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Zehntes Kapitel.

»Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage.« – Splitter an Bord eines Kriegsschiffes sind etwas ganz anderes, als Splitter am Finger auf dem Lande. – Tom wendet das Aufhören dieser Erzählung ab, indem er mich vom Untersinken rettet. – Ich erhalte einen Brief von einem Rechtsanwalt, aber statt darüber verdrießlich zu werden, erfreut er mich ungemein.

Mittlerweile hatte Tom die Fockoberbramraa erklettert, um sich nach den fünf Guineen umzusehen, und rief, während die Unterhaltung stattfand: »Segel ho!«

»Fremdes Segel wird gemeldet.«

»Wo?« rief der erste Lieutenant, nach dem Vorschiffe gehend.

»Gerade unter der Sonne.«

»Mastwächter dort oben, seht ihr das Segel?«

»Ja, Sir, ich glaube, 's ist ein Schooner; aber ich kann nur bis zur Hauptraa hinabsehen.«

»Das ist eines von ihnen, verlassen Sie sich darauf,« sagte der Kapitän. »Steigen Sie hinauf, Herr Wilson, und sehen Sie, was Sie daraus machen können. Wer ist der Mann, der es gemeldet hat?«

»Tom Beazeley, Sir.«

»Verdammter Bursche, schickt mir die ganze Mannschaft über Bord, und jetzt muß ich ihm noch fünf Guineen geben. Was machen Sie daraus, Herr Wilson?«

»Ein niedriger Schooner, Sir – in der That höchst verdächtig – schwarze Wände. Aber seine Stückpforten sehe ich nicht; doch denke ich, er wird uns eine hübsche Reihe Zähne weisen können. Er ist auch von Windstille überfallen, wie wir.«

»Gut, dann müssen wir eine Brise herpfeifen. Mittlerweile wollen wir die Boote in Bereitschaft halten, Herr Knight.«

Wenn man lange genug pfeift, so kommt der Wind gewiß. In ungefähr einer Stunde sprang die Brise auf, und wir benützten sie sogleich; aber es war zu dunkel, um den Schooner zu erkennen; sobald die Sonne untergegangen war, hatten wir ihn aus dem Gesichte verloren. Um Mitternacht lullte die Brise ein, und wir hatten wieder Windstille. Der Kapitän blieb, nebst dem größten Theil der Offiziere, die ganze Nacht auf dem Verdeck, und die Wache wurde beordert, die Boote zum Dienst in Bereitschaft zu setzen. Ich hatte die Morgenwache, und mit Tagesanbruch sah ich den Schooner von der Fockbramraa aus in einer Entfernung von ungefähr vier Meilen gegen Nordwest. Ich eilte auf's Verdeck und meldete es.

»Ganz gut, mein Bursche,« sagte der Kapitän und richtete sein Fernrohr nach der angedeuteten Gegend. »Ich habe ihn, Herr Knight, und will ihn auch auf die eine oder andere Weise in meine Gewalt bekommen. Kein Anzeichen von Wind. Die Kutter hinuntergelassen; die Raaen und Stage eingehakt. Wir wollen noch ein wenig warten, bis wir etwas mehr davon sehen, wenn der Tag anbricht.

