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S.

schön.

Homeros und Sophokles, Pheidias und Raphael, Dante und Shakespeare, Lionardo da Vinci und Sebastian Bach haben Werke geschaffen, die wir heute noch schön finden; sie haben geschaffen ohne Ästhetik, ohne auch nur zu ahnen, daß es einmal eine Wissenschaft vom Schönen geben werde; Griechen und Romanen, Engländer und Deutsche hatten aber lange vor der Erfindung der Ästhetik Worte in ihrer Sprache, die die Empfindung ausdrückten: das gefällt mir. Καλος sagte Homeros von Männern und gern von Frauen, von Rindern und Hunden, von Kleidern und Waffen, aber auch im Sinne von gut oder schicklich, vom Winde, von Reden; er kannte auch schon das Substantiv καλλος, nur daß die Erklärer darüber streiten, ob dieses καλλος personifizierte Schönheit war, die den Menschen übergeworfen wurde wie ein Kleid, oder ob es gar ein kosmetisches Mittel war. Die Lateiner sagten pulcher von Knaben und Mädchen, von Häusern und Städten, gebrauchten das Wort aber auch da, wo wir von geistigen Dingen schön, herrlich, edel usw. sagen; pulcher wird von fulgere (schimmern) abgeleitet. Nun war aber bei den Lateinern ein anderes Wort sehr volkstümlich: bellus (aus benulus von bonus), das unserem hübsch, niedlich oder dem veralteten artig entspricht. Aus bellus und dem vulgären bellitas entstanden die romanischen Worte bello, beau, beauté, belâtre mit ihrer ganzen Sippe, und die Engländer bildeten daraus ihr beautiful (aus beauty), wie wir etwa heute stilvoll von schönen Möbeln sagen. Die germanischen Sprachen besaßen ein Wort, das im Englischen von beautiful verdrängt worden ist (auch sheen ist veraltet, d. h. nur noch in poetischer Sprache üblich), das aber im Niederländischen und im Hochdeutschen nur zu häufig gebraucht wird: schön. Die Etymologie ist unsicher; das got. skauns übersetzt in Zusammensetzungen das griech. μορφη, wobei nicht zu übersehen ist, daß wir nicht wissen, ob die beiden Hauptstellen (Philip. 2, 6. 3, 21) die Schönheit des verklärten Christus oder gar schon die spätere theologische Gestalt meinen. Die Ableitung von schauen ist nicht überzeugend; sollte eine Ableitung von scheinen (trotzdem Skeat II. 58 jeden Zusammenhang mit to shine ablehnt) wieder angenommen werden, so wäre an eine Lehnübersetzung nach pulcher (von fulgere) doch nicht zu denken; aber merkwürdig bleibt es, daß (nach Bréal) auch καλος die Grundbedeutung hell gehabt haben soll. Und merkwürdig ist es auch, daß unser schon, das alte Adverbium zu schön, früher und heute noch häufig wie das lat. belle und bene im Sinne von recte, gut, wohl gebraucht wurde und wird.

Das Adjektiv schön (und natürlich seine Entsprechungen) drückt in allen Sprachen eine wohlbekannte Empfindung aus; auch wenn es nicht, wie vielfach angenommen worden ist (von Erasmus Darwin, von Charles Darwin, von W. Scherer) zunächst auf das geschlechtliche Wohlgefallen gegangen wäre, wie denn in Griechenland Sitte war, den geliebten Namen in einen Baum zu ritzen und ὁ καλος oder ἡ καλη darunter zu setzen, – konnte es beim einfachsten Menschen einen gefälligen Eindruck bezeichnen. Das Prädikat schön gehörte von jeher zu den natürlichen Werturteilen; es gab in der Welt menschlicher Erfahrungen, in der adjektivischen Welt, schöne Erscheinungen: schöne Menschen, schöne Tiere, schöne Geräte, und am Ende machte man die Entdeckung, spät genug, daß auch die Landschaft schön genannt werden könnte. Aber die Menschen lernten mit der Zeit, schöne Erscheinungen in die verbale Welt zu versetzen, in die Welt des Wirkens, indem sie etwas Schönes künstlich hervorbrachten. Sie erfanden die Künste. Neuerdings lieben es die Künstler, sich par excellence die Schaffenden zu nennen. Und die Künste bestanden seit Jahrtausenden, ohne daß ein Bedürfnis vorhanden war, die Schönheit auch in der substantivischen Welt oder in der metaphysischen zu suchen. Deutschland darf sich rühmen, zuerst das Wesen der Schönheit untersucht und definiert zu haben. Wissenschaftlich. Nicht als ob die Worte καλλος , pulchritudo, bellezza, beauté, beauty, Schönheit nicht schon früher im Gebrauche gewesen wären. Man sprach das Abstraktum Schönheit Frauen und auch Männern zu, Tieren und Pflanzen, man schrieb Abhandlungen über die Schönheit und fing sogar an, über den Begriff nachzudenken. Der alte Walch (Philosophisches Lexikon) macht schon auf die »unterschiedliche« Art aufmerksam, das Wort zu gebrauchen; man kann es auf die Empfindungen anwenden, worinnen »der Begriff und der Geschmack der Menschen so sehr voneinander unterschieden sind«; … »vors Andere hat man die Schönheit anzusehen, wie sie sich wirklich an einer Sachen befindet«; die Schönheit sei keine Chimäre, kein Ding, das nur in der Einbildung bestehe, sondern etwas Wahrhaftiges, eine aus vielfältigen Stücken zusammenhängende Ordnung und Harmonie. Diese Notiz geht der Zeit nach einer Dissertation voraus, in welcher der berühmte Baumgarten die Forderung einer besonderen Wissenschaft, einer Wissenschaft vom Schönen, aufstellte (1735) und dem »epochemachenden« Erscheinen vom 1. Teile des Werkes selbst, von Baumgartens » Aesthetica« (1750), die unheilvoll nachzuwirken immer noch nicht aufgehört hat.

