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Viertes Kapitel.

Ein Zehnpfund-Hausmann mit Staatsangelegenheiten beschäftigt. – Der Vortheil des Wortes »Verwicklung«. – Ein unerwartes Zusammentreffen und eine Aussöhnung. – Entschlossenheit contra blitzende schwarze Augen. – Urteilsspruch für den Vertheidiger mit schweren Entschädigungskosten.

Das Haus des alten Tom Beazeley lag an der Gränze der Markung von Battersea, ungefähr anderthalb Meilen von der Brücke desselben Namens entfernt. Auf der Vorderseite strömte in einer Entfernung von ungefähr zwanzig Ellen der Fluß vorbei – hinter dem Hause war ein grüner Rasenplatz, und im Umkreis von einer halben Meile sah man nicht einen Baum. Nichts war malerisch an diesem Wohnplatze, als die außerordentliche Einsamkeit; er war nicht nur einsam, sondern abgesondert, denn er bildete ein Delta von ungefähr einem halben Morgen, zwischen zwei Buchten, welche in einer Entfernung von ungefähr vierzig Ellen vom Flusse zusammenliefen und die Felder bewässerten, so daß das Haus bei hohem Wasserstande auf einer Insel stand, bei niederem aber durch eine unübersteigliche Schranke von Schlamm geschützt war, und nur vom Wasser aus den Zugang gestattete, der einzig und allein durch einen kleinen Damm möglich gemacht wurde, dessen verwitterte Umpfählung einer Doppelreihe verdorbener Zähne glich. Das Haus selbst war ein Stockwerk hoch, aus dunkelrothen Backsteinen erbaut und mit noch dunkleren Ziegeln gedeckt; die Fenster waren sehr sparsam und klein, ob es gleich lange vor der Einführung der fluchwürdigen Steuer auf das Tageslicht errichtet wurde, denn nach der Eigentümlichkeit der Architektur zu schließen, die an den Schornsteinen bemerkbar war, fiel die Zeit seiner Erbauung wahrscheinlich in die Regierung der Königin Elisabeth; doch es liegt wenig daran, in welchem Zeiträume eine Wohnung erbaut wurde, die jährlich nicht mehr als zehn Pfund Miethzins eintrug. Der größte Theil des besagten Eilandes war mit Kohl bepflanzt, aber auf einer Seite, wo ein halbes Boot vor dem Hause lehnte, streckte sich ein Streifen Grasboden hin. Zu der Zeit, wo es der alte Beazeley miethete, stand hinter dem Gebäude eine Brücke, die aus alten Schiffsplanken gezimmert war und die Verbindung mit einem Pfade unterhielt, welcher quer über die Markung von Battersea führte. Da aber der alte Tom seinen Gesammtverkehr auf dem Wasser hatte und sich Frau Beazeley nie der Brücke anvertraute, so wanderte sie allmählig in's Kamin, und bei niederem Wasserstande ragte nur noch ein alter verschlammter Pfosten hervor, welcher die Stelle bezeichnete, wo die Brücke ehemals gestanden hatte. Das Innere des Hauses war weit einladender. Frau Beazeley erwies sich als eine sehr reinliche und sparsame Hausfrau., und in der Küche, welche das erste Gemach war, das man betrat, war Alles so blank und rein, wie es der Fleiß nur immer machen konnte. Das Wohnzimmer wurde seltener gebraucht; denn die beiden Bewohner desselben, die seit der Zeit, wo der alte Beazeley den Lichter übernommen hatte, in drei Wochen höchstens ein paar Tage hier zubrachten, zogen Behaglichkeit dem Prunke vor. In diesem abgeschiedenen Hause und auf diesem abgelegenen Platze lebte Frau Beazeley in der äußersten Abgeschiedenheit.

