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Spinoza's »Deus«.

Das Folgende ist, weil ich Gesagtes nicht aus äußeren Gründen umformen möchte, meinem Büchlein »Spinoza« entnommen, das in der Sammlung »Die Dichtung«, herausgegeben von Paul Remer, (verlegt bei Schuster und Löffler) erschienen ist. – Wie wir wünschen, Spinoza hätte uns seine Weltanschauung ohne seine Beweise gegeben, d. h. seine Gedanken ohne seine Sprache, so wünschen wir auch, er hätte das Doppelspiel, das Gott der Natur gleichsetzt (Deus sive Natura) und willkürlich bald Gott und bald Natur sagt, aufgegeben und das Wort Deus mit allen schwerfälligen und sophistischen Definitionen und Folgerungen dieses Wortes uns erlassen. Wir haben anfangs oft den Eindruck, Spinoza habe da nur vorsichtig gehandelt und sich selbst ein Hintertürchen offen gelassen, durch welches er die Schüler aus seinem Hause, der Natur, zu Gott hinauswerfen konnte; während doch sogar der Riese Kant weniger stolz war und das Hintertürchen der Moral öffnete, um Gott dadurch wieder als Herrn einzuführen.

Es wäre aber unhistorisch, Spinoza unsere Denkgewohnheiten unterzuschieben. Großstädter sind jetzt in den Jahren, wo man im Glauben konfirmiert zu werden pflegt, mit den Begriffen: Gott, Engel u. dgl. schon fertig. Wir brauchen nachher das Wort Gott nicht mehr, wie wir nachher nicht mehr vom Storch sprechen. Man bedenke doch, daß wir darin wieder um ein Wort ärmer oder um eine Freiheit reicher geworden sind als z. B. Lessing und Voltaire waren, die das Wort noch emsig hin und her wendeten, um seinen Inhalt zu finden. So wird bald auch die Zeit kommen, wo die völlige Hohlheit des Begriffs Substanz oder Materie erkannt sein wird. Für Spinoza war Substanz (übrigens identisch mit Gott) noch der höchste Begriff, und wir nehmen ihm diese Scholastik nicht übel. Warum wollen wir ihm den Gottesbegriff schlimmer deuten?

Wir sind diesem Begriff gegenüber wirklich noch zu nervös. Die Geschichte des christlichen Gottesbegriffs erzählt eine solche Fülle von Dummheit und Trug, von Gewalttat und Feigheit, daß wir uns über jeden freien Kopf ärgern, der diesem Begriff auch nur die geringsten Zugeständnisse macht. Und bei Spinoza werden wir – aber nur weil Spinoza uns gelebt hat – anfangs die Empfindung nicht los, ihm sei, wie einst dem Epikuros die Götter nur die Lückenbüßer der Kenntnis waren, sein Gott bestenfalls nur ein altes Wort für das neugefundene x, für die Unbekannte, die natura naturans (die wirkende Natur), auf welche die natura naturata (die Wirklichkeitswelt) als letzte Ursache hinzuweisen schien.

In jüngeren Jahren war ich ganz so geneigt, Spinoza einer feigen Vorsicht zu zeihen. Schopenhauer hatte mich irregeführt, der dem Juden Spinoza, gegen den er bei aller Bewunderung das Wort vom foetor judaïcus gebraucht, geradezu Unaufrichtigkeit vorwirft. »Eine Schwierigkeit besonderer Art hat Spinoza sich dadurch aufgebürdet, daß er seine alleinige Substanz Deus nannte; … er tat es, damit seine Lehre weniger Anstoß fände.«

Das ist unhistorisch geurteilt, wie gesagt. Das Wort Deus war für Spinoza noch ein Begriff aus der Welt des Denkens; es konnte ihm noch nicht einfallen, das Wort zu veräußern oder es wegzuwerfen wie einen alten Kaftan. Er hielt es für seine Pflicht, den Begriff zu verinnerlichen, ihn von abergläubischen Zutaten zu befreien, den Kaftan zu reinigen. Und wahrhaftig, seine Definition des Gottesbegriffs war nicht vorsichtig. Uns ist sie störend, weil wir des Wortes nicht bedürfen, weil es sich als ein störendes Synonym zwischen uns und Spinozas Natur schiebt; wir wissen, daß unsere Sprache über die natura naturata hinaus nicht bis zur natura naturans gelangen kann. Aber geheuchelt hat Spinoza darum nicht. Sein Deus hat nicht gehindert, daß er bei Lebzeiten und noch im Grabe der Fürst der Atheisten genannt worden ist.

