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Dreizehntes Kapitel.

In welchem ich mein eigenes Haus in Besitz nehme und denke, daß es ohne Frau sehr schlecht ausgestattet sei. Tom's Entlassung wird abgeschickt, trifft ihn aber zufälliger Weise nicht mehr. – Ich nehme meine neue Stellung in der Gesellschaft ein.

Bei meiner Ankunft wurde mir das Thor von der Frau des Gärtners geöffnet, welche mir eine tiefe Verbeugung machte. Bald darauf erschien der Gärtner mit dem Hute in der Hand. Alles war sauber und in guter Ordnung. Ich trat in's Haus und befreite mich so schnell als möglich von ihrer Dienstbeflissenheit. Ich wünschte allein zu sein. Ueberwältigende Gefühle drängten sich in meine Brust. Ich eilte in Herrn Turnbull's Studirzimmer und setzte mich in den Sessel, den er noch vor Kurzem selbst eingenommen hatte. Das stolze Bewußtsein des Besitzes, durch die Dankbarkeit gegen den Himmel und die Trauer über seinen Hintritt gemildert, kam über mich, und ich versank in eine Träumerei, in welcher ich lange verharrte. »Und all das, und noch mehr, noch vielmehr, ist mein,« rief ich im Geiste aus: »der Matrose vor dem Mast; der Fährmann auf dem Strome, der Armenschüler, die Waise ist jetzt im ruhigen Besitze der Ueppigkeit und des Reichthums. Was habe ich gethan, um dieß Alles zu verdienen?« Mein Herz sagte mir – nichts, oder wenn irgend etwas, auf jeden Fall etwas Werthloses, und meine Seele strömte in ein Dankgebet zum Himmel über. Nachdem ich diese Pflicht erfüllt hatte, war ich ruhiger und meine Gedanken verweilten auf meinem Wohlthäter. Ich übersah das Zimmer, die Zeichnungen, die Pelze und Felle, die Harpunen und andere Werkzeuge, Alles war noch an derselben Stelle, an welcher es gewesen war, als ich das letzte Mal Herrn Turnbull gesehen hatte. Ich erinnerte mich an seine Güte, seine Herzenseinfalt, an seine Redlichkeit, sein richtiges Gefühl, den wirklichen Werth seiner Seele, und vergoß Thränen über seinen Verlust. Dann gingen meine Gedanken auf Sarah Drummond über, und ich fühlte eine gewisse Beängstigung. Wird sie mich wohl wieder aufnehmen, oder wird sie immer noch daran denken, was ich gewesen bin? Ich gedachte ihrer Freundlichkeit, ihres Wohlwollens gegen mich, und wog diese Erinnerungen gegen meine jetzigen Verhältnisse, gegen meine Herkunft und meine frühere Beschäftigung ab. Ich konnte nicht errathen, auf welche Seite sich die Wagschale neigen würde. Bald werde ich es erfahren, dachte ich. Der morgende Tag schon wird mein Schicksal entscheiden. Die Frau des Gärtners pochte an der Thüre und kündigte mir an, daß mein Bett stehe. Ich legte mich schlafen und träumte von Sarah, dem jungen Tom, dem Domine und Marie Stapleton.

Früh am andern Morgen stand ich auf und eilte in den Gasthof. Nachdem ich meine Person so schön als immer möglich herausgeputzt hatte, so daß ich selbst keine geringe Freude darüber hatte, ging ich zu Herrn Drummond. Ich pochte an die Thür; und dießmal ließ man mich nicht in der Halle warten, sondern führte mich sogleich in's Gastzimmer. Sarah Drummond saß allein an einer Zeichnung. Mein Name wurde gemeldet, und ich trat ein. Sie sprang vom Stuhle auf und erröthete tief, als sie mir entgegenging. Wir reichten uns schweigend die Hände. Ich war athemlos von innerer Bewegung. Nie war sie mir so schön vorgekommen. Keines von beiden Theilen wollte das Schweigen brechen. Endlich stammelte ich: »Fräulein Drummond –« und verstummte.

