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Zwölftes Kapitel.

Die Piknikpartie. – Oel-, Eis-, Feuer- und Wasserleiden. – Im Ganzen sind »die lustigen Landstreicher«, wie die Helden und Heldinnen der Thespis mit einem klassischen Ausdrucke bezeichnet werden, sehr glücklich, mit Ausnahme Herrn Winterbodens, dessen Gefühle beim Sitzen auf Null herabsinken.

Eines Morgens kam er an den Steg, und ich erwartete, er werde wie gewöhnlich den Fluß hinab fahren, weßhalb ich zu meinem Boot lief und es dicht heran holte.

»Nein Jacob, nein; heute sollst du Cäsar und sein Glück nicht führen, aber ich habe was für dich.«

»Dank Ihnen, Sir; was wird gespielt?«

»Gespielt – pah, 's wird nichts gespielt, und doch hoffe ich, soll eine Posse daraus werden, wenn's vorüber ist. Wir machen eine Piknikpartie nach einem der kleinen Eiländer bei Kew. Nichts als Sock' und Kothurn, lauter Schauspieler: wenn die Kähne umschlagen, mag Haymarket geschlossen werden, denn von seinen besten Schauspielern heißt's dann: » sämmtlich abgetreten.« Wir brauchen drei Kähne, Jacob; sorge dafür. Ich überlasse es dir, die beiden andern auszuwählen – Schlagruder in jedem natürlich. Präzis um neun Uhr mußt du bei Whitehall sein, und ich denke, die Damen werden nicht länger als zwei Stunden auf sich warten lassen, was für sie erträglich pünktlich genannt werden muß.«

Herr Zinnblatt verabredete den Preis und ging. Ich überlegte eben, wen ich zu meinen Nachengefährten wählen und ob ich nicht den alten Stapleton bitten sollte, das zweite Ruder in meinem Kahne zu führen, als ich eine Stimme vernahm, die ich nicht mißkennen konnte.

» Das Leben gleichet einem Sommertag,
Der sich am Sonnenstrahle wärmen mag.«

»Noch weiter herunter, Tom. So, jetzt ist's recht, mein Junge.

» Zuweilen sieht man sich die Wolken thürmen
Und kämpft mit Winden und Gewitterstürmen
.

»Sieh dich nach Jacob um, Tom,« rief der Alte, als das Vordertheil des Lichters mit dem niedergelassenen Maste und seinen hellen, blauen Streifen an den Seiten unter dem Bogen der Putneybrücke zum Vorschein kamen.

»Hier ist er, Vater,« erwiederte Tom, der, das Ziehtau in der Hand, am Windebaum stand.

Sobald ich Tom's Stimme vernommen hatte, war ich abgestoßen und lag beinahe in demselben Augenblicke neben dem Lichter, als dieser unter der Brücke hervorkam. Der alte Tom saß am Steuer. Ich sprang, mit dem Bindetau meines Kahnes in der Hand, auf's Verdeck, befestigte es und ging zu dem alten Tom hin, der mir die Hand gab.

»So ist's, wie's sein soll, Junge: Beide nach einander aus. Das Herz wird warm, wenn man weiß, daß das Gefühl auf beiden Seiten ist. Du kommst uns selten aus dem Kopf, Junge, nie aus dem Herzen. Nun, eile nach vorn; Tom ist verdrießlich, wie ich sehe, daß er dich nicht zuerst begrüßen kann. Kannst ihm ja den Mast aufrichten helfen.«

Ich ging nach dem Vorderschiff, reichte Tom die Hand und half ihm bei seiner Arbeit. Dann gingen wir gemeinschaftlich zu seinem Vater auf's Hinterdeck und theilten einander mit, was seit unserm letzten Beisammensein in Stapletons Hause Wichtiges vorgefallen war.

»Und was macht Marie?« fragte Tom; »'s ist ein sehr hübsches Mädchen, und ich habe mehr als einmal an sie gedacht; aber ich sah, daß Alles wahr ist, was du von ihr sagtest. Wie sie nur den armen alten Domine in Flammen setzte!«

»Ich habe ihr Vorstellungen darüber gemacht, und sie versprach mir, klüger zu sein,« erwiederte ich; »aber, wie ihr Vater sagt, 's ist Menschennatur bei ihr.«

»Jedenfalls ein feines Fahrzeug,« bemerkte der alte Tom, »und die Weibsbilder sind immer ein bischen kitzelig. Aber, Jacob, man hat nach dir gefragt, und sogar Frauenvolk.«

»Wirklich?« Versetzte ich.