Der Gott Spinozas hat nichts mit irgend einer religiösen Anschauung zu tun; sein Gott ist kein konfessioneller Begriff. Spinoza sagt einmal tief und groß: Gott zumuten, daß er das Gute allein schaffen (also nach guten Zwecken allein handeln) könne, nicht auch das sogenannte Böse, heiße ihn von etwas Fremdem, von der menschlichen Idee des Guten abhängig machen; es sei für Gott weniger schlimm, ihm Willkür zuzutrauen, was Spinoza doch wieder für töricht erklärt.

Dieses Leugnen aller Zweckursachen, aller Absichten (bei Gott oder bei der Natur), dieses Betonen der ausnahmslosen Notwendigkeit der Welt, das wie Beethovens Siegessymphonie vernichtend zugleich und jubelnd über uns hereinrauscht, dieser Grundgedanke Spinozas, den er auch seinem Gotte nicht erläßt, scheidet seine Lehre wie von allen Denkern vor und nach ihm, so auch von aller Religion. Darum besteht ja die Religion nicht vor der interesselosen Einsicht, weil sie immer Interesse ist. Auch der Judengott hatte bei seiner Weltschöpfung einen Zweck; er schuf die Welt für den Menschen. Natürlich! hatte doch der Mensch sich ihn zu diesem Zwecke erdacht. Einerlei, ob hier oder drüben: immer verspricht Religion etwas, sie will also immer etwas Künftiges, einen Zweck. Immer nennt sie einen wollenden Gott, dem sie den sollenden Menschen gegenüberstellt. Gott will, daß ich solle. Ich soll, damit Gott wolle, mir wohl wolle.

Weniger gemein lehren die Philosophen dasselbe. Immer ist ihnen der Mensch das Maß der Dinge, ohne daß sie es immer wissen oder sagen. Weil der lebende Mensch Erinnerung oder Sprache besitzt, weil er mit ihrer Hilfe die ewige Gegenwart in Vergangenheit und Zukunft auseinanderhalten kann, darum verlegen sie die Zukunft auch in die Wirklichkeitswelt und lassen sie durch Zwecke oder Absichten auf die Gegenwart wirken. Alle sind sie teleologisch, alle bis auf den einen Spinoza. Alle, wenn man von den großen Skeptikern absieht, den wahren Alleszermalmern. Platon und Aristoteles sehen in der Natur Zwecke verwirklicht, und alle Neuen kehren zu den Absichten des alten Judengottes zurück. Kant selbst stellt, nachdem er groß die Unerkennbarkeit der inneren Weltordnung dargetan hat, doch wieder eine erkennbare, höhere Weltordnung, die moralische auf, ein kategorisches Soll neben das Wollen des moralisch erschlossenen Gottes. Ja sogar die gottlose und gottesmörderische Welt Schopenhauers soll noch etwas, wenn auch nur die Weltflucht. Einzig und allein der Deus Spinozas will nichts. Er hat gar keinen Zweck, weshalb der Mensch auch nichts soll. Der Mensch hört auf, das Maß der Dinge zu sein. Weder dürfe man etwas gut nennen, weil Deus es angeblich gewollt habe, noch dürfe man glauben, Deus habe das und das gewollt, weil es gut sei. Die Aufhebung des persönlichen Gottes ist im Deus Spinozas fast noch besser erreicht, als im Stoff der Materialisten, der sich aufwärts entwickelt, also zweckvoll; besser als im Willen des Atheisten Schopenhauer, der schon nach seinem Namen einen Zweck wollen muß.

