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Siebentes Kapitel.

Eine lange Geschichte, sie endigt mit dem Oeffnen der zinnernen Büchse, welche Verhandlungen enthält, die weit befriedigender für Herrn Wharncliffe sind als die Verhandlungen seines Oheims. – Ich fange an, die Segnungen der Unabhängigkeit zu fühlen, und komme auf den Argwohn, daß ich wie ein Narr gehandelt habe. – Nach einer zweijährigen Betrachtung überzeuge ich mich völlig davon, und es ist »kein Mißverstand«, wie Tom sagt.

»Der Herr, der uns an der Entführung der jungen Dame hinderte, ist unser beiderseitiger Oheim. Wir sind also Geschwisterkinder. Unser Familienname ist Wharncliffe. Mein Vater war Major in der Armee. Er starb, als ich noch ganz jung war; meine Mutter lebt noch und ist eine Schwester von Lady Auburn. Cäciliens Eltern sind beide todt. Ihr Vater ging nach Indien zu seinem Bruder, einem andern Oheim, von dem ich sogleich sprechen werde. Seit drei Jahren ist er todt, und von den vier Brüdern befindet sich nur noch Einer am Leben, nämlich mein Oheim, bei welchem Cäcilie ist, und der den Taufnamen Heinrich führt. Er war Rechtsconsulent, kaufte sich aber später ein Amt, das er noch heute verwaltet. Mein Vater, der William hieß, starb in sehr mittelmäßigen Vermögensverhältnissen; doch hinterließ er so viel, daß meine Mutter davon leben und mir eine standesgemäße Erziehung geben konnte. Ich wurde unter meinem Oheim Heinrich, bei dem ich mehrere Jahre lang wohnte, zum Advokaten gebildet. Cäciliens Vater, welcher sich Eduard nannte, hinterließ nichts. Er hatte sein Vermögen in England verloren und war auf die Einladung meines Oheims in Indien, welcher James hieß und ein großes Vermögen gesammelt hatte, nach Indien gegangen. Bald nach dem Tode von Cäciliens Vater kam mein Oheim James auf Besuch in sein Vaterland; er bekleidete eine sehr hohe und einträgliche Stelle bei der ostindischen Compagnie. Ein Junggeselle aus Vorliebe, war er doch ein großer Freund der Jugend, und da er nur einen Neffen und eine Nichte hatte, denen er sein Vermögen hinterlassen konnte, so war er kaum mit Cäcilien, die er mit sich brachte, angekommen, als er mich sehnsüchtig aufsuchte. Er nahm seine Wohnung bei meinem Oheim Heinrich und blieb während seines ganzen Aufenthalts in England bei ihm; aber mein Oheim James hatte ein sehr launenhaftes und veränderliches Temperament. Mich liebte er am meisten, weil ich ein Knabe war, und eines Tages erklärte er, ich sollte seine Erbe sein. Am andern Tage aber änderte er seinen Plan und sagte, Cäcilie, die er ebenfalls außerordentlich liebte, solle sein ganzes Vermögen erhalten; erzürnten wir ihn aber, denn ein Knabe von sechszehn und ein Mädchen von vierzehn Jahren fragen wenig nach weltlichen Rücksichten, so drohte er uns beiden mit Enterbung. Geld galt ihm Alles; es war der tägliche Gegenstand seiner Unterhaltung, seine einzige Leidenschaft, und er schätzte den Werth der Menschen blos nach ihrem Besitzthum. Bei diesen Gesinnungen verlangte er von Cäcilien und mir, als seinen muthmaßlichen Erben, die größte Ehrerbietung; aber wenn ihm auch diese nicht zu Theil wurde, so war er doch im Ganzen mit uns zufrieden; und nach einem dreijährigen Aufenthalte in England kehrte er nach Ostindien zurück. Ich hatte ihn zu meinem Oheim sagen hören, er beabsichtige sein Testament zu machen, und es bei ihm zu lassen, bevor er unter Segel gehe; aber ich wußte nicht gewiß, ob es geschehen war, oder nicht. Auf jeden Fall sorgte mein Oheim Heinrich für meine Entfernung, denn er übte damals den Beruf eines Rechtsconsulenten aus, und ich arbeitete auf seiner Schreibstube. Erst nachdem mein Oheim James nach Indien zurückgekehrt war, gab er sein Geschäft auf und kaufte sich die oben erwähnte Stelle; Cäcilie blieb bei meinem Oheim Heinrich, und da wir in dem gleichen Hause wohnten, reifte unsere gegenseitige Zuneigung mit der Zeit zur Liebe. Wir lachten oft über die Drohungen meines Oheims James und kamen mit einander überein, welchen von beiden auch das Vermögen zufallen sollte, es zu theilen.