Am hellen Tage konnte man den Schooner mit seiner Ausrüstung deutlich erkennen. Er führte sechszehn Kanonen und war zum Angriffe mit Booten ein furchtbares Fahrzeug. Da die Windstille noch immer anhielt, wurden das Langboot, die Jolle und die Pinasse ausgesetzt, bemannt und mit Geschütz versehen. Der Schooner streckte seine Ruder aus und bereitete sich offenbar zu unserem Empfange vor; aber der Kapitän schien noch nicht Willens zu sein, das Leben seiner Mannschaft in einem so gefährlichen Kampfe auf's Spiel zu setzen, und wir lagen müssig neben der Fregatte, wobei jeder der Matrosen mit dem Ruder in der Hand auf seinem Platze saß. Hin und wieder liefen sogenannte Katzenpfoten über das Wasser und kräuselten die glatte Fläche. Man schloß daraus, daß bald eine Brise aufspringen würde, und die Hoffnung auf dieselbe machte den Kapitän unschlüssig. So blieben wir bis zwölf Uhr liegen, um welche Zeit wir Befehl erhielten, hastig unser Mittagsessen einzunehmen, während uns zugleich die Branntweinration verabreicht wurde. Tom und ich waren im ersten und zweiten Kutter. Um ein Uhr trat wieder Windstille ein. Hätten wir sogleich abgestoßen, nachdem die Boote ausgesetzt waren, so wäre jetzt das Gefecht schon längst entschieden gewesen. Als endlich der Kapitän bemerkte, daß die Aussicht auf eine Brise weit geringer war, als Vormittags, so ertheilte er den Booten den Befehl zum Abfahren. Wir lagen immer noch in der gleichen Entfernung vom Kaper zwischen vierthalb und vier Meilen. In weniger als einer halben Stunde hatten wir uns auf Schußweite genähert; der Kaper wendete sich mit seiner breiten Seite gegen uns und eröffnete sein Geschützfeuer mit einzelnen Schüssen in der genauesten Richtung. Die Kugeln rikochettirten über die Boote hin, und bei jedem Schuß glaubten wir unfehlbar getroffen zu werden. Jetzt lief eine leichte Brise über das Wasser. Sie erreichte den Schooner, schwellte seine Segel und führte ihn weiter von uns weg. Allein sie lullte wieder ein, und wir näherten uns schnell wieder. Der Schooner drehte sich und eröffnete sein Feuer auf's Neue. Eine Kugel schlug durch den zweiten Kutter, in welchem ich mich befand, zersplitterte drei seiner Planken und verwundete außer mir noch zwei weitere Matrosen. Alsbald füllte sich das mit Geschütz, Munitionskisten u.s.w. beladene Boot und schlug mit uns um. Nur mit Mühe wichen wir der herausstürzenden Ladung aus. Ein armer Bursche, der nicht verwundet worden war, gerieth unter das Boot und kam nicht wieder zum Vorschein. Die übrige Mannschaft tauchte wieder empor und klammerte sich an den Wänden des umgestürzten Bootes fest. Der erste Kutter ruderte zu unserer Hülfe heran, denn wir hatten uns getrennt, um die Wirkung des feindlichen Feuers zu schwächen; aber es dauerte drei bis vier Minuten, bis sie uns zu Hülfe kommen konnten, und mittlerweile verloren die beiden andern Verwundeten, welche ohne Zweifel in die Beine oder den Leib geschossen worden waren, durch den starken Blutverlust ihre letzte Kraft und verschwanden unter der stillen blauen Tiefe. Ich war durch einen Splitter verwundet worden, der in meinen linken Arm drang, und hielt etwas länger, als meine beiden Leidensgefährten; aber noch ehe der Kutter kam, verlor ich das Bewußtsein und sank. Tom, der im Bug des Kutters war, sah mich verschwinden, stürzte sich mir nach und brachte mich wieder über das Wasser. Wir wurden beide in das Boot gezogen. Auch die übrigen fünf Mann wurden gerettet. Sobald wir eingenommen waren, folgte der Kutter den andern Booten, welche immer näher auf den Kaper zuruderten. Ich kam wieder zu mir und fand, daß ein Stück von einem der Querhölzer des Bootes, das der Schuß zerschmettert hatte, durch den fleischigen Theil meines Armes unter dem Ellenbogen gedrungen war, wo es stecken blieb. Es war eine eben so gefährliche als schmerzhafte Wunde. Der Offizier des Bootes faßte den Splitter, ohne mich zu fragen, und zog ihn heraus, aber wegen der zackigen Form desselben war der Schmerz so groß, und nach der Operation der Blutverlust so bedeutend, daß ich abermals das Bewußtsein verlor. Glücklicherweise war keine Arterie verletzt, sonst hätte ich den Arm verlieren müssen. Man verband meine Wunde und legte mich auf den Boden des Kutters. Das Feuer des Schooners war jetzt sehr stark, und wir lagen eine Viertelmeile von ihm entfernt, als die Brise aufsprang und ihn dreiviertel Meilen weiter wegführte. Nach dem Gewölke zu urtheilen, hatten wir bald Wind zu hoffen, wiewohl die Brise nach einiger Zeit wieder einlullte. Wir waren keine halbe Meile mehr vom Schooner entfernt, als wir bemerkten, daß die Fregatte eine muntere Brise hatte und sich schnell dem Kampfplatze näherte.