Und doch gab es vielleicht nie eine lebhaftere oder glücklichere Frau, als Frau Beazeley, denn sie war kräftig, gesund und nie ohne Beschäftigung. Sie wußte, daß ihr Mann seinem Beruf auf dem Strome folgte und etwas für ihre alten Tage zurücklegte, während sie diese Sparpfennige durch eigene Anstrengungen beträchtlich vermehrte. Sie hatte den alten Tom zu einer Zeit geheirathet, wo er seine Beine noch lange nicht verloren hatte, sondern ein sehr thätiger Matrose und der beste Mann an Bord seines Schiffes war. Eines Netzflechters Tochter, war sie zum Geschäfte ihres Vaters angehalten worden und hatte es zu einer großen Fertigkeit in demselben gebracht. Sie verstand den schwierigsten Theil dieser Kunst, die Verfertigung großer Meernetze zum Seefischfang; und wenn sie hierin keine Aufträge hatte, so verkürzte sie sich nach Besorgung der Haushaltungsgeschäfte die Zeit mit Verfertigung von Wurfnetzen. Sie verdiente Geld und ging haushälterisch damit um, indem sie nicht nur an sich und an ihren Mann, sondern auch an ihren Sohn, den jungen Tom, dachte, den sie zärtlich liebte. Arbeit und Einsamkeit waren ihr so sehr zur Gewohnheit geworden, daß es sich schwer entscheiden läßt, ob sie mehr Freude oder mehr Verdruß empfand, wenn die beiden Tome auf ein Paar Tage heimkehrten. Der Sohn wurde die ganze Zeit seines Aufenthalts hindurch abwechselnd geherzt und gescholten, allein der Leser kann aus seiner Bekanntschaft und dessen Charakter schließen, daß er sich weder um das Eine, noch um das Andere viel bekümmerte.

Ich ruderte an den Damm heran und befestigte mein Boot. Von dem Hause ließ sich Niemand sehen, und als ich eintrat, fand ich Alle um den Tisch versammelt, auf dem eine Menge Trümmer in Gestalt von Häringsgeräthen u.s.w. lagen. »Nun, Jacob – du kommst zuletzt, – dachte schon, du hättest es vergessen; pfiff zum Frühstück um achte, wie ich immer thue, du weißt es,« sagte der alte Tom.

»Hast du gefrühstückt, Jacob?« fragte Frau Beazeley.

»Nein,« erwiederte ich; »ich war zu Herrn Turnbull beschieden, und dadurch wurde ich aufgehalten.«

»'s gibt keine Rothröcke mehr, Jacob,« sagte Tom; »der Vater und ich haben alle aufgezehrt.«

»Habt ihr?« versetzte Frau Beazeley, zwei weitere Häringe aus dem Schranke nehmend und sie zum Braten an's Feuer stellend; »nein, nein, Meister Tom, 's ist noch was da für den Jacob.«

»Schön, Mutter, Ihr macht Eure Netze nicht umsonst, denn Ihr habt immer einen Fisch in Bereitschaft, wenn man darnach fragt.«

Ich verzehrte mein Frühstück; sobald die Hausfrau Alles abgeräumt hatte, kreuzte der alte Tom seine beiden Zimmerhölzer und eröffnete die Verhandlung, denn es ergab sich, daß ich, ohne vorher davon benachrichtigt worden zu sein, zu einer Art von Kriegsrath berufen war.

»Jacob, setze dich neben mich; Alte, wirf im großen Sessel Anker; Tom, setze dich, wo du willst, nur sitze still.« – »Und laß mir mein Netz in Ruhe!« rief seine Mutter per parenthesin. – »Du mußt wissen, Jacob, das Ganze ist das: meine Zehen thun mir immer weher und weher, und der Flanell hält sie nicht länger warm. Ich kann nicht mehr auf dem Strome bleiben und finde, daß es hohe Zeit ist, mich zur Ruhe zu setzen und mehr in der Nähe der Alten zu halten. Nun ist hier erstens Tom, was soll mit ihm geschehen? Ich denke, ich will ihm einen Kahn bauen, und da ich Stromfreiheit habe, so kann er seine Lehrzeit auf meinen Namen auf dem Boote ausdienen; aber es wird ein schwer Stück Arbeit für mich sein, ihm einen Kahn zu bauen.«

»Wenn Ihr ihn selber bauen wollet, so wird wohl die Schwere des Stücks mich selbst treffen,« bemerkte Tom.

»Schweig', Tom, ich habe dich gebaut, und Gott weiß, du bist leicht genug.«

»Tom, laß mein Netz in Ruhe,« rief seine Mutter.

