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Achtes Kapitel.

Die Wärme meiner Dankbarkeit, bewiesen durch ein sehr kaltes Zeugniß. – Der Weg zum Glück mag bisweilen über's Eis führen. – Der meinige lag unter dem Eis. – Amor vincit omnia, nur nicht meine Hartnäckigkeit, ein Satz, den der junge Tom und der alte Domine später auf ihre Kosten erproben.

Viele Tage lang hielt der Frost an, bis endlich der Strom überfroren war, und aller Verkehr auf demselben aufhörte. Stapleton 's Geld ging auf die Neige, unsere Einnahme wurde immer schlechter, und Marie erklärte, wir müßten sämmtlich bei den Marktgärtnern betteln gehen, wenn es noch lange so fortdaure.

»Ich muß hinauf zu Herrn Turnbull und ihn bitten, mir auszuhelfen,« sagte Stapleton eines Tages, seinen letzten Schilling aus der Tasche nehmend und auf den Tisch legend. »Ich bin auf dem Trockenen; aber's ist ein guter Herr, er wird mir eine Kleinigkeit leihen. Am Nachmittag kehrte Stapleton zurück, und ich sah aus seinen Blicken, daß er seinen Zweck erreicht hatte. »Jacob,« sagte er, »Herr Turnbull wünscht dich morgen zum Frühstück bei sich zu sehen.«

Mit Tagesanbruch machte ich mich auf den Weg, und kam zu guter Zeit zum Frühstück. Herr Turnbull war so gütig wie immer, und erzählte mir lange Geschichten von dem Eis in den nördlichen Gegenden.

»Beiläufig gesagt, ich höre, sie braten in der Nähe der Londoner Brücke einen ganzen Ochsen, Jacob; wie wär's, wenn wir hingingen und den Spaß mit ansähen?«

Ich war's zufrieden, und wir fuhren mit einer Brenntford-Kutsche bis an die Ecke von Queen-street, wo wir ausstiegen, um zu Fuße an den Strom hinabzugehen. Die Scene war höchst vergnüglich und lebendig. Allenthalben waren Buden mit fliegenden Fahnen auf dem Eise errichtet; die Leute gingen hin und her, und einige liefen Schlittschuh, wiewohl das Eis für diesen Zeitvertreib zu rauh war. Der ganze Strom war mit Menschen bedeckt, welche jetzt sicher umherwandelten, wo sie einen Monat früher den Tod gefunden hätten. Da und dort stieg der Rauch von verschiedenen Feuern empor, an welchen Würste und andere Eßwaaren zubereitet wurden; aber die Hauptaufmerksamkeit erregte der Ochse, der hart am Mittelpfeiler gebraten wurde. Obgleich das Eis an diesem Orte, wo so viele Hunderte versammelt waren, etwas gesunken schien, so hatte man doch nichts zu befürchten, indem es vier bis fünf Fuß dick war. Hin und wieder fanden sich freilich sogenannte faule Stellen; wo das Eis nicht ganz fest war; aber diese waren durch Anschlagtafeln bezeichnet, welche das Volk warnten, ihnen nicht nahe zu kommen; und neben ihnen lagen Seile und Stangen, mit denen man erforderlichen Falls Hülfe leisten konnte. Wir belustigten uns einige Zeit an der Heiterkeit der Scene, denn die Sonne schien hell und der Himmel war rein. Dabei wehte ein scharfer Nordwind, und im Schatten war es empfindlich kalt, denn das Thermometer zeigte damals wie man sagte, achtundzwanzig Grad unter dem Gefrierpunkt. Wir waren ungefähr drei Stunden lang auf dem Eise, und freuten uns des lustigen Treibens, als Herr Turnbull zur Heimkehr rieth. Wir gingen den Strom hinauf bis zur Dominikanerbrücke, wo wir im Sinne hatten, an's Land zu steigen, um bei Charing-Croß eine Kutsche zu nehmen.