Die ehrbare »Aesthetica« Baumgartens geht in ihrem Inhalt nicht wesentlich über die Anschauungen ihrer Zeit hinaus; Gottsched und Bülfinger hatten das Schöne schon rationalistisch genug behandelt und Breitinger die Lehre vom guten Geschmack als »Logik der Einbildungskraft« aufzustellen versucht; neu ist bei Baumgarten eigentlich nur der Name, den er der Geschmackslehre gibt: α ἰσϑανομαι  = wahrnehmen, apperzipieren, α ἰσϑητος =  wahrnehmbar, sinnlich, τα α ἰσϑητι ϰα = das Wahrnehmbare, die sinnliche Welt. Also konnte mit α ἰσϑητι ϰη die Lehre von der sinnlichen Wahrnehmung bezeichnet werden. Schönheit ist aber perfectio cognitionis sensitivae qua talis; Geschmack ist das judicium sensuum; also könnte α ἰσϑητι ϰη auch und par excellence die Lehre vom Schönen heißen. Für uns ist der Vater oder vielmehr Taufpate der modernen Ästhetik einfach unverdaulich durch sein Bestreben, das Schöne mit dem Wahren in Parallele zu bringen und die ästhetischen Wahrheiten, weil sie weder völlig wahr, noch völlig falsch sind, unter den Begriff der Wahrscheinlichkeit zu bringen: est ergo veritas aesthetica, a potiori dicta verisimilitudo, ille veritatis gradus, qui, etiamsi non evectus sit ad completam certitudinem tamen nihil contineat falsitatis observabilis (Aesth. § 483). Baumgarten wurde die Angst nicht los, man könnte ihm, einem Professor der theoretischen und moralischen Philosophie, vorwerfen, er habe mit dem Lob des Schönen die Lüge empfohlen.