»Mittlerweile verfolgte ich meine Laufbahn in einem andern Hause, an welchem ich gegenwärtig noch Theil habe. Vier Jahre nach der Rückkehr meines Oheims James nach Ostindien erhielten wir die Nachricht von seinem Tode; zugleich aber wurde gemeldet, daß kein Testament aufgefunden werde, und man vermuthete, er sei ohne letzte Willensverfügung gestorben. Natürlich trat mein Oheim Heinrich als gesetzlicher Erbe in den Besitz des ganzen Vermögens, und so waren meine und Cäciliens Hoffnungen vernichtet. Aber dieß war noch nicht das Schlimmste: mein Oheim, der unsere gegenseitige Neigung kannte und bisher keine Einwendung gemacht hatte, sah sich kaum im Besitze des Vermögens, als er Cäcilien zu seiner Erbin erklärte, wenn sie seinen Wünschen gemäß heirathen würde. Dabei machte er sie darauf aufmerksam, daß ihr ein Vermögen, wie sie es zu erwarten habe, eine Verbindung unter dem höchsten Adel des Königreichs sichere. Mir sagte er unumwunden, er finde es räthlich, daß ich mich nach einer eigenen Wohnung umsehe und nicht länger unter Einem Dache mit meiner Cousine wohne, da nichts Gutes daraus entstehen könne. So waren nicht nur unsere Hoffnungen zertrümmert, sondern auch die Entwürfe unserer gegenseitigen Liebe durchkreuzt.

