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Es wäre der Gegenstand eines ganzen Buches, und keines kleinen, die Wortgeschichte und die Begriffsgeschichte des Ursachgedankens zu geben, anzufangen von der primitiven Vorstellung, welche schon beim Urmenschen und wahrscheinlich auch beim Tiere die Idee einer Verknüpfung von Ursache und Wirkung entstehen ließ, und die Entwicklung dieses Gedankens fortzuführen bis zu der Zeit, da Hume die Vorstellung einer Ursache skeptisch auf die Gewohnheit der Menschen zurückführte, eine regelmäßige Folge in der Zeit für eine ursächliche Folge zu halten. Hume glaubte den Begriff der Ursache für die Philosophie vernichtet zu haben; da aber der Begriff für eine Orientierung in der Wirklichkeitswelt bestehen blieb und bestehen bleiben mußte, da also die Gemeinsprache und die wissenschaftliche Sprache auch nach Hume nicht auf den Ursachbegriff verzichten konnte, so hätte dem wort- und begriffsgeschichtlichen Buche doch noch ein sprachkritischer Anhang über diesen wichtigsten aller wissenschaftlichen Begriffe zu folgen. Ein solches Buch wäre eine Lebensaufgabe, zu welcher meine Kräfte nicht hinreichen. Ich habe den Ursachbegriff an sehr vielen Stellen dieses Wörterbuchs gestreift und möchte mich nun hier darauf beschränken, zwei Punkte etwas deutlicher zu machen: die Notwendigkeit, über Kant hinaus auf Hume zurückzugehen; und die Beziehungen des Ursachbegriffs zu den drei Welten oder Sprachen – der adjektivischen, der substantivischen und der verbalen – zu deren Unterscheidung mich zuerst die sprachkritische Behandlung der Grammatik geführt hatte.
»Auf Hume zurückgehen« soll natürlich nicht heißen: auf die Worte Hume's schwören; soll natürlich heißen: an Humes Skepsis wieder anknüpfen; wie ja auch die besten Neukantianer ihr Losungswort »zurück zu Kant« nur so verstehen, daß wieder unmittelbar an Kants Kritizismus anzuknüpfen sei. Ich habe schon (I. S. 95) behauptet, daß der Gegensatz zwischen Hume und Kant nicht so wichtig sei, wie das, was ihnen beiden zum höchsten Verdienst angerechnet werden muß: daß sie den Ursachbegriff für die Ontologie vernichtet haben, um ihn für die Psychologie zu erobern. Der Ursachbegriff wird zu einer menschlichen Vorstellung, wird subjektiv, einerlei, ob er nach Hume aus einer Gewohnheit entspringt, oder nach Kant eine Bedingung der Sinnlichkeit ist.
Es ist bekannt, daß Kant – nach seinem eigenen berühmten Zeugnisse – durch Humes Problem zuerst aus seinem dogmatischen Schlummer geweckt wurde (Kant gebraucht dieses Bild häufig), und daß er Humes Einwände gegen den Ursachbegriff in der Vorrede der Prolegomena meisterlich dargestellt hat; weniger bekannt ist es, trotzdem es von Vaihinger in seinem Kommentar (I. S. 340 ff.) unwiderleglich bewiesen ist: daß Kant die erste und bessere Fassung der Humeschen Erkenntnistheorie nur aus einem Zitate gekannt hat; daß Kant die verschiedenen Einwirkungen, die er von Hume erfahren hatte, nicht mit der philologischen Akribie eines modernen Biographen auseinanderhält; daß Kant endlich (und das ist das Wichtigste) die Anwendung des Ursachbegriffs in einzelnen kausalen Urteilen und die Aufstellung eines allgemeinen Kausalitätsgesetzes und seiner durch keine Erfahrung zu beweisenden Notwendigkeit viel mehr verwirrt hat, als das besonders in der ersten Fassung der Humeschen Untersuchung geschehen war. Nun aber gehört allein das Kausalitätsgesetz der über die Erfahrung hinausragenden Metaphysik an, der Transzendental-Philosophie; kausale Urteile, die den Ursachbegriff wie einen bekannten Alltagsbegriff gebrauchen, werden von uns auch nach Hume unaufhörlich gefällt. Sehen wir