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Bei Gelegenheit der Untersuchungen, die den Instinktbegriff betrafen, habe ich mich gegen die Logik wenden müssen, welche die tierischen Kunsttriebe aus den auch menschlichen Tätigkeiten erklären will, die der Erhaltung des Individuums und der Erhaltung der Art dienen. Atmen und Essen, Verdauen, Zeugen und Fruchtaustragen sind solche Tätigkeiten. Ich habe davor gewarnt, die Ausdrücke der Menschenpsychologie – und wir haben keine andere Sprache der Psychologie – auf die uns unzugänglichen Vorgänge in der Tierseele anzuwenden; ich habe aber wiederum darauf bestanden, die Kunsttriebe der Tiere psychische Erscheinungen zu nennen, das Atmen, Verdauen usw. physiologische Erscheinungen. Einen gewissen Widerspruch zwischen meiner Warnung und dem Festhalten an dem Worte psychisch kann und will ich nicht leugnen.
Es ist ja einigermaßen lockend, uns vorzustellen, daß die Tiere bei der Ausübung ihrer Kunsttriebe in ähnlicher Weise Lust empfinden, wie die Menschen beim Essen und beim Zeugen, diese beiden Tätigkeiten also Instinkte zu nennen; mit gleichem Rechte könnten wir uns aber vorstellen, daß die Tiere ihre schwere Instinkt-Arbeit wie eine Krankheitserscheinung empfinden, könnten mit gleichem Rechte die Schmerzen des menschlichen Kranken einen Instinkt nennen, der ja auch für die Erhaltung des Individuums biologisch wertvoll ist. Da wir uns aber in die Seele des Tieres weder so noch so einfühlen oder hineindenken können, kommen wir auf diesem Wege nicht weiter. Auch sind nur die Bewegungen des Essens und des Zeugens mit psychischen Motiven verbunden, nicht aber – bei einem ganz normalen Verlaufe – die weiteren Bewegungen des Verdauens und des Fruchtaustragens. Ich bleibe darum dabei, die Kunsttriebe der Tiere psychische Akte zu nennen; im Interesse eines sauberen Sprachgebrauchs jedoch möchte ich nun untersuchen, wodurch sich das, was wir psychisch nennen, von den Erscheinungen unterscheidet, die wir physisch, und von denen, die wir physiologisch nennen. Wobei gleich eine Inkonsequenz der Terminologie auffallen muß: physisch und physiologisch entsprechen sich nach ihrer Bildung genau wie psychisch und psychologisch; während aber das erste Paar so etwas wie einen Gegensatz ausdrückt, sind die beiden Worte des zweiten Paares eigentlich synonym; auch bessere Schriftsteller übersehen oft, daß psychisch auf die Vorgänge geht, die unserem Innenleben angehören, psychologisch auf unser Wissen von diesen Vorgängen.
Die physischen, physiologischen und psychischen Kräfte könnte man etwa mit den Eisenschienen einer Bahn, mit der Arbeit der Dampfmaschine und mit dem Eingreifen des Weichenstellers vergleichen; aber auch dieser Vergleich hat den Schönheitsfehler des Hinkens und belehrt uns nicht; höchstens daß er uns darauf aufmerksam macht, wie die Dampfmaschine als ein zweckmäßiges Gebilde zwischen dem scheinbar toten Material der Eisenschienen und der immerhin bewußt zu nennenden Tätigkeit des Beamten mitteninne steht. Auch der Begriff physiologisch bildet ein schwer zu definierendes Zwischenglied zwischen den beiden Begriffen physisch und psychisch.