»Herr Ehrlich,« versetze sie, und fuhr dann nach einer Pause fort – »wie albern das ist: ich hätte Ihnen zu Ihrer glücklichen Heimkehr und zu dem Ihnen zugefallenen Vermögen Glück wünschen sollen, und in der That, Herr Ehrlich, Niemand kann das aufrichtiger thun.«

»Fräulein Drummond,« erwiederte ich verwirrt, »als ich eine Waise, ein Armenschüler und ein Fährmann war, nannten Sie mich Jacob: wenn Sie durch die Aenderung meiner Verhältnisse betrogen werden, mich in so förmlicher Weise anzureden – wenn wir in Zukunft auf einem so ganz fremden Fuße stehen sollen – so kann ich blos sagen, ich möchte wieder – Jacob Ehrlich, der Fährmann, sein.

»Bedenken Sie aber,« versetzte sie, »daß es ihre eigene Wahl war, ein Fährmann zu sein. Sie hätten etwas Anderes – etwas ganz Anderes werden können. Sie könnten jetzt der Geschäftstheilhaber meines Vaters sein, das sagte er erst gestern Abend, als wir von Ihnen sprachen. Aber Sie wiesen Alles zurück. Sie warfen Ihre Erziehung, Ihre Talente, Ihre guten Eigenschaften aus einem thörichten Stolze weg, den Sie für Unabhängigkeit hielten. Mein Vater demüthigte sich beinahe vor Ihnen – nicht als ob es eine Demüthigung wäre, wenn man einen begangenen Fehler anerkennt und wieder gut zu machen sucht, aber er that mehr, als man von den meisten Leuten hätte erwarten können. Ihre Freunde sprachen Ihnen zu, aber Sie verschmähten ihren Rath, und was noch unverzeihlicher war, sogar ich vermochte nichts über Sie. So lange Sie sich straften, machte ich Ihnen keine Vorwürfe, aber jetzt, da Sie so glücklich geworden sind, sage ich Ihnen offen –«

»Was?«

»Daß es mehr ist, als Sie verdient haben – weiter Nichts.«

»Sie sagen damit nichts als die Wahrheit, Miß Drummond. Ich war sehr stolz und sehr thöricht; aber ich habe meine Thorheit schon lange vorher bereut, ehe ich gepreßt wurde – auch gestehe ich aufrichtig, daß ich das Glück, das mir geworden ist, nicht verdiene. Kann ich mehr sagen?«

»Nein; ich bin mit Ihrer Reue und Ihrem Geständniß zufrieden. Und jetzt mögen Sie sich setzen und sich's bequem machen.«

»Bevor ich dieß thue, erlauben Sie mir die Frage, wie ich Sie anzureden habe, da Sie mich als Herr Ehrlich anreden? Ich möchte nicht unhöflich erscheinen.«

»Mein Name ist Miß Drummond, aber diejenigen, mit welchen ich vertraut bin, nennen mich Sarah.«

»Darauf kann ich erwiedern, mein Name ist Ehrlich, aber diejenigen, mit welchen ich vertraut bin, nennen mich Jacob.«

»Sehr wahr; aber erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß Sie sehr wenig Takt besitzen. Sie sollten eine Dame nie in die Enge treiben. Erscheine ich beleidigt, wenn Sie mich Sarah nennen, so werden Sie weise thun, auf Miß Drummond zurückzukommen. Aber warum betrachten Sie mich so aufmerksam?«

»Ich kann mir nicht helfen und muß um Verzeihung bitten; aber Sie haben, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, in Ihrem Aeußern noch so sehr gewonnen, und ich dachte, Niemand könne vollkommener sein, aber –«

»Gut, das ist kein übler Anfang, Jacob. Ich höre gern von meinen Vollkommenheiten reden. Nun folgt aber Ihr Aber.«

»Ich weiß kaum, was ich sagen wollte, aber ich glaube, es war das, daß ich fühle, ich darf, ich kann sie nicht anders anreden, als Miß Drummond.«

»Oho! Sie haben sich eines Andern besonnen, nicht wahr? Gut, ich fange an zu glauben, Sie nehmen sich in Ihrer gegenwärtigen Kleidung so gut aus und sind eine so ganz andere Person geworden, daß ich Sie durchaus nicht anders anreden darf, als Herr Ehrlich. Jetzt sind wir also eins.«

»Das ist's nicht, was ich sagen wollte.«

»Nun, so lassen Sie hören, was Sie denn eigentlich sagen wollten.«

Diese verfängliche Frage forderte zum Glück keine Antwort, denn Herr Drummond trat in's Zimmer und reichte mir seine Hand.