in der Kausalität nichts weiter als die Relation zwischen Ursache und Wirkung, so können wir allerdings an Kants Kausalitätsbegriff wieder anknüpfen und können den Begriff der Veränderung, wie wir ihn verstehen, in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit rücken: wir wissen von aller Wirklichkeitswelt nichts, als was Veränderung ist, und nennen – um Wörter nicht verlegen – den Anfangszustand einer Veränderung Ursache, den Endzustand nennen wir Wirkung (vgl. Art. Veränderung). Aber wir wissen wirklich von einer jeden Veränderung kaum den Endzustand, ganz und gar nicht den Anfangszustand. Wir können das Kausalitäts gesetz zur Not auf den Relationsbegriff zurückführen, wir können den Ursachbegriff ganz und gar nicht begreifen, da doch der Versuch, Zweck und Ursache unter den gemeinsamen Oberbegriff Richtung zu bringen, schließlich zu einer neuen Vernichtung des Ursachbegriffs führen müßte (vgl. Art. Richtung). Da ist es denn ratsamer, direkt auf den Erwecker Hume zurückzugehen. Um so ratsamer als – wie wir gleich sehen werden – die Begriffe Ursache und Sein miteinander viel enger zusammenhängen als die Gemeinsprache und die wissenschaftliche Sprache es vermuten lassen. Nun hat aber Hume, eben in dem Treatise (1739-40), der Originalform des lange Zeit allein gelesenen Enquiry, concerning human understanding (1748), den Seinsbegriff oder den Substanzbegriff mit ebenso unerbittlicher Skepsis untersucht, wie den Ursachbegriff. Man könnte aus Hume etwas sehr Merkwürdiges lernen, wenn er es auch nicht geradezu sagt: wie der Begriff der Ursache, den man als eine Kraft auffaßte, nach dem Bilde des menschlichen Ichs und seiner Einwirkung auf die Außenwelt geformt worden ist, so ist der Begriff der Substanz der Vorstellung der einheitlichen menschlichen Seele nachgebildet, eines Ich, das doch nur ein Vorstellungskomplex ist ohne nachweisbares einigendes Band. Im Treatise (I. 27) läßt Hume keinen Zweifel darüber, daß nach seiner Meinung Substanzen nicht zu den Sinneseindrücken gehören, daß sie zu den Affekten der Selbstwahrnehmung nicht gehören können, daß sie nur sprachliche Bezeichnungen komplexer Vorstellungen sind. Man könnte in seinem Sinne hinzufügen: alle Allgemeinbegriffe der Sprache entspringen aus einer Gewohnheit, wie der Ursachbegriff. Und ebenso weist Hume den Ursachbegriff als etwas ab, das über die Daten unserer Sinne und unserer Selbstwahrnehmung hinausgeht (I. 100-105). Wieder glaube ich im Sinne Humes den Gedanken kurz so formulieren zu können: Ursache ist eine Eigenschaft, die wir an einem andern Dinge zu beobachten glauben als an dem Dinge, an welchem sie (als Wirkung) erscheint.
Ich brauchte nur das Humesche Problem weiter durchzudenken, um zu dem zweiten Punkte zu gelangen, den ich noch klarstellen wollte. Nicht die Identifizierung von Ursache und Zeitfolge ist das Große und Bleibende an Humes Leistung, sondern die unerhörte Vorurteilslosigkeit, mit welcher er, zum erstenmale, seitdem Menschen den Ursachbegriff gebrauchen, diesen Begriff endgültig (auch in der bildlichen Vorstellung) von dem Dingbegriff ablöste. Ich will mich aber bemühen, meinen Gedanken in meiner eigenen Sprache so einfach wie möglich auszudrücken.
Der Ursachbegriff gehörte von jeher der substantivischen Welt an, der mythologischen; als reales Ding, in meinem Sinne also immer noch als ein Ding der mythologischen Welt, faßte den Ursachbegriff (die causa) die naive Weltanschauung, welche den Ursachbegriff als eine Hypothese in einer Urzeit erfunden hatte; als Gedankending suchte ihn die Philosophie eben bis Hume zu verstehen. In der substantivischen Welt ist die Ur-Sache zu Hause.