Nur scholastisch freilich kommt Spinoza dazu, seinem Deus die Erkennbarkeit abzusprechen. Jede Bestimmung sei eine Verneinung; denn jede Bestimmung einer Definition gehöre nicht zum Wesen der Sache, sondern sei im Gegenteil ihr Nichtsein. Es ist also jede Definition, ich würde sagen: jede Erkenntnis, nur eine Umgehung der Wirklichkeit. Darum kann auch das höchste Sein, auch Deus nicht erkannt werden, darum können wir uns von seiner Persönlichkeit, von seinem Wollen oder seinem Verstande keinen Begriff machen. Spinoza kennt wohl das Wort Persönlichkeit, aber er kann sich nicht viel dabei denken. Was seine Persönlichkeit sei, werde Deus wohl erst am jüngsten Tag seinen Gläubigen enthüllen, fügt Spinoza hinzu; und mag bei diesen Worten wohl besonders scharf den character reprobationis im lächelnden Antlitz getragen haben.

Der unendliche, undefinierbare, unpersönliche Deus hat also gar keine Individualität, und so gehört zu seiner Natur auch kein Verstand und kein Wille, wobei Spinoza die tiefe Einsicht besaß, daß der Wille nichts dem Verstande Entgegengesetztes, sondern gleich ihm Vorstellung sei. Spräche man dem Deus Verstand und Wille zu, so käme das auf eine willkürliche Benennung hinaus, da des Deus Verstand und Wille von unseren gleichbenannten Seelenkräften himmelweit verschieden sein müßten, himmelweit, wie etwa das Sternbild des Hundes am Himmel und der Hund, der unter meinem Fenster bellt. Nur die Worte seien gleich.

Es tut nichts, daß Spinoza auf scholastischem Weg zu einer einheitlich großen Weltanschauung kommt. Auch Jesus kam auf einem Esel; und Spinozas Weltanschauung war in ihm, bevor er sie sich bewiesen hatte; wie wir ja wissen, daß der Satz früher ist als das Wort, der Schluß früher als die Prämissen. So ist es auch gleichgiltig, daß Spinoza sich und die geometrische Methode quält, um in seinem Deus die gewaltige Vorstellung von der Weltkette der durchgängigen Notwendigkeit und das Menschenwort Freiheit zu vereinigen. Außer dem Deus gäbe es nichts, es sei also nichts vorhanden, von dem er bestimmt werden könne, also sei Deus frei, und da doch Notwendigkeit zu seinem Wesen gehöre, so sei es eine freie Notwendigkeit. So sinnlos konnte selbst Spinoza Worte aneinanderreihen. Es fiel ihm noch nicht ein, eben aus solchen Gründen, Gott zu leugnen, weil nämlich Freiheit zu seinem Begriff gehören müßte, wenn er existierte, und weil es doch auf dem Weltenrund nichts gäbe als die eherne Notwendigkeit. Einerlei. Wie die mathematische Methode die bis zum Extrem getriebene Verirrung Spinozas ist, der ärgste Mißbrauch des Worts, so ist das Mathematische seiner innern Weltanschauung bewunderungswürdig. Sub specie aeternitatis, zeitlos also, geht die Welt aus Deus hervor, nicht als Schöpfung, nicht als Folge, vielmehr – so möchte ich sagen – als Eigenschaft, wie die Gleichheit der Radien aus dem Kreisbegriff. So kann Spinoza schreiben – hart an der Wahrheit vorbei, aber gewiß ganz aufrichtig: »Auf die Frage, ob ich von Deus eine so klare Idee habe wie von einem Dreieck, antworte ich mit ja. Fragst du aber, ob ich von Deus ein so klares Bild habe wie von einem Dreieck, so sage ich nein.« Nur daß Idee nicht mehr sei als Wort, wußte Spinoza nicht. Er war Platons Ideenlehre gegenüber doch nicht Nominalist genug.