»Der Vater hat mich leichtsinnig gemacht, Mutter.«

»Ja, und leichtherzig auch, Junge,« fügte die Dame mit einem zärtlichen Blicke auf den Sohn hinzu.

»Gut,« fuhr der alte Tom fort, »gesetzt nun, für Tom wäre auf diesem Wege gesorgt; so kommt es jetzt an mich. Ich habe im Gedanken, daß ich kann ein gut Stück arbeiten, wenn ich Boote flicke; denn ihr müßt wissen, ich war immer so ein Stück von 'nem Zimmermann, und ich weiß, wie die Kahnbauer die armen Schiffleute prellen, wenn's 'ne Kleinigkeit auszubessern gibt. Wenn sie aber wissen, daß ich es kann, so laufen sie alle zu mir. Aber jetzt kommt der Punkt, wo der Nutzen steckt; ich habe die ganze Woche daran gedacht, wie ich's könnte unter die Leute bringen. Ich kann keine Tafel anschlagen, »Beazeley, Kahnbauer,« von wegen weil ich kein Kahnbauer bin, und doch muß ich einen Aushängeschild haben.«

»Habt Ihr denn nicht schon einen?« unterbrach ihn der junge Tom; »draußen lehnt ein halber Kahn vor dem Hause, und das will heißen, daß Ihr ein halber Kahnbauer seid.«

»Schweig', Tom, mit deinen Lumpereien; was meinst du, Jacob?«

»Könntet Ihr nicht sagen, ›hier werden Boote ausgebessert?‹«

»Ja, aber das ist eben nicht genug; sie wollen einen Kahnbauer – das ist der kitzelige Punkt.«

»Nicht halb so kitzelig als dieses Netz,« bemerkte Tom, der die Nadel aufgenommen hatte und, ohne von seiner Mutter beobachtet zu werden, zu stricken anfing; »ich habe nur zehn Stiche gemacht, und sechs davon sind lange Maschen geworden.«

»Tom, Tom, du Thunichtgut – warum läßt du mein Netz nicht in Ruhe?« rief Frau Beazeley, »jetzt brauch' ich wieder eben so lange, diese zehn Stiche aufzumachen, als ich gebraucht hätte, um fünfzig neue zu stricken.«

»'s ist Alles recht, Mutter.«

»Nein, Tom, 's ist Alles verkehrt, sieh nur diese Maschen an.«

»Nun, dann ist ja Alles gut, Mutter.«

»Nein, 's ist Alles falsch, Junge; sieh nur, wie verschlungen sie sind.«

»Und doch ist Alles recht, Mutter, denn's ist nicht mehr als recht und billig, den Fischen auch ein Hinterthürchen offen zu lassen, und das ist's eben, was ich gethan habe. Und nun Vater, will ich auch Eure Angelegenheit zu Eurer Zufriedenheit in Ordnung bringen, wie ich's mit der Mutter gehalten habe.«

»Das wird vermuthlich eine ganz eigene Zufriedenheit werden, Tom; aber laß hören, was du zu sagen hast.«

»Nun, Vater, es scheint, daß Ihr kein Kahnbauer seid, aber die Leute glauben machen wollt, Ihr seid es – Ist's nicht so?«

»Nun, 's ist so etwas, Tom – aber es soll Niemand Schaden dadurch nehmen.«

»Gewiß nicht– es sind nur die Boote, welche darunter leiden. Nun nehmt Ihr eine große Tafel und schreibt darauf: ›Hier werden Boote auf Bestellung gebaut und ausgebessert, von Tom Beazeley.‹ Wenn nun Einer Narr genug ist, ein Boot zu bestellen, so ist das seine Sache; Ihr sagt nicht, daß Ihr ein Kahnbauer seid, ob Ihr gleich nichts dagegen einzuwenden habt, Eure Hand dabei zu versuchen.

»Was sagst du, Jacob?« sagte der alte Tom, sich an mich wendend.

»Ich meine, Tom habe einen ganz guten Rath gegeben, und ich würde ihn befolgen.«

»Ja, Tom hat Kopf,« bemerkte Frau Beazeley zärtlich. »Tom, laß mein Netz in Ruhe, ich sag' dir's. Was für ein Junge bist du doch! Rühr' mir's nur noch einmal an;« und Frau Beazeley nahm ein kleines Schüreisen vom Kamin und winkte damit.

