehen, und da er der erklärte Günstling seines Herrn war und sich schon eine Freiheit gestatten durfte, nahm er die Fotografie in die Hand, um sie zu betrachten, und fragte erstaunt:

»Donnerwetter, Exzellenz, wer ist das?« – »Die Valdez«, antwortete sein Herr leutselig. – »Die Valdez? Wer ist denn die?« – »Sie ist die Primaballerina hier, die erste Ballettänzerin am Theater.« – »Hm!«

Der kleine Kammerdiener stieß die Silbe mit einer so eigentümlichen Betonung hervor, daß sein Herr ihn ansah und fragte:

»Was meinst du?«

Abermals erfolgte ein »hm«.

»Nun?« – »Schade, daß eine solche Schönheit eine Tänzerin ist.« – »Eine Tänzerin muß ja schön sein!« – »Ja, aber diese ist so schön, daß sie eine Gräfin sein könnte. Ist es dieselbe, von der die Leute so viel sprechen?« – »Ja.« – »Ich habe längst gewünscht, sie einmal zu sehen.« – »So gehe, ich gebe dir frei.« – »Danke, Exzellenz! Ein braver Diener geht einer Tänzerin wegen nicht von seinem Herrn fort. Etwas anderes freilich wäre es – hm!« – »Nun?« – »Wenn – wenn Sie selbst einmal das Ballett besuchen wollten.« Jetzt endlich waren die Worte heraus, und Alimpo blickte seinen Herrn forschend von der Seite an, um den Eindruck derselben zu beobachten. Dieser schien kein so schlimmer zu sein, als er erwartet hatte, denn der Graf hielt den Blick zum Fenster hinaus gerichtet und fragte nur, freilich mit sehr gleichgültiger Stimme:

»Meinst du wirklich, Alimpo?« – »Ja«, antwortete dieser schnell. – »Nun, wir werden ja einmal sehen!«

Mit diesen Worten schien der Graf das Gespräch als beendet zu betrachten, aber Alimpo war damit nicht zufrieden, sondern räusperte sich ein klein wenig und sagte:

»Man müßte warten, bis ein recht schönes Stück gegeben wird, wie zum Beispiel ›Die Königin der Sonne‹, das mit einem Ballett ausgestattet ist.« – »Du hast es wohl einmal gesehen?« – »Nein.« – »Wie kommst du denn darauf?« – »Hm, es wird heute gegeben.«

Jetzt drehte sich der Graf rasch zu dem Kammerdiener herum und sagte:

»Caramba, du bist ein Schlaukopf. Erst tust du, als ob du die Tänzerin nicht kennst, und nun weißt du auf einmal, welches Stück heute gegeben wird.« – »Es steht ja in allen drei Blättern der Stadt.« – »So! Und du willst das Stück gern sehen?« – »Oh, sehr gern, Exzellenz! Ich habe gehört, daß es ganz außerordentlich schön sein soll. Es kommen darin Engel und Teufel, Geister, Elfen, Feen und lauter Königinnen vor.« – »So kannst du also gehen!« – »Und Sie, gnädiger Herr?« – »Ist es dir wirklich unmöglich, allein zu gehen?« – »Ganz unmöglich!« – »Nun gut! Welcher Besuch ist für heute abend bei uns angesagt, oder sind wir irgendwo eingeladen?« – »Weder das eine, noch das andere.« – »Gut, so werden wir in die Oper fahren.«

Das Gesicht des kleinen Alimpo glänzte vor Freude, und er küßte seinem gütigen Herrn vor lauter Dankbarkeit die Hand.

Es war jetzt dem Grafen sehr willkommen, daß Juan Alimpo die Initiative ergriffen hatte. Das Bild der Tänzerin hatte ja einen solchen Eindruck auf ihn gemacht, daß er die Stunde der Vorstellung kaum erwarten konnte.

Und wie so ganz anders war es doch dann, als er sie endlich sah, als die Musik eine rauschende Einleitung beendet hatte, der Vorhang sich hob und die Ballerina erschien. Ja, sie strahlte in Wahrheit, als sie auf die Bühne trat, wie eine Sonne! Ihre Formen, ihre schöne Gestalt waren von unwiderstehlichem Reiz, sie schienen einer Juno, einer Venus anzugehören, und ihr prachtvoller Kopf, die feine Rundung des Profils und das Feuer ihrer Augen waren geradezu sinnbetörend.

Graf Manfredos Blicke hingen nur an ihr. Er sah sie nicht tanzen; er sah auch die anderen nicht. Er achtete nicht der Szene und der Verwandlungen, der befand sich wie im Traum, und als am Schluß der Vorstellung der Vorhang fiel, wäre er noch lange wie bezaubert stehengeblieben, wenn nicht Alimpo ihm den Hut gebracht und ihn dadurch an das Gehen erinnert hätte.

Da erst holte er tief Atem und sagte:

»Schicke den Wagen nach Hause!« – »Wir fahren nicht, Exzellenz?« fragte der kleine Diener, ganz erstaunt über eine so ungewöhnliche Extravaganz. – »Nein. Wir gehen, und sobald die Läden noch offen sind, führst du mich zum ersten Juwelier!«

Alimpo wußte sich den Befehl seines Herrn gar nicht zu deuten, aber er mußte ihn erfüllen. Beim Juwelier angekommen, kaufte der Graf einen kostbaren Brillantenschmuck, den er draußen auf der Straße dem Diener gab.

»Weißt du, was du sollst?« fragte er ihn. – »Nein, Exzellenz«, antwortete Alimpo ebenso wahr wie naiv. – »Weißt du die Wohnung dieser Valdez?« – »Nein, ich weiß sie nicht, ich kann sie aber erfahren, und zwar jetzt gleich, wenn es sein muß.« – »Es muß sein! Du gehst in ihre Wohnung, zu ihr selbst. Verstanden?« – »Sehr wohl!« nickte Alimpo. – »Und gibst ihr selbst den Schmuck und sagst, ein Bewunderer der Sonnenkönigin sende ihn, obgleich er viel zu arm für eine solche Herrscherin sei.« – »Donnerwetter, Exzellenz! Er kostet ja fünfzehntausend Duros!« – »Das geht dich nichts an! Wirst du bei ihr nicht vorgelassen, so bringst du den Schmuck wieder mit.« – »Das wird klüger sein, gnädiger Herr! Was aber soll ich sagen, wenn man mich nach dem Namen des Gebers fragt?« – »Nichts. Du verschweigst ihn.« – »Soll ich auf Antwort warten?« – »Nein. So bald du den Schmuck abgegeben hast, kommst du nach Hause, denn ich bin begierig zu erfahren, was sie gesagt hat. Jetzt gehe!«

Der Graf ging zu Fuß nach seiner Wohnung zurück, der Diener aber schritt noch ein Stück in die Straße hinein und erkundigte sich bei einem ihm Begegnenden nach der Wohnung der Tänzerin, die zufälligerweise nicht sehr weit entfernt lag, was auch der Grund war, daß er sogleich bei der ersten Frage Auskunft erhielt.


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