Es kann nicht oft genug wiederholt werden, daß in dieser Überschätzung der Ideen zugleich Spinozas Darstellungsmangel und seine Abhängigkeit von der höchsten Idee beruht, von seiner höchsten Idee, von seinem Deus. Und immer wieder muß es beklagt werden, daß die stolze Gewißheit von seiner Weltanschauung ihn an ihrer sprachlichen Form nicht zweifeln ließ. »Wer eine wahre Idee hat, der weiß auch, daß er eine wahre Idee habe, und kann an der Wahrheit der Sache nicht zweifeln.« Nach Spinoza offenbart das Licht sich selbst und die Finsternis, und die Wahrheit prüft sich selbst und das Falsche. Wahre Vorstellungen sind ihm über jeden Zweifel erhaben, denn sie seien nicht stumme Gemälde, sondern das Denken selbst. In diesem Vertrauen auf Ideen oder Worte ist also Spinoza ganz aufrichtig, wenn ihm der Begriff seines Deus ein Herzensbedürfnis ist, wenn ihm von da aus alles überaus klar zu werden scheint, wenn ihm auf der Stufenreihe der menschlichen Erkenntnis sein Deus als das höchste und beste Wissen, als die intuitive Erkenntnis erscheint. Er hat vergessen, daß diese eine unmittelbare, anschauliche Erkenntnis sein muß und daß er von Gott wohl einen so klaren Begriff hat, wie von einem Dreieck, nicht aber eine solche Anschauung (imago).

In der von ihm gelehrten Stufenfolge der menschlichen Erkenntnis, die ihn zum Deus führt, sehen wir Spinoza gewaltig um die Wahrheit ringen. Er zwingt sie nur nicht, weil seine Waffen Worte sind, die Wahrheit aber ungreifbar, weil wortlos. Es ist der Kampf des Menschen mit der Wahrheit, ein Kampf des Bären mit dem Adler; das plumpe Tier kann die Erde nicht verlassen, das Wort. Ich glaube aber nicht, daß ich Spinozas Vorstellungen entstelle, wenn ich seine Stufenfolge der Erkenntnis mit Worten meiner Sprache auszudrücken suche; Spinoza wäre tot, dürfte man ihn nicht mehr übersetzen.

Die erste Stufe ist die Erkenntnis durch Worte. Diese führt notwendig zum Irrtum. Spinoza muß dabei geahnt haben, daß diese Abstraktionen, die er darum verworren nennt, immer nur tastend und versuchend um die Wirklichkeitswelt herumjagen, nie aber in sie selbst eindringen.

Man hat diese erste Stufe der Erkenntnis ganz richtig dem Standpunkt des naiven Realismus gleichgestellt, der all das und nur das für wahr hält, was seine Sinne ihm von der Welt erzählen. Nur kann ja der naive Realismus noch nicht wissen: daß diese Angaben der Zufallssinne wie die gesamte äußere Welt so auch das gesamte innere Denken allein ermöglichen, daß dieses naive Weltbild sich auch in dem Wortvorrat und in den Formen der Umgangssprache ausprägt. Die erste Stufe der Erkenntnis ist die der menschlichen Gemeinsprachen. Erst durch Bildung einer wissenschaftlichen Sprache (man sagt gewöhnlich durch das Entstehen von Wissenschaften) wird die nächsthöhere Stufe erreicht.