Aber die geschlossene Form der neuen Disziplin hatte es dem systematischen deutschen Geiste angetan und Kant, der in seiner vorkritischen Zeit überhaupt oft die Bücher Baumgartens zu Grundlagen seiner Vorlesungen machte, übernahm nach einigem Schwanken den Begriff Ästhetik und führte ihn mit seinem ganzen Ansehen in die philosophischen Wissenschaften ein. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß Kant den Namen Ästhetik zuerst energisch ablehnte. Den grundlegenden ersten Teil seines Hauptwerks nennt er bekanntlich »Transcendentale Ästhetik«, d. h. »eine Wissenschaft von allen Prinzipien der Sinnlichkeit a priori«. Und fügt, weil das Wort eben durch Baumgarten eine falsche Einschränkung auf die schöne Sinnlichkeit erhalten hatte, in einer scharfen Anmerkung (erste Vernunftkritik S. 21) hinzu: »die Deutschen sind die einzige, welche sich jetzt des Worts Ästhetik bedienen, um dadurch das zu bezeichnen, was andere Kritik des Geschmacks heißen. Es liegt hier eine verfehlte Hoffnung zum Grunde, die der vortreffliche Analyst Baumgarten faßte, die kritische Beurteilung des Schönen unter Vernunftprinzipien zu bringen und die Regeln derselben zur Wissenschaft zu erheben. Allein diese Bemühung ist vergeblich. Denn gedachte Regeln oder Kriterien sind ihren Quellen nach bloß empirisch und können also niemals zu Gesetzen a priori dienen, wornach sich unser Geschmacksurteil richten müßte; vielmehr macht das letztere den eigentlichen Probierstein der Richtigkeit der erstern aus. Um deswillen ist es ratsam, diese Benennung wiederum eingehen zu lassen und sie derjenigen Lehre aufzubehalten, die wahre Wissenschaft ist, wodurch man auch der Sprache und dem Sinne der Alten nähertreten würde, bei denen die Einteilung der Erkenntnis in αἰσϑητα και νοητα sehr berühmt war.« Und so behandelt Kant in dem Kapitel Ästhetik, die man jetzt eher Phänomenologie nennen würde, seine gewaltige Lehre von Raum und Zeit. In der 2. Ausgabe der Vernunftkritik wird der Protest gegen den Terminus Ästhetik schon sehr abgeschwächt; nur die »vornehmsten« Quellen heißen noch empirisch, die Regeln können niemals zu »bestimmten« Gesetzen a priori dienen, die Benennung solle man entweder eingehen lassen, oder sie teils in transzendentalem Sinne, teils in psychologischer Bedeutung nehmen. Diese Korrektur aus dem Jahre 1787 ist doppelt interessant (vgl. die Ausg. der Acad., Bd. V, Einl. von Windelband S. 515 f.): Kant hatte sich mit dem Terminus Ästhetik ausgesöhnt, war im Begriffe (der Leser vergleiche den Brief an Reinhold vom 28. Dez. 1787, der sehr menschlich ist, der die Abhängigkeit Kants von der Architektonik seines eigenen Systems schlagend beweist, da ihm doch Aufschlüsse kommen, »deren er nicht gewärtig war«, und der sein Manuskript über Ästhetik, unter dem Titel Kritik des Geschmacks, schon für nächste Ostern in Aussicht stellt), die Lehre vom Schönen seinem transzendentalen Systeme einzufügen, hatte aber noch nicht die verhängnisvolle Idee gefaßt, daß es auch ästhetische Urteile a priori gäbe, daß Ästhetik über Psychologie hinausgehe. Als er 1790 seine »Kritik der Urteilskraft« herausgab (das Titelwort ist offenbar gewählt, um ohne scheinbare Gewaltsamkeit das subjektive Gefühl des Schönen und die Lehre von einer objektiven Zweckmäßigkeit der Natur unter einen Begriff zu bringen; uns geht hier eigentlich nur der erste Teil etwas an, die »Kritik der ästhetischen Urteilskraft«), gebrauchte er den Ausdruck ästhetisch beinahe schon wie in unserm Sprachgebrauch, redet von ästhetischen Urteilen, von dem ästhetischen Werte der schönen Künste und von ästhetischen Ideen. Beinahe. Kant definiert alle diese Begriffe streng und gut. So verwaschen, wie es gegenwärtig gebraucht wird ( ästhetisch ist fast zu einem Synonym von schön geworden und die junge Bezeichnung Ästhet will, über England international geworden, das Wort gar auf die gesamte Lebensführung ausdehnen), war der Begriff bei Kant noch nicht; er mußte erst zu einem Modeworte werden, dazu wurde der Begriff erst durch den Kantschüler Schiller. Für Deutschland wenigstens hat Schiller den Mißbrauch der Worte Ästhetik und Schönheit auf dem Gewissen. Ihm selbst gediehen seine kunstphilosophischen Bestrebungen nicht zum Heil. Sie fallen in die große unproduktive Pause, zwischen die genialen, unreifen Jugenddramen und die bewußt klassizierenden Werke, die durch zwei ganze Generationen den deutschen Geschmack beherrscht haben. Schiller hat seine Ästhetik dreimal vorgetragen: in den Vorlesungen, in den Briefen »Über die ästhetische Erziehung des Menschen« und endlich in den Bruchstücken, die zu der groß-geplanten Ästhetik »Kallias oder über die Schönheit« in Briefen an Körner niedergeschrieben wurden. Schiller war überall von Kant noch abhängiger, als er selbst glaubte und zugab. Er macht sich gelegentlich (Hempels Schillerausgabe Bd. XV, S. 690) lustig über »die armen Stümper, die in die Kantische Philosophie hineinpfuschten«; er selbst aber ist ein unselbständiger Kantianer und handhabt die Kantischen Begriffe philosophisch unsicher, wenn auch mit so erstaunlicher Geschicklichkeit, daß das literarische Publikum der Zeit Kant durch Schiller verbessert glaubte. »Schönheit ist nichts anderes als Freiheit in der Erscheinung. – Eine freie Handlung ist eine schöne Handlung, wenn die Autonomie des Gemüts und Autonomie in der Erscheinung koinzidieren. – Schönheit ist Natur in der Kunstmäßigkeit.« Der größte Schritt, den Kant über Baumgarten hinaus getan hatte, war die Befreiung des Ästhetischen vom Logischen, die Befreiung des Schönheitsbegriffs vom Begriffe der Vollkommenheit. Kant unterschied die freie Schönheit ( pulchritudo vaga) von der bloß anhängenden Schönheit ( p. adhaerens); nur die freie Schönheit sei ganz rein und – wie Schiller den Gedanken ärgerlich formuliert – eine Arabeske und was ihr ähnlich ist, als Schönheit betrachtet, reiner als die höchste Schönheit des Menschen. Diese fruchtbare Bemerkung Kants weist Schiller zurück: »Eigentlich scheint sie mir doch den Begriff der Schönheit völlig zu verfehlen« (S. 683). Daß Kant, im Grunde ein Kunstfremdling, für seine Behauptung unter andern ein ungeheuerliches Beispiel gewählt hat, daß er »die ganze Musik ohne Text« zu diesen Arabesken rechnet, das freilich hat Schiller nicht getadelt. Das gewaltige Ringen Kants, die Lehre vom Schönen seinem transzendentalen Systeme einzuverleiben, ist für Schiller etwas Fremdes geblieben. Schiller sieht Kant auch noch 1792 dort stehen, wo Kant 1787 den Terminus Ästhetik zwischen die Metaphysik und die Psychologie verteilen wollte. Und viel kleiner als Kant, nicht erkenntnistheoretisch, sondern nur verstiegen, will Schiller über die Psychologie hinausgelangen, will hinter dem adjektivischen Gefühl des Schönen die substantivische Schönheit entdecken. Er schreibt an Körner (Bd. XV, S. 646): »Den objektiven Begriff des Schönen, der sich eo ipso auch zu einem objektiven Grundsatz des Geschmacks qualifiziert, und an welchem Kant verzweifelt, glaube ich gefunden zu haben.« Jawohl: »Schönheit ist Freiheit in der Erscheinung.«

