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Nachdem ich das ganze Alphabet durchlaufen hatte, ward ich von Herrn Knapps entlassen. Ich kehrte an meinen Platz zurück, um es nach Muße wiederzukäuen, wurde aber durch die seltsame Zusammensetzung der Formen verwirrt, aus welchen das Alphabet bestand. Ich fühlte mich unbehaglich und gespannt in meinen Schuhen; sie waren schon vom ersten Augenblick an ein Gegenstand des Abscheus für mich gewesen. Zuerst streifte ich den einen ab, dann entledigte ich mich des andern, und dachte eine Zeitlang nicht mehr an diesen Theil meiner Bekleidung. Mittlerweile hatten sie die zunächst sitzenden Knaben mit den Füßen zu den entfernteren fortgeschoben, und so waren sie immer weiter gewandert, bis sie endlich hart am Pulte des Domine standen. Ich vermißte sie, und als ich bemerkte, daß man sich auf meine Kosten lustig machte, stellte ich in der Stille meine Beobachtungen an. Ich blickte hinauf und hinunter, und sah endlich, wie einer von den Ersten, der dem Domine zunächst saß, einen meiner Schuhe vom Boden nahm, und dem Domine, dessen Geist auf der Wanderschaft war, in die Rocktasche steckte. Kurze Zeit darauf stand der Knabe auf, ging zu Herrn Knapps, richtete eine Frage an ihn, steckte ihm, während sie beantwortet wurde, den andern Schuh in die Tasche und kehrte, gegen die andern Knaben kichernd, zu seinem Sitze zurück. Ich sagte nichts. Als aber die Schulstunden vorüber waren, sah der Domine auf seine Uhr, schneuzte seine Nase (worauf die Knaben ihre Köpfe emporstreckten, wie Roderich Dhu's Clansmänner, wenn sie sein Horn vernahmen), faltete langsam und würdevoll sein großes Taschentuch zusammen, als wäre es eine Fahne, steckte es in die Tasche und sprach mit feierlichem Tone: » Tempus est ludendi.« Da diese lateinische Redensart täglich zur nämlichen Stunde wiederkehrte, so verstand jeder Knabe so viel Latein. Ein allgemeiner Lärm erhob sich. Schreiend, jauchzend und springend verschwanden Alle. Nur ich blieb fest auf meiner Bank sitzen. Der Domine stand von seinem Pulte auf und stieg herab, der Unterlehrer that das Gleiche, und beide näherten sich mir auf ihrem Wege zu ihren betreffenden Zimmern.
»Jacob Ehrlich, warum bist du so vertieft in dein Buch, – hast du nicht verstanden, daß die Stunde der Erholung gekommen ist? Warum machst du dich nicht auf die Beine, wie die Uebrigen?«
»Weil ich meine Schuhe nicht habe.«
»Und wo sind deine Schuhe, Jacob?«
»Der eine ist in Ihrer Tasche,« versetzte ich, »und der andere in seiner.«
Beide griffen nun in ihre Tasche und überzeugten sich durch den Tastsinn von der Wahrheit meiner Aussage.
»Erkläre, Jacob,« sagte der Domine, »wer hat das gethan?«
»Der große Junge mit dem rothen Haar und einem Gesichte, das so durchlöchert ist, wie die blechernen Seiher in der Küche des Herrn Schulmeisters,« versetzte ich.
»Herr Knapps, es wäre infra dig. – unter meiner und Ihrer Würde, wenn wir diesen Mangel an Ehrerbietung ungestraft ließen. Läuten Sie den Jungen.«
Die Knaben erschienen auf das Glockenzeichen und ich wurde aufgefordert, den Frevler zu bezeichnen, was auch sofort geschah. Er läugnete hartnäckig; aber er hatte meine Schuhriemen aufgelöst und in seine eigenen Schuhe befestigt. Ich erkannte sie, und dieß reichte hin.