Die zweite Stufe der Erkenntnis ist die der wahren Vernunft, welche die Dinge wesentlich unter einem gewissen Gesichtspunkt der Zeitlosigkeit betrachtet. So möchte ich den berühmten Satz von der Spezies der Ewigkeit wiedergeben. Denn die Welt begreifen, heißt das eherne Band ihrer Notwendigkeit begreifen. Lückenlos ist diese ewige Kette der Notwendigkeit. Eins folgt aus dem andern, aber nicht logisch, auch nicht in der Zeit. Zeitlos wie die mathematischen Gesetze, zeitlos wie die Gleichheit der Radien aus dem Kreisbegriff, so zeitlos und darum ewig folgt das eherne Band der Welt aus dem Substanzbegriff des Deus. Und so scheint mir erklärt, was Spinoza unter dem Gemeinsamen verstanden habe, unter dem, was auf der zweiten Stufe der Erkenntnis den Dingen der Welt gemeinschaftlich, was darum ewig ist. Kirchmann und andere haben unter den Communia wieder nur Begriffe verstanden, Kuno Fischer hat gar keine Erklärung versucht. Spinoza aber gibt deutlich zu verstehen, daß er unter den Begriffen oder Universalien der ersten Erkenntnisstufe diejenigen Abstraktionen sich denke, die sich der einzelne Mensch je nach seinem Verhältnis zu den Gegenständen, nach seinem Interesse, nach zufälligen Eindrücken mache. Die bloßen Bilder. Der eine denke sich unter Mensch das Geschöpf mit dem aufrechten Gang, der andere das Tier, das lachen kann, oder das zweibeinige Tier ohne Federn, oder das vernünftige Tier. Ebenso gehe es mit den Begriffen oder Universalien Hund oder Pferd. Darum führt ja eben die erste Stufe mit ihren Begriffen zum Irrtum; darum können die Communia der zweiten Stufe, darum kann das Gemeinsame in den Dingen, das zur Wahrheit führt, nicht in Begriffen bestehen oder in Worten. Und wenn ich Communia mit Gesetze wiedergebe, wenn ich mir Spinoza so erkläre, daß die Einzeldinge und die von ihnen abgeleiteten Begriffe an der Zeit kleben und darum vom Irrtum nicht loskommen, daß allein in den zeitlosen, mathematischen Beziehungen der Dinge, also in ihren ewigen Gesetzen, die Wahrheit stecke, so glaube ich einen Augenblick über Spinoza, indem ich ihn richtig verstehe, hinausgekommen zu sein. Doch nur einen Augenblick. Das Wort Gesetze ist uns nur vertrauter, weil es ein mythologischer Begriff neuerer Prägung ist; Spinoza war weiser, da er nichts weiter behauptete als etwas, was den Dingen gemeinsam sei.

Der Inbegriff dessen, was auf dieser zweiten Stufe erkannt wird als das Wesentliche, Zeitlose, Gemeinsame der Welt, ist für Spinoza das Wirkliche, die wirkliche Natur, die natura naturata; darüber hinaus erkennt er auf der dritten und höchsten Stufe intuitiv im Deus die Einheit aller Gesetze, das Bewirkende, die wirkende Natur, die natura naturans. Ich glaube bestimmt, daß Lessings Maler diesen pantheistischen Gottesbegriff wiedergeben will, wenn er von der plastischen Natur spricht und – ganz Lessing – zweifelnd hinzufügt: »Wenn es eine gibt«.

Die dritte Stufe der Erkenntnis möchte ich freilich am liebsten noch freier so übersetzen, daß sie den Trug der Wissenschaften, den Trug der vermeintlich erkannten Gesetzmäßigkeit in der natura naturata durchschaue. So gefaßt, wäre Spinozas Intuition der Zweifel an dem Werte der wissenschaftlichen Sprache, der Weg zur resignierten Skepsis. Das hieße aber, über Spinozas heitere Weltanschauung einen dunklen Schleier werfen, seinen frohen Glauben in einen Unglauben, seine Sehnsucht in eine Negation umwandeln. Spinoza, der Fürst des Atheismus, der Verfasser des liber pestilentissimus, ist in seinem Empfinden kein Skeptiker.

Spinoza zweifelt nicht an der Erkennbarkeit der natura naturans, des Wirksamen, das freilich auch für uns nicht weniger begreiflich ist, als die natura naturata, als das Wirkliche. Ihm ist die Welt ein Buch. Auf der ersten Stufe buchstabiert das Kind gedankenlos; auf der zweiten faßt es die einzelnen Sätze, auf der dritten Stufe versteht es den Sinn des Ganzen.