»Ich möchte nur wissen, wie es jetzt mit der Fluth steht,« sagte Herr Turnbull zu mir; »aber das wird wohl schwer auszumitteln sein.«

»O nein, wenn ich nur ein Loch fände,« versetzte ich, mich umschauend. »Halt, hier ist eins.«

Ich warf ein Stück Eis hinein und fand, daß es starke Ebbe war. Wir setzten unsern Weg auf dem Eise fort. Es wurde immer rauher. Plötzlich fiel Herrn Turnbull der Hut herunter. Der Wind erfaßte ihn und trieb ihn mit reißender Schnelligkeit über das Eis weg. Wir jagten ihm Beide nach, aber kaum vermochten wir nachzukommen, geschweige denn, ihn einzuholen. Die Leute auf dem Strome lachten, wie wir an ihnen vorüberrannten, und folgten uns mit den Blicken. Herr Turnbull hatte einen Vorsprung vor mir, und unachtsam in der Verfolgung, entging ihm eine lange Strecke faulen Eises, die vor ihm lag. Auch ich bemerkte sie nicht, bis ich auf einmal krachen hörte und Herrn Turnbull verschwinden sah. Eine Menge Leute standen in der Nähe, und ein Seil war über die Stelle gelegt, um die Gefahr zu bezeichnen. Ich zögerte keinen Augenblick, denn ich liebte Herrn Turnbull, und zwar mit einer Wärme, die meiner Empfindlichkeit gegen Kränkung gleichkam. Ich ergriff das Ende des Seiles, wickelte es um meinen Arm und sprang hinein, indem ich des Umstandes gedachte, daß wir Ebbe hatten; es war ein Glück für Herrn Turnbull, daß er zufälliger Weise die Frage gestellt hatte. Ich sank unter das Eis, trieb den Strom hinab und in wenigen Sekunden fühlte ich mich von dem umklammert, den ich suchte; beinahe in dem nämlichen Augenblicke wurde das Seil von oben angezogen. Weil es Widerstand fand, wußten die Leute, daß wenigstens ich daran befestigt war, und sie zogen schneller. Dennoch hatte ich bereits das Bewußtsein verloren; aber ich klammerte mich mit der Kraft eines Ertrinkenden an das Seil; eben so fest hatte sich Herr Turnbull an mich geklammert, und bald darauf kamen wir an das Loch, in welches wir gestürzt waren. Eine Leiter wurde herübergelegt; zwei Männer von der Rettungsgesellschaft kamen zu unserem Beistand herbei und zogen uns heraus, worauf sie zurückwichen und uns auf der Leiter nach einem sicheren Orte brachten. Wir waren noch immer Beide bewußtlos; aber nachdem man uns in ein Wirthshaus am Strome getragen und zu Bette gelegt hatte, erholten wir uns schnell unter dem Beistande des herbeigerufenen Arztes. Am folgenden Morgen waren wir im Stande, nach Brentford zurückzufahren, wo unsere Abwesenheit große Unruhe verursacht hatte. Herr Turnbull sprach die ganze Zeit über wenig, drückte mir aber wiederholt die Hand. Als ich ihn ersuchte, mich bei Fulham aussteigen zu lassen, damit ich Stapleton und seine Tochter beruhigen könne, ließ er sich's mit den Worten gefallen:

»Gott segne dich, mein braver Junge, ich werde dich bald wieder sehen.«

Als ich in Stapleton's Hause die Treppe hinaufkam, fand ich Marie allein. Sobald sie mich sah, sprang sie auf und rief halb weinend, halb lächelnd:

»Wo bist du gewesen, du böser Junge?«

»Unter dem Eise,« erwiederte ich, »und thaute erst diesen Morgen wieder auf.«

»Im Ernst, Jacob?« sagte sie; »o quäle mich nicht, ängstige mich nicht, denn ich bin schon genug in Nöthen gewesen. Ich habe die ganze Nacht kein Auge geschlossen.«

Ich erzählte ihr den Vorfall.

»Ich wußte doch, daß etwas geschehen sein mußte,« versetzte sie; »aber der Vater wollte mir's nicht glauben. Du hattest mir's versprochen, nach Hause zu kommen, um mir meine Stunde zu geben, und ich weiß, du brichst dein Wort nie; aber der Vater rauchte und schüttelte den Kopf, und sagte, wenn junge Burschen sich lustig machen, vergessen sie ihre Versprechen, und das sei nichts als Menschennatur. O Jacob, wie bin ich doch so froh, daß du wieder da bist, und nach dem, was vorgegangen, will ich dir's nicht verargen, wenn du mich einmal küssest.«

Und Marie hielt mir ihren Mund hin und erwiederte meinen Kuß.