»Barnabas Hosengürtel,« sagte der Domine, »du bist nicht nur der Unehrerbietigkeit gegen mich und Herrn Knapps, sondern auch der schweren Sünde des Lügens überwiesen. Simon Swapps, fasse ihn.«
Er ward gefaßt, seine Untergewandung fiel, und dann fiel das Birkenreiß mit der ganzen Kraft des nervigen Armes unseres Domine auf sein Opfer. Barnabas Hosengürtel deutete seine Mißbilligung der genommenen Maßregel auf alle Weise an, aber Simon Swapps hielt fest, und der Domine blieb fest im Takte. Eine Minute dauerte die Geißelung, dann ward Barnabas losgegeben; seine gelben Hosen wurden hinaufgezogen und die Knaben entlassen. Barnabas' Gesicht war roth, aber das Gegenstück desselben war röther. Der Domine entfernte sich. Wir blieben allein – er mit seinen Unaussprechlichen, ich mit meinen Schuhriemen beschäftigt. Barnabas hatte endlich seine Beinkleider befestigt, desgleichen auch seine Augen getrocknet, und ich stand in meinen Schuhen. Wir waren tête-à-tête. »So komm' jetzt auf den Spielplatz, Meister Aschenbrödel,« sagte Barnabas, mir die Faust unter die Nase haltend und mit der andern Hand das Gesicht reibend, »ich will dir einmal das Fell durchgerben.«
»Mit Weinen gewinnt man nichts,« versetzte ich besänftigend, denn ich hatte nicht gewollt, daß er gegeißelt werden sollte. »Geschehene Dinge lassen sich nicht ändern. Hat es dir weh gethan?«
Meine beabsichtigte Tröstung wurde als Hohn ausgelegt. Barnabas schäumte.
»Nimm's kaltblütig,« sagte ich.
Barnabas wurde noch grimmiger.
»Das nächste Mal mehr Glück,« fuhr ich ihn zu besänftigen fort.
Barnabas ward wüthend. – Er schüttelte die Faust, rannte auf den Spielplatz und forderte mich heraus, ihm zu folgen. Seine Drohungen hatten kein Gewicht bei mir. Ich mochte nicht im Zimmer bleiben und folgte ihm daher nach ein Paar Minuten. Er stand in der Mitte der übrigen Knaben, wo er laut und heftig declamirte.
»Aschenbrödel, wo hast du deine gläsernen Pantoffeln?« riefen die Knaben, als ich erschien.
»Heraus, du Wasserratte!« rief Barnabas, »du Sohn eines Aschenhaufens.«
»Heraus und mit ihm gebalgt, oder du bist eine Memme!« rief der ganze Schwarm von Nro. 1 bis Nro. 62 inclusive.
»Ich meine, er habe seinen Theil,« versetzte ich, »er thäte besser, mich nicht anzurühren, – ich weiß meine Arme zu gebrauchen.«
Es wurde ein Kreis geschlossen, in dessen Mitte Barnabas und ich standen. Er warf seine Kleider ab, ich deßgleichen. Er war weit älter und beleibter als ich, und konnte mit der Faust umgehen. Nur ein Knabe trat mir als Sekundant zur Seite. Barnabas trat vor und streckte seine Hand aus. Ich glaubte, es sei Alles vorüber, und schüttelte sie herzlich; aber bald hatte ich eins auf der rechten und eins auf der linken Wange, so daß ich zurücktaumelte. Dieß war mir ein vollkommenes Räthsel, aber es rührte meine Galle auf, und ich gab das Empfangene mit Zinsen zurück. Ich besaß, wie sich leicht vermuthen läßt, eine ordentliche Stärke in meinen Armen und warf sie umher, wie die Flügel einer Windmühle, denn ich fiel nie gerade aus, sondern immer in Halbkreisen, und traf stets an oder um die Ohren. Mein Widersacher dagegen führte immer gerade Hiebe und bald war meine Nase und Gesicht mit Blut bedeckt. Schmerz und Zorn machten mich warm; ich ließ meine Arme auf Gerathewohl kreisen, und Barnabas versetzte mir einen Streich, der mich zu Boden streckte. Ich ward aufgerichtet und auf meines Sekundanten Kniee gelegt; während ich das Blut aus meinem Munde spuckte, flüsterte mir dieser zu: »Nimm's kaltblütig und ziele besser.«
Mein eigener – meines Vaters Grundsatz – ausgesprochen von einem Andern, traf mich mit doppelter Gewalt, und ich vergaß ihn während der ganzen Dauer des Gefechtes nicht mehr. Wir standen wieder Stirn gegen Stirn. Ich hatte eins, rechts und eins links, und gab es an's rechte und linke Ohr zurück. Barnabas fiel aus – ich lag wieder am Boden.
