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Ordnung (ordinär).

Der Ordnungsbegriff ist wie geschaffen, von der menschlichen Sprache geschaffen, daraufhin untersucht zu werden, ob er der adjektivischen Welt oder der verbalen oder der substantivischen angehöre. Wörter freilich besitzen die Sprachen, die allen drei grammatischen Kategorien entsprechen: ordentlich, ordnen, Ordnung. Doch es scheint mir auf der Hand zu liegen, daß die Vorstellung, die wir mit dem Ordnungsbegriffe verbinden, einzig und allein der verbalen Welt angehört, der Welt der Apperzeptionen oder des Denkens; und es ist kein Zufall, daß wir nur dann apperzipieren können, nur dann unsere Kenntnis vermehren oder verbessern können, wenn wir im Besitze einer Sprache sind, die die Welt vorläufig zu klassifizieren oder zu ordnen versucht hat. Es stört mich nicht, daß sprachgeschichtlich ordinalis und ordinarius, ja sogar ordinare jüngere Bildungen sind als ordo, daß das Verbum vom Substantivum abgeleitet ist; das menschliche Denken hat von jeher die metaphysische Neigung gehabt, die mittelbaren Gegenstände früher als die unmittelbaren verstehen zu wollen, die Dinge früher als ihre Eigenschaften, die Substanzen früher als ihre Wirkungen, die Metaphysik oder Mystik früher als die Physik.

Die menschliche Tätigkeit des Ordnens wird auf lateinisch genauer durch dispositio ausgedrückt, welches Wort eine Lehnübersetzung von διαθεσις ist; bei Architekten und Rhetoren ist dispositio ein Terminus für Einteilung, kunstgerechte Anordnung des Materials (διαθηκη, letztwillige Anordnung, Testament, auch biblisch, ist nicht ins Lateinische übergegangen; das Juristenvolk hatte das formelle testamentum); ordo, ursprünglich Reihe, bekam als militärischer Terminus die Bedeutung Reih und Glied, Glied ( centuria), Kompagnie, und über Reih und Glied wohl erst den Sinn: gehörige Folge, innere Ordnung.

Die wichtigste Frage der Erkenntnistheorie, immer die gleiche, erhält nun die Form: entspricht der dispositio ein ordo? Gibt es in der Natur die Ordnung, den ordo, den eine instinktive Neigung des Verstandes in die Natur hineindisponiert, hineinverlegt?

An der Existenz einer Ordnung in der verbalen Welt ist nicht zu zweifeln. Wir können gar nicht anders als ordnend erkennen, wenn wir überhaupt erkennen wollen. Und es trifft sich gut für diese Betrachtungsweise, daß der Zweck, den wir ( Kr. d. Spr. III S. 59) als die Ursache der ältesten Verbalbildung begriffen haben, dem Ordnungsbegriffe ganz besonders zugrunde liegt; die Sprache hat die Wirklichkeitswelt geordnet oder klassifiziert, um von den Dingen sprechen zu können; wir haben gelernt, daß sogar die Möglichkeit der Wahrnehmung von Tönen, Farben, Wärmegraden usw. darauf beruht, daß der menschliche Organismus, und vorher der tierische, die Weltvibrationen durch die spezifischen Sinnesenergien zweckvoll ordnen lernte; die natürliche Ordnung der Dinge, vornehmlich der Organismen, mit der die künstliche Ordnung so gern zusammenfallen möchte, ist ohne ein teleologisches Ordnungsprinzip nicht zu fassen, so energisch auch der Darwinismus die Teleologie zu bekämpfen sucht. Ein tieferes Eindringen in den alten Zweckbegriff allein könnte die verbale Welt aufklären und ohne Rückschritt über den Darwinismus hinausgelangen.

Daß es in der adjektivischen Welt, in unsern unmittelbaren Wahrnehmungen, keine Ordnung gebe, das wird jedermann zugeben; was die Sprache in adjektivischer Form unter einem ordentlichen Essen, Menschen, Professor u. s. f. versteht, das hat nur noch entfernten, sehr metaphorischen Zusammenhang mit der geistigen Tätigkeit des Ordnens.

Aber in der substantivischen Welt, in der Welt der Metaphysik oder Mystik, da wollen auch denkende Menschen den Ordnungsbegriff nicht preisgeben. Es gibt ja eine Ordnung der Dinge in Raum und Zeit, nach welcher Ordnung ein Ding nicht anders (zur selben Zeit) und nicht anderswo (im Raum) sein kann, als es ist. Die denkenden Menschen wollen nicht zugeben, daß das System von Sätzen (in der logischen Deduktion) und das System von Begriffen (in der naturwissenschaftlichen Klassifikation) nur zweckmäßig sei, heuristisch zweckmäßig meinetwegen, daß aber beim Entstehen der Dinge weder irgendeine Ordnung, noch irgendein System mitgewirkt haben könne: weil nur der Zweck ordnet, der Menschenzweck, Zweck aber der Natur fremd ist, welche nur Ursachen kennt, d. h. nicht kennt, aber – die Sprache versagt – durch Wirkungen ahnen läßt. Neuerdings hat Stumpf es glänzend dargelegt: Gesetze allein können in der Natur nichts hervorbringen. Und ich möchte hinzufügen: wir wissen wenig selbst von Physik, wenn wir nicht auch die sog. Konstanten kennen, die wir erst nachträglich ordnen, die selbst extra ordinem sind.

