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Ich hatte es oft bei mir überlegt, auf welche Weise ich dem Domine ein behaglicheres Leben bereiten könnte, denn ich fühlte, daß ich ihm so viel schuldete, als irgend einem lebenden Wesen; auch wagte ich es eines Tags, den Gegenstand zur Sprache zu bringen, aber seine Antwort war entschieden.
»Ich sehe, mein Sohn Jacob, wo du hinauswillst; aber es kann nicht sein. Der Mensch ist ein Geschöpf der Gewohnheit: die Gewohnheit wird ihm nicht nur zum Bedürfniß, sondern auch zum Genuß. Fünf und vierzig Jahre lang treibe ich jetzt das schöne Geschäft, denjenigen, von denen sich noch keiner so fähig gezeigt hat, als du, Lehren in's Herz zu prägen und Kenntnisse in den Kopf zu zwingen. Ja, wahrlich, es ist eine harte Arbeit, und doch kann ich sie nicht lassen. Einst, das heißt in den ersten zehn Jahren, würde ich dein Anerbieten mit Dank angenommen haben, denn damals fühlte ich mich gedemüthigt und gelangweilt, weil ich mich mit den Anfangsgründen abmühen sollte, während ich doch so gerne die verschiedenen Eigenthümlichkeiten des Styles der alten griechischen und lateinischen Autoren erläutert hätte; aber jetzt ist das Alles vorüber. Der ewige Ring der Concordanz, Prosodie und Syntax hat durch Gewohnheit einen Reiz für mich gewonnen; die Regel de tri ziehe ich den Problemen Euklids vor und sogar die lateinische Grammatik hat ihr Anziehendes. Kurz, ich finde ein hohes Vergnügen am hic, haec, hoc, (Gluck, Gluck!); und selbst das Schwingen der Reiser vom Baume der Erkenntniß, d. h. der Birkenruthe, ist eine angenehme Beschäftigung für mich geworden, wenn sie es auch nicht für diejenigen ist, gegen welche sie angewendet wird. Ich gleiche einem alten Pferde, das so lange bei einem Müller herumgegangen ist, daß es nicht mehr gerade aus gehen kann; und wenn es dem Allmächtigen gefällt, so will ich im Geschirr sterben. Dennoch danke ich dir, Jacob, und danke Gott, das du mir wieder deine Herzensgüte bewiesen, und einen weitern Grund gegeben hast, mich deiner und deiner Liebe zu freuen. Aber dein Anerbieten vermöchte mein Glück nicht zu vermehren, wenn ich es auch annehmen würde; denn welches Gefühl kann tröstlicher sein für einen alten Mann, der beinahe schon im Grabe steht, als der Gedanke, daß sein Leben, wenn auch nicht ausgezeichnet, doch wenigstens nützlich gewesen ist?«
Ich hatte seit einiger Zeit keinen Besuch mehr von Tom erhalten. Hierüber erstaunt, ging ich zu seinem Vater hinab, um mich nach ihm zu erkundigen, und traf das alte Paar, wie es eben unter der Hausthüre saß. Das Wetter war schön, aber der alte Tom hatte keine Arbeit vor sich, und sogar das Netzwerk der alten Frau war auf die Seite gelegt.
»Wo ist Tom?« fragte ich, nachdem ich ihnen einen guten Morgen gewünscht hatte.
»Ach Gott!« rief die Alte, ihre Schürze vor die Augen haltend; »das gottlose, schändliche Mädchen.«
»Himmel, was gibt's denn?« fragte ich den alten Tom.
»Was es gibt, Jacob?« versetzte der alte Tom, seine hölzernen Beine ausstreckend und seine Hände auf die Kniee legend, »Tom hat sich unter die Soldaten anwerben lassen.«
»Anwerben lassen?«
»Ja, das ist so gewiß, als es wahr ist, und was das Schlimmste dabei, ich habe mir sagen lassen, das Regiment sei nach Westindien bestimmt. Und so wird er nur zu gewiß mit dem Fieber in seinem Hirn und dem gelben Fieber ein Futter für die Landkrabben werden. Ich meine,« fuhr der alte Mann fort, sich mit seinem Zeigefinger eine Thräne aus dem Auge wischend, »ich sehe seine Gebeine schon unter den Pallisaden bleichen; denn ich kenne den Platz gut.«
»Sag' das nicht, Tom, – sag' das nicht.«
»Ach! Jacob, ich bitte um Verzeihung, wenn ich allzu grob bin, aber können Sie uns nicht helfen?«
»Ich will thun, was ich kann, darauf könnt Ihr Euch verlassen; aber sagt mir, wie sich die Sache zugetragen hat.«