Die Brise schwebte über das Wasser hin und fiel in die Segel des Schooners, und bald war dieser, trotz aller Anstrengungen unserer ermüdeten Mannschaft, aus dem Bereiche unserer Schüsse gekommen; da ertheilte der erste Lieutenant den höchst zweckmäßigen Befehl, nach der Fregatte zurückzurudern, welche jetzt eine Meile von uns entfernt war. In weniger als zehn Minuten wurden die Boote aufgehißt, und da der Wind jetzt stärker wurde, setzten wir alle Segel bei und fuhren sieben Meilen in einer Stunde; auch den Kaper hatte die Brise erfaßt und trieb schnell vor uns hin.

Ich war der einzige Verwundete, der an Bord gebracht worden war, und wurde in den Krankenverschlag geschafft. Der Wundarzt untersuchte meinen Arm und schüttelte anfangs den Kopf. Ich war auf augenblickliche Amputation gefaßt; aber bei einer wiederholten Untersuchung äußerte er die Hoffnung, das Glied könne erhalten werden. Er legte einen ordentlichen Verband an und ließ mich in einen geschirmten Verschlag unter das Halbdeck in meine Hängematte tragen, wo die kühlende Brise, die durch die Stückpforten hereindrang, meine fieberischen Wangen fächelte. Doch ich muß zu unserer Jagd zurückkehren.

In weniger als einer Stunde hatte der Wind so stark zugenommen, daß wir kaum unsere Oberbramsegel führen konnten, der Kaper flog ungefähr drei Meilen vor uns her, und zwar in einer so schnurgeraden Richtung, daß unsere drei Masten in gerader Linie gegen ihn lagen. Mit Sonnenuntergang sah sich der Schooner gezwungen, die Oberbramsegel einzuziehen, und am Horizont zeigten sich alle Merkmale eines heftigen Sturmes. Die Fregatte führte jedoch noch immer jeden Streifen Segeltuch, den sie tragen konnte, und wir beobachteten den Kaper und jede seiner Bewegungen mit unsern Nachtfernrohren.

Die Brise nahm zu; ehe der Tag anbrach, ging die See hohl, und die Fregatte konnte nur noch die Bramsegel über den doppelt eingerefften Marssegeln führen. Mit Anbruch des Tages waren wir nach den Sextanten dem Schooner um eine Viertelmeile näher gekommen, und der Kapitän und die Offiziere, die seit vierundzwanzig Stunden das Verdeck nicht mehr verlassen hatten, gingen hinunter, um etwas auszuruhen und sich zu erquicken. Den ganzen Tag jagten wir den Kaper, ohne ihm mehr als eine Meile abzugewinnen, und jetzt tobte ein heftiger Sturm. Die Bramsegel waren früher schon eingezogen worden; jetzt wurden die Marssegel dicht angerefft, und wir flogen in einer Stunde bei zwölf Meilen weit, aber auch der Schooner segelte trefflich, und kaum waren wir ihm auf Schußweite nahe gekommen, als die Sonne drohend und blutroth unter dem Horizonte verschwand. Weil es so äußerst schwierig ist, in der Nacht bei hohler See die Fernröhren auf ein bestimmtes Schiff zu richten, hegte man die größte Besorgniß, der Schooner möchte alle Segel beschlagen, um uns vorüberzulassen, und auf diese Art entkommen. Allein dieser Gedanke schien dem Kapitän des Schooners nicht einzufallen; er setzte seinen Lauf unter einem Drucke von Segeln fort, welcher sogar bei Tag beunruhigend erschienen wäre; und als der Morgen anbrach, hatte er uns die frühere Entfernung von vier Meilen wieder abgewonnen, weil die Bewegung eines Schiffes bei Nacht nie so genau ist, als bei Tag. Der Sturm war noch heftiger geworden; aber nichtsdestoweniger befahl Kapitän Maclean, ein Reff der Marssegel loszulassen.