Könnten wir uns vorstellen, daß es Lebenserscheinungen gar nicht gibt, oder daß die Erscheinungen des Lebens und des Geistes unter einen gemeinsamen Begriff zu bringen sind, dann wären physisch und psychisch leicht als Korrelatbegriffe aufzufassen. Vom Standpunkte unseres Menschenwissens, unserer Menschensprache. Physisch nennen wir die Veränderungen, die im Raume vor sich gehen, weshalb wir ganz richtig die physische Welt mit einem räumlichen Bilde die Außenwelt nennen; psychisch, seelisch, geistig nennen wir die Veränderungen, die mit dem Raume nichts zu tun haben; nur diese Ausschließung des Raumes meinen wir, eine Negation also, wenn wir diese Veränderungen unsere Innenwelt nennen. Die Tatsache, daß diese Innenwelt in der Zeit vor sich geht, soll hier unerörtert bleiben. Physisch sind die Gegenstände unserer äußeren Erfahrung, psychisch sind die Gegenstände unserer innern Erfahrung. Dabei ist zu beachten, daß alle Innenwelt Gegenstand unserer Erfahrung sein kann, nicht sein muß. Damit ist schon auf eine Schwierigkeit der Definition hingewiesen: nicht nur die Bewußtseinsvorgänge sind psychisch. Es gibt in unserm Seelenleben, es gibt in unserm Gedächtnis auch unbewußte Vorgänge. Und weil unser Ichgefühl eine Illusion des bewußten Gedächtnisses ist, darum geht es auch nicht an, die Beziehung auf das Ich zu einem Kriterium der psychischen Vorgänge zu machen. Aus dem gleichen Grunde und weil unsere Kenntnis vom Gehirn zu mangelhaft ist, wäre es verfehlt, die psychischen Vorgänge als Gehirnvorgänge zu definieren, wir würden dadurch nur ein unbekanntes Organ für seine unbekannten Funktionen setzen und gar nichts gewinnen. Wir gelangen also in unserer Sprache über den alten Dualismus nicht hinaus, über die Lehre von dem Gegensatze zwischen Körper und Geist. Der Materialismus, der die psychischen Vorgänge aus den physischen erklären möchte, ist immer noch populär, ist aber dadurch nicht klüger geworden.
Nun gibt es zwischen diesen beiden Extremen noch die physiologischen Erscheinungen, die Lebensvorgänge; diese scheinen ganz der physischen Welt anzugehören, insofern sie sich nicht anders als im Raume vorstellen lassen; insofern aber bei ihnen immer Reizempfindungen zu Motiven von Bewegungen werden, spielt die Innenwelt bei ihnen mit und sie haben wieder eine Ähnlichkeit mit der psychischen Welt. Unsere Sprache ist da wieder inkonsequent, indem sie die bloßen Lebenserscheinungen von den Seelenvorgängen unterscheidet, dann jedoch gerade diejenigen innern Erfahrungen, die den stärksten Gefühlston haben, unsere Erlebnisse nennt.
Man lasse sich nun nicht einreden, daß der Materialismus oder die mechanistische Weltanschauung, nachdem sie an der mechanistischen Erklärung der geistigen Erscheinungen gescheitert war, etwa glücklicher gewesen wäre in der Erklärung der physiologischen Erscheinungen. Es ist nicht wahr. Und wenn es der Chemie gelingen sollte, synthetisch Eiweißkörper herzustellen, wenn Biochemie die Vorgänge bei der Ernährung noch besser als bisher studiert hätte, so würde doch immer ein unbekannter Rest bleiben; hart vor dem, was wir nach wie vor das Leben nennen, würde Beschreibung und Erklärung stehen bleiben. Wir wissen nicht, was die seelischen Vorgänge ausmacht, wir wissen nicht, was die Lebensvorgänge ausmacht; wir können uns höchstens damit trösten, daß wir auch nicht wissen, was das ist, das wir die Ursachen der physischen Veränderungen nennen. Die neueste Mode will, wir sollen von physischen Energien, von Lebensenergie und von Geistesenergie reden; eine Antwort enthält das neue Wort nicht. (Vergl. Art. Energie.) Nur dafür wollen wir der neuen Mode dankbar sein, daß sie mit den Anmaßungen des Materialismus gebrochen hat, daß sie uns gelehrt hat, die Körperwelt und ihre Eigenschaften, das Leben und seine Erscheinungen, den Geist und seine Äußerungen als gesonderte Gebiete zu betrachten; wir sehen Verbindungslinien zwischen diesen Gebieten, aber wir können diese Linien nicht deuten. Und wir tun gut daran, unsere Unwissenheit nicht durch eine Unsauberkeit der Sprache zu verbergen und zu steigern. Ich kann es verstehen, wenn man die Wörter Leben und Seele, physiologisch und psychisch nicht mehr gebrauchen mag, weil man erkannt hat, daß man sie nicht klar definieren kann; solange man sie aber gebraucht, halte man sich an den Sinn, den sie in der Gemeinsprache oder in der wissenschaftlichen Sprache haben.