»Das nächste Mal mehr Glück,« sagte ich zu meinem Sekundanten so kaltblütig, wie eine Gurke.
Es folgte ein dritter und ein vierter Gang, wobei dem Anscheine nach Barnabas, in der That aber ich im Vortheile war. Mein Gesicht war zu einer Mumie zerschlagen, aber mein Gegner wurde durch die fortwährenden Angriffe auf seine Schläfe gleichsam betrunken. Keuchend und erschöpft standen wir wieder auf. Barnabas stürzte auf mich los; ich wich ihm aus, und ehe er den Angriff wiederholen konnte, hatte er wieder zwei so tüchtige Streiche an den Ohren, daß er taumelte. Er schüttelte den Kopf und fragte mich, seine Fäuste zur Vertheidigung bereit haltend, ob ich genug hätte.
»Er hat's,« sagte mein Sekundant, »stecke ihm, Jacob, und er stürzt.«
Ich versetzte ihm drei oder vier Streiche an meinen gewohnten Zielpunkt. Er fiel besinnungslos zu Boden.
»Der hat seinen Treff,« rief mein Sekundant.
»Geschehene Dinge lassen sich nicht ändern,« sagte ich. »Ist er todt?«
»Was soll das?« rief Herr Knapps, sich in Begleitung der Hausmutter durch das Gedränge arbeitend.
»Barnabas und Aschenbrödel machen's miteinander aus, Sir,« versetzte einer der älteren Knaben.
Die Frau, die bereits eine gewiße Vorliebe für mich gefaßt hatte, weil ich gut aussah und ihr von Frau Drummond empfohlen worden war, eilte auf mich zu.
»Schön,« sagte sie, »wenn der Domine dieses plumpe Vieh nicht durchwalkt, so will ich sehen, wer Herr im Hause ist.«
Damit nahm sie mich bei der Hand und führte mich von dannen. Herr Knapps beschäftigte sich mit Barnabas, der immer noch bewußtlos dalag, und ließ ihn durch einige Knaben zu Bette bringen. Er athmete, aber die Besinnung wollte nicht zurückkehren, weßhalb ein Wundarzt gerufen wurde, der es für nöthig hielt, einige starke Aderlässe vorzunehmen. Auf das Verlangen der Hausfrau kam der Heilkünstler auch zu mir. Meine Züge waren nicht mehr erkennbar, aber alles Uebrige in Ordnung.
Bei der Untersuchung meiner Arme bemerkte der Wundarzt: »Es scheint sonderbar, daß der größere Knabe so hart mitgenommen wurde; aber dieser Junge hat Arme, wie zwei kleine Schmiedehämmer. Ich empfehle euch,« fuhr er, zu den umstehenden Knaben gewendet, fort, »machet euch nicht an ihn, er könnte früher oder später einen von euch todtschlagen.«
Diese Empfehlung wurde von den Knaben nicht vergessen, und von diesem Tage an war ich der Schulhahn. Der Name Aschenbrödel, der mir von Barnabas gegeben wurde, um mich wegen des Todes meiner Mutter zu verspotten, ward alsbald verabschiedet, und ich litt keine Verfolgung mehr. Es war die Gewohnheit des Domine, wenn sich zwei Schüler balgten, beide durchzuprügeln: aber in diesem Falle trat Begnadigung ein, weil ich nicht der angreifende Theil, und mein Gegner kaum mit dem Leben davon gekommen war. Eine Woche lang blieb ich unter der Pflege der Hausmutter, und Barnabas ungefähr eben so lange unter den Händen des Wundarztes.