So glaubt Spinoza ganz ehrlich und aufrichtig seinen Deus zu verstehen. Und weil es ein pantheistischer Deus ist, weil der nichts anderes ist, als die Welt selbst, und weil Spinoza Freude hat an der ehernen Weltkette, darum liebt er seinen Deus. Denn Spinoza hat die Liebe scheinbar so nüchtern und doch so tief erklärt als: Fröhlichkeit, verbunden mit der Vorstellung ihrer äußeren Ursache. Er fühlt den Deus in der ganzen Welt, auch in sich selbst, als Ursache der Welt, als Ursache seiner selbst (nämlich Gottes sowohl als Spinozas), und so liebt er ihn, seine mystische Weltseele, er liebt ihn mit übermenschlicher Liebe, mit lächelnder Resignation, ohne Hoffnung auf Gegenliebe, ohne Eifersucht, er liebt ihn, wie man die einzig Geliebte lieben würde, wenn sie zeitlos und körperlos wäre, ein Gedankenbild. Spinoza wäre nicht, der er war, der größte und heiterste Denker, wenn er nicht bei allem Scharfsinn doch die blaue Blume gepflegt hätte, die letzte Zuflucht des gequälten Denkens, die Mystik.

Diese Heiterkeit verliert, wer nicht in den mystischen Abgrund springt, wer jede Mystik für das Asyl der Verzweiflung hält und die Verzweiflung nicht fürchtet, wenn nur heiliger Zweifel zu ihr führt.

Noch einmal also: Spinoza hat in gutem Glauben an den Wert der menschlichen Sprache den Begriff Gott so ruhig untersucht, wie den Begriff Substanz; er hat in beiden etwas Wirkliches erblickt und sogar in beiden ein und dasselbe: das Wirksame. So ist sein Deus kein Grund, auf seine Aufrichtigkeit einen Verdacht zu werfen; wohl aber ist sein Deus das erste und stärkste Beispiel dafür, wie sich Spinoza wohl in seiner Weltanschauung über alle Zeiten erheben konnte, in seinem Sprachgebrauch aber niemals sicher war, zurückzusinken in die Scholastik.

Aber seine verschulte Sprache hat ihn nicht verhindert, in dieser Sprache sich und uns von einem Begriffe zu befreien, der dem menschlichen Denken noch ungleich fester anhaftet als der Gottesbegriff: vom Zweckbegriff. Wir dürfen nur nicht übersehen, daß Spinoza auch der Sprache gegenüber kein Skeptiker war, daß er an der mathematischen Kraft des sprachlichen Denkens nicht verzweifelte. Dieser Glaube verstrickte ihn in den schweren Irrtum seiner geometrischen Methode. Aber vielleicht läßt sich der Tiefsinn Spinozas, auch bei diesem Irrtum, dadurch retten, daß man diesem übermenschlichen Denker einen fast übermenschlichen Gedanken zutraut, wie denn bewußte Bescheidenheit lehrt, alles für des Lehrers Gedanken zu halten, was im Schüler durch des Lehrers Worte angeregt worden ist.