Der Wesensunterschied zwischen Schiller und Goethe äußert sich auch darin so deutlich, daß Goethe, der doch wahrhaftig über die Kunst nachgedacht hat wie Einer, niemals ein philosophischer Kunstschreiber geworden ist; seine unzähligen gelegentlichen Äußerungen treten niemals aus der adjektivischen Welt des Schönen hinüber in die substantivische, metaphysische Welt der abstrakten Schönheit. Goethe hatte darum auch keine Achtung vor künstlerischer Betätigung an sich, er sah die »Nullität« in den Arbeiten der kleinen Talente. »Denn den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten« (Gespräche V, S. 35). Dabei hatte Goethe vor Kant und Schiller voraus, daß er, von der Poesie nicht erst zu reden, die bildenden Künste und die Architektur gründlich studiert hatte und auch von der ihm fremden Musik eifrig einige »Begriffe« gewonnen hatte.

Kant hatte sich viel mit der älteren Poesie beschäftigt, wohl aber kaum Gelegenheit gehabt, große Musik oder gar Werke der bildenden Kunst auf sich wirken zu lassen. So schuf er seine Ästhetik aus der Tiefe des Gemüts und aus Büchern und war sich des Mangels an Empirie gar nicht bewußt. Hat er doch auch, ohne aus Königsberg herauszukommen, oft Vorlesungen über Anthropologie gehalten und in diesem Falle ganz naiv seiner Heimatstadt nachgesagt, daß ihre Größe und vorzügliche Lage alle andern Quellen anthropologischen Wissens ersetzen könnte: »Eine große Stadt, der Mittelpunkt eines Reichs, in welchem sich die Landeskollegia der Regierung desselben befinden, die eine Universität (zur Kultur der Wissenschaften) und dabei noch die Lage zum Seehandel hat, welche durch Flüsse aus dem Innern des Landes sowohl, als auch mit angrenzenden entlegenen Ländern von verschiedenen Sprachen und Sitten, einen Verkehr begünstigt, – eine solche Stadt, wie etwa Königsberg am Pregelflusse, kann schon für einen schicklichen Platz zur Erweiterung sowohl der Menschenkenntnis als auch der Weltkenntnis genommen werden; wo diese, auch ohne zu reisen, erworben werden kann« (»Anthropologie« Vorrede S. VIII). Ebenso mußte ihm wohl Königsberg auch die ästhetische Empirie ersetzen.

Nicht viel anders stand es um Schiller, als er seine große Ästhetik zu schreiben unternahm. Burke, Sulzer, Webb, Mengs, Winckelmann, Home, Batteux, Wood, Mendelssohn nebst 5 oder 6 schlechten Kompendien besitzt er schon; aber er wünscht von Körner (Brief v. 11. Jan. 1793) noch mehr Bücher, immer nur Bücher. Und die italienischen Maler möchte er aus Kupfern kennen lernen. Auch über Architektur möchte er gar zu gern ein gutes Buch. »An musikalischen Einsichten verzweifle ich, denn mein Ohr ist schon zu alt; doch bin ich gar nicht bange, daß meine Theorie der Schönheit an der Tonkunst scheitern werde.«

Man halte mir nicht entgegen, daß niemand vom Ende des 18. Jahrh. die intime Sachkenntnis verlangen kann, die heute mit Recht von jedem Professor der Kunstgeschichte und von jedem bessern Kunstkritiker verlangt wird. Nicht um Kunstgeschichte handelt es sich ja, sondern um Ästhetik, um die Lehre vom Schönen. Die ästhetischen Gefühle sollten untersucht werden, und diesem Geschäfte unterzogen sich Männer, die die großen Instrumentalwerke von Bach und Mozart mit Arabesken verglichen, die nie ein Originalbild von Raphael oder Rembrandt gesehen hatten, und die sogar der Poesie mit alten Regeln gegenübertraten. Es ist kein Wunder, daß aus dieser begrifflichen Beschäftigung mit der Kunst das neue Dogma hervorging: das Wesentliche der Kunstgegenstände sei, kein Interesse zu erregen.