Ich habe schon einmal (»Spinoza« S. 48) auf die bewundernswerten Worte hingewiesen, mit denen Spinoza die Begriffspaare gut und schlecht, warm und kalt, schön und häßlich, Ordnung und Unordnung für menschliche Begriffsbildungen erklärt. »Nachdem die Menschen sich eingeredet hatten, die Welt und der Weltlauf sei ihretwegen da, mußten sie an jedem Dinge dasjenige für das Wichtigste und Wertvollste halten, was ihnen am nützlichsten oder angenehmsten war.« Das Fragen nach Zweckursachen müsse schließlich immer zurückflüchten zu einem Willen Gottes, diesem Asyl der Unwissenheit. Damit hat Spinoza meines Erachtens den Ordnungsbegriff für immer aus der Erfahrungs-Welt hinausgeworfen, in die substantivische Welt hinein; die reale und die substantivische Welt sind nämlich Gegensätze, was man sich merken sollte.

Der kühnen Stelle scheint ein anderes, viel zitiertes Wort von Spinoza zu widersprechen (Ethik II, prop.  7): Ordo et connexio idearum idem est ac ordo et connexio rerum. Ich habe es schon an anderer Stelle (vgl. Art.  Okkasionalismus) bemüht. Es läuft auf eine Gleichsetzung von Ursache und Wirkung heraus, oder vielmehr auf eine Gleichsetzung von Ding-an-sich und Erscheinung, auf einen erhabenen Monismus, auf eine Vereinigung von Erkenntnisgrund und Seinsgrund mit dem Realgrund oder der Ursache. (So möchte ich den vieldeutigen Satz jetzt deuten.) Wir haben trotzdem nicht das Recht, anzunehmen, daß Spinoza im 2. Teile seines Lebenswerks das prachtvolle Wort aus dem 1. Teile vergessen habe. Vielleicht ist die Deutung, gegen die sich Kuno Fischer schon gewandt hat, doch nicht abzuweisen, daß Spinoza mit diesem ohne Zusammenhang hingeworfenen Satze Kants oder vielmehr Berkeleys Vorstellung vorausgenommen habe, daß er sagen wollte: wenn Dinge und Vorstellungen, wenn also Ausdehnung und Denken, die beiden uns allein zugänglichen Attribute des Einen Deus sive Natura, ein und dasselbe sind, dann sind auch die Dinge nur Erscheinungen, dann ist für den Menschen kein anderer Weg zur Welterkenntnis als der des Psychologismus; denn die beiden Attribute sind ja una eademque res, sed duobus modis expressa, nur durch verschiedene Worte ausgedrückt. Vielleicht hat am Ende Hegel, der so viel Scholastik von Spinoza übernommen hat, auch nur die Apriorität der Ausdehnung aussprechen wollen mit seinem vielverspotteten Satze: »Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.« Hegel hat's aber wirklich nicht so rein philosophisch gemeint.

Aus diesen Regionen scheue ich mich fast hinunterzusteigen zu dem bunten Bedeutungswandel, den ordo in den Gemeinsprachen der modernen Welt erfahren hat. Von einer Orientierung der menschlichen Aufmerksamkeit zum Zwecke der Welterkenntnis kann kaum mehr die Rede sein und an spaßhaften Berührungspunkten von Gegensätzen fehlt es nicht. Orden bedeutet einen geregelten Verein von Mönchen und (über weltliche Ritterorden hinweg) den Lohn im Knopfloch eines ordentlichen Staatsbürgers, parodistisch auch den Kotillonorden. Auf ordinarius (in Deutschland gibt es auch einen Extra-Ordinarius) komme ich gleich zurück. Ordinieren kann heißen: einem Priester die Ordines geben, die ganze Reihe der Weihen, aber auch verordnen, durch Schreiben von Rezepten seinen Lebensunterhalt verdienen; weitab liegt in der Geometrie die Bedeutung von Ordinate (der Senkrechten auf eine der Axen); noch weiter ab beim Militär die Ordonnanz, der einem höhern Offizier zukommandierte Meldereiter. Als Kuriosum füge ich noch » jordonner« hinzu, von j'ordonne; »Monsieur Jordonne« etwa unser alemannisches Befehlerles.