»In wildem Groll über diese Zumuthungen verließ ich das Haus, aber zugleich drängte sich mir der Argwohn auf, mein Oheim James habe ein Testament nachgelassen, denn ich erinnerte mich der Worte, die er vor seiner Abreise nach Indien zu meinem Oheim Heinrich gesagt hatte. Mein Oheim hatte eine Büchse mit Papieren – eben diejenige, die jetzt in Ihrem Besitze ist – welche er stets in seinem Schlafzimmer aufbewahrte. Ich war überzeugt, daß sich das Testament, wenn es nicht vernichtet war (und einer solchen Veruntreuung hielt ich meinen Oheim nicht für fähig) in der Büchse befand. Wäre ich im Hause geblieben, so würde ich leicht Mittel gefunden haben, sie zu öffnen; aber dieß war nicht länger möglich. Ich theilte Cäcilien meinen Verdacht mit, und bat sie, einen Versuch zu machen, was sehr leicht sein würde, da ihr mein Oheim, selbst wenn er wirklich Verdacht hätte, nicht so viel Muth zutrauen würde. Cäcilie versprach es, und eines Tages ließ mein Oheim glücklicher Weise seine Schlüssel auf dem Tische liegen, als er zum Frühstück herabging und, ohne sie zu vermissen, das Haus verließ, Cäcilie fand sie und öffnete die Büchse. Unter andern Pergamenten fand sich ein Dokument, das durch seine Aufschrift als das Testament unseres Oheims James bezeichnet war; aber Frauenzimmer verstehen wenig von solchen Dingen, und die Furcht, mein Oheim möchte zurückkommen, machte sie so verwirrt, daß sie es nicht genauer untersuchen konnte. Als sie eben die Büchse wieder verschlossen und die Schlüssel auf den Tisch gelegt hatte, kehrte mein Oheim wirklich zurück, um seine Schlüssel zu holen. Er fragte sie, was sie hier mache, und sie antwortete mit irgend einer Entschuldigung. Er sah die Schlüssel auf dem Tische, und mochte er nun aus der hohen Röthe ihrer Wangen Verdacht schöpfen, oder befürchten, ich möchte sie zu einem späteren Versuch veranlassen, – kurz, er verschloß die Büchse in einem Verschlag und übergab, wie ich glaube, den Schlüssel zu demselben seinem Banquier. Als mir Cäcilie schrieb, was vorgegangen war, ersuchte ich sie, auf Mittel zu denken, den Verschlag zu öffnen, damit wir uns in den Besitz der Büchse setzen könnten; dies war leicht zu bewerkstelligen, da der Schlüssel eines andern Verschlags genau paßte. Ich überredete sie, sich unter meinen Schutz zu stellen, und sich alsbald mit mir trauen zu lassen; zugleich hatten wir es so angeordnet, daß uns die Büchse begleiten sollte. Sie wissen, Sir, wie unglücklich unser Versuch ausfiel, wenigstens insofern unglücklich, als ich, wie ich glaubte, nicht nur Cäcilien, sondern auch die zinnerne Büchse verlor, und die große Aengstlichkeit, womit mein Oheim Heinrich ihre Wiederentdeckung betrieb, bestärkte mich völlig in meiner Ueberzeugung, daß diese das Testament meines Oheims enthalte. Seit dem Verluste befindet er sich in einem solchen Zustande der Aufregung, daß er zu einem Schatten geworden ist. Er hat nur noch die einzige Hoffnung, der gemiethete Schiffmann möchte, in Erwartung, Geld zu finden, die Büchse aufgebrochen, und als er sich getäuscht sah, aus Furcht vor Entdeckung die Papiere vernichtet haben. In diesem Falle, der in weniger guten Händen leicht hätte zutreffen können, wäre sein höchster Wunsch – der Wunsch, die Papiere ohne eigenes Zuthun vernichtet zu wissen – erfüllt worden. Nun, Sir, habe ich Ihnen die ganze Sache vollständig und redlich auseinandergesetzt, und überlasse es Ihnen, zu entscheiden.«

»Wenn Sie dieß mir überlassen, so wird bald entschieden sein,« versetzte Herr Turnbull. »Eine Büchse ist mir in die Hände gekommen, und der Eigenthümer ist mir unbekannt. Ich öffne sie, fertige ein Verzeichniß von den Papieren, welche sie enthält, und schreibe sie in den Times und andern Zeitungen aus. Ist der letzte Wille Ihres verstorbenen Oheims darunter, so wird er natürlich mit den andern Papieren angezeigt; und nach einer solchen Veröffentlichung wird Ihr Oheim Heinrich vermuthlich keine Einrede wagen, sondern froh sein, wenn er nicht blosgestellt wird.«

Herr Turnbull ließ einen Schlosser rufen, und die zinnerne Büchse wurde geöffnet. Sie enthielt das Dokument von Oheim Heinrichs Ankauf der Gerichtsstelle und einige andere Papiere, aber noch außerdem das so eifrig gesuchte Pergament, den letzten Willen von James Wharncliffe Esq., datirt zwei Monate vor seiner Abreise aus England.