Diese Lehre war meines Wissens zuerst von Burke aufgestellt worden, dem wunderlichen Engländer, der offenbar aus den Bildern der zeitgenössischen Maler sein niedliches Schönheitsideal abstrahiert hatte. Man vergesse nicht, daß kurz vorher (1745) Hogarth die Welt mit der Erfindung der Schönheitslinie verblüfft hatte. Burke hatte auch seine weiche Schönheitslinie; nach ihm sind die natürlichen Eigenschaften eines schönen Gegenstandes: 1. Verhältnismäßige Kleinheit; 2. Glätte; 3. verschiedene Richtung der Teile; … 5. der feine Bau; 6. lebhafte Farben, die aber nicht allzu grell sein dürfen; 7. wenn aber dennoch eine grelle Farbe dabei sein muß, so muß sie durch andere gemildert sein. Dieser Burke sagt nun – Schiller gibt den Satz so wieder –: »Schönheit errege Zuneigung, ohne Begierde nach dem Besitz.«

Dieser Gedanke ist nun aber schon von Kant, später viel glänzender von Schopenhauer in die Form gebracht worden: das Wohlgefallen am Guten und am Angenehmen sei mit Interesse verbunden, das Wohlgefallen aber, welches das Geschmacksurteil bestimmt, sei ohne alles Interesse; das ästhetische Urteil könne ganz uninteressiert, aber der Gegenstand eines solchen Urteils doch sehr interessant sein. Diese Redensarten, die heute noch die Ästhetik unserer Schulen beherrschen, enthalten schon die Übertreibung, die Unwahrheit, zu der die neue Disziplin führen mußte, weil sie das Objekt aller ihrer Untersuchungen, die Schönheit, substantiviert hatte. War die Schönheit erst eine Eigenschaft an den Erscheinungen, eine gewissermaßen objektive Eigenschaft, eine Kraft schöner Werke, die in uns das Gefühl des ästhetischen Wohlgefallens erst auslöst, so konnte man allerdings von diesem Unding sagen, daß es zu unserem Interesse oder zu unserem Willen keine Relation habe. Bevor es aber eine ästhetische Wissenschaft gab, in Wahrheit auch seither, gab es nur ein Gefühl, das manche Erscheinungen in uns wecken und das gar sehr mit unserem Interesse zusammenhängt. Auch wenn schön nicht ursprünglich und zuerst die wohlgefällige Erscheinung beim andern Geschlechte bezeichnet haben sollte (wo doch der Wunsch des brutalen Besitzes beim Nicht-Ästheten nicht ganz ausgeschlossen war), so ist doch das Adjektiv schön sicherlich erst allmählich von körperlichsten Erscheinungen auf Kunstwerke ausgedehnt worden, und diese Kunstwerke wollen wir hören oder sehen, ganz abgesehen davon, daß es nicht immer Barbaren sind, die Kunstwerke auch besitzen möchten. Der Irrtum bei der berühmten Interesselosigkeit des menschlichen Wohlgefallens scheint mir darin zu liegen, daß man beim Interesse an ein Interesse der fünf Sinne dachte, an die Nützlichkeit für den Einzelmenschen oder für die Menschheit, daß man nicht bedachte, wie tief alle Werturteile, zu denen doch auch die ästhetischen Urteile gehören, an dem menschlichen Willen hängen.

Die Unwahrheit des Geredes von der Interesselosigkeit des künstlerischen Interesses wird ganz klar, wenn man an die Philosophen denkt, die noch einen Schritt weiter gegangen sind und ganz konsequent den ästhetischen Genuß affektlos genannt haben. Nur ein Kunstschreiber, der die Empfindung des Schönen nie erfahren hatte, konnte sich so weit versteigen. Es dürfte Leute geben, die eine stärkere und leidenschaftlichere Erregung gar nicht kennen als die, welche mit dem Anhören einer Symphonie von Beethoven, der achten z. B., mit dem ersten Anblick der Sixtinischen Madonna, mit dem ersten Lesen des Faust verbunden ist. Alles wird aufgewühlt, Untergründe des Willens, bis zu denen das Bewußtsein gar nicht hinabreicht. Haß und Liebe werden erregt, Taten werden gefordert; und das nennen Kunstschreiber Interesselosigkeit, Affektlosigkeit.