Am Morgen kam Tom wie gewöhnlich vor meine Hängematte und fragte mich nach meinem Befinden. Ich sagte ihm, daß ich mich besser fühle und weniger Schmerzen habe, und daß der Wundarzt mir versprochen, nach dem Frühstück meine Wunde zu verbinden; denn man hatte meinen Verband nicht mehr abgenommen, seit ich an Bord gebracht worden war. »Und den Kaper werden wir hoffentlich nehmen, Tom; es wird mir zu einigem Troste gereichen, wenn wir ihn bekommen.«

»Ich meine, es sollte gehen, wenn der Mast hält, Jacob; aber wir haben einen ungeheuren Segeldruck, wie du aus der Heftigkeit schließen kannst, mit welcher die Fregatte stößt. Im Vorderkastell kann Niemand stehen, und aus dem Vorschiffe stürzt sich ein regelmäßiger Wasserfall in das Mitteldeck. Wir kommen dem Schooner jetzt ganz nahe. 's ist ein herrlicher Anblick, wie er sich hält: wenn er sich auf die Seite legt, so können wir sehen, daß die ganze Mannschaft auf dem Verdeck angebunden ist; ganze Meere faßt er in seine großen Segel und gießt sie wieder von sich, wenn er vom Schlingen aufsteht. Er verdient es auf jeden Fall, zu entkommen.«

Es wurde ihm jedoch nicht, was er verdiente, denn ungefähr um zwölf Uhr Mittags waren wir noch eine Meile von ihm entfernt. Um zwei Uhr feuerten die Marinesoldaten mit dem kleinen Gewehr auf denselben, denn wir wollten nicht gieren, um eine Kanone darauf abzuschießen, wiewohl er gerade unter unserem Bug lag. Als wir auf Kabellänge herangekommen waren, verkürzten wir die Segel, um uns in der gleichen Entfernung zu halten, und nachdem der Schooner durch das Musketenfeuer einige Mann verloren hatte, schwenkte der Kapitän seinen Hut zum Zeichen der Uebergabe. Alsbald verkürzten wir alle Segel, um seine Luft zu halten, und beschossen ihn so lange, bis er sämmtliche Segel eingezogen hatte, dann legten wir um, behielten ihn unter dem Lee und feuerten auf jeden Mann, der sich auf dem Verdecke zeigte. Die Besitznahme des Schooners war jedoch noch eine schwierige Aufgabe; ein Boot vermochte sich kaum auf einer solchen See zu halten; und als der Kapitän Freiwillige aufrief, und ich Tom's Stimme im Kutter hörte, der eben niedergelassen wurde, bebte mein Herz in ängstlicher Besorgniß, es möchte ihm etwas Mißliches begegnen. Endlich vernahm ich aus dem Gespräche auf dem Verdeck, daß der Kutter glücklich an Bord gekommen war, und ich wurde wieder heiter. Der Wundarzt erschien und verband meinen Arm, und ich fühlte sowohl eine körperliche, als auch eine geistige Erleichterung.