»Ja, und ich genoß die Ehre, deßhalb in's Wohnzimmer gerufen zu werden. Erräthst du's jetzt?«

»Ja,« sagte ich in verdrießlichem Ton, »vermutlich sprecht Ihr von Frau Drummond und Sarah?«

»Errathen.«

Tom machte mir nun die Mittheilung, Frau Drummond habe ihn rufen lassen, sehr angelegentlich nach mir gefragt und ihm den Auftrag gegeben, mir zu sagen, daß sie mit Vergnügen höre, wie ich mich wohl befinde und zufrieden sei, und daß sie hoffe, ich werde, wenn ich des Weges komme, sie und Sarah besuchen. Hierauf verließ Frau Drummond das Zimmer, und Tom blieb allein bei Sarah, welche ihm auftrug, mir zu sagen, der Vater habe jetzt gefunden, daß mir Unrecht geschehen; die beiden Commis seien entlassen und er bedaure sehr, daß er so getäuscht worden.– »Und dann ersuchte mich Sarah,« fuhr Tom fort, »dir in ihrem eigenen Namen zu sagen, daß sie sehr unglücklich gewesen sei, seitdem du sie verlassen habest, aber daß sie die Hoffnung nähre, du werdest früher oder später vergeben, vergessen und wieder zu ihnen kommen; und daß ich dir die freundlichsten Grüße ausrichten, und wenn wir das nächste Mal heraufkommen, bei ihnen vorsprechen sollen, indem sie mir für dich etwas mitzugeben habe. Du siehst also, Jacob, daß du nicht vergessen bist, und daß man dir Gerechtigkeit wiederfahren läßt.«

»Ja,« erwiederte ich, »nun es zu spät ist; laßt uns nichts mehr von der Sache reden. Ich bin in meinen gegenwärtigen Verhältnissen durchaus glücklich.«

Dann sagte ich ihnen von der bevorstehenden Piknikpartie, worauf sich Tom freiwillig erbot, das andere Ruder in meinem Kahne zu übernehmen, da er weiter nichts zu thun hätte, so lange die Barke in der Werfte läge. Der alte Tom gab seine Einwilligung und es ward festgesetzt, er solle mich am folgenden Morgen mit Tages Anbruch aufsuchen.

»Nach dem, was du sagst, Jacob, wird's wohl lustig hergehen,« bemerkte er.

»Ich meine auch so; aber Ihr habt mich jetzt zwei Meilen in's Schlepptau gehängt, und ich muß wieder fort, sonst verliere ich mein Mittagessen; so lebet denn wohl.«

Im Laufe des Nachmittags wählte ich noch zwei Kähne und kehrte dann nach Hause zurück.

Es war ein lieblicher Morgen, als Tom und ich das Boot ausspülten. Nachdem wir unsere schönsten Kleider angezogen, stießen wir in Begleitung der zwei andern Kähne ab und fuhren gemächlich mit der verendenden Ebbe den Strom hinunter. Als wir an die Treppe von Whitehall hinan ruderten, trafen wir auf zwei Männer, die mit drei bis vier großen und einigen kleineren Körben, einem eisernen Schmorkessel, einer Bratpfanne und einem großen zinnernen Deckeleimer, der mit Eis angefüllt war, um die Weine abzukühlen – auf uns warteten. Wir mußten diese sämmtlichen Artikel in Ein Boot schaffen, die beiden andern waren für die Gesellschaft bestimmt.

»Jacob,« sagte Tom, »wir wollen nichts von der Küche; ich bin für's Gesellschaftszimmer geputzt.«

Nachdem dieser Punkt in Ordnung gebracht und das sämmtliche Geschirr in den Kahn geschafft war, erschien die Gesellschaft, bei welcher Herr Zinnblatt die Rolle des Ceremonienmeisters spielte.

»Schöne Titania,« sagte er zu der Dame, welcher die größte Aufmerksamkeit zu gebühren schien und deßwegen auch zu Theil wurde, »erlauben Sie mir, Sie auf Ihren Thron zu führen.«

»Vielen Dank, guter Puk,« erwiederte die Dame, »wir sind gut placirt; aber hilf Himmel, wir haben unser Riechfläschchen vergessen oder gar verloren; ohne dieses können wir unmöglich die Fahrt machen. Was haben doch unsere Frauen gedacht!«

»Erbsenblüthe und Senfsamen sind sehr zu tadeln,« erwiederte Zinnblatt, »aber soll ich zurückfliegen und es holen?«

»Ja,« versetzte die Dame, »und wieder kommen, ehe der Leviathan eine Meile weit schwimmen kann.« »Innerhalb vierzig Minuten ziehe ich einen Gürtel um die ganze Erde,« erwiederte der Herr aus dem Boote steigend.