»Das muß ich dir aber sagen,« bemerkte sie lachend, »jetzt hast du wieder auf lange hinein genug, und darfst an keinen Kuß mehr denken, bis du wieder unter dem Eise gewesen bist.«

»Dann wird dieß wohl der letzte sein,« erwiederte ich lachend.

»Du liebst mich nicht; Jacob,« versetzte Marie, »sonst würdest du nicht so geantwortet haben.«

Ich hatte Marien so ziemlich kennen gelernt. Ob sie gleich sehr coquett war, so hatte sie doch manche treffliche und liebenswürdige Eigenschaften. Für die ersten acht Tage schienen ihres Vaters Erzählungen aus seinem Leben, und seine Bemerkungen über ihre Mutter, einen entschiedenen Eindruck auf sie gemacht zu haben, und ihr Benehmen war weit ernster und gesetzter, aber als sich die Erinnerung daran nach und nach verlor, wurde ihr Benehmen wieder so gefallsüchtig und flatterhaft, wie vorher. Dennoch war es unmöglich, ihr nicht gut zu sein, und bei all' ihren Launen hatte sie einen reichen Schatz wirklicher Herzensgüte und Liebenswürdigkeit, der sich nie verbarg, wenn er in Anspruch genommen wurde. Oft dachte ich daran, wie gefährlich und verführerisch sie sein müsse, wenn sie vollends erwachsen wäre. Um sie lesen und schreiben zu lehren, hatte ich die Bücher wieder hervorgesucht, die ich im Unwillen auf die Seite geworfen. Sie machte reißende Fortschritte, und würde noch schneller gelernt haben, hätte sie nicht eben so eifrig darnach getrachtet, mich in sie verliebt zu machen, als sie darnach strebte, die Schwierigkeiten des Wissens zu überwinden. Aber sie war noch sehr jung, und ob es gleich, wie ihr Vater sagte, in ihrer Natur lag, den Männern nachzulaufen, so hatte man doch allen Grund zur Hoffnung, ein paar Jahre werden sie weniger flüchtig machen und die tief in ihr liegenden guten Eigenschaften vollends ausbilden. In Herz und Gefühl war sie ein bescheidenes Mädchen, wiewohl sie die Unstätigkeit ihres Geistes oft über die Gränzen des strengen Anstandes führten, und bisweilen eine glühende Röthe über ihr belebtes Gesicht goßen, wenn sie ihr gesunder Verstand oder die Bemerkungen Anderer darauf aufmerksam machten, daß sie zu weit gegangen war. Unmöglich konnte man Marien kennen, ohne sie liebzugewinnen, obgleich sie bei einem zufälligen Zusammentreffen auf Leute von strenger Denkungsart nicht den günstigsten Eindruck machte. Was mich betrifft, muß ich sagen, daß ich, je länger ich in ihrer Gesellschaft war, desto mehr von ihr angezogen und mit Achtung gegen sie erfüllt wurde.

Abends kam der alte Stapleton nach Hause. Er war, wie gewöhnlich, im Wirthshaus zu den Federn gewesen, wo er geraucht und über Menschennatur nachgedacht hatte. Ich erzählte ihm, was vorgefallen war; er wurde so sehr davon ergriffen, daß er für Marien und mich einen Extrakrug Bier bringen ließ, und darauf bestand, daß wir ihn allein austrinken müßten – einen stärkern Beweis von Wohlwollen konnte er uns nicht geben.