»Tom hat wirklich Kopf,« sagte der junge Tom, »aber da er keine Lust hat, sich ihn einschlagen zu lassen, so leihe mir auf eine halbe Stunde deinen Kahn, Jacob; ich will fort.«

Ich gestand es ihm zu. Er warf seiner Mutter die Katze auf den Rücken und rannte mit den Worten fort:

»Gott, Molly, welch ein Fisch!«

Das Thier klammerte sich mit seinen Krallen an, um sich zu halten; Frau Beazeley schrie laut auf und schwur Rache, während der alte Tom und ich das Lachen nicht halten konnten.

Nach Tom's Entfernung erneuerte sich das Gespräch, und der alte Tom kam endlich mit seinem Weibe in Allem überein; nur zu dem Kahnbauen schüttelte die alte Frau den Kopf. Die Auseinandersetzung dauerte jedoch zu lange und hatte zu wenig Reiz, als daß ich den Leser damit behelligen möchte; mit Einem Umstande aber muß ich ihn bekannt machen. Nachdem das ganze Hauswesen besprochen worden war, führte mich Frau Beazeley die Treppe hinauf, um mir die Zimmer zu zeigen, welche sehr reinlich und sauber gehalten waren, und als wir wieder herunter kamen, sagte der alte Tom: »Zeigte dir die Alte auch das Zimmer mit den weißen Vorhängen, Jacob?«

»Ja,« erwiederte ich, »und es ist sehr hübsch.«

»Gut, Jacob, 's gibt nichts Sicheres auf der Welt. Du bist jetzt gut versorgt, und ›an einer Versorgung soll man nicht rütteln‹, ist ein guter Spruch; aber vergiß nicht, dieses Zimmer ist für dich, wenn du es bedarfst, und Alles theilen wir mit dir, was wir besitzen. Es wird dir von Herzen angeboten und so mußt du es auch annehmen. Nicht wahr, Alte?«

»Ja, das ist gewiß, Jacob; freilich kannst du's vielleicht besser bekommen – wenn dem aber nicht so ist, so will ich deine Mutter sein, in Ermanglung einer bessern.«

Ich war von der Güte des alten Paares um so mehr gerührt, als ich nicht wußte, womit ich sie verdient hatte. Der alte Tom drückte mir mit Wärme die Hand und fuhr fort? »aber was diesen Kahn betrifft – was meinst du, Alte?«

»Wie viel wird er denn kosten?« erwiederte sie nachdenklich.

»Kosten? laß einmal sehen – ein guter Kahn mit Hand- und Schlagrudern wird so auf seine dreißig Pfund kommen.«

Die alte Frau verzog den Mund, schüttelte den Kopf und ging hinaus, um das Essen zu bereiten.

»Ich glaube, sie könnte so viel aufweisen, Jacob, aber sie trennt sich nicht gern von dem Gelde. Tom muß es aus ihr herausschmeicheln. Ich wollte, er hätte die Katze nicht nach ihr geworfen. Er ist voll Teufeleien.«

Als der alte Beazeley geendigt hatte, sah ich einen Nachen mit ein paar Damen heranrudern. Ich betrachtete ihn aufmerksam und erkannte mein eigenes Boot und Tom als Fährmann. Nach einer Minute waren sie am Damm, und zu meinem Erstaunen saß Niemand anders im Nachen, als Frau Drummond und Sarah. Tom stieg aus, zog das Boot dicht an den Damm heran und rief mich hinunter. Ich mußte gehen und ihm helfen. Noch einmal berührte ich die Hände derjenigen, die ich in meinem Leben nicht mehr zu sehen glaubte. Frau Drummond hielt mich einige Zeit bei der Hand, nachdem sie ausgestiegen war, und sagte:

»Wir sind gute Freunde, Jacob, nicht wahr?«

»Gewiß, Madame,« erwiederte ich gerührt und mit zitternder Stimme.