Auch in meinen Studien blieb ich nicht zurück. Nachdem ich mich durch die Anfangsgründe durchgekämpft hatte, machte ich reißende Fortschritte; aber ich hatte eine eigenthümliche Schwierigkeit zu überwinden – nämlich die Gewohnheit, Alles meinen beschränken Begriffen anzupassen. Die Ideenverbindung war so herrisch in mir geworden, daß ich sie lange nicht zu bemustern vermochte. Herr Knapps beklagte sich beständig über mein starrköpfiges Wesen, während ich nichts sehnlicher wünschte, als ihn zu befriedigen und etwas zu lernen. Beim Buchstabiren rief zum Beispiel die erste Sylbe irgend eine Begriffsverbindung in mir hervor, die mit meiner frühern Lebensweise zusammenhing. Ich erinnere mich, daß mir der Domine, nachdem ich ungefähr vierzehn Tage in der Schule war, einmal, aber nur einmal, das spanische Rohr zu kosten gab.
Ich war ihm von Herrn Knapps als muthwillig bezeichnet worden.
»Jacob Ehrlich, was soll das heißen? Du hast einen guten Kopf und weigerst dich zu lernen. Sag' mir einmal, was heißt K-a-tz?«
Es war der Ansatz zu Katzenkopf, und ich antwortete demgemäß: »Katzenkopf.«
»Nein, Jacob, es heißt Katz; nimm du deinen Kopf bei der nächsten Antwort in Acht. Verstehe mich, Kopf gehört nicht dazu. Jacob, dein Kopf ist in Gefahr. Nun, Jacob, was heißt Z-e-u-g?«
» Reibzeug.« antwortete ich.
»Einfältiger Junge, es heißt nur Zeug; das Reiben wird nächstens angehen. Nun, Jacob, was heißt H-u-n-d?«
» Hundstall.«
»Hund, Jacob, ohne den Stall. Du bist sehr muthwillig und verdienst in den Stall gesperrt zu werden. Nun, Jacob, dieß ist das letzte Mal, daß du dein Spiel mit mir treibst, was heißt H-u-t?«
» Pelzmütze,« versetzte ich nach einigem Zögern.
»Jacob, die Galle regt sich in mir, und doch möchte ich dich gern verschonen. Wenn Hut Pelzmütze heißt, was heißt dann P-e-l-z?«
» Schafspelz.«
»Gib Acht. Jacob, daß ich dich nicht durchpelze, du Schafskopf; vermuthlich heißt dann F-i-sch Stockfisch?«
»Ja, Sir,« erwiederte ich, und freute mich, daß er mit mir übereinstimmte.
»Was heißt nach demselben Grundsatze S-u-p-p-e?«
» Suppe, Sir,« antwortete ich.
»Nein, Jacob, S-u-p-p-e muß Prügelsuppe heißen; und da du gegen deine eigene Buchstabirmethode gefehlt haft, so soll es auch nicht an der Prügelsuppe fehlen.«
Nach diesen Worten bearbeitete der Domine meine Schultern mit gehöriger Salbung, zur nicht geringen Freude des Herrn Knapps, der die Strafe im Vergleich mit meinem Vergehen für noch viel zu gelind hielt; doch wie sich meine Begriffe erweiterten, sagte ich mich allmälig von diesen Ideenverbindungen los und wurde bald von Domine für den fähigsten Knaben in der Schule erklärt. Sei es, daß ich von Natur mit einer besonderen Fassungskraft begabt war, oder daß mein Gehirn durch das vieljährige Brachlegen besondere Kräfte erlangt hatte, ich lernte einmal, als wäre es mir eingegossen. Wenn ich meine Aufgabe einmal überlesen hatte, legte ich mein Buch bei Seite, denn ich wußte sie auswendig. Auch war ich noch keine sechs Monate in der Schule, als ich die Entdeckung machte, daß in tausend Fällen unter der rauhen Schale des Domine eine väterliche Liebe gegen mich hervorschimmerte. Am dritten Tage des siebenten Monats war es, glaube ich, daß ich ihm einen Tag des Triumphes und der Seligkeit bereitete. Er nahm mich zum ersten Male in sein kleines Studierzimmer und gab mir die lateinische Elementargrammatik in die Hand. In einer Viertelstunde lernte ich meine Lection, und ich erinnere mich noch genau, wie mir der ernste, niemals lächelnde Mann in die lachenden Augen schaute, die kastanienbraunen Locken, welche mir die Hausmutter nicht abschneiden wollte, aus der Stirne strich und sagte: » Bene fecisti, Jacobe.