Unter meinen Beispielen von der erregenden Kraft der Künste mag das aus der Musik abgelehnt werden, weil die Musik bekanntlich unmittelbar auf das Gefühl wirkt. Dann müßte aber die Musik aus dem Gebiete der »interesselosen« Kunst ausgeschlossen werden, woran doch ernstlich nicht gedacht werden kann. Selbst der berühmte Musikästhetiker Hanslick, dessen Verdienste um seines Wagnerhasses willen jetzt gern geleugnet werden, wird mißverstanden, wenn man seine Lehre »vom musikalisch Schönen« für reine Formästhetik hält. Auch er gibt der Musik Inhalt, nur daß der Inhalt musikalisch zu sein habe. »Der Arabeske gegenüber ist demnach die Musik in der Tat ein Bild, allein ein solches, dessen Gegenstand wir nicht in Worte fassen und unsern Begriffen unterordnen können. In der Musik ist Sinn und Folge, aber musikalische; sie ist eine Sprache, die wir sprechen und verstehen, jedoch zu übersetzen nicht imstande sind« (S. 79). Es gibt in der Musik keinen Gegensatz zwischen Form und Inhalt. »Was will man den Inhalt nennen? Die Töne selbst? Gewiß; aber sie sind eben schon geformt. Was die Form? Wieder die Töne selbst, – aber sie sind schon erfüllte Form« (S. 213). Mit nicht geringer Überraschung und Freude habe ich bei meinem Landsmann Hanslick auch die Unterscheidung zwischen der substantivischen und der adjektivischen Welt schon gefunden, freilich ohne den erkenntniskritischen Mitgedanken.

Dem hundertjährigen Betriebe einer wissenschaftlichen Ästhetik, die, nicht zufrieden, die adjektivischen Gefühle des Schönen psychologisch zu untersuchen, die objektive, die substantivische Schönheit in den Kunstwerken und gar in der Natur entdecken wollte, diesem offiziösen und darum oft heuchlerischen Betriebe ist es gelungen, das Schöne zu degradieren. Die Kunst oder die objektive Schönheit wurde zu einer Gottheit emporgepriesen; alle »schaffenden« Künstler (fast hätte ich Berlinisch Künstlehr gesagt) wurden zu Priestern der Kunst gemacht. Was Wunder, daß diese Leute aus der verbalen Welt (Maler, Bildhauer, Dichter, Komponist sind nomina agentis) sich bald zu einer Priesterkaste zusammentaten, zu einer Berufsklasse, die im Dienste ihrer interesselosen Kunst die Interessen der Kaste wahrnimmt! Was Wunder, daß nach dem verstiegenen Gerede über die Bedeutung der Kunst jeder Künstlehr sich für einen Übermenschen hält oder erklärt und Zehnten verlangt, von Männlein und Weiblein! Und das adjektivische Schöne, das einzig Wirkliche aus dieser Welt, wurde demgemäß zu einer Ware, zu der Handelsware der Kunstpriester. Auch hier verdaute der Priester, was Andächtige dem Gotte zu fressen brachten. (Vgl. Art.  Kunst.)

Was ich hier bekämpfe, das ist wahrhaftig nicht die Zusammenstellung von Kunst und Religion. So hoch stelle ich Religion nicht. So tief nicht die Kunst. Im Gegenteil: wenn wir nicht durch das Christentum die leidige Gewohnheit angenommen hätten, unter Religion eine geoffenbarte Religion, eine dogmatische, bestimmte, historische Religion zu verstehen, wenn es für uns noch außer diesen Religionen die Religion (in der Einzahl, vgl. Art.  Religion) gäbe, wenn wir von religiösem Genuß zu reden den Mut fänden, wie wir von ästhetischem Genusse reden (so genoß etwa der heilige Franciskus seine Religion), dann würde man es nicht für paradox halten, wenn ich jetzt sage: die einzigen ästhetischen Empfindungen, welche den toten Definitionen der gelehrten Ästhetik ganz entsprechen, sind religiöser Art, müßten in einem freien Systeme der Wissenschaften unter der Rubrik Religion abgehandelt werden, wenn wir das Wort beibehalten wollen. Nicht nur das Anhören der Bachschen Matthäus-Passion oder der Anblick eines gotischen Doms, die ja durchaus zu den Erscheinungen einer bestimmten Religion gehören. Nein. Auch der Anblick des stürmenden Meeres oder des gestirnten Himmels, das Erleben eines großen Gewitters oder eines gewaltigen Wasserfalls, die Wiederkehr des Frühlings, das Lesen eines tief bewegenden Gedichts: all das dient einer religiösen Stimmung, einer Stimmung der Furcht oder Ehrfurcht, wie all das vielleicht historisch die Religionen erzeugen geholfen hat. Ich wüßte nicht, was stärker das Gefühl der Ehrfurcht oder der »schlechthinnigen Abhängigkeit« aufrühren kann, als ästhetische Genüsse solcher Art, die ich darum vom »religiösen« Genusse durchaus nicht unterscheiden kann. Der Bilderstürmer Leo Tolstoj würde die Kunst vielleicht weniger hassen, wenn ihm das religiöse Gefühl beim ästhetischen Genießen nicht unbekannt geworden wäre. Er scheint von der Sehnsucht unserer Arbeiter nach der Ehrfurcht des Kunstgenusses nichts zu ahnen. Nicht zu wissen, daß der Bildersturm der Reformationszeit den Protestantismus, in dessen kalten Kirchen man friert, um alle Wärme gebracht hat.