»Ich stelle diese Frage nicht an Sie,« sagte Sarah heiter, »denn wir schieden als Freunde.«

Ich gedachte ihrer liebevollen Theilnahme und drückte ihr die Hand, während mir Thränen in die Augen traten, als ich in ihr sanftes Gesicht blickte. Wie ich nachher erfuhr, hatte der alte Tom und sein Sohn diesen Plan angelegt, um ohne mein Vorwissen ein Zusammentreffen zu veranstalten. Frau Beazeley verbeugte sich und strich ihre Schürze glatt – lächelte gegen die Damen, warf einen Katzenblick auf Tom, führte die Damen in ihr Haus, und der alte Tom half ihr auf seine Weise die »honneurs« machen, indem er Frau Drummond fragte, ob sie nicht nach dem Zuge ihre Pfeife anfeuchten wolle. Frau Drummond sah ihn mit einem Blicke an, der um nähere Erklärung bat, aber der junge Tom fand es für gut, den Dollmetscher zu machen.

»Sie verzeihen, Madame, der Vater wünscht zu wissen, ob sie nicht nach Ihrem Zuge auf dem Wasser einen Zug aus der Branntweinflasche thun möchten.«

»Nein,« erwiederte Frau Drummond lächelnd; »aber um ein Glas Wasser möchte ich bitten. Willst du mir eines holen, Jacob?«

Ich beeilte mich, ihre Bitte zu erfüllen, und Frau Drummond knüpfte ein Gespräch mit Frau Beazeley an. Sarah warf einen Blick auf mich und ging nach der Thüre, wo sie sich umwandte, um mich einzuladen, ihr zu folgen. Ich gehorchte dem Winke, und bald saßen wir auf der Bank in dem alten Boote.

»Jacob,« sagte sie, mit einem forschenden Blicke auf mich, »Sie werden sich gewiß mit meinem Vater aussöhnen.«

Ich würde wahrscheinlich den Kopf geschüttelt haben, aber sie legte einen Nachdruck auf das Wort meinen, von dem die kleine Zauberin wohl wußte, daß er seine Wirkung nicht verfehlen konnte. Alle meine Entschlossenheit, all mein Stolz, all' meine Erinnerung an das erlittene Unrecht verschwand vor den sanften, schönen Augen Sarah's, und ich antwortete schnell: »Ja, Fräulein Sarah, Ihnen kann ich nichts abschlagen.«

»Warum Fräulein, Jacob?«

»Ich bin ein Färger, und Sie stehen weit über mir.«

»Das ist Ihre eigene Schuld; aber sprechen wir nichts mehr davon.«

»Ich muß noch etwas davon sprechen, und das besteht einfach darin: machen Sie keinen Versuch, mich aus meiner gegenwärtigen Lage zu reißen. Ich bin glücklich, weil ich unabhängig bin, und dieß will ich auch in Zukunft bleiben, wenn es möglich ist.«

»Ein Ruder kann Jeder führen, Jacob.«

»Sehr wahr, Fräulein Sarah; aber er ist Niemanden verbunden, wenn er sein Brod damit verdient. Er arbeitet für Alle und wird von Allen bezahlt.«

»Werden Sie uns besuchen, Jacob? Kommen Sie morgen – nun – versprechen Sie mir's. Können Sie Ihrer alten Gespielin etwas abschlagen, Jacob?«

»Ich wollte, Sie hätten etwas Anderes von mir verlangt.«

»Wie können Sie aber dann sagen, Sie seien mit meinem Vater ausgesöhnt? Ich kann das nicht glauben, bis Sie mir versprechen, daß Sie uns besuchen wollen.«

»Sarah,« erwiederte ich ernst, »ich will Sie besuchen, und um Ihnen zu beweisen, daß ich ausgesöhnt bin, will ich mir von Ihrem Vater eine Gunst erbitten.«

»O Jacob, das ist freundlich von Ihnen,« rief Sarah mit Thränen in ihren Augen. »Sie machen mich sehr – sehr glücklich!«

Das Zusammentreffen mit Sarah stimmte mich weich und verbannte jedes Rachegefühl aus meinem Gedachtniß. Frau Drummond kam und erinnerte an die Rückkehr. »Und Jacob muß uns fahren,« rief Sarah. »Kommen Sie und sehen Sie nach Ihrer Fracht, Sir. Da Sie ein Fährmann sind, müssen Sie auch arbeiten.« Ich lachte und half ihnen einsteigen. Tom ergriff das andere Ruder, und bald waren wir am Stege bei Drummond's Hause.