»Nun, das Lange und Breite davon ist das: dieses Mädchen, Marie Stapleton, war sein Ruin. Als er heimkam, wurde er gut aufgenommen, und man sprach von Heirathen und bei uns Wohnen; aber das dauerte nicht lange. Sie konnte ihre alten Streiche nicht lassen, und damit sich Tom nicht zu viel herausnehme, treibt sie's mit dem Sergeanten des Werbkommando's fort, und fliegt von Einem zum Andern, just, wie der Pendel an der alten Uhr, der von einer Seite auf die andere schwingt. Heut' war der Sergeant Hahn im Korb und morgen war's Tom. Endlich geht dem Tom die Geduld aus und er will wissen, woran er ist. Er fragt sie also, ob sie den Sergeanten haben will, oder ihn; sie solle wählen, er lasse nach all' ihren Briefen und Versprechungen nicht auf diese Weise mit sich spielen. Auf dieses schnauzt sie ihn an und sagt, er solle sich seiner Wege packen, es sei ihr gleich, ob sie ihn noch einmal sehe oder nicht. Toms Blut wird heiß; er nennt sie eine verdammte Dirne, und ich meine, er war nicht weit von der Wahrheit; da setzte es denn einen ordentlichen Sturm und adieu Partie. Gut, Tom war's gar nicht wohl um's Herz. Am andern Tag bittet er um Verzeihung und will Frieden schließen, denn Sie müssen wissen, Jacob, ein Verliebter hat keine Ueberlegung; aber sie ist immer noch voll Zorn und sagt ihm noch einmal, er solle sich seiner Wege scheeren, und in einer Woche werde sie den Sergeanten heirathen. Tom geht fort und ist ganz weg; und so trifft sich's, daß er in das Wirthshaus kömmt, wo der Sergeant seinen Werbeposten hat. Er hofft, sich an ihm zu rächen und 'nen Gang mit ihm zu machen, um zu sehen, wer den Andern werfen möge. Aber der Sergeant war nicht dort und Tom trinkt einen Krug um den andern, um seinen Kummer zu verscheuchen; und als der Sergeant kam, war Tom ordentlich angetrunken. Nun, der Sergeant war ein Schlaukopf, und wie er 'nein kommt, und sieht Tom mit seinem feurigen Gesicht, merkt er schon, was kommt, sagt kein Wort, geht an einen andern Tisch und schlägt die Faust auf die Tafel, wie wenn er ganz wild wäre. Tom geht zu ihm und sagt: ›Sergeant, ich kenne das Mädchen schon viel länger, als Ihr, und wenn Ihr ein Mann seid, so stellt Ihr Euch für sie.‹ ›Mich für sie stellen? ja,‹ sagt der Sergeant, ›und das hätte ich auch gestern gethan, aber die verfluchte Dirne hat mir eine Nase gedreht und mich fortgeschickt. Ich boxe mich nicht mehr für sie; sie will so wenig was von mir als von Euch.‹ Wie Tom das hört, wird er freundlich mit dem Sergeanten, und sie setzen sich zu einander, wie zwei Leidensbrüder, und trinken 'nen Krug mit einander, anstatt des Boxens; und der Sergant setzt dem Tom tüchtig mit Trinken zu und schwört, er gehe zum Regiment und er lasse die Marie sitzen, und sagt zum Tom, er soll's auch so machen. Endlich mit lauter Zureden und weil Tom der Marie gern einen Torten spielen möchte, bringt er's so weit, daß er sich anwerben läßt, und gibt ihm den Schilling vor Zeugen; das war's, was der Schurke wollte. Am andern Tag wird Tom mit einer Wache zum Depot geschickt, wie sie's nennen, und der Sergeant bleibt hier, um der Marie die Cour zu machen. Und jetzt ist's drei Tage, daß dieß geschehen ist, und wir erfuhren es erst gestern vom alten Stapleton, der seine Tochter zum Haus hinaus zu werfen drohte.«
»Können Sie uns helfen, Jacob?« sagte die alte Frau weinend.
»Ich hoffe, daß ich's kann, und wenn Geld seine Entlassung auszuwirken vermag, so soll er sie erhalten. Aber habt ihr nicht gesagt, er sei nach Westindien bestimmt?«
»Das Regiment ist in Westindien, aber hier wird es rekrutirt; in der letzten Seuchenzeit sind so entsetzlich viele am gelben Fieber gestorben. In der nächsten Woche, sagen sie, gehe ein Transport unter Segel, und in drei oder vier Tagen marschiren die Rekruten zur Einschiffung ab.«
»Was ist es für ein Regiment? und wo liegt das Depot?«
»'s ist das siebenundvierzigste Füselierregiment, und das Depot ist in Maidstone.«
»Ich will keine Zeit verlieren, meine guten Freunde,« versetzte ich; »morgen gehe ich zu Herrn Drummond und berathe mich mit ihm.« Ich erwiederte den dankbaren Händedruck des alten Toms, und vom Segen der Mutter begleitet eilte ich fort.