»Ich bin der Ansicht,« bemerkte Herr Turnbull, »daß es in jedem Falle räthlich sein wird, das Testament in Gegenwart von Zeugen zu verlesen. Sie sehen, daß es von Heinrich Wharncliffe nebst zwei weiteren Personen unterzeichnet ist. Lassen Sie uns ihre Namen aufzeichnen.« Das Testament wurde auf Herrn Turnbull's Aufforderung von dem jungen Wharncliffe vorgelesen. Sonderbarer Weise vermachte der Hingeschiedene sein ganzes Vermögen seinem Neffen William Wharncliffe und seiner Nichte Cäcilie, im Falle sie sich heiratheten; sollte dieß nicht geschehen, so erhielt jedes derselben zwanzigtausend Pfund, und das übrige Vermögen das erste männliche Kind, das nach der Heirath der Nichte oder des Neffen geboren würde. Seinem Bruder war die Summe von zehntausend Pfund vermacht, nebst einer bedeutenden Rente, die aus dem Vermögen bezahlt werden sollte, so lange seine Nichte bei ihm wohnen würde. Sobald das Testament verlesen war, nahm es Herr Turnbull wieder an sich, worauf er Herrn Wharncliffe die Hand gab, und seinen Glückwunsch darbrachte.

»Ich fühle mich Ihnen so sehr verpflichtet. Sir, daß ich meine Dankbarkeit kaum ausdrücken kann, und doch bin ich diesem gescheiden Burschen, Ehrlich, noch mehr verbunden. Sie dürfen nicht länger Fährmann bleiben, Ehrlich;« und Herr Wharncliffe reichte mir die Hand.

Auf letztere Bemerkung gab ich keine Antwort, denn Herr Turnbull hatte sein Auge auf mich geheftet; ich bemerkte nur, daß ich mich sehr glücklich schätze, ihm einen Dienst geleistet zu haben.

»Sie können mit Wahrheit sagen, Herr Wharncliffe,« sagte Herr Turnbull, »daß Sie ihm Ihr künftiges Glück verdanken; und da aus dem Testament hervorgeht, daß Sie jährlich Ihre sicheren neuntausend Pfund in den Fonds besitzen, so denke ich, Sie setzen einen Preiskahn aus, um den alljährlich gerudert werden soll.«

»Und dieß will ich als eine vollständige Bezahlung für meinen Antheil an dieser Verhandlung betrachten,« versetzte ich.

»Und nun,« sagte Herr Turnbull, die Antwort abschneidend, die Herr Wharncliffe zu geben im Begriff stand, »scheint mir eine Bloßstellung sehr leicht vermieden werden zu können – der Fall ist zu klar. Besuchen Sie Ihren Oheim – theilen Sie ihm mit, in wessen Händen sich die Dokumente befinden – sagen Sie ihm, er müsse sich Ihren Bedingungen unterwerfen, das heißt, die Willensverfügung genehmigen und die Vermählung alsbald gestatten, worauf dann nichts mehr über den Gegenstand gesprochen werde. Als Rechtsanwalt weiß er, wie streng und entehrend die Strafe sein würde, die er für seine Handlungsweise erleiden müßte, und er wird sich glücklich schätzen, sich Ihren Bedingungen zu fügen. Mittlerweile behalte ich die Papiere, denn ich werde sie nicht aus der Hand geben, bis sie in Doctors Commons niedergelegt werden müssen.«

Herr Wharncliffe konnte diese verständige Anordnung nur billigen, und wir trennten uns. Um nun meine Erzählung nicht zu unterbrechen, will ich dem Leser sogleich mittheilen, daß sich Herrn Wharncliffe's Oheim in Zeit und Umstände schickte, sich scheinbar über die Auffindung des Testamentes freute, des Verlustes seiner zinnernen Büchse nie mehr gedachte und die Hand Cäciliens in die Hand Wilhelms legte, worauf sie, einen Monat nach der eben erwähnten Zusammenkunft mit Herrn Turnbull, vermählt wurden.

Der Kriegsrath zog sich so sehr in die Länge, daß ich den Auftrag Herrn Turnbulls an Herrn Drummond auf den folgenden Tag verschieben mußte. Ich ging um eilf Uhr von Hause fort und langte um zwölf Uhr Mittags an. Der Diener kannte mich nicht, als ich an der Thüre pochte.