»Mutter, wir müssen diesen armen Burschen auch etwas zu trinken geben, sie haben streng gearbeitet,« sagte Sarah spottend. »Kommt herauf, Ihr guten Leute.« Ich zögerte. »Nein, Jacob, was morgen geschieht, warum sollte das nicht heute geschehen? Je bälder die Sache abgethan wird, desto besser ist's.«

Ich fühlte die Wahrheit dieser Bemerkung und folgte ihr. Nach wenigen Minuten befand ich mich wieder in dem Zimmer, in welchem sich, als ich entlassen worden war, das liebevolle Mädchen an meine Schulter lehnte und Thränen vergoß, während ich die Thürklinke in der Hand hielt. Meine Blicke fielen auf die Klinke und dann auf Sarah. Frau Drummond war hinausgegangen, um ihrem Gatten mitzutheilen, daß ich gekommen sei.

»Wie gut Sie sind, Sarah,« sagte ich.

»Ja, aber gute Leute sind zuweilen eigensinnig, und das bin ich – und das war –«

Herr Drummond erschien und unterbrach sie.

»Es freut mich, Jacob, daß ich dich wieder unter meinem Dache sehe; ich bin durch den Schein getäuscht worden und habe dir Unrecht gethan.«

Wie wahr ist der Spruch des Weisen, »ein sanftes Wort entwaffnet den Zorn!« Kaum hatte Herr Drummond selbst anerkannt, daß er mir Unrecht gethan – kaum hatte er es eingestanden, als auch jedes Rachegefühl verschwunden war und andere Empfindungen sich an dessen Stelle drängten. Ich erinnerte mich, wie er die Waise beschützte – wie er den Knaben erziehen ließ – wie er ihm sein Haus zur Heimath machte – wie er mich durch seinen Schutz in der Welt fortzubringen suchte. Ich erinnerte mich dessen, was ich nie hätte vergessen sollen, ich entsann mich wieder, daß er mich Jahre lang freundlich und liebevoll behandelt hatte, und Alles das war durch eine einzige Handlung der Ungerechtigkeit aus meinem Gedächtnisse vertilgt worden. Ich fühlte mich schuldig und brach in Thränen aus; Sarah aber weinte mit mir.

»Ich bitte Sie um Verzeihung, Herr Drummond,« sagte ich, sobald ich sprechen konnte. »Ich habe sehr gefehlt, daß ich auf meiner Empfindlichkeit beharrte, nachdem Sie mir so viel Güte erzeigt hatten.«

»Wir haben Beide gefehlt – aber sprechen wir nicht mehr über diesen Gegenstand, Jacob. Ich habe noch etwas zu besorgen, dann will ich wieder heraufkommen.«

Mit diesen Worten verließ uns Herr Drummond.

»Du bist ein lieber, guter Mensch,« sagte Sarah, auf mich zutretend; »jetzt liebe ich dich wirklich.«

Ich wollte etwas erwiedern, aber Frau Drummond trat ins Zimmer. Sie fragte mich, wo ich gegenwärtig wohne, und Sarah stellte eben ein Verhör über Marie Stapleton mit mir an, als Herr Drummond zurückkehrte und mir mit Wärme die Hand drückte, wodurch er mich noch mehr beschämte. Das Gespräch wurde allgemein, aber ich blieb noch immer etwas verlegen; da flüsterte mir Sarah zu: »Welche Gunst wolltest du dir von meinem Vater erbitten?« Ich hatte es im Augenblicke vergessen, aber sogleich erinnerte ich mich wieder und sagte, er würde mich sehr verbinden, wenn er mir einen Theil des Geldes gäbe, das er von mir in Händen habe.

»Das will ich mit Vergnügen, und noch obendrein dich nicht einmal fragen, wozu du es verwendest, Jacob. Wie viel verlangst du?« »Dreißig Pfund, wenn es so viel ist.«

Herr Drummond ging hinab und kehrte in wenigen Minuten mit der Summe in Banknoten und Guineen zurück. Ich dankte ihm und nahm bald darauf Abschied.