»Mein lieber Jacob,« sagte er im freundlichsten Tone. »Ich bin entzückt, dich wieder zu sehen und das Vergnügen zu haben, dir zu deiner Erbschaft Glück zu wünschen. Aber du hast Geschäfte, welche keinen Aufschub gestatten. Du mußt das Testament bestätigen lassen und deine Angelegenheiten bei den Männern des Gesetzes so schnell wie möglich in Ordnung bringen. Willst du mit mir kommen? Alle Papiere liegen unten, und ich habe den ganzen Morgen frei. Zu Tisch kommen wir wieder, Sarah, wenn Jacob nicht sonst versagt ist.«

»Ich bin nirgends versagt,« erwiederte ich, »und schätze mich sehr glücklich, von Ihrer Güte Gebrauch zu machen. Miß Drummond, ich wünsche Ihnen einen guten Morgen.«

» Au revoirs, Herr Ehrlich,« erwiederte Sarah mit einer höflichen Verbeugung und einem spöttischen Lächeln.

Herrn Drummonds Benehmen gegen mich war sehr freundlich und väterlich, und während der Beschäftigung dieses Morgens füllten sich meine Augen oft mit Thränen. Die dringendste Arbeit war vollendet und eine Besprechung mit Herrn Turnbulls Sachwalter leitete das Uebrige ein; aber wir wurden so spät damit fertig, daß ich keine Zeit mehr hatte, mich umzukleiden.

Bei meiner Rückkehr empfing mich Frau Drummond mit ihrer gewohnten Güte. Ich erzählte während des Abends meine Erlebnisse, seit wir uns das letzte Mal gesehen, und ergriff diese Gelegenheit, Herrn Drummond zu versichern, wie bitter ich meine Thorheit und – ich darf hinzusetzen – meine Undankbarkeit gegen ihn bereut habe.

»Jacob,« sagte er, als wir mit Frau Drummond und Sarah beim Thee saßen, »als du dich noch um Schillinge auf dem Strome abmühtest, wußte ich, daß du der Erbe von Tausenden werden würdest, denn ich beurkundete nicht nur, sondern las auch Herrn Turnbulls Testament; aber ich war der Meinung, du bedürfest einer Lehre, die du in deinem ganzen Leben nicht mehr vergessest. Es gibt keine Unabhängigkeit in der Welt, außer im Zustande der Wildheit. In der Gesellschaft hängen wir Alle gegenseitig von einander ab. Unabhängigkeit des Geistes können wir haben, aber mehr nicht. Als Fährmann warst du von deinen Kunden abhängig, wie jeder Arme von demjenigen abhängig ist, der mehr besitzt; und indem du meine Anerbietungen ausschlugest, warst du genöthigt, bei Andern Beschäftigung zu suchen. Die Reichen sind ebenso auf Andere angewiesen, wie die Armen, denn sie hängen von denselben in Bezug auf Nahrung, Kleider, Bedürfnisse und Genüsse ab. Und so wird es stets in der Gesellschaft bleiben. Je mehr sich die Gesellschaft verfeinert – je mehr sich ihre einzelnen Theile ausbilden, desto größer wird die gegenseitige Abhängigkeit. Inzwischen ist das ein Irrthum, der aus erhabenen Gefühlen entspringt und darf deßhalb nicht allzu streng getadelt werden; bedenke übrigens, wie Viel dir verloren gegangen wäre, hättest du dir nicht einen Freund, wie Herr Turnbull, erworben, und hätte dich nicht der Tod dieses Freundes so bald in den Besitz deines ererbten Reichthums gesetzt.«