»Was wollt Ihr?«

»Ich wünsche Frau oder Fräulein Drummond zu sprechen; mein Name ist Ehrlich.«

Ehe er hinaufging, hieß er mich in der Halle Platz nehmen, indem er beifügte: »Putzt auch Eure Schuhe ab, Bursche.« Ich kann eben nicht sagen, daß ich über diesen Befehl, wie ich ihn wohl nennen mag, sehr erfreut war; er kehrte jedoch bald wieder zurück und ersuchte mich, hinaufzugehen, was ich mir nicht zweimal sagen ließ.

Ich fand Sarah allein im Gastzimmer.

»Es freut mich sehr, Sie zu sehen, Jacob, und thut mir leid, daß Sie unten so lange warten mußten, aber – wenn Leute, die etwas anderes sein könnten, mit Gewalt Schiffer sein wollen, so ist das nicht unsere Schuld. Die Bedienten urtheilen blos nach dem äußern Schein.«

Ich fühlte mich für einen Augenblick gekränkt, aber es ging schnell vorüber; wir setzten uns neben einander und plauderten eine Zeitlang.

»Das Geschenk, das ich Ihnen zu machen hatte, war eine Börse, die ich selbst strickte, damit Sie – Ihren Verdienst darin aufbewahren können,« sagte sie lachend, und hielt dann spottend ihren Zeigefinger empor: »Boot, Sir? Boot, Sir? Nun Jacob, es geht doch nichts über Unabhängigkeit, und Sie müssen mir's nicht verargen, wenn ich Sie auslache.«

»Ich achte das nicht, Sarah,« versetzte ich (aber ich bekümmerte mich sehr viel darum); »das ist nichts Entehrendes.« »Gewiß nicht,« erwiederte sie, »aber ein Mangel an Ehrgeiz, den ich nicht verstehen kann. Uebrigens wollen wir nicht mehr davon reden.«

Frau Drummond trat in's Zimmer und grüßte mich freundlich. »Wann können Sie zu Mittag speisen, Jacob? Wollen Sie am Mittwoch kommen?«

»Mutter, am Mittwoch geht's nicht; wir haben Gesellschaft.«

»Du hast recht, mein Schatz, ich hatte es vergessen; aber am Donnerstag sind wir ganz allein; wollen Sie am Donnerstag kommen, Jacob?«

Ich zögerte mit der Antwort, denn ich fühlte, daß ich wegen meines Gewerbes als Kahnführer nicht an dem Tisch zugelassen wurde, wo ich früher mitzuspeisen gewohnt war, mochte eingeladen sein, wer wolle.

»Ja, Jacob,« sagte Sarah, zu mir tretend, »am Donnerstag; aber Sie dürfen es uns nicht abschlagen; denn wenn wir auch vornehmeren Besuch am Mittwoch haben, so wird mir doch diese Gesellschaft nicht so angenehm sein, als die Ihrige am darauf folgenden Tage.«

Diese Schmeichelei entschied, und ich nahm die Einladung an. Herr Drummond trat ein, und ich übergab ihm den Wechsel Herrn Turnbulls. Er war sehr freundlich, sagte aber nicht viel weiter, als es freue ihn sehr, daß ich auf Donnerstag zugesagt habe. Der Bediente kam und meldete den Wagen; dieß war ein Zeichen, daß ich Abschied nehmen mußte. Sarah reichte mir die Hand und bemerkte lachend, es sei unbillig von ihnen, mich länger zurückzuhalten, da ich bereits ein halb Dutzend Kunden verloren haben müsse. »Eilen Sie also zu Ihrem Boote hinunter, ziehen Sie den Rock aus und bringen Sie die verlorene Zeit wieder ein,« fuhr sie fort; »die Mutter und ich, wir beide wollen nächster Tage auch eine Wasserfahrt machen, um Ihnen etwas zu verdienen zu geben.«