» Werden Sie dann nicht ein wenig außer Athem kommen, ehe Sie zurück sind, Sir?« fragte Tom, sich in die Unterhaltung mischend.

Weit entfernt, als Beleidigung aufgenommen zu werden, erregte diese Bemerkung ein allgemeines Gelächter. Noch ehe uns Herr Zinnblatt aus dem Gesichte gekommen war, fiel das vermißte Riechfläschchen aus dem Taschentuch der Dame; er wurde deßhalb zurückgerufen, und nachdem sich die Gesellschaft in die beiden Nachen getheilt hatte, stießen wir ab. Das dritte Boot, in welchem der Proviant aufgespeichert war, folgte uns, und wurde von zwei Aufwärtern, einem Laufbuben und einem Coulissendiener geführt, welche von Zinnblatt als Kaliban und Stephano angeredet wurden.

»Ist unsere ganze Gesellschaft beisammen?« fragte ein vorwitzig aussehendes, stumpfnasiges Männchen, das die Rolle des Zimmermann Squenz im Sommernachtstraum über sich genommen hatte. »Sie, Klaus Boden, find als Pyramus eingeschrieben,« fuhr er, gegen einen Andern gewendet, fort.

Der Angeredete schien jedoch nicht in den Humor einzugehen. Es war ein schwerfälliger, etwas zu beleibter Mensch, mit einem weißen Gesicht, weißen geküperten Beinkleidern, weißer Weste, braunem Rocke und weißem Hut. Ob ihn irgend etwas übel gestimmt hatte, weiß ich nicht, aber offenbar war er das Stichblatt der Damen und des größten Theiles der Gesellschaft.

»Ich werde es Ihnen sehr Dank wissen,« erwiederte dieses Individuum, dessen eigentlicher Name Winterboden war, »wenn Sie mich in Ruhe lassen, denn ich will nichts von Ihrem Unsinn wissen.«

»Ei! Herr Winterboden, Sie werden doch nicht im Sinne haben, den Samen der Zwietracht schon so frühe zu säen. Betrachten Sie die Landschaft, die Sie vor sich haben – hören Sie, wie schön die Vögel pfeifen, wie lustig die Sonne scheint und wie herrlich das Wasser schimmert! Wer kann an einem so schönen Morgen verdrießlich sein?«

»Nein, Miß,« versetzte Herr Winterboden, »nicht im Mindesten verdrießlich, nicht im Mindesten – nur ist mein Name Winterboden, und nicht Boden. Ich setze keinen Eselskopf auf, um für andere Leute den Narren zu machen – das ist alles. Ich bin kein Boden, das ist platt.«

»Das kommt auf die Umstände an, Sir,« bemerkte Tom.

»Was habt Ihr nöthig, Euer Ruder hier einzuschieben, Meister Fährmann?«

»Ich bin zu diesem Geschäfte gemiethet,« versetzte Tom, sein Ruder einsetzend und ihm einen kräftigen Druck gebend.

»So bleibt bei Eurem Element – schiebt Euer Ruder in's Wasser und nicht in unser Gespräch.«

»Gut, Sir, ich will nichts mehr sagen, wenn es Ihnen nicht recht ist.«

»Meinetwegen kannst du reden,« sagte Titania lachend, »so oft dir's gefällt.«

»Und meinetwegen auch,« sprach Zinnblatt, den die Antworten Tom's vergnügten.

Herr Winterboden wurde äußerst zornig und verlangte sogleich an's Land gesetzt zu werden; aber die Feenkönigin sagte, es geschehe auf unsere Gefahr, wenn wir ihm gehorchten; und wider seinen Willen wurde Herr Winterboden den Strom hinaufgeführt.

»Unser Freund ist nicht bei Laune,« sagte Herr Zinnblatt, ein Klappenhorn hervornehmend, –

» Doch die Musik bezähmt die wilde Brust,
Zersplittert Eichen und erweicht den Felsen
,

und deßhalb will ich ihre Wirkung auf sein Inneres versuchen.«

Herr Zinnblatt spielte aus Midas die Arie:

» Mag's Gott gefallen, ihn zu bändigen u.s.w

während welcher Herr Winterboden ein noch verdrießlicheres Gesicht machte, als vorher. Sobald die Arie beendigt war, antwortete ein anderes Mitglied der Gesellschaft aus dem zweiten Boote mit seiner Flöte – während Herr Squenz mit dem, was er den Baß nannte, accompagnirte, das heißt, mit den Fingern schnalzte. Die Töne des Instrumentes glitten auf dem stillen Wasser dahin und zogen die Aufmerksamkeit vieler Hörer auf sich, welche eine Zeitlang von ihrer Arbeit ruhten oder, müßig über den Rand ihrer Fahrzeuge gelehnt, die Boote beobachteten und der Musik lauschten. Alles war Lust und Fröhlichkeit – die drei Nachen hielten sich dicht aneinander, und in den Zwischenspielen unterhielt die Gesellschaft lebendige und witzige Gespräche, wobei sie gelegentlich auch ihre Bewunderung über das Grün der sanft ansteigenden Matten und befiederten Bäume aussprach, womit die Ufer des edlen Stromes so prachtvoll geschmückt waren. Sogar Herr Winterboden hatte wieder einen Theil seiner Heiterkeit gewonnen, als er auf einmal durch eine Bemerkung des Herrn Squenz auf's Neue zum Zorn gereizt wurde.

»Sie können keine Rolle spielen,« sagte dieser, »als den Pyramus; denn Pyramus ist ein Mann mit einem süßen Gesichte – ein hübscher Mann, wie man an einem Sommertage sich nur einen wünschen mag, ein sehr liebenswürdiger, artiger Gentleman; darum müssen Sie nothwendig den Pyramus spielen.«

»Nehmen Sie sich in Acht, daß ich nicht den Teufel mit Ihrer Physiognomie spiele, Herr Western,« erwiederte Winterboden.

Hier begann Kaliban im dritten Boote die Geige zu spielen und sang dazu:

»Gaffer, Gaffers Sohn und sein kleiner Esel
Trabten längs der Straße,«

wozu der Chor U–a, U–a lautete, um das Geschrei eines Esels nachzunahmen.

»Gott segne dich, Boden, Gott segne dich, du wirst übersetzt,« rief Squenz gegen Winterboden.

»Ganz recht, Herr Western, ganz recht. Ich will nur den Nachen nicht zum Umschlagen bringen, deßhalb sind Sie für den Augenblick sicher, aber die Rechnung wird nachfolgen – Sie wissen's also.«

»Sklaven meiner Lampe erfüllt meinen Befehl! Ich will hier keinen Streit haben. Sie, Squenz, schließen Ihren Mund; Sie, Winterboden, ziehen Ihre Lippen ein, und ich, Ihre Königin, will Sie mit einem Gesang bezaubern,« sagte Titania, mit ihren schönen Händchen winkend.

Die Geige hörte auf zu spielen, und die Stimme der schönen Schauspielerin fesselte unser Aller Aufmerksamkeit.

»Seht, unter Glockenklang und Blumenduft
Entsteigt der holde Mai der kalten Gruft;
Nun lauschet dem Gesang, er wird Euch sagen
Wie unsers Lebens Lootsenboote wagen

Die Wettfahrt mit der Zeit.

»Die Liebe ruht auf einem Lotusblatt
Und sieht die alte Zeit erschöpft und matt
Im überlad'nen Boote langsam gleiten,
Und ruft, die Flügel schlagend, in die Weiten:
      Wem unterliegt die Zeit?

»Zuerst kommt die Geduld, sie geht an Bord
Der Zeit und hilft ihr freundlich selber fort;
Und Gram und Sorgen finden keine Segel;
Die Klugheit bleibt am Land und gibt die Regel –
      Der Weise harrt der Zeit.

»Die Hoffnung füllt mit Blumen ihren Kahn,
Ihr leuchtet eines Glühwurm's Schein voran,
Und als die Liebe sieht den Nachen fliegen,
Ruft sie: Die Hoffnung wird die Zeit besiegen –
      Sie überholt die Zeit.

»Nun kömmt der Witz mit Rudern von Demant
Auf einem Boot von Glas herbeigerannt
Und schießt mit seinen leicht beschwingten Pfeilen,
Und ruft, indeß sie durch die Lüfte eilen:
      Die Luft erwürgt die Zeit.

»Jedoch die Pfeile sind zurückgeschwirrt,
Die Hoffnung hat sich aus dem Strich verirrt;
Da kommt die Liebe mit den Schmetterlingen,
Und lacht und spricht: ich kann die Zeit bezwingen.
      Die Liebe zwingt die Zeit.«

Ich brauche kaum anzuführen, daß dieser Gesang mit einem eben so vollständigen, als wohlverdienten Beifall aufgenommen wurde. Ihm folgten mehrere andere von Seiten der Damen, wie der Herren. Sie wurden auf geschehene Bitte ohne Zögerung gegeben, aber mein Gedächtniß vermag sie nicht mehr zurückzurufen. Die Zwischenpausen füllte Horn und Flöte aus, und Alles war Lust und Freude.