Ich erkannte bereitwillig die Wahrheit dieser Bemerkungen an. Der Abend verging so schnell, daß es Mitternacht wurde, bis ich aufstand, um mich zu verabschieden; auch kehrte ich so glücklich und dankerfüllt, als nur irgend ein Sterblicher, in meinen Gasthof zurück. Am folgenden Tage bezog ich das mir von Herrn Turnbull hinterlassene Haus; auch schaffte ich mir zuerst einen Kahn an, denn die Macht der Gewohnheit war so stark, daß ich nicht ohne einen solchen leben konnte. Die Hälfte meiner Zeit brachte ich nun auf dem Strome zu, indem ich jeden Tag zu Herrn Drummond's hinunterfuhr und Abends oder in später Nacht zurückkehrte. So verstrichen zwei Monate, während deren ich von Zeit zu Zeit auch den Domine, den tauben Stapleton und den alten Tom Beazeley besuchte. Ich hatte mir alle Mühe gegeben, Toms Entlassung auszuwirken, und endlich wurde mir das Vergnügen, den alten Leuten sagen zu können, daß sie mit dem nächsten Packetboote abgehe. Von Herrn Drummond's wurde ich wie ein Mitglied der Familie behandelt – ich war oft Stundenlang mit Sarah allein, und ob ich es gleich noch nie gewagt hatte, meinen Gefühlen Worte zu geben, so schienen sie doch sowohl von den Eltern, als auch von Sarah selbst wohl verstanden zu werden.

Zwei Tage, nachdem ich dem alten Paare die willkommene Nachricht gebracht hatte, saß ich eben beim Frühstück und ließ mich vom Gärtner und seiner Frau bedienen (denn ich hatte meinen Hausstand nicht vermehrt), als ich plötzlich durch die Erscheinung des jungen Tom überrascht wurde. Er trat wie gewöhnlich lachend in's Zimmer und reichte mir seine Hand.

»Tom!« rief ich, »wie kommst du hierher?«

»Zu Wasser, Jacob, wie du dir vorstellen kannst.«

»Aber wie hast du deine Entlassung erhalten? Ist das Schiff zurückgekommen?«

»Ich hoffe nicht; die Sache ist, daß ich mich selbst entlassen habe, Jacob.«

»Wie! Du bist ausgerissen?«

»Eben das. Ich hatte drei Gründe dazu. Erstens konnte ich ohne dich nicht bleiben, zweitens schrieb mir meine Mutter, Marie ziehe mit einem Rothrock umher, und drittens stand ich auf der Strafliste und sollte gepeitscht werden, was mir der Kapitän bei seinen Epauletten zugeschworen hatte.«

»Gut, setze dich und erzähle mir Alles. Du weißt, daß deine Entlassung ausgewirkt ist?«

»Ja, ich danke dir. Um so besser, denn jetzt werden sie mich nicht suchen. Ende gut, Alles gut. Nachdem du fort warst, befand ich mich vermuthlich nicht in der besten Laune, und der Schurke von Steuermannsgehülfen, der uns gepreßt hatte, hielt es für gut, mich unerträglich zu quälen. Eines Tages nannte er mich einen erbärmlichen Lügner. Ich vergaß, daß ich am Bord eines Kriegsschiffes war und erwiederte, er sei ein verfluchter Betrüger, und es wäre besser, er bezahlte mir die zwei Guineen, die er mir noch für die Fahrt schuldig sei. Er meldete es auf dem Hinterdeck, daß ich ihn einen Betrüger genannt hätte, und Kapitän Maclean, der, wie du weißt, keinen Spaß versteht, nahm uns beide in's Verhör. Endlich sagte er, der Steuermannsgehülfe habe sich nicht wie ein Offizier oder ein Gentleman benommen und solle deßhalb das Schiff verlassen, übrigens vertrage sich meine Sprache gegen einen Vorgesetzten nicht mit der Dienstordnung, und ich solle ordentlich gepeitscht werden. Nun weißt du, Jacob, wenn auch die Offiziere ihre Schulden nicht bezahlen, so bezahlt sie doch Kapitän Maclean und vergißt obendrein auch die Zinsen nicht. Weil ich also fand, ich sei in der Klemme und es sei kein Mißverstand, so schwamm ich in der Nacht vor dem Ostermontag an's Land und ging nach Miramichi, ohne ein anderes Abenteuer als einen kleinen Kampf mit einem Marinesergeanten, den ich ungefähr drei Meilen von der Stadt als todt auf dem Platz liegen ließ. In Miramichi ging ich an Bord eines Holzschiffes und hier bin ich.«