Ich lachte und ging, fühlte mich aber bitter gekränkt. Ich konnte mich ihnen nicht gleich stellen, weil ich ein Fährmann war. Der Spott Sarah's ging nicht spurlos an mir vorüber; aber er war mit so viel Freundlichkeit vermengt, daß ich ihr nicht zürnen konnte. Am Donnerstag kam ich zu Tisch, wie wir verabredet hatten; sie waren ganz allein und voll freundlicher Aufmerksamkeit, aber dennoch herrschte ein gewisser Zwang, der sich auch mir mittheilte. Nach Tisch war Herr Drummond ziemlich schweigsam; er sprach kein Wort von einer neuen Anstellung in seinen Diensten, und fragte mich mit keiner Sylbe, wie ich mich bei meinem selbst erwählten Gewerbe befinde. Im Ganzen fühlte ich mich sehr unbehaglich. Ich verabschiedete mich bald und hatte wenig Neigung, den Besuch zu erneuern. Ich muß hier bemerken, daß sich Herr Drummond jetzt in einem ganz andern Kreise bewegte, als früher. Er war der Geschäftsführer verschiedener großer Häuser im Ausland und erwarb sich in kurzer Zeit ein sehr bedeutendes Vermögen. Auch hatte er sein Hauswesen auf einen ganz neuen Fuß gestellt; denn Alles war mit dem feinsten Geschmacke eingerichtet und streifte an Ueppigkeit. Während ich den Strom hinaufruderte, sagte mir etwas in meiner Brust, des Domine Weissagung werde in Erfüllung gehen, und ich es einst bereuen, die Verwendung Herrn Drummonds ausgeschlagen zu haben – ja, ich wußte nicht, ob ich nicht schon in diesem Augenblicke die Klugheit meiner starrköpfigen Liebe zur Unabhängigkeit stark bezweifelte.

Und nun, Leser, will ich dich nicht mit gleichgültigen Vorfällen hinhalten und bitte dich deßhalb um Erlaubniß, zwei Jahre zu überspringen, bevor ich meine Erzählung wieder aufnehme. Den geschichtlichen Inhalt dieses Zeitraums will ich auf ein paar Seiten zusammenfassen. Der Domine ging immer seinen gleichen Schritt fort – schneuzte seine Nase und handhabte sein Birkenreis mit dem gewohnten Eifer. Selten verstrich ein Sonntag, ohne daß ich ihm einen Besuch abstattete und seinen Rath einholte. Herr Turnbull war immer freundlich und zuvorkommend, aber seine Gesundheit nahm allmählig ab; er erholte sich nie mehr von den Folgen seines Unfalls auf der Themse. Von dem Drummond'schen Hause sah ich wenig; wenn ich kam wurde ich freundlich empfangen, aber nie besuchte ich sie unaufgefordert. Gewöhnlich machte ich meine Aufwartung blos, wenn ich durch Tom eine Einladung erhalten hatte. Sarah war eine sehr schöne Jungfrau geworden, und da es allgemein bekannt war, daß Herr Drummond ein sehr großes Vermögen besaß und nur dieses einzige Kind hatte, so war sein Haus bald der Sammelplatz eines weit höheren Cirkels, als er früher bei sich zu sehen gewohnt gewesen. Mit jedem Tage erweiterte sich die Kluft, und ich fühlte mich immer weniger geneigt, in diesem Hause zu erscheinen.

Stapleton rauchte seine Pfeife und sprach über Menschennatur, wie immer. Marie war eine sehr schöne Jungfrau geworden, blieb aber so gefallsüchtig wie früher. Der arme Tom Beazeley hatte sich förmlich in ihr Netz verstrickt und folgte ihr auf allen Schritten, obgleich sie nur ihr Spiel mit ihm trieb, indem sie ihn bald aufmunterte und freundlich anlächelte, bald wieder zurückstieß und verlachte. Tom ertrug Alles, denn er war bezaubert; und nachdem er mir das Geld, das ich ihm zu seinem Kahne vorgestreckt hatte, wieder zurückgegeben, verwendete er seinen ganzen Verdienst zu hübschen Kleidern und Geschenken für Marien. Von meiner Obhut hatte er sich völlig losgesagt; sie schien eine Freude daran zu haben, Alles zu thun, von dem sie wußte, daß es mir mißfiel; obschon wir als Bewohner desselben Hauses auf ziemlich freundschaftlichem Fuße stunden.