« Wenn die Lection vorüber war, lehnte er sich in seinem Stuhle zurück und betrachtete mich mit unverwandten Blicken. Dann mußte ich ihm Alles erzählen, was ich noch von meinem früheren Leben wußte. Dieß bestand jedoch blos in Erinnerungen an Vorstellungen und Gefühle. Er hörte mir aufmerksam zu, und wenn ich einen frühen und sonderbaren Eindruck schilderte, oder eine Vermuthung über einen Gegenstand aussprach, den ich an dem für mich unnahbaren Ufer gesehen hatte, ohne ihn mir erklären zu können, rieb er sich voll Begeisterung die Hände und sagte: »Ich habe ein neues Buch gefunden – ein Album, in das ich die Thaten der Helden, und die Worte der Weisen schreiben will, Carissime Jacobe, wie glücklich werden wir sein, wenn wir an den Virgil kommen!« Ich brauche kaum zu sagen, daß ich ihn liebte. Ja, ich liebte ihn von Herzen und lernte mit Eifer, um ihm zu gefallen. Ich fühlte mich – mein Selbstvertrauen war unbegränzt. Stolz ging ich einher, aber eitel war ich nicht. Meine Mitschüler haßten mich, aber sie fürchteten mich auch, und zwar sowohl wegen meiner Tapferkeit, als auch wegen des Verhältnisses, in welchem ich zum Schulmeister stand; dennoch fehlte es nicht an bittern Bemerkungen und Stichelreden, die ich mit anhören mußte, wenn wir uns zu Tische setzten. Uebrigens unterhielt ich mich meistens mit dem Domine, der würdigen alten Dame und meinen Büchern. Täglich machten wir einen Spaziergang, wobei uns Anfangs Herr Knapps begleitete. Mit mir gingen die Knaben nie ohne ausdrücklichen Befehl, und wenn es ihnen befohlen wurde, so geschah es mit größtem Widerwillen, obwohl ich keinen derselben beleidigt hatte. Die Hausmutter, welche dieß bemerkte, theilte es dem Domine mit, und von dieser Zeit begleitete der Domine die Knaben, wobei er mich an der Hand führte.
Dieß war höchst vorteilhaft für mich, da er alle meine Fragen beantwortete, deren ich nicht wenige an ihn richtete. Täglich erweiterte ich den Umfang meiner Kenntnisse in jeder Richtung. Ehe ich anderthalb Jahre in der Schule war, fühlte sich der Domine unglücklich, wenn er nicht bei mir war, und ich suchte eben so begierig seine Gesellschaft. Er war ein Vater gegen mich, und ich liebte ihn, wie ein Sohn seinen Vater lieben soll. Er blieb, wie es sich später zeigen wird, mein Führer durch das ganze Leben.
Aber ob mir gleich mein Sieg über Barnabas Hosengürtel und die Probe von meiner Tapferkeit Achtung gewann, gab doch die wohlwollende Gesinnung des Domine gegen mich Veranlassung zu einem tief gewurzelten Haß. Mich zu beschimpfen und offen anzugreifen, wagte Niemand, aber unter dem Beistande des Herrn Knapps, der nicht minder eifersüchtig auf mich war, und gleichfalls eine kleine Seele hatte, verschworen sich meine Mitschüler, mich durch geheime Umtriebe wo möglich in der guten Meinung meines Lehrers zu stürzen. Barnabas Hosengürtel hatte Talent für Zerrbilderzeichnungen, was, außer dem Domine, Allen wohlbekannt war. Sein erster Versuch gegen mich war eine Karikatur meiner Mutter, worin sie als eine Lampe dargestellt war, die von einer Wachholderflasche genährt wird, während die Flamme aus ihrem Munde schlägt. So wurde mir gesagt, gesehen habe ich das Bild nicht. Barnabas gab es Herrn Knapps, der es sehr lobte und in sein Pult verschloß. Nachher machte Barnabas eine häufig wiederholte Karikatur des Domine, mit einer ungeheuren Nase, die er dem Unterlehrer als meine Zeichnung wies. Der Unterlehrer verstand, was Barnabas wollte, und verschloß sie in sein Pult, ohne ein Wort zu sprechen. Es wurden noch mehrere lächerliche