»Nichtsdestoweniger thut es mir leid, daß du ausgerissen bist,« erwiederte ich; »es könnte zu bösen Händeln führen.«

»Fürchte nichts: die Leute auf dem Strome wissen, daß ich meine Entlassung habe, und deßhalb bin ich sicher.«

»Haft du Marie gesehen?«

»Ja, und 's ist Alles richtig auf dieser Seite. Ich baue mir einen neuen Kahn, trage mein Zeichen und meine Kleidung und bleibe oberhalb der Brücke. Wenn ich dann Alles in's Reine gebracht habe, so heirathe ich und wohne bei dem alten Paare.«

»Aber wird Marie damit einverstanden sein, dort zu wohnen? Es ist so still und einsam, daß es ihr nicht behagen wird.«

»Marie Stapleton hat sich ein großes Ansehen gegeben und ist stets ihren besonderen Weg gegangen. Marie Beazeley wird thun, was ihr Mann wünscht, oder ich will den Grund davon wissen.«

»Wir werden sehen, Tom. Junggesellenweiber, heißt es, lassen sich stets am besten leiten. Aber jetzt bedarfst du Geld, um dir ein Boot zu bauen.

»Ja, wenn du mir welches lehnen willst; ich möchte es den alten Leuten nicht abnehmen und will dir's heimzahlen, wenn ich kann, Jacob.«

»Nein, du mußt dieß von mir annehmen, Tom, und wenn du heirathest, noch mehr,« erwiederte ich und händigte ihm die Banknoten ein.

»Von Herzen gern, Jacob. Ich bin nie im Stande, dir zu bezahlen, was du für mich gethan hast, und so kann ich die Schuld wohl noch vergrößern.«

»Ein guter Schluß, Tom.«

»So gut als deine Unabhängigkeit, nicht wahr, Jacob?«

»Besser, viel besser, wie ich auf eigene Kosten erfahren habe,« erwiederte ich lachend.

Tom verzehrte sein Frühstück vollends und nahm Abschied. Nach dem Mahle ging ich wie gewöhnlich nach dem Bootschuppen, band meinen Kahn los, und ruderte den Strom hinauf, was ich bisher noch nicht gethan hatte, da meine Anhänglichkeit an Sarah den Bug meines Kahnes unabänderlich nach der entgegengesetzten Richtung lenkte. Ich fuhr an den verschiedenen Landsitzen der Stromufer vorbei, bis ich dem Gute Herrn Wharncliffe's gegenüber lag und eine Dame bei einem Herrn im Garten erblickte. Augenblicklich erkannte ich sie, und da sie nahe an der Mauer standen, trieb ich hin, um sie zu begrüßen.

»Erinnern Sie sich noch meiner?« fragte ich lächelnd.

»Ja,« erwiederte die Dame, »ich erinnere mich Ihrer Züge – wahrhaftig – es ist Ehrlich, der Fährmann.«

»Nein, ich bin kein Fährmann; ich mache nur eine Lustfahrt in meinem Boote.«

»Kommen Sie herauf,« versetzte Herr Wharncliffe; »wir können uns in dieser Entfernung die Hände nicht reichen.«

Ich band meinen Nachen fest und trat zu ihnen. Sie empfingen mich sehr herzlich.

»Ich dachte mir, Sie wären kein Fährmann, Herr Ehrlich,« sagte Herr Wharncliffe, »ob Sie sich gleich für einen solchen ausgaben; warum täuschten sie uns hierin?«

»Ich täuschte Sie nicht; ich war damals aus Liebhaberei und Thorheit wirklich ein Schiffer, jetzt bin ich keiner mehr.«

Wir waren bald vertraut, und ich erzählte ihnen einen Theil meiner Abenteuer. Sie versicherten mich ihrer innigsten Dankbarkeit und baten mich, ihre Freundschaft anzunehmen.

»Wollen Sie eine kleine Fahrt auf dem Wasser machen? Es ist ein sehr schöner Tag, und wenn sich Madame Wharncliffe mir anvertrauen mag –«

»O! mir ist's ganz recht. Bist du dabei, Wilhelm? Ich will nur meinen Shawl holen.«

In wenigen Minuten waren wir alle drei eingeschifft, und ich ruderte nach meiner Villa. Sie hatten die Schönheit der verschiedenen Landsitze an den Ufern der Themse bewundert.