»Sagte Ihnen nicht der junge Beazeley, daß ich etwas für Sie hätte, Jacob?« fragte Sarah, als ich ihr Lebewohl sagte.

»Nun und das wäre?«

»Wenn Sie wieder kommen, will ich's Ihnen zeigen;« erwiederte Sarah lachend. So wurde meine ganze Rache durch ein kleines Mädchen von fünfzehn Jahren mit großen, schwarzen Augen erstickt.

Tom hatte unten sein Glas Grog getrunken und wartete am Stege auf mich. Wir stießen ab und kehrten in sein väterliches Haus zurück, wo das Mittagessen bereits unser wartete. Nach Tisch kam der alte Tom auf seine Erörterungen zurück. »Der einzige Anstand,« sagte er, »ist der Kahn. Was meinst du, Alte?« Die Alte schüttelte den Kopf.

»Wenn dieß der einige Anstand ist,« sagte ich, »so kann ich helfen, denn hier ist das Geld für den Kahn, und ich schenke es Tom.«

Mit diesen Worten legte ich dem jungen Tom das Geld in die Hand. Tom zählte es seinem Vater und seiner Mutter vor, und sie erstaunten nicht wenig darüber.

»Du bist ein guter Bursche, Jacob,« sagte Tom, »aber erinnerst du dich noch an die Gemeinhut von Wimbledon?«

»Wie so?« erwiederte ich.

»Ich meine nur den Jerry Abershaw.«

»Sei ohne Sorgen, Tom, 's ist redlich erworben.«

»Aber wie bist du denn dazu gekommen, Jacob?« fragte der alte Tom.

Es mag sonderbar erscheinen – nur von dem Wunsche beseelt, meinen Freunden zu dienen, hatte ich um das Geld angesucht, das, wie ich wußte, mir gehörte, aber keinen Augenblick daran gedacht, auf welche Weise ich es erworben hatte. Die Frage des alten Tom rief mir wieder alle Umstände in das Gedächtniß zurück, und ich schauderte bei den Erinnerungen, die sich daran knüpften. Ich war verwirrt und suchte eine ausweichende Antwort zu geben.

»Genug, daß das Geld mein ist,« erwiederte ich.

»Ja, Jacob, aber wie?« versetzte Frau Beazeley; »sicherlich wirst du im Stande sein, uns zu sagen, wie du eine so große Summe erworben hast.«

»Jacob hat seine Gründe, warum er es nicht sagt, Alte, verlasse dich darauf. Vielleicht hat es ihm Herr Turnbull, oder wer ihm sonst das Geld gegeben haben mag, verboten.«

Diese Antwort befriedigte jedoch Frau Beazeley nicht. Sie erklärte, Tom dürfte keinen Heller davon nehmen, bis sie wisse, wie es erworben worden sei.

»Tom, gib das Geld augenblicklich zurück,« sagte sie mit einem verdächtigen Seitenblick auf mich.

Tom legte es auf den Tisch vor mich hin, ohne ein Wort zu sagen.

»Nimm es Tom,« sprach ich erröthend. »Ich habe es von meiner Mutter.«

»Von deiner Mutter, Jacob!« rief der alte Tom. »Nein, das kann nicht wohl sein, wenn mir mein Gedächtniß nicht untreu ist. Doch ist's möglich.«

»Beim Himmel, das gefällt mir gar nicht,« sagte Frau Beazeley, aufstehend und ihr Schürze schüttelnd. »Jacob, das kann nicht wahr sein.«

Ich erröthete bis über die Stirne, als man mich der Lüge verdächtigte; und wie ich mich umsah, bemerkte ich, daß sogar Tom und sein Vater einen düstern Zweifel auf ihren Gesichtern ausdrückten. Meine Verwirrung hätte bei Jedermann Verdacht erregen müssen.