Obgleich Kapitän Turnbull sich von den Wirkungen des Unfalls erholt zu haben schien, so war dieß doch nicht der Fall, denn am folgenden Morgen wurde er von einem Schüttelfrost und Hüftschmerzen ergriffen, woraus sich ein ordentliches Fieber entwickelte, das ihn auf drei bis vier Wochen an's Bett fesselte. Ich spürte keine üblen Folgen; allein die Konstitution eines jungen Menschen ist solchen heftigen Stößen eher gewachsen, als der Körper eines Sechszigers, dessen Gesundheit schon durch Anstrengungen und Mühseligkeiten untergraben ist. Da der Frost immer noch anhielt, willfahrte ich dem Wunsche Kapitän Turnbull's, zu ihm zu kommen und in seinem Hause zu wohnen, wo ich viele Tage lang sein beständiger Krankenwärter war, bis er sich endlich im Stande sah, das Bett zu verlassen. Der Hauptgegenstand unseres Gespräches war meine Zukunft. Er drückte den Wunsch aus, ich möchte mich irgend einem Berufe oder Gewerbe widmen, wobei ich mehr Aussicht hätte, in der Welt emporzukommen; aber über diesen Punkt war mein Entschluß gefaßt, und eben so einig war ich mit mir darüber, daß ich in Zukunft nie mehr eine Verbindlichkeit gegen irgend Jemand eingehen wollte. Ich konnte das Unrecht, das mir widerfahren war, nicht aus meinem Gedächtnisse tilgen, und mein gekränkter Geist brütete unaufhörlich darüber. Unabhängigkeit und Freiheit war meine Losung. Ich fühlte, daß ich mich in der Gesellschaft, worin ich mich bewegte, unter meines Gleichen befand, oder die Ueberlegenheit, wenn je von einer solchen die Rede sein konnte, auf meiner Seite war, da ich doch wenigstens eine Erziehung genossen hatte; und deßhalb wollte ich mich nie wieder in den Kreis Derjenigen mischen, die über mir standen – ein Kreis, in den ich nur aus besonderer Gunst zugelassen und wo ich von den meisten verächtlich angesehen wurde, während ich zugleich stets der Gefahr ausgesetzt war, im ersten Anfalle von übler Laune ausgewiesen zu werden, wie sich der Fall schon einmal ereignet hatte. Indessen hatte ich die größte Zuneigung zu Kapitän Turnbull. Er war immer gütig gegen mich gewesen und hatte mich im Gespräch stets auf dem Fuße der Gleichheit behandelt, ohne sein Benehmen gegen mich je zu ändern. Zudem hatte der letzte Zufall meine Gefühle gegen ihn gesteigert; denn diejenigen, denen wir einen Dienst geleistet haben, wachsen in unserer Achtung, und mein Stolz wurde durch den Gedanken gemildert, daß mir Turnbull selbst mit dem besten Willen niemals die Rettung seines Lebens vergelten konnte, wenn ich es ihm auch gestatten würde. Gegen ihn nährte ich die innigste Zuneigung – gegen diejenigen, welche mich ungerecht behandelt hatten, einen unbegränzten Haß, gegen die Welt überhaupt aber ein gemischtes Gefühl, das ich nicht zergliedern kann, und was mich selbst betrifft, eine Liebe zur Freiheit und Unabhängigkeit, die mir nichts auf Erden hätte rauben können. Ich verletzte nicht gerne Kapitän Turnbull's Gefühle durch eine unumwundene Zurückweisung aller seiner Diensterbietungen und Bemerkungen über die Vortheile, die daraus entsprängen, weßhalb ich gewöhnlich ausweichende Antworten gab. Als er aber an dem Tage, der schon früher zu meiner Abreise bestimmt worden war, plötzlich mit der Sprache herausrückte und mir sein ganzes Vermögen anbot, indem er bemerkte, daß er kinderlos sei, und ich folglich durch die Annahme dieses Erbietens keinen Menschen beeinträchtigen würde – als er mich bei der Hand nahm, mich zu sich zog, seinen Arm um mich schlang, in dem liebevollen Tone eines Vaters zu mir sprach und mich beinahe um meine Einwilligung bat – da rannen Thränen der Dankbarkeit über meine Wangen. Demungeachtet blieb jedoch mein Entschluß fest, obgleich meine Stimme zitterte, als ich antwortete:

»Sie sind sehr gütig gegen mich gewesen, Sir – sehr gütig – ich will es nie vergessen; und ich hoffe, ich werde es verdienen – aber – Herr Drummond, und Frau Drummond, und Sarah waren auch gütig gegen mich – sehr gütig gegen mich – Sie wissen das Uebrige. Ich will, wenn Sie es erlauben, bleiben, wie ich bin; und wünschen Sie mir eine Freundschaft zu erweisen – wünschen Sie, daß ich Sie so fortliebe, wie bisher, so lassen Sie mich gewähren. Freiheit und Unabhängigkeit sind theure Güter, und ich bitte darum als um die größte Gunst, die Sie mir erzeigen können – die einzige, die ich annehmen kann, und für die ich wahrhaft dankbar sein werde.«