»Das ist ein hübscher Platz,« sagte Zinnblatt auf eine Villa an der Themse deutend. »Mit der schönen Titania und zehntausend Pfund jährlich könnte man hier glücklich leben.«

»Ich fürchte, die schöne Titania muß ohne die letztgenannte Bürde zu Markt gehen,« bemerkte die Dame; »der Herr müßte die zehntausend Pfund jährlich schaffen, und ich brächte als Morgengabe –«

»Zehntausend Reize,« unterbrach sie Zinnblatt. – »Das ist sehr wahr, und Schade ist's, daß es wahr ist. Hörten Ihre Feenschaft jemals mein Epigramm über diesen Gegenstand?

»Im Osten loben sie die Mädchen der Circassen,
Und lieben, ohne sich mit Selbstsucht zu befassen:
Ein ehrenwerther Brauch – ganz anders ist es hier,
Die Liebe weiß von nichts, als von der Cassengier

»Vortrefflich mein guter Puck! haben Sie noch mehr dergleichen?«

»Nein, Eigenes nichts, aber Sie haben gehört, was Winterboden am letzten Jubiläumsfeste unter die Büste Shakespeare's schrieb?«

»Ich wußte gar nicht, daß ihn Apollo jemals heimsuchte.«

»Sie sollen hören:

»Hier ruhet Shakespeare's sterbliches Gebein,
Doch diese Büste wird unsterblich sein;
Die Welt wird bald ein frühes Ende haben.
Doch Shakespeare's Ruhm wird nimmermehr begraben.«

»Bemühen Sie sich doch nicht, Herr Zinnblatt, auf meine Kosten so außerordentlich witzig zu sein,« brummte Winterboden. »Ich habe in meinem Leben noch keine Zeile Poesie gemacht.«

»Das hat auch Niemand gesagt, Winterboden; aber Sie werden nicht läugnen, daß Sie diese Zeilen geschrieben haben.«

Herr Winterboden fand es unter seiner Würde, zu antworten. Munter trieben wir mit einer raschen Fluth zwischen den bunt geschmückten Ufern den Strom hinauf und kamen endlich an das kleine Eiland, auf welchem der Piknik gehalten werden sollte. Die Gesellschaft stieg aus und suchte mit vieler Emsigkeit einen geeigneten Platz für ihr Fest. Squenz eilte auf den Flügeln der Furcht von Winterboden weg. Der letztere blieb am Ufer und sagte zu dem Manne, welcher Kaliban getauft worden war:

»Jenkins, Ihr habt doch den Salat nicht vergessen?«

»Nein, Sir, ich hab' ihn mitgebracht. Er liegt oben in dem kleinen Korbe.«

Herr Winterboden, der, wie es schien, eine besondere Vorliebe für Salat hatte, war mit dieser Antwort befriedigt und ging langsam weiter.

»Um Alles in der Welt hätte ich dieß nicht versäumen mögen,« sagte Tom zu mir, mit seinem Taschentuch den Schweiß von der Stirne wischend. »Wollte nur, der Vater wäre auch hier. Die junge Dame wird hoffentlich noch einmal singen, ehe wir abfahren.«

»Ich halte es für sehr wahrscheinlich,« erwiederte ich, »und der Spaß ist meines Erachtens erst im Beginnen. Aber komm, wir wollen bei der Ausschiffung des Mundvorrathes auch Hand anlegen.«

»Schön, schön! das ist ein herrlicher Platz für unsere Probe; dieser grüne Fleck soll unsere Bühne bilden,« rief Squenz der übrigen Gesellschaft zu.

Die Lokalität fand Beifall, und nun beschäftigte sich Alles emsig mit der Anordnung. Die Körbe wurden ausgepackt und kaltes Fleisch, Geflügel, Pasteten aller Art, Backwerk u. s. w. erschien im Ueberfluß.

»Dieß ist kein Direktorialfest,« sagte Zinnblatt; »das Geflügel ist hier nicht aus Holz gemacht und der Wein nicht durch Dünnbier ersetzt. Das Gastmahl, welches Don Juan dem Commendador gab, ist eine Posse dagegen.«

»Alle Direktorialessen sind Possen, und obendrein sehr leidige Possen,« erwiederte ein Anderer.