Die adjektivische Welt, die einzige Wirklichkeitswelt des Sensualismus, kennt von Hause aus den Ursachbegriff gar nicht; die naive Weltanschauung einer Urzeit begnügte sich damit, die Sinneseindrücke wahrzunehmen und diese Wahrnehmung mit den Dingen der Außenwelt zu identifizieren; wir können es in unserer Sprache nur nicht anders ausdrücken, als daß die Ur-Sachen unserer Wahrnehmungen ihre Ursachen seien; das primitive Denken setzte aber die Welt nicht zweimal, und wir dürfen, wenn wir dem primitiven Denken und selbst den Tieren die Vorstellung der Ursache zusprechen, nicht vergessen, daß wir eben nicht mehr primitiv sind – wir wollten denn, wie gesagt, unsre Erkenntniskritik oder Sprachkritik eine primitive Philosophie oder einen Anfang nennen –, daß wir darum den ererbten Ursachbegriff nur bildlich in die Tiervorstellung hineinlegen, wie wir nur bildlich, weil wir den Seelenbegriff nicht loswerden können, den Panpsychismus erfunden haben. Die Zwangsvorstellung, mit der wir so den Ursachbegriff aus der substantivischen Welt oder Sprache in die adjektivische Welt oder Sprache hineintragen, ist der Grundirrtum, welcher nach dem Abbröckeln der theologischen Weltanschauung (Gott = letzte Ursache) zu der ebenso dogmatischen und ebenso verkehrten Weltanschauung des Materialismus geführt hat. Die Ur-Sache hat in der adjektivischen Welt keinen Platz.
Ebenso wenig hat die Ur-Sache einen Platz in der verbalen Welt, der Welt des Werdens. Der Korrelatbegriff der Ursache ist die Wirkung; die ist aber ein Korrelatbegriff der substantivischen Ur-Sache nur in dem einen Sinne des Wortes Wirkung: in dem Sinne des bewirkten, neuen, bleibenden, seienden Zustandes. Diese Wirkung gehört allerdings der substantivischen Welt des Seins an. Das Wort Wirkung hat aber im Sprachgebrauche noch einen zweiten, verbalen Sinn: den des Vorgangs einer Änderung; und diese Wirkung ist kein Korrelatbegriff der Ursache, ist nur die Ursache selbst, von einer andern Seite gesehen. Ein Scholastiker könnte sagen: die Ursache ist die causa immanens, die verbale Wirkung ist die causa transiens. Ob in der verbalen Welt die Dinge aufeinander wirken oder ob wir handelnd auf die Dinge wirken, immer ist es uns unmöglich, zeitlich oder begrifflich zwischen den (minimalen) verbalen Wirkungen und ihren (minimalen) unmittelbaren Ursachen zu unterscheiden. Nur daß bei den menschlichen Handlungen das menschliche Individuum mit seinem Leibe und mit seiner Willensvorstellung ein Zwischenglied ist zwischen den verbalen Ursachen und den verbalen Wirkungen; nur daß also das menschliche Individuum geneigt ist, sich selbst als die Ursache seiner Handlungen zu begreifen. Wie denn auch in ähnlicher Weise der Kraftbegriff (Ursachen sind Kräfte) aus dem täuschenden Selbstbewußtsein des Menschen hervorgegangen ist. Die Zwangsvorstellung, mit der wir den Ursachbegriff aus der substantivischen Sprache in die verbale Sprache oder Welt hineingetragen haben, ist der Grundirrtum, der durch Jahrtausende die Vorstellung von einer Willensfreiheit festhalten ließ. Die Beziehungen zwischen dem Ursachbegriff, dem Kraftbegriff und dem Willensbegriff sind für die menschliche Sprache unauflösbar.
Ich glaube mit der Hervorhebung der beiden Punkte die sprachkritische Analyse des Ursachbegriffs, welcher – wie gesagt – von Hume und Kant der Psychologie überwiesen worden war, doch ein wenig gefördert zu haben. Die urälteste Hypothese der Menschheit hatte die substantivische oder mythologische Welt erfunden und sprach ganz naiv kausale Urteile aus nach dem Schema: jedes Ding ist die Ursache seiner Eigenschaften. Die Philosophie (bis Hume) generalisierte diese kausalen Urteile durch Aufstellung eines Gesetzes der Kausalität. Wir haben gesehen, daß sogar der Riese Kant die Begriffe dieser Urteile und dieses Gesetzes durcheinander wirrte. Wir werden uns also nicht mehr darüber wundern, daß die Gemeinsprache und die Sprache der Wissenschaft kein Arg darin findet, heute wie immer das Wort Ursache gelegentlich in jeder der unzähligen Bedeutungen zu gebrauchen, die es in seiner langen Begriffsgeschichte einmal angenommen hatte.