Ich bin kein Systematiker. Ich bestehe nicht darauf, daß Ästhetik (die Lehre von den großen, von den einzig wahrhaften Kunstgenüssen) zu einem Kapitel einer gar sehr problematischen Religionswissenschaft gemacht werde, oder meinetwegen der Theologie. So sehr auch diese Religionswissenschaft zusammenschrumpfen müßte und sollte, nähme man ihr alles adjektivisch Schöne. Faßt man die Kunst als Tätigkeit, als Sichausleben genialischer Persönlichkeiten, dann mag man das Kapitel Ästhetik lieber unter der Rubrik »soziale Ethik« abhandeln. (Malmännchen und Malweibchen, Verquister von Papier und Notenpapier sind keine Künstler, sind nur Mitglieder der Kunstpriesterkaste.) Es ließe sich freilich auch so unter dem leer gewordenen Begriffe Religion unterbringen, wenn man glauben will, daß der geniale Künstler sich opfert, sich hingibt, um sein Volk zu erlösen; aber es ist nicht wahr: nie hat ein großer Künstler sich selbst völlig vergessen, nie ist er segnend den Kreuzestod gestorben. Aber die höchste soziale Tat haben die Großen ausgeübt, lange bevor es einen Sozialismus auf der Welt gab: ihre Persönlichkeit, also den höchsten ethischen Wert, zum Gemeingute gemacht aller, die teilnehmen wollten. Darum hat Th. Lipps so unrecht nicht, das Schöne auf das Sympathische (im prägnanten Sinne) zurückzuführen: »Wir fühlen uns in den andern und fühlen die andern in uns. Wir fühlen uns in andern oder durch den andern beglückt, befreit, ausgeweitet, gehoben, oder das Gegenteil« (Komik u. Humor, S. 223).

Dieser Auffassung, die die einzigen wirklich künstlerischen Werke, die großen, unter die Erscheinungen der Religion und der sozialen Ethik stellen möchte, steht eine Vorstellung gegenüber, die man wohl die geltende nennen kann. Kunst, die substantivierte Welt des adjektivisch Schönen, ist – Spiel. Man vergesse dabei nicht, daß Kunst lange Zeit jede Technik bedeutete, erst seit Aufkommen der Ästhetik schroff den technischen Fertigkeiten gegenübergestellt wurde.

Ich neige zu dem Glauben, daß ars irgendwie eine Lehnübersetzung von τεχνη war; Curtius (Etym. 219) gibt für das zugrunde liegende Verbum die drei immerhin zu verbindenden Bedeutungen erzeugen, treffen, bereiten; das Stammwort von ars scheint treffen, fügen bedeutet zu haben. Ars wie τεχνη hatte besonders den Sinn einer handwerksmäßigen Kunstübung. Das deutsche Kunst hängt sicher mit können zusammen; dieser Zusammenhang blieb im Sprachgefühl bis ins 16. Jahrhundert hinein bewahrt, ging aber nachher so gründlich verloren, daß man R. Wagners berühmt gewordene Ansprache von 1876 als einen gelehrten Witz nicht gleich verstand (»Sie sehen was wir können, und wenn Sie wollen, so haben Sie eine Kunst«). Diese Beziehung auf das Können oder Wissen blieb durch Jahrhunderte erhalten und machte Kunst und Wissenschaft fast gleichbedeutend. Reuchlin sagt einmal, man habe von seiner hebräischen Kunst nichts gewußt d. h. davon, daß er hebräisch konnte. Das Handwerksmäßige in der Kunst lag noch lange zugrunde. Noch Schottel versteht unter Bau-, Bildschnitzer-, Maler-, Singe-, Dichtkunst die handwerksmäßige Übung. Merkwürdig ist aus dem 17. Jahrhundert auch die Zusammenstellung »lobwürdige Wissenschaft guter Künste«. Noch Adelung versucht Kunde, Kunst und Wissenschaft in diesem Sinne festzulegen und gibt das Beispiel: Arzneikunde, Arzneikunst und Arzneiwissenschaft. In der Gemeinsprache sind noch viele Reste des alten Gebrauchs: Wasser kunst, Kunstfeuerwerk, Kunst in der Bedeutung einer künstlichen Ofenmaschine (wie sie im Schwarzwald üblich ist). Auch zitiert Kant ein volkstümliches Wort über das Ei des Kolumbus: »das ist keine Kunst, es ist nur eine Wissenschaft«. (Ganz nebenbei sei als gelehrte Lehnübersetzung der Schulwitz erwähnt, der das deutsche Ars, jetzt Arsch, mit Kunst übersetzte; Luther nannte einmal den Podex deutlich »die lateinische Kunst«.)

Die Einschränkung des Begriffs auf die berufsmäßige Beschäftigung mit dem Schönen fällt mit dem Aufkommen der deutschen Ästhetik zusammen; der franz. Gegensatz von art und nature wirkt ein. Winckelmann, Herder und Lessing haben diesen Begriff poliert, Goethe und besonders Schiller ihn populär gemacht.