»Ich wollte, der alte Moeris müßte sein Abendessen selbst verzehren.«

»Dann müßte er sich eine Reihe Zähne einsehen lassen; sie sind zu zäh und hölzern

»ss! ss! hinaus mit ihm, er macht ein Wortspiel.« Jetzt waren die Körbe ausgepackt. Man breitete das Tischtuch auf den Rasen und ordnete die Gedecke. Die Damen waren so geschäftig, als die Herren – einige wischten die Gläser aus, Andere füllten die Salzfäßchen. Titania verlas den Salat. Herr Winterboden, welcher nichts that, redete sie an:

»Ich bitte Sie, erzeigen Sie mir die Gunst, den Salat nicht so klein zu schneiden; das Gekräuselte ist das Beste, und dieß verliert er auf solche Art.«

»Ei, welch' ein Nebucadnezar Sie sind! indessen soll Ihnen gehorcht werden.«

»Wer kann Fische backen?« rief Zinnblatt. »Hier sind zwei paar Schollen und einige Aale. Wo ist Kaliban?«

»Hier bin ich, Sir,« erwiederte der Gerufene auf seinen Knieen das Feuer anblasend, das er angezündet hatte. »Ich habe die Suppe zu besorgen.«

»Wo ist Stephano?«

»Kühlt den Wein ab, Sir.«

»Wer kann denn Fische backen, frage ich.«

»Ich kann's, Sir,« versetzte Tom; »aber nicht ohne Butter.« –

»Butter sollst du haben, du Aufrührer des Elements. Wir haben, glaub' ich, so ein Ding hier.«

»Es dingt mich aber Niemand als Koch,« versetzte Tom; »obgleich ich so etwas von dem Ding verstehe.«

»Dann sollst du die Stelle haben,« erwiederte der Schauspieler.

»Ich bin dabei mit Seel' und Leib,« rief Tom, sein Messer herausziehend und die notwendige Operation der Abschuppung der Fische vornehmend.

Nach einer halben Stunde war Alles bereit: die schöne Titania erzeigte mir die Ehre, sich auf meine Jacke zu setzen, um die Feuchtigkeit des Bodens abzuhalten. Auch die übrigen Damen nahmen ihre Sitze ein, wie es die Königin des Festes angeordnet hatte. Die Tafeln waren mit einer Menge köstlicher Genüsse dieser Welt angefüllt; die Suppe stand in einer Terrine an einem Ende, und Tom hatte so eben die Fische aufgetragen, als Squenz und Winterboden auf Titania's Befehl den Wein und die übrigen Getränke herbeiholten. Sie kehrten zurück und äugelten auf eine ganz sonderbare Weise miteinander; Winterboden erdolchte seinen Gegner mit Blicken und Squenz hielt sich sogar unter dem Schutze Titania's nicht für sicher. Tom hatte so eben die Bratpfanne vom Feuer genommen, in welcher das zurückgebliebene Fett noch prasselte. Squenz hatte seine Bürde abgegeben und war eben im Begriff sich zu setzen, als Tom plötzlich ein Einfall durch den Sinn fuhr, den er jedoch nicht selbst in Ausführung zu bringen wagte; aber ›Nicken ist für ein bloßes Roß so gut als Winken‹, sagt das Sprüchwort. Winterboden stand vor Tom und Squenz kehrte beiden den Rücken zu. Tom sah Winterboden an, worauf er mit schlauen Blicken' auf die Bratpfanne und von dieser auf Squenz's Hintertheil deutete. Winterboden faßte den Wink und die Bratpfanne in demselben Augenblicke. Squenz setzte sich, wie man auf der See sagt, mit einer Brandung nieder, indem er die Stelle anführte: »Für wahr, unser Spiel ist die kläglichste Komödie« – da er aber seine Hände nach hinten ausstreckte, um den Fall zu mäßigen, tappte er gerade in die siedendheiße Bratpfanne, die ihm Winterboden unterschob.

»O Gott! oh, oh!« schrie Squenz, wie ein Blitz aufspringend und vor Schmerz in die Luft fliegend, indessen seine Hände hinter ihm noch in der Bratpfanne kleppten.