Ein vortreffliches Beispiel für die Tendenz der Wörter, herunterzukommen, gemein oder ordinär zu werden, sind eben die Wörter gemein und ordinär. Gemein wäre ein fast ebenso gutes Beispiel; nur daß die Etymologie von gemein mir trotz der angeblichen Urverwandtschaft mit communis ganz unsicher erscheint, und daß die alte Bedeutung, wofür wir jetzt gemeinsam und allgemein haben, noch in vielen Redensarten gebräuchlich oder verständlich ist: Gemeinwesen, Gemeinsinn, gemeinnützig, gemeine Sache, gemeinverständlich; auch: das gemeine Recht. Es ist noch nicht genau genug untersucht, wie aus solchen Redensarten wie: der gemeine Mann, das gemeine Volk, der gemeine Soldat das jetzt übliche positive Wort für den Gegensatz des Guten und Edlen geworden ist.

Ordinär ist ein ehrliches Fremdwort oder Lehnwort je nach dem Wissen dessen, der es gebraucht. Ordinarius hieß (von ordo) schon im guten alten Latein, was in gehöriger Reihe und Ordnung steht, was der Gewohnheit gemäß, ordentlich, gehörig, was vorzüglich ist. Ich habe nicht erfahren können, ob dieses lateinische ordinarius in irgendeinem Lehnverhältnisse steht zu dem griechischen στοιχηδον, in Reih und Glied. Das griechische στοιχος ging über στοιχειον in den Begriff der Buchstabenreihe über, der Elementarreihe, und ging als elementum zum zweitenmal ins Lateinische über, zum zweitenmal, falls ich mit meiner Vermutung recht habe, daß ordo eine Lehnübersetzung von στοιχος ist. ( Ordo von orior, ordior wie στοιχος von στοιχειν, dem Aufgehen der Sonne.) Ein anderer Zufall der lateinischen Sprachgeschichte hätte einen Begriff für Buchstabe und Element ebenso gut von ordo ableiten können.

So aber führte ordinarius sein selbständiges Leben. Es bezeichnete im Lateinischen die gehörige, die durchschnittlich gute Qualität, konnte sogar ( oleum, oratio) die vorzügliche Qualität bezeichnen, wie gesagt. Das deutsche Wort ordinär, in dem allgemein üblichen heutigen Gebrauch, hat diese Bedeutung niemals. Eine Sache, ein Mensch wird ordinär genannt, wenn sie oder er schlechter ist, viel schlechter als der Durchschnitt. Das ist nun merkwürdig, weil Ordinarius mindestens dreimal aus romanischem Sprachgebiet auf das deutsche herüberkam ( das ordinari, ordentlich und ordinär), in romanischen Sprachen aber von dem übeln Sinne kaum leise Spuren vorhanden sind. Um so merkwürdiger, als das ältere Lehnwort ordentlich, das doch seinen Bedeutungswandel freier vollziehen konnte, durchaus den guten Sinn von ordinarius beibehalten hat (in süddeutschen Mundarten wird es geradezu für gut, recht gut gebraucht: er hat ordentlich gegessen, es geht mir wieder ordentlich); während das jüngere Fremdwort ordinär seinen bösen Sinn im Gegensatz zum französischen ordinaire durchgesetzt hat. Ordinaire heißt im Französischen niemals etwas unter dem Durchschnitt. Die Bedeutung des Grundworts ordre ist nicht vergessen. Ordinaire ist, was regelmäßig und regelrecht kommt. Die regelmäßige Post, die übliche Hausmannskost oder auch das übliche Table-d'hôte-Essen (Lafontaine: D'où vient donc un si bon ordinaire). Die Portion. Auch die Portion Wein für die Dienerschaft, die Portion Hafer für das Pferd. In den meisten dieser Bedeutungen war das Wort vorübergehend in deutschen Gebrauch übergegangen; Goethe spricht von der ordinären Post, Gotthelf nennt das Mittagessen an der Table-d'hôte das Ordinäri. Diese Bedeutungen verschwanden jedoch vor dem bösen Sinne, den der Franzose aus ordinaire niemals heraushört. Beachtenswert ist noch eins: das französische ordinaire heißt und hieß noch häufiger soviel wie gewohnt, gewöhnlich, was uns Deutschen in der dichterischen Sprache einen seltsamen Eindruck macht. Und auch dieser Begriff, gewöhnlich nämlich, hat im Deutschen oft den Sinn von ordinär. Im Englischen hat ordinary fast alle guten Bedeutungen des französischen ordinaire, doch auch den bösen Sinn gibt es, wenigstens für Personen: an ordinary fellow, ein ordinärer Kerl. Auch common kann den üblen Sinn annehmen; freilich auch das französische commun.

Auf eine Erklärung lasse ich mich nicht ein. Der Franzose verbindet nicht einmal mit vin ordinaire, der nicht extra bezahlt wird und häufig recht schlecht ist, einen tadelnden Begriff. Ich zitiere nur noch (nach dem Deutschen Wörterbuch) Ludwigs teutsch-englisches Lexikon (1716): »die Ware ist eben nicht die beste, sie ist nur ordinär, Mittelsorte.«


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