Es vergingen einige Minuten, bis Kapitän Turnbull antworten konnte; dann sagte er: »Ich sehe, es ist nutzlos, und will nicht weiter in dich dringen; aber, Jacob, räume der ersten Ungerechtigkeit, welche dir von deinen Mitgeschöpfen widerfahren ist, nicht allzuviel Herrschaft über dein Herz ein, und laß dich nicht zu der irrigen Vorstellung verleiten, daß die Welt böse sei. Wenn du dich mit dem Leben vertraut machst, wirst du viel Gutes finden; und erinnere dich, daß diejenigen, welche durch die falsche Darstellung Anderer getäuscht, dich beleidigt haben, bereitwillig waren und sich erboten, ihren Fehler wieder gut zu machen. Mehr können sie nicht thun, und ich wünschte, du könntest deine Empfindlichkeit überwinden. Bedenke, wir müssen vergeben, wie wir hoffen, daß uns vergeben werde.

»Ich vergebe – wenigstens bisweilen,« erwiederte ich, »um Sarah's Willen – aber ich kann nicht immer.«

»Aber du solltest aus andern Gründen vergeben, Jacob.«

»Ich weiß es, ich sollte – aber wenn ich nicht kann, so kann ich nicht.«

»Nein, lieber Junge, du sprachest nie so – ich wollte sagen – so gottlos. Fühlst du nicht, daß du im Irrthum bist? Du weigerst dich, einer Empfindung zu entsagen, die von deiner eigenen Vernunft und von der Religion verdammt wird – du klammerst dich an sie fest – und doch willst du von keiner Entschuldigung der Irrthümer Anderer hören.«

»Ich fühle, was Sie sagen – und wie wahr Sie sprechen, Sir,« versetzte ich, »aber ich kann dieses Gefühl nicht überwältigen. Ich bin bereit, jede Entschuldigung für die Fehler Anderer gelten zu lassen; aber auf der andern Seite bin ich gewiß nicht zu tadeln, wenn ich mich weigere, in eine Lage zu treten, in welcher ich wieder Gefahr laufe, eine Kränkung zu erfahren. Ist es denn unrecht, wenn ich mein Brod auf meine Weise suche und den Strom dem trockenen Lande vorziehe?«

»Nein, das nicht; aber was mir an deiner Wahl mißfällt, ist der Umstand, daß sie dir durch deine allzugroße Empfindlichkeit eingegeben wird.«

» Geschehene Dinge lassen sich nicht ändern,« versetzte ich schnell, weil ich das Gespräch abzubrechen wünschte.

»Sehr wahr, Jacob; aber ich setze einen andern Deiner Sprüche hinzu: Das nächstemal mehr Glück. Gott segne dich, mein Junge; trage Sorge für dich und gehe nicht wieder unter's Eis!«

»Für Sie morgen wieder,« versetzte ich, die dargebotene Hand ergreifend; »aber sähe ich diesen Hodgson an einem solchen Loche –«

»Du würdest ihn doch nicht hineinstoßen?«

»Ja, das würd' ich,« versetzte ich bitter.

»Jacob, das würdest du nicht, sage ich – jetzt denkst du so, aber sähest du ihn in Lebensgefahr, du würdest ihm beistehen, wie du mir beigestanden bist. Ich kenne dich besser, Junge, als du dich selbst kennst.«

Ob Kapitän Turnbull oder ich Recht hatte, wird die Folge lehren. Wir gaben uns die Hand, und ich eilte zu Marien, an die ich während meiner Abwesenheit oft gedacht hatte.

»Wer meinst du, daß hier gewesen sei?« fragte Marie nach der ersten Begrüßung.