Ich kehre zu meinem Ausgangspunkte zurück. Die nivellierende Tendenz unserer Zeit neigt dazu, entweder den Tieren Verstand, also Menschenverstand, zuzusprechen, oder die menschliche Intelligenz aus einer Entwicklung tierischer Instinkte zu erklären. Vom Standpunkte der Sprachkritik scheint mir der erste Fehler geringer und verzeihlicher zu sein als der zweite. Es scheint mir richtiger, die halbwegs vorstellbaren Begriffe der Menschenpsychologie auf die Tierseele auszudehnen, als die so entstandenen und darum noch um eine Stufe schlechtern Begriffe der Tierpsychologie auf den Menschen anzuwenden. Demnach schien es mir ein verzeihlicher Fehler zu sein, wenn ich die Kunsttriebe der Tiere den psychischen Erscheinungen zugewiesen wissen wollte. Ich habe einmal als Knabe in meinem Doppelfenster eine Seidenraupe beobachtet, die sich in der Ecke zwischen dem Innenfenster und dem Rahmen einspinnen wollte; ich mußte das Fenster zur Zeit der Fütterung jedesmal öffnen und diese Raupe stören, die dann zwei- oder dreimal ihr Gespinst von neuem begann. Als sie wieder gestört wurde, wurde sie verrückt und webte längs der Fensterwand ein Seidenband anstatt einen Kokon zu spinnen. Sie folgte ihrem irre gewordenen Instinkt, bis sie tot hinunterfiel. War das mit Recht eine Psychose zu nennen, so ist auch der Ausdruck psychisch für die normale Ausübung des Instinktes nicht falsch. Man wende mir nicht ein, daß auch Störungen der Verdauung beim Menschen, daß besonders Störungen des weiblichen Genitalsystems mit Stimmungsänderungen, ja geradezu mit Psychosen verbunden sein können. Es fällt mir nicht ein zu leugnen, daß im Essen und Verdauen, im Zeugen und Fruchtaustragen die Differenzen zwischen Mensch und Tier nur gering sind. Nicht aber um die psychischen Begleiterscheinungen physiologischer Vorgänge handelt es sich mir, sondern um den Unterschied zwischen den tierischen Instinkten und der menschlichen Intelligenz.
Noch einmal: die halbwegs zugänglichen Begriffe der Menschenpsychologie auf die Tierseele anzuwenden, das ist notwendig, wenn wir überhaupt eine Tierpsychologie zu besitzen wünschen; die ganz unzugänglichen Begriffe der Tierpsychologie auf den Menschen anzuwenden, das muß zu leeren Zirkelschlüssen führen. Ein solcher Zirkelschluß ist es auch, wenn man, um die Begriffe Seele, psychisch usw. zu vermeiden, den Modebegriff der Entwicklung auf die menschliche Intelligenz überträgt und sagt: diese habe sich aus den tierischen Instinkten entwickelt.
Ich habe meine Zweifel an der Wahrheit des Darwinismus oft genug vorgetragen. Selbst für die Morphologie der Organismen sind seine Lehren unbewiesene Dogmen. Wenn aber nicht einmal die Stufenreihe der Organe zweifellos durch Entwicklung zu erklären ist, dann ist eine Entwicklung der Organfunktionen noch viel unvorstellbarer. Es ist nun durchaus nicht im Sinne des Materialismus, wenn ich die Formel annehme: die Intelligenz des Menschen sei eine Funktion des menschlichen Gehirns. Man mag auch sagen: die Instinkte der Insekten seien Funktionen der Insektengehirne. Wie aber das menschliche Auge ganz gewiß nicht ein entwickeltes Insektenauge ist (das Auge der Libelle ist vielleicht vom Standpunkte des Optikers viel feiner gebaut als das Menschenauge), so ist die menschliche Intelligenz nicht ein entwickelter tierischer Instinkt zu nennen. Das Auge der Ameise ist ein Gipfel für sich, der Instinkt der Ameise ist ein Gipfel für sich; das Auge des Menschen, die Vernunft des Menschen sind andere Gipfel, zu denen andere Wege geführt haben. Über den Ausgangspunkt der verschiedenen Wege wissen wir so gut wie nichts, trotz der lichtempfindenden Pigmentflecken. Schon der Ausdruck Wege, den ich eben gebraucht habe, ist ein anthropomorphisches Bild, aus welchem Schlüsse zu ziehen gefährlich ist. Die Natur kennt keine Wege.