Spinoza hat zu dem ersten Teil seiner Ethik, zu der Lehre von Gott, einen Anhang geschrieben, eine Erklärung, die ebenso bewunderungswürdig ist, wie der Text selbst verschult und angreifbar. In dieser überzeugenden Anmerkung will er wie immer die um Menschenschicksal unbekümmerte eiserne Kette der Notwendigkeit darstellen und den Glauben an Zweckursachen und damit jede Form theologischen, ethischen, ja selbst ästhetischen Aberglaubens mit der Wurzel ausreißen. Niemand ist bis zu dieser Stunde über den Geist dieser Anmerkung hinausgelangt. Alle Revolution aller Wissenschaften im 19. Jahrhundert ließe sich herleiten von diesen Sätzen: »Nachdem die Menschen sich eingeredet hatten, die Welt und der Welt Lauf sei ihretwegen da, mußten sie an jedem Dinge dasjenige für das Wichtigste und Wertvollste halten, was ihnen am nützlichsten oder angenehmsten war. Daher mußten sie sich diejenigen Begriffe bilden, mit deren Hilfe die Welt zu erklären wäre, die Begriffe: das Gute, das Schlechte, die Ordnung, die Unordnung, das Warme, das Kalte, die Schönheit, die Häßlichkeit. Und weil sie sich für frei hielten, entstanden die Begriffe: Lob und Tadel, Sünde und Verdienst.« Man horche wohl darauf, wie Spinoza hier mit einem großen Atemzuge nicht nur die Grundlage der Kirche, die Lehre von der Zurechnung umbläst, sondern zugleich die Ausgangsbegriffe der Ethik, der Empfindungslehre, insbesondere der Ästhetik, wobei es noch gar nicht ausgemacht ist, was alles noch mehr durch Abstreifen der Begriffe Ordnung und Unordnung in seinen Grundlagen erschüttert sein mag. In diesem selben Zusammenhang hat Spinoza das stolze, in seiner Ruhe alles niederbeugende Wort gesprochen: »Das Fragen nach Absichten in der Natur, d. h. nach Zweckursachen und den Ursachen der Ursachen, müsse schließlich immer zurückflüchten zu einem Willen Gottes, diesem Asyl der Unwissenheit (ad ignorantiae asylum)«. Wobei zu beachten ist, daß Spinoza hier unter Ignoranz fast ohne Bosheit die Tatsache des Nichtwissens versteht.

In diesem selben Zusammenhange klagt nun Spinoza, der Glaube an Zweckursachen (und an das, was drum und dran hängt) hätte für sich allein hingereicht, der Menschheit die wahre Einsicht für immer zu verschließen; da habe glücklicherweise die Mathematik, welche sich nicht um Zweckursachen, sondern um das Wesen und die Eigenschaften der Raumgestalten kümmert, den Menschen eine andere Norm der Wahrheit gezeigt.

Hier nun scheint mir die fast übermenschliche Anschauung für einen Augenblick entschleiert zu werden, die den Spinoza unbewußt zu seinem mathematischen Denken führte. Tief im menschlichen Wesen begründet, in dem Schein seiner Willensfreiheit nämlich, ist seine Sehnsucht nach einer Absicht in der Natur, nach einem Gott. So grausam, ein solcher Moloch ist diese Täuschung in uns, daß – wie ich zeige – auch Darwin sie nicht völlig überwunden hat. Ja, ich scheue mich nicht, es auszusprechen: Dieser Glaube, diese Sehnsucht an eine Absicht in der Natur ist in uns unzerstörbar, die Absicht in der Natur ist in den Menschen eine angeborene Idee, was ich deshalb ruhig sagen kann, weil ich dazu behaupte, daß Ideen oder Begriffe darum nicht wahr sein müssen, weil sie angeboren sind. Angeborene Ideen sind falsch, wie jemand eine Truhe mit falschem Geld erben kann, oder einst vollwertige Banknoten oder Assignaten erben, die inzwischen entwertet worden sind.