Zerrbilder des Domine und der Hausmutter entworfen, welche dem Unterlehrer von den Knaben sämmtlich als meine Productionen gezeigt wurden: aber dieß war noch nicht genug; es bedurfte einer bestimmteren Nachweisung. Als ich eines Abends bei dem Domine an meinem lateinischen Pensum saß, während die Hausmutter und Herr Knapps im anstoßenden Zimmer waren, fiel das tief niedergebrannte Licht in die Röhre des Leuchters und erlosch. Der Domine stand auf, um ein anderes zu holen; während die Matrone sich ebenfalls erhob, um in derselben Absicht den Leuchter fortzunehmen. Sie begegneten sich in der Finsterniß und stießen ihre Köpfe hart aneinander. Da dieser Vorfall nur Herrn Knapps und mir bekannt war, so theilte er ihn Barnabas mit und bemerkte, es sollte ihn Wunder nehmen, wenn ich ihn nicht zum Gegenstande einer meiner Karikaturen machen würde. Barnabas faßte den Wink auf, und nach wenigen Stunden lag diese Karikatur neben den übrigen. Um seinen Absichten den Weg zu bahnen, nahm Herr Knapps Gelegenheit, meines Talentes zur Zeichnungskunst lobend zu erwähnen, indem er hinzufügte, er habe schon einige meiner Arbeiten gesehen. »Der Junge hat Talent,« versetzte der Domine, »er ist eine reiche Mine, aus der manch' kostbares Metall gewonnen werden kann.
»Ich höre, daß du Talent zum Zeichnen hast, Jacob,« sagte er ein paar Tage darauf zu mir.
»Das habe ich in meinem Leben noch nie gehört,« erwiederte ich.
»Nun Jacob, ich liebe die Bescheidenheit, aber sie darf nicht bis zur Verläugnung der Wahrheit gehen. Hüte dich in Zukunft vor diesem Fehler, Jacob.«
Ich gab keine Antwort, denn ich wußte, daß ich keinen Fehler begangen hatte; aber am Abend bat ich den Domine, mir ein Bleistift zu leihen, weil ich mich im Zeichnen versuchen wollte. Nach einigen Tagen waren verschiedene Skizzen von meiner Hand fertig. Sie wurden mit Beifall aufgenommen. »Der Knabe zeichnet gut,« sagte der Domine zu Herrn Knapps, als er meine Arbeit mit der Brille betrachtete.
»Warum mag er wohl seine Kunst verläugnet haben?« fragte der Unterlehrer.
»Es war ein Fehler von ihm, der aus Bescheidenheit oder Mangel an Zutrauen entsprang – sogar eine Tugend kann in einen Fehler ausarten, wenn sie zu weit getrieben wird.«
Der nächste Versuch, den Barnabas machte, war die Entwendung des Cornelius Nepos, den ich damals las. Sie wurde durch Herrn Knapps bewerkstelligt, der ihn aus des Domine's Studierzimmer holte und meinem Feinde auslieferte. Dieser zeichnete auf das Schmutzblatt, worauf mein Name stand, eine Karrikatur vom Kopfe des Domine, und setzte unter meinen Namen, den ich selbst geschrieben hatte, mit Nachahmung meiner Hand, das Wort fecit bei, so daß es hieß, Jacob Ehrlich fecit. Hierauf wurde das Blatt herausgeschnitten und dem Unterlehrer eingehändigt, um es zu den übrigen zu legen. Jetzt war der Anschlag reif, und bald erfolgte die Explosion. Herr Knapps sagte dem Domine, ich entwerfe Karrikaturen von meinen Mitschülern. Der Domine stellte mich zu Rede, und ich läugnete es. »Du hast auch geläugnet, daß du zeichnest,« bemerkte der Unterlehrer.
Einige Tage waren verstrichen, als Herr Knapps dem Domine mittheilte, ich habe eine Karrikatur von ihm und Mrs. Bately gezeichnet, und er sei im Besitze von Beweismitteln. Ich lag bereits zu Bette; der Domine war äußerst überrascht und hielt es für unmöglich, daß ich so undankbar sein könnte. Herr Knaps erbot sich, die Anklage öffentlich vorzubringen und am folgenden Morgen in der Schule zu beweisen. Er schürzte den Knoten vollends, indem er mich überhaupt als einen verschmitzten und verdorbenen, wiewohl fähigen Knaben schilderte.