Als die Kunst ein so überschwänglicher Begriff geworden war und der Geist der Zeit dennoch bemüht war, ihn realiter, d. h. mit Hilfe der empirischen Psychologie zu bestimmen, da fand sich bald das Wort oder der Begriff, unter den man die Kunsttätigkeit subsumieren konnte, eben: Spiel. Schiller war es, nicht ganz selbständig, der dieses Urteil prägte. »Das Tier arbeitet, wenn ein Mangel die Triebfeder seiner Tätigkeit ist, und es spielt, wenn der Reichtum an Kraft die Triebfeder ist, das überflüssige Leben sich selbst zur Tätigkeit stachelt« (Ästhet. Erz. 27. Brief). Das recht glückliche Wort ist dann oft übernommen und nachgeahmt worden. Das Spielen sei verarbeiteter Überschuß (Jean Paul), das Kind verwende auf seine Spiele die überschüssige Kraft (Beneke), Kunst sei » surplus energy« (Spencer), das Spiel » overflow of energy«; das ästhetische Spiel sei » le superflu« (Ribot).

Von dieser Zusammenstellung mit dem erhöhten Kunstbegriff gewann der einst so verachtete Spielbegriff manchen Vorteil. Mit ihm hatten sich noch zu den Zeiten Wolfs die Philosophen nur insoweit beschäftigt, als sie über die Frage schwatzten, ob die Glücksspiele moralisch ganz verwerflich seien oder nur teilweise. Jetzt begann man das Spielen der Tiere und der Kinder ernsthaft zu untersuchen. Biologen und Psychologen kamen zu ähnlichen Ergebnissen: dem Körper wie dem Geiste sei die Betätigung der überschüssigen Kraft nützlich, durch Erholung von der ernsten Arbeit, durch spielende Einübung künftiger Arbeiten, durch Ergänzung der einseitigen Arbeit. Man betrachtete aufmerksam die Reize jeder Art von Spiel, man lernte sogar die Schönheit sehen, die in den Spielen der Tiere und der Kinder vorlag und von Künstlern längst nachgebildet worden war. Was gewann aber das Schöne durch die Zurückführung auf den Spielbegriff? Nichts. Es war überdies ein gefährliches Spiel mit Worten, wenn man das Spiel zur ernsten Arbeit in Gegensatz brachte und nun die Kunst, eine Art des Spiels, ebenfalls von der ernsten Arbeit ausschloß. Das war falsch, auch wenn man etwa heiter als Gegensatz von ernst genommen hätte. Res severa verum gaudium. Nicht nur das Schaffen großer Kunstwerke ist die ernsteste und aufreibendste Arbeit; auch das Genießen großer Kunst ist mit ernster Arbeit verbunden. Man muß schon ein Erzphilister sein, um nicht zu sehen, daß die künstlerische Arbeit sich von anderer Arbeit nur durch das Motiv unterscheidet, durch die selbstgestellte Aufgabe, durch das Fehlen eines Auftrags. Die Leute aus der Künstlerkaste freilich, die Theaterstückschreiber, die Verfasser von Unterhaltungsromanen, die Masse der Porträtmaler, die Komponisten für Militärmusikbanden, die leisten ernste Arbeit auf Bestellung, die spielen nicht, weder mit dem Leben, noch mit der Kunst.

Nimmt man aber den Spielbegriff metaphorisch, wie es unbewußt diese ganze Spielästhetik tut, versteht man unter Spiel jede zwecklose Tätigkeit, so gelangt man auch dann noch nicht zum Kunstbegriff; denn das Schaffen und das Genießen von Kunstwerken hat einen Zweck: die Freude am Schönen. Der Philister kennt dieses Motiv nur nicht. Er kennt nur die drei Motive des Hungers, der Liebe und der Eitelkeit und ist geneigt, auch dem Kunstschöpfer und Kunstgenießer diese drei Motive unterzuschieben. Sie verschwinden ja nicht immer aus der Psychologie des Künstlers (Wetteifer in Spiel und Kunst), auch aus der des größten nicht; sie verschwinden nicht einmal ganz und nicht immer aus der Psychologie des Kunstgenießers. Aber das treibende Motiv der künstlerischen Tätigkeit ist doch anders, ist in der adjektivischen Welt vorhanden, ist das Gefühl der Freude am adjektivisch Schönen. Ich will nicht den Versuch machen, dieses Lustgefühl unter das Motiv der Liebe zu subsumieren; der Versuch hätte die Reize des Wortspiels, ließe sich aber ohne Gewaltsamkeit nicht zu Ende führen. Lieber will ich, wie schon einmal bei der Erklärung der Philosophie oder der Ruhesehnsucht ( Kr. d. Spr. I 2, 708 f.) das Prinzip der Alleinherrschaft der drei Motive preisgeben.

Es gibt eine adjektivische Welt des Schönen und eine verbale Welt des Kunstschaffens und Kunstgenießens. Das Gefühl der Freude am Schönen ist das Motiv für die Tätigkeit des Schaffens und Genießens. Die substantivische Welt der Schönheit hat kein Motiv, weil sie keine Tätigkeit einschließt. Und ist nicht wirklich, weil sie keine Ursache ist und keine Ursache hat.


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