Während ich den Strom hinaufruderte, denn ich war an diesem Tage von Herrn Wharncliffe's zu Tisch geladen, beschloß ich, bei Marie Stapleton vorzusprechen, um aus ihrem Benehmen zu sehen, ob sie wirklich die herzlose Dirne geworden sei, als die ich sie schildern gehört hatte; denn in diesem Falle war ich Willens, Tom, wenn ich anders seine Entlassung auswirken könnte, zuzureden, daß er nicht mehr an sie denken solle. Ich war so erzürnt und aufgebracht über sie, daß ich, nachdem ich gelandet hatte, noch mehrere Minuten auf- und abging, um mich zu sammeln, bevor ich die Treppe hinaufstieg. Als ich in's Zimmer trat, fand ich Marie über einem Blatt Papier sitzend, auf welches sie geschrieben hatte. Sie sah empor und ich bemerkte, daß sie geweint hatte. »Marie,« sagte ich, »wie schön hast du das Versprechen gehalten, das du mir gabst, als wir das letzte Mal beisammen waren! Sieh jetzt, welchen Kummer und welches Elend du über Alle gebracht hast, dich ausgenommen.«
»Mich ausgenommen? – nein, Herr Ehrlich, nehmen Sie mich nicht aus, denn ich bin fast wahnsinnig – ich glaube, ich bin wahnsinnig – denn wahrhaftig eine Thorheit, wie die meinige, ist Wahnsinn.« Und Marie weinte bitterlich.
»Dein Benehmen läßt sich gar nicht entschuldigen, Marie – es ist unverantwortlich. Tom hat dir alles geopfert – er ist sogar desertirt, und auf Desertion ist Todesstrafe gesetzt. Und was hast du gethan? – seine grenzenlose Liebe dazu benützt, daß du ihn zur Unmäßigkeit triebest und zur Verzweiflung, in der er sich anwerben ließ. Er segelt nach Westindien, um die Reihen eines Regiments ausfüllen zu helfen, die durch das gelbe Fieber gelichtet sind, und wird vielleicht nie wiederkehren; du bist dann Schuld an seinem Tode. Marie, ich bin gekommen, um dir zu sagen, daß ich dich verachte.«
»Ich verachte und hasse mich selbst,« versetzte Marie düster; »ich wollt', ich läge in meinem Grabe. – O Herr Ehrlich, um Gottes willen bringen Sie ihn zurück. Sie könnens; ich weiß, daß Sie's können, – Sie haben Geld und Alles.«
»Wenn ich's thue, so geschieht es nicht um deinetwillen, Marie, denn du sollst nicht länger mit ihm spielen. Ich werde nichts für seine Entlassung thun, bis er mir feierlich verspricht, mit dir kein Wort mehr zu reden.«
»O sagen Sie das nicht – sagen Sie das nicht,« rief Marie, ihr Haar mit der Hand aus der Stirne streichend und in dieser Stellung verharrend. – »O Gott, o Gott! welch' ein Scheusal bin ich. Hören Sie mich, Jacob, hören Sie mich,« fuhr sie fort, indem sie auf die Kniee fiel und meine Hände faßte; »schaffen Sie ihm nur seine Entlassung – lassen Sie mich ihn nur noch einmal sehen, und ich schwöre Ihnen bei Allem, was heilig ist, auf den Knieen will ich seine Verzeihung erstehen, wie jetzt die Ihrige. Ich will Alles thun, Alles – er soll mir nur verzeihen, denn ohne ihn kann ich, ohne ihn will ich nicht leben.«
»Wenn das wahr ist, Marie, welcher Wahnsinn konnte dich dazu treiben, zu handeln, wie du gehandelt hast?«
»Ja,« versetzte Marie, sich von ihren Knieen erhebend, »Wahnsinn, in der That – mehr als Wahnsinn, einen Menschen so grausam zu behandeln, für den ich allein leben möchte. Sie sagen, Tom liebe mich; ich weiß es, daß er mich liebt, aber so liebt er mich nicht, wie ich ihn liebe. O mein Gott! das Herz will mir brechen!« Nach einer Pause fuhr sie fort: »Lesen Sie, was ich ihm geschrieben habe – ich habe ihm dasselbe schon in einem andern Briefe gesagt. Sie werden finden – wenn er nicht loskommen kann, habe ich ihm das Anerbieten gemacht, ihn als sein Weib zu begleiten, das heißt, wenn er ein so närrisches, gottloses Ding will, wie ich bin.«
Ich las den Brief. Er war so, wie sie sagte. Sie bat ihn um Verzeihung, erbot sich, ihn zu begleiten und demüthigte sich so tief, als immer möglich. Ich gab den Brief zurück. Er hatte mich sehr angegriffen.
»Sie können mich nicht so tief verachten, wie ich mich verachte,« fuhr Marie fort; – ich hasse, ich verabscheue mich wegen meiner Thorheit. Ich erinnere mich jetzt, wie Sie mich warnten, als ich noch jünger war. O Mutter, Mutter, es war ein grausames Vermächtniß, das du deinem Kinde hinterlassen hast, als du ihm deine Gemüthsart vererbtest. Doch warum soll ich sie tadeln? – mir selbst muß ich Vorwürfe machen'«
»Gut, Marie, ich will Alles thun, was ich kann, und zwar so schnell als möglich. Morgen werde ich zum Depot hinuntergehen.«
»Gott segne Sie, Jacob; und mögen Sie nie das Unglück haben, ein Weib zu lieben, wie ich bin.«