Auf den ersten Schrei von Mr. Squenz erschrak die ganze Gesellschaft; man glaubte, eine Schlange hatte ihn gebissen und Alles war im größten Schrecken; als man aber die Ursache des Mißgeschickes entdeckte, vermochte selbst sein Schmerzgeheul die Fröhlichkeit nicht mehr zu bändigen. Es war zu lächerlich. Indessen bedauerten ihn die Damen und Herren, aber Squenz nahm keine Vernunft an. Er ging an den Strom hinunter, und Winterboden freute sich im Stillen seiner Rache, denn außer Tom hatte Niemand eine Ahnung davon, daß es mehr als Zufall war. Squenz war seines Vergnügens bar, aber die Uebrigen meinten, darum sei es nicht nothwendig, daß auch ihre Freude gestört sein sollte. Ein »wirklich sehr leid um den armen Western,« ein Halbdutzend »der arme Mensch!« vermischt mit Gekicher, war Alles, was sein Mißgeschick nach seiner Entfernung hervorrief; dann setzten sie sich zur Mahlzeit und aßen, wie französische Falkoniere. Die Suppe wurde verschlungen, die Fische verschwanden, die Hammelskeulen wurden zerschnitten, die Pasteten ihrer verborgenen Schätze beraubt, das Geflügel zergliedert, die Korke gezogen (manche flogen ohne Mühe in die Luft), und Alles aß und füllte sich. Herr Winterboden heftete das Auge auf sein Lieblingsgericht, den Salat, machte ihn selbst an, lud Jedermann dazu ein, und war froh, daß sich Niemand Zeit nahm, davon zu essen; allein Herr Winterboden konnte für Jedermann essen und aß ihn auch allein. Die Ueberbleibsel wurden abgeräumt und uns eingehändigt. Wir machten uns eifrig daran und ließen ihnen dieselbe Gerechtigkeit widerfahren, wie die Gesellschaft vor uns. Auf einmal bemerkte man, daß Herr Winterboden ganz blaß wurde, und sehr krank schien.

»Was fehlt Ihnen?« fragte Herr Zinnblatt.

»Ich – ich bin – ich bin nicht ganz wohl – ich – ich fürchte, es ist mir etwas nicht gut bekommen. Ich – ich bin sehr krank,« rief Herr Winterboden, den Mund verziehend und so weiß wie ein Handtuch.

»Es muß der Salat sein,« sagte eine von den Damen; »Niemand als Sie hat davon genossen, und wir befinden uns Alle wohl.«

»Ich – meine fast – es muß – oh! – ich erinnere mich, es kam mir vor, als hätte das Oel einen seltsamen Geschmack gehabt.«

»Nun, es war kein Oel in den Castors,« Das Gestell für die Essig- und Oelfläschchen. versetzte Zinnblatt, »ich schickte Jenkins fort, welches zu holen.«

»Das that ich eben auch,« erwiederte Winterboden, »o! – o Himmel – o Himmel!«

»Jenkins,« rief Zinnblatt, »wo holtest du das Oel für die Castors? was für ein Oel ließest du dir geben? – weißt du gewiß, daß es das rechte war?« –

»Ja, Sir, ganz gewiß,« erwiederte Jenkins. »Ich brachte es in dieser Flasche und goß es vor dem Essen in die Castors.«

»Wo kauftest du es?«

»Beim Chemiker, Sir. Hier ist die Flasche;« und Jenkins brachte eine Flasche, worauf mit großen Buchstaben stand: Castoröl. So wird in England das abführende Ricinusöl genannt

Der Mord lag am Tage. Herr Winterboden stöhnte und erhob sich von seinem Sitze, denn er fühlte sich wirklich sehr krank. Das Mißgeschick Einzelner vermehrt gewöhnlich die Summe der allgemeinen Fröhlichkeit, und Herrn Winterbodens Unfall hatte dieselbe Wirkung, wie derjenige des Herrn Squenz. Aber wo war der arme Squenz diese ganze Zeit über? Er hatte sich den eisernen Kessel holen lassen, in welchem die Suppe erwärmt worden war, und denselben mit Themsewasser gefüllt, um die verletzten Theile in das kühlende Element zu tauchen. Hier saß er und hielt seine Hände tief in's Wasser, als Herr Winterboden an dieselbe Stelle kam. Alsbald sah sich Herr Squenz durch den Anblick der Leiden seines Feindes getröstet. In der That trug dieser zur Milderung seiner Schmerzen mehr bei, als alles Themsewasser in der Welt. Er stand auf, ließ Winterboden mit aufgehobenen Händen an einen Baum gelehnt stehen, ging wieder zur Gesellschaft, und trank auf das Wohl aller Damen nach der Reihe, bis er sich angetrunken hatte.