»Ich hätte mir nicht träumen lassen,« sagte ich endlich, »als ich mir so viel Vergnügen vom Geben versprach und Euch durch die Annahme des Geldes glücklich zu machen hoffte, das es mir zu einer Quelle so großen Verdrusses werden sollte. Ich sehe, daß ich verdächtigt werde, als hätte ich es auf eine unredliche Weise erworben und nicht die Wahrheit gesagt. Daß Frau Beazeley, die mich nicht kennt, dieses Glaubens ist, wundert mich nicht; aber daß Ihr,« fuhr ich zum alten Tom fort, »oder du,« sagte ich mit einem Blick auf seinen Sohn, »daß Ihr mich beargwöhnen könnt, ist sehr kränkend, und ich hätte es nicht erwartet. Ich sage Euch, daß das Geld mein ist – redlich mein, und daß ich es von meiner Mutter habe; und nun frage ich Euch, ob Ihr mir glaubet?«

»Ich für meinen Theil glaube dir, Jacob, sagte der junge Tom, seine Hand auf den Tisch legend. »Ich kann es zwar nicht verstehen, aber ich weiß, daß du noch nie eine Unwahrheit gesprochen und noch nie eine entehrende Handlung begangen hast, seit ich dich kenne.«

»Ich danke dir, Tom.« erwiederte ich, seine dargebotene Hand ergreifend.

»Und ich wollte das Gleiche beschwören, Jacob,« bemerkte der alte Tom, »obschon ich länger in der Welt gewesen bin und oft gesehen habe, wie leider schon mancher brave Mann ein Schelm wurde, wenn die Versuchung zu stark war. Wie ich dir in's Gesicht blickte und die Gluth auf deiner Stirne sah, fühlte ich einen kleinen Verdacht, ich muß es gestehen; aber ich bitte dich um Verzeihung, Jacob; jetzt kann dir Niemand in's Gesicht sehen, ohne sich zu überzeugen, daß du unschuldig bist. Ich glaube Alles, was du sagst, trotz der Alten da – und dem Teufel dazu – und hier ist meine Hand darauf.«

»Warum aber nicht sagen – Warum nicht sagen?« murmelte Frau Beazeley, den Kopf schüttelnd und emsiger an ihrem Netz strickend, als je.

Ich hatte jedoch beschlossen, es zu sagen, und that es, indem ich alle Umstände genau angab, unter welchen das Geld erworben worden war, aber Gefühle der Kränkung stürmten in meiner Brust, die ich nicht beschreiben kann. Ich fühlte mich gedemüthigt – ich empfand, daß ich das Geld zu meinem eigenen Gebrauche nie anwenden konnte. Indessen hatte meine Auseinandersetzung den Erfolg, daß sie sogar die Zweifel der Frau Beazeley zerstreute und die Einigkeit wieder herstellte. Das alte Paar nahm das Geld und versprach, es zu dem genannten Zwecke zu verwenden.

»Was mich betrifft, Jacob,« sagte Tom, »so weißt du, wie ich's meine, wenn ich sage, ich danke dir. Hätte ich das Geld gehabt, und du hättest seiner bedurft, so wirst du mir auf's Wort glauben, daß ich dir's gleichfalls gegeben haben würde.«

»Davon bin ich überzeugt, Tom.«

»Doch ist es eine schöne Summe, Jacob, und ich muß so viel als möglich von meiner Einnahme zurücklegen, damit du es im Nothfalle wieder hast; aber es wird manchen schweren Ruderstoß und manches durchschwitzte Hemd kosten, bis ich so viel erspart habe.«

Nach dieser kleinen Störung blieb ich nicht mehr lange. Ich fühlte mich verletzt, – mein Stolz war durch den Verdacht verwundet, und es war ein Glück, daß der Auftritt nicht vor meinem Zusammentreffen mit Frau Drummond und Sarah stattgefunden hatte, sonst wäre wohl auf dieser Seite von keiner Versöhnung die Rede gewesen. Wie sehr sind wir das Spiel der Verhältnisse, und wie unmerklich zeichnen sie uns unsere Bahnen in der Welt vor! Mit den besten Absichten verfehlen wir uns; von unwürdigen Beweggründen geleitet, kommen wir wieder auf unsere Füße zu stehen, und das Kapitel der Zufälligkeiten übt einen größern Einfluß auf die Gemüther aus, als alle Kapitel der Bibel.


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