»Das kann ich nicht errathen,« versetzte ich. »Der alte Tom und sein Sohn?«

»Nein, ich meine nicht den alten Tom, aber 's war so ein alter Kauz – mit einer Nase – hilf Himmel! ich meinte, ich müsse mich todt lachen, als er die Treppe hinunter war. Du mußt wissen, Jacob, daß ich mich in ihn verliebt stellte, nur um zu sehen, was er machen würde. Weißt du jetzt, wer es ist?«

»O ja! Du meinst meinen Schulmeister, den Domine.«

»Ja, so sagte er; und ich sagte ihm viel von dir, und wie du mich lesen und schreiben lehrest, und wie ich das gelehrte Wesen so gerne habe, und wie ich wohl einen alten Herrn heirathen möchte, der ein großer Gelehrter wäre, und mich Lateinisch und Griechisch lehren würde; und da wurde er ganz gesprächig, und blieb zwei Stunden lang plaudernd bei mir sitzen. Er ersuchte mich, dir zu sagen, daß er morgen Nachmittag wieder kommen wolle, und ich bat ihn, er solle bis zum Abend bleiben, weil noch zwei Freunde von dir kämen. Nun, wer meinst du, daß die seien?«

»Ich habe keine Freunde, ausgenommen den alten Tom Beazeley und seinen Sohn.«

»Gut; 's ist dein alter Tom: ein lustiger alter Bursche, aber ich möchte ihn nicht zum Mann. Sein Sohn dagegen – das ist ein Bürschlein nach meinem Herzen – ich bin ganz verliebt in ihn.«

»Deine Liebe wird Dir keine große Schmerzen machen, Marie; aber bedenke, was für dich Scherz sein kann, ist's vielleicht für Andere nicht; und was das Zusammentreffen des Domine mit dem alten Beazeley und seinem Sohne betrifft, so weiß ich nicht, wie's ausfallen wird, denn ich zweifle, ob er sie gerne sieht.«

»Warum nicht?« fragte Marie.

Auf ihr Versprechen, nie darauf hinzudeuten, erzählte ich ihr kurz den Auftritt mit dem würdigen Manne an Bord des Lichters. Marie schwieg einen Augenblick und sagte dann:

»Jacob, haben wir nicht letzthin gelesen, die gefährlichsten Klippen für die Männer seien der Wein und die Weiber?«

»Wenn ich mich recht erinnere, ja.«

»Bah,« sagte sie; »der alte Herr hat eine Menge Lehren gegeben, und da scheint's, daß er eine bekommen hat.«

»Lernen können wir bis zum letzten Tage unseres Lebens, Marie.«

»Gut, er ist ein sehr geschickter, gelehrter Mann, daran zweifle ich nicht, und sieht auf uns alle herab (auf dich nicht, Jacob) und denkt, wir seien einfältige Leute. Ich will versuchen, ob ich ihm nicht auch eine Lehre geben kann.«

»Du, Marie? was kannst du ihn lehren?«

»Sorge nicht dafür, wir werden schon sehen.«

Marie lenkte jetzt das Gespräch auf ihren Vater.

»Du weißt vermuthlich, daß der Vater zu Herrn Turnbull gegangen ist?«

»Nein, das wußte ich nicht.«

»Ja, ja; er wurde diesen Morgen gerufen und ist noch nicht gekommen. Jacob, ich hoffe, du wirst nicht wieder so närrisch sein, denn ich möchte meinen Lehrer doch nicht gerne verlieren.«

»O fürchte nichts, ich lehre dich alles, was ich weiß, ehe ich sterbe,« versetzte ich.

»Sei deiner Sache nicht zu gewiß,« versetzte Marie, ihre großen blauen Augen auf mich heftend. »Woher weißt du denn, wie lange mir deine Gesellschaft zusagt?«

»Nun, wenn ich schnell fort muß, so vermache ich dich dem jungen Tom Beazeley; du bist ja doch schon halb verliebt in ihn,« versetzte ich lachend.

»Nun, es ist ein lustiger Bursche,« erwiederte sie; »er lacht mehr, als du, Jacob.«

»Er hat auch weniger gelitten,« versetzte ich trübe, denn die Vergangenheit stand vor meinem Gedächtniß; »aber Marie, er ist ein schöner junger Mensch, und ein gutherziger Bursche oben drein, und wenn du ihn einmal kennst, so wirst du ihn sehr lieb haben.«

Während ich dies sagte, hörte ich ihren Vater die Treppe herauf humpeln; er kam in der besten Laune von Kapitän Turnbull und schien höchlich zufrieden über seinen Besuch, denn er forderte seine Pfeife und sein Bier, und sprach äußerst fließend über Menschennatur.


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