Nach Verfluß von einer halben Stunde kehrte Herr Winterboden zitternd und bebend zurück, denn er war von einem Fieberfrost befallen worden. Ein paar Gläser Branntwein sollten ihn herstellen, und ehe der Tag sich neigte, waren Beide, Winterboden und Squenz, der eine durch den Gebrauch magenstärkender Reizmittel, der andere durch Ertränkung seiner Schmerzen in wiederholten Libationen (um so wenig, als möglich zu sagen) im Zustande angehender Trunkenheit. Aber Alles hat seine Zeit; auch die Zeit der Rückkehr war herbei gekommen. Der Abend war unter heitern Scherzen und Liedern vergangen. Zinnblatt hatte sein Horn versucht, und fiel nicht selten aus der Melodie; auch die Flöte vernachlässigte den Unterschied der längern und kürzern Noten, als etwas Unwesentliches; die Damen fanden die Herren etwas vorlaut: kurz, es war Zeit zum Aufbruch. Die Körbe wurden wieder gepackt und, um die Hälfte leichter als sie ausgeladen worden waren, wieder eingeschifft. Wein war wenig übrig geblieben und der Abtrag der Speisen kam, nach der Anordnung Titania's, den Ruderern zu gute; nur die Platten, Teller u. s. w. wurden wieder mitgenommen. Mit aufgeregten Lebensgeistern schiffte sich die Gesellschaft ein, und wir hatten die Ebbe für unsere Rückfahrt. In dem Augenblicke, als wir abstießen, erinnerte man sich, daß der Eiseimer nebst einem Korbe verschiedenen Inhalts unter dem Baume stehen geblieben war. Zwei Kähne waren bereits abgegangen; folglich wurden diese Gegenstände in unser Boot geschafft, in welchem wir wieder die gleiche Gesellschaft hatten, wie zuvor; nur Herr Western, alias Squenz, hatte das Packboot mit den Körben vorgezogen, weil er sich dort hinstrecken konnte, um die Hände über den Rand in's Wasser zu halten. Bei Herrn Winterboden zeigten sich bald die Wirkungen des Heilmittels, das er gegen die Wirkungen des Castoröls genommen hatte. Er war aufrührerisch und konnte, zur großen Angst Titania's und der übrigen Damen, nur mit Mühe vermocht werden, sich im Boote zu setzen. Mit Gewalt wollte er der Feenkönigin die Huldigung seiner Liebe darbringen; und da er seine Stellung beständig veränderte, um sie anzureden, und ihr zu Füßen zu fallen, so war wirklich Gefahr vorhanden, das Boot möchte umschlagen. Endlich rieth ihm Tom, sich auf den vor ihr stehenden Wassereimer zu setzen, da er sie von hier aus mit Sicherheit anreden könne; und Winterboden kletterte auf seinen Thron. In dem Augenblicke, als er sich setzte, nahm Tom den Deckel weg, und Winterboden sank in das halbflüssige Eis, war aber zu betrunken, um es zu bemerken. Er schwärmte und betheuerte, persiflirte und phantasirte, und war eben recht im Fluß, als Plötzlich die Menge Wärmestoff, die er entwickelte, ihre Wirkung äußerte. »Ich – ich – glaube wirklich, die Nacht ist feucht – der Thau fällt – der Sitz ist feucht, schöne Titania.«

»Nur Einbildung, Herr Winterboden,« versetzte Titania, der seine Lage Vergnügen machte. »Sommerbeinkleider sind des Abends kühl; es ist nur eine Entschuldigung, um von mir wegzukommen, aber ich spreche nie mehr ein Wort mit Ihnen, wenn Sie ihren Sitz verlassen.«

»Die schöne Titania, die Gebieterin meiner Seele – und meines Körpers, wenn es ihr gefällig ist – hat – nur zu befehlen – und ihr Sklave gehorcht.«

»Ich meine wirklich, es ist etwas feucht,« sagte Zinnblatt; »erlauben Sie mir, ein wenig Sand auf ihren Sitz zu streuen.« Und Zinnblatt zog eine große Papierdüte voll Salz hervor und streute dasselbe über das Eis.

Winterboden war zufrieden und blieb; aber als wir die Vauxhall-Brücke erreichten, war der Prozeß der Krystallisation des Wassers so vollständig vor sich gegangen, daß er in dem Eis fest saß, welches durch die Anwendung des Salzes an Härte zugenommen hatte. Er klagte über Kälte, zitterte und versuchte es, aufzustehen, konnte aber nicht wegkommen. Seine Zähne klapperten und er wurde endlich beinahe wieder nüchtern; aber in Folge der Wirkungen des Castoröls, der darauf folgenden Berauschung und seiner gegenwärtigen Erstarrung war er ganz hülflos. Er sprach immer weniger und weniger; endlich wurde er ganz still, und als wir am Stege zu Whitehall ankamen, war er fest in's Eis eingefroren. Wir machten ihn los, aber er konnte nicht gehen und wurde in einer Miethkutsche nach Hause gefahren.

»Es war grausam, ihn also zu strafen, Herr Zinnblatt,« sagte Titania.

»Eine grausame Strafe? Nun ja, eine Art von Einpfählung,« versetzte Herr Zinnblatt, ihr den Arm bietend.

Auch die übrige Gesellschaft landete und ging nach Hause. Ihr folgten die beiden Aufwärter, und also endete die Piknikpartie, welche, wie Tom sagte, der spaßhafteste Tag war, den er je erlebt hatte.


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