»Wie gefällt Ihnen dieser?« fragte ich Frau Wharncliffe.

»Sehr gut; er scheint mir einer der schönsten zu sein.«

»Dieß ist der meinige,« erwiederte ich. »Wollen Sie mir erlauben, Ihnen denselben zu zeigen?«

»Der Ihrige?«

»Ja, der meinige; aber ich habe einen sehr kleinen Hausstand, denn ich bin Junggeselle.«

Wir landeten, und nachdem wir das Gut durchwandelt hatten, gingen wir in das Haus.

»Erinnern Sie sich dieses Zimmers?« fragte ich Herrn Wharncliffe.

»Ja, ich entsinne mich desselben: hier wurde die Büchse geöffnet, und meines Oheims – doch wir dürfen nicht mehr davon sprechen: er ist todt.«

»Todt?«

»Ja; er richtete sein Haupt nicht mehr empor, nachdem seine Unredlichkeit entdeckt war. Er kränkelte und starb nach drei Monaten mit aufrichtiger Reue über seinen Versuch.«

Als ich sie nach ihrem Landsitze zurückruderte, nahm ich ihre Einladung zum Mittagessen an, und hatte später das Vergnügen, sie unter meine aufrichtigsten Freunde zu zählen. Durch sie wurde ich bei Lady Auburn und vielen andern Familien eingeführt, und ich werde die alte Haushälterin nie vergessen. Sie erkannte mich eines Tags, als ich von Lady Auburn eingeladen war. »Gott helfe mir!« rief sie, »welche Streiche machen doch die jungen Herrn. Denke nur einmal Einer, bitten mich um Wasser und ich schlage Ihnen das Thor vor der Nase zu und ließ Sie nicht einmal ausruhen. Aber wenn sich die jungen Herrn verkleiden, so ist's ihre eigene Schuld, und sie mögen die Folgen tragen.«

Meine Bekanntschaften vermehrten sich äußerst schnell, und ich hatte das Glück, in die besten Gesellschaften Eingang zu gewinnen. Kaum brauche ich zu bemerken, daß dieß ein großer Vortheil für mich war, denn wenn man mich auch nicht gerade für einen plumpen Gesellen hielt, so fehlte es mir doch an jener feinen Bildung, die man sich nur in guter Gesellschaft aneignen kann. Die Gerüchte, die sich über mich verbreiteten, waren sehr mannigfaltig; im Allgemeinen hielt man mich für einen jungen Mann von trefflicher Erziehung, der sich ohne Mühe hätte emporschwingen können, wäre er nicht leidenschaftlich für den Strom eingenommen gewesen und aus reiner Liebhaberei ein Kahnführer geworden, worauf er zu einem großen Vermögen gekommen sei und endlich seine wahre Stellung in der Gesellschaft eingenommen habe. Wie weit hier das Falsche mit dem Wahren vermischt war, können diejenigen beurtheilen, welche meine Abenteuer gelesen haben. Ich für meinen Theil bekümmerte mich wenig darum, was man sagte, und gab mir keine Mühe, die verschiedenen Behauptungen zu widerlegen. Meiner Geburt schämte ich mich nicht, weil sie keinen Einfluß auf Herrn Drummond's äußerte, aber ich kannte die Welt zu gut, um es für nöthig zu finden, sie auszuposaunen. Im Ganzen neigte sich die Wage zu meinen Gunsten. Es lag etwas Romantisches in meiner Geschichte, das mir, in Verbindung mit meinem jetzigen Reichthume, durch die anziehenden Wechselfälle überall eine gute Aufnahme bereitete und eine freundliche Aufmerksamkeit sicherte. Ein Umstand kam mir sehr wohl zu Statten – meine ausgebreitete Belesenheit, verbunden mit der klassischen Bildung, die ich genossen hatte. Selten gibt sich in der Gesellschaft Gelegenheit, wo man seine Kenntnisse zeigen kann; aber wenn es vorkömmt, machen sie Eindruck. Und so senkte die Erziehung die Schale zu meinen Gunsten, und Jedermann war geneigter, das Falsche in meiner Geschichte zu glauben, als das Wahre.


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