Niemand hat wie Spinoza diese angeborene Idee bekämpft, und wenn er in diesem Kampfe nach der mathematischen Methode griff, so hatte er dabei vielleicht den folgenden Gedankengang: In der Mathematik gibt es sicherlich keine Zweckursache. Die Gleichheit der Seiten folgt zwar aus der Gleichheit der Winkel; ebenso folgt aber die Gleichheit der Winkel aus der Gleichheit der Seiten. Hätte Spinoza seinen Scharfsinn an die Erkenntnistheorie gewandt, er hätte aus der Umkehrbarkeit aller solchen mathematischen Sätze die Ahnung schöpfen müssen, daß auch der Begriff Ursache, logische Ursache, für solche Wechselbeziehungen ein sinnleeres Wort sei. Ihm aber war es in genialer Einseitigkeit bloß um die Vernichtung der Zweckursachen zu tun. Da konnte er den Gedanken fassen, daß Zweckursachen – wenn sie schon in umkehrbaren mathematischen Sätzen ausgeschlossen sind – noch sinnloser sein müssen in der Ursächlichkeit des Wirklichen, weil diese Ursächlichkeit sich in der Zeit vollzieht und sich daher nicht umkehren läßt. Auch wo wir die Zeitfolge nicht wahrnehmen, in der Wirklichkeitswelt, nehmen wir sie doch unbedingt an. Wenn wir den Hahn am Gewehr berühren und im selben Augenblick der Schuß kracht, so wissen wir dennoch, daß nacheinander, in der Zeitfolge also, die schnappende Eisenspitze das Zündhütchen getroffen, der Funke das Pulver entflammt und das Pulvergas die Kugel herausgetrieben hat. Ist nun in der umkehrbaren Beziehungsfolge der Raumverhältnisse schon der Zweckbegriff nicht unterzubringen, um wieviel weniger in der Zeitfolge der Wirklichkeitswelt, wo doch unentwurzelbar die Ursache der Vergangenheit angehört, der Zweck aber etwas Zukünftiges sein müßte. Dieses konnte nach Spinoza die mathematische Methode lehren. Aber vielleicht noch mehr.

Die mathematischen Gesetze sind ewige Gesetze, weil sie zeitlos sind. Spinoza liebt den Gedanken, daß auch die Gesetze der Wirklichkeitswelt ewig seien, daß man jede Einzelerscheinung unter dem Gesichtspunkte der Ewigkeit betrachten müsse. Wie nun, wenn auch die Wirklichkeitswelt, das Wirken aller Körper aufeinander, in tiefstem Grunde zeitlos wäre? Umkehrbar wie die Geometrie und darum zeitlos? Wie, wenn die Geometrie durch diesen Gedanken die arme Menschheit von dem Wahnsinn der Zweckursachen befreien könnte?

So mag Spinoza Unsagbares geahnt haben. Aber er vergaß dabei – wie ich es eben vergessen mußte – daß die Worte der menschlichen Sprache Zeitloses nicht ausdrücken können, daß unsere Worte Zeichen sind, Erinnerungszeichen unserer Empfindungen, immer nur Erinnerungszeichen für das, was uns erscheint, daß also keine menschliche Sprache sich losreißen kann von dem Widerhaken der Zeitfolge und der Ursache, mit dem die Wirklichkeitswelt unser Gehirn hinter sich herreißt. Und der Begriff der Ursache ist zuletzt nicht wirklicher als der Begriff der Zweckursache; nur daß wir es nicht sagen können, weil wir die Umkehrbarkeit der sogenannten Zeitfolge nicht fassen können.

Kaum die dunkle Ahnung kann ich hinzufügen: daß die Absichten in unserm sogenannten Selbstbewußtsein – die wir so gerne auf die Natur übertragen, und die in uns den Schein der Willensfreiheit erzeugen – sich vielleicht doch als zeitlos erkennen lassen, wenn wir sie als gedachte Zwecke erkennen, also als dasselbe, was auch die anderen Vorstellungen sind. Wenn wir begreifen, daß der Ablauf unseres ganzen Lebens nur ein Auf und Ab auf den ausgefahrenen Gleisen unserer Nerven ist, daß unsere Vorstellungen wie unsere Willensbewegungen nur einander aufhebende Nervenzuckungen in umgekehrter und vielleicht umkehrbarer Richtung sind, daß – wie schon Spinoza gelehrt hat – Wille und Vorstellung eins ist, dann werden wir wohl den Gedanken, mit lächelnder Trauer ihn umarmend, festhalten können: Wie unsere eigenen Absichten doch nur Erinnerungen sind, unsere künftigen Zwecke also etwas Vergangenes, so ist unser Leben zeitlos, zeitlos die Wirklichkeitswelt.

Und so steht hinter dem großen Irrtum Spinozas, seine Sprache einer mathematischen Anwendung fähig zu halten, eine noch größere Ahnung dessen, was wir in unserer bettlerfrechen Sprache Wahrheit nennen.


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