Der alte Tom Beazeley hatte sein Schild aufgerichtet und sehr viel zu thun. Täglich sah man ihn an aller Art Nachenboden hämmern, und hörte ihn seine Arbeit durch die Mannigfaltigkeit seiner Gesänge erheitern. Ich besuchte ihn auf meinen Stromfahrten oft und brachte dann und wann auch einige Stunden bei ihm zu, indem ich auf seine Fäden hörte, die eben so unerschöpflich waren als seine Lieder.

Was mich selbst betrifft, so habe ich mehr von Gefühlen, als von Handlung zu erzählen. Mein Leben glitt still und langsam dahin wie mein Kahn. Ein Tag glich dem andern, mit unbedeutender Abwechslung der Vorfälle und Kunden. Bekannte hatte ich wenig, und Besuche machte ich selten. In den langen Sommerabenden, in welchen Marie unter Begleitung Toms oder eines andern Anbeters ausging, kehrte ich zu meinen Büchern zurück. Herrn Turnbulls Bibliothek stand mir zu Gebot, und ich benützte sie fleißig. Nach einiger Zeit wurde mir das Lesen zur Leidenschaft, und man sah mich selten ohne ein Buch in der Hand. Aber wenn ich auch meinen Geist ausbildete, so fühlte sich mein Herz doch nicht glücklicher. Im Gegentheil, ich überzeugte mich mehr und mehr, daß ich eine nicht gewöhnliche Thorheit begangen hatte, indem ich mich so fest an meine Unabhängigkeit klammerte. Ich fühlte, daß ich über meiner Sphäre stand und unter Leuten lebte, die nicht meines Gleichen waren – daß ich aus albernem Stolze alle Aussichten weggeworfen hatte, die sich mir von selbst angeboten, und daß ich meine Jugend ungenützt verstreichen ließ. Mit jedem Tage drängten sich mir diese Gedanken schmerzlicher auf, und wie der Domine vorausgesagt hatte, bereute ich meinen Geist der Unabhängigkeit bitter – allein es war zu spät. Herr Drummond erneuerte seine Vorschläge nie wieder, während Herr Turnbull glaubte, ich sei immer noch der gleichen Ansicht, und überdieß in seinen traurigen Gesundheitsumständen – denn er war ein Märtyrer der Gicht – zu viel an sich selbst dachte, um an Andere denken und mich zu einer Trennung von meinem Gewerbe auffordern zu können. Ich selbst war zu stolz, um meine Wünsche laut werden zu lassen, und so setzte ich meine Stromfahrten fort, nun wenig um meinen Erwerb bekümmert, denn ich fühlte mich nur dann glücklich, wenn ich auf den Blättern der Geschichte, oder unter den Blumen der Dichtkunst, bei den Zeiten der Vergangenheit, oder in den Träumen der Einbildungskraft verweilen konnte. Wie man von der Schlange sagt, daß sie in ihrem eigenen Körper ein Heilmittel gegen das Gift ihrer Zähne führe, so wurde mir das Lesen durch die Erweiterung meines Geistes eine Quelle der Unzufriedenheit über meine niedrige Stellung, aber zu gleicher Zeit durch die Abwendung meiner Gedanken von der Gegenwart der einzige Trost in meinem Kummer. Und so überspringe denn, Leser, einen Zeitraum von zwei Jahren, und betrachte die obigen Bemerkungen als einen Umriß, den du nach den Farben deiner Einbildungskraft mit Vorfällen von untergeordneter Bedeutung ausfüllen magst. Ich nehme meine Erzählung wieder auf.


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