Erst am folgenden Tage, wo wir dicht neben dem Schooner lagen, wurde das Wetter in soweit gemäßigt, daß die Gefangenen an Bord gebracht und unsere Offiziere mit der erforderlichen Mannschaft auf den Schooner übergesetzt werden konnten. Die Prise war ein in Amerika gebautes Schiff, das zu einem französischen Kaper ausgerüstet war. Sie nannte sich Cerfagite, führte vierzehn Kanonen und hatte einen Gehalt von beinahe dreihundert Tonnen, nebst einer Mannschaft von hundert und siebenzig Mann, von denen achtundvierzig mit Prisen ausgeschickt waren. Es war vielleicht ein Glück, daß die Boote nicht zum Angriff kamen, denn sie würden ziemlich hitzig empfangen worden sein. So nahmen wir also dieses verderbliche Fahrzeug nach einer Jagd von zweihundert und siebenzig Meilen; und sobald alle erforderlichen Einrichtungen getroffen waren, segelten wir mit dem Kaper auf Halifax zu, wo wir nach ungefähr fünf Wochen eintrafen. Meine Wunde war jetzt beinahe geheilt; aber mein Arm war völlig abgemagert, und ich war nicht im Stande, zum Dienst zurückzukehren. Es war bekannt, daß ich eine gute Hand schrieb, und weil ich nichts anders thun konnte, erbot ich mich, den Zahlmeister und Schiffsschreiber bei der Buchführung zu unterstützen.

Der Admiral war in Bermudas, und die Fregatte, welche wir abzulösen hatten, im Drange des Dienstes nach Honduras abgeschickt worden, und wurde vor einigen Monaten nicht zurückerwartet. Wir segelten von Halifax nach Bermudas zum Admiral, und nach drei Wochen wurden wir wieder zum Kreuzen beordert. Mein Arm war jetzt vollkommen hergestellt, aber ich hatte mich in der Schreibkammer so brauchbar erwiesen, daß ich wider meinen eigenen Willen beibehalten wurde, denn es gefiel dem Kapitän, wie Tom sagte, und dann durfte nichts mehr über den Gegenstand gesprochen werden.

Amerika war zu jener Zeit nicht der Kriegsschauplatz, und wir hatten auf der nordamerikanischen Station nichts zu thun, als gelegentlich französische Schnellsegler zu jagen. Ich weiß deßhalb von der Zeit, die ich noch an Bord der Fregatte zubrachte, wenig mehr zu erzählen. Tom erfüllte seine Pflicht auf dem Vortop und zog sich nie eine Unannehmlichkeit zu; er war im Gegentheil ein großer Liebling der Offiziere sowohl, als der Mannschaft, und nahm sich gegen den Kapitän mehr Freiheiten heraus, als irgend ein Anderer gewagt haben würde; aber Kapitän Maclean wußte, daß Tom einer seiner ersten und besten Matrosen war, stets thätig, eifrig und gleichgültig gegen die Gefahr, und Tom wußte, wie weit er sich unterstehen durfte, mit ihm zu spielen. Ich blieb in der Schreibkammer, und sobald man die Entdeckung machte, daß ich eine vortreffliche Erziehung genossen hatte und meinen Obern stets mit Ehrerbietung begegnete, wurde ich freundlich behandelt und hatte keinen Grund, mich über ein Kriegsschiff zu beklagen.

So standen die Sachen, als die andere Fregatte von Honduras ankam. Nachdem wir die letzten vier Monate in Boston-Bay gekreuzt hatten, erhielten wir durch einen Kutter den Befehl, zum Admiral in Halifax zu stoßen. Wir waren beinahe schon ein Jahr lang von England abwesend und hatten noch niemals Briefe erhalten. Der Leser kann sich also die Ungeduld vorstellen, mit der wir das Admiralsboot begrüßten, das mit einigen Briefsäcken für die Offiziere und die Mannschaft an Bord kam, nachdem wir Anker geworfen und die Segel eingezogen hatten. Sie wurden in der Constablekammer abgegeben und ich wartete mit Ungeduld die Ausscheidung und Vertheilung ab.

»Ehrlich,« sagte der Zahlmeister, »hier sind zwei Briefe für Sie.«

Ich dankte ihm und eilte in die Schreibkammer, um sie ungestört zu lesen. Der erste war von einer kunstgerechten, mir ganz unbekannten Hand überschrieben. Ich öffnete ihn mit einem gewissen Grade von Verwunderung, weil ich nicht begriff, wie man an eine so untergeordnete Person schreiben könnte. Er war von einem Rechtsanwalt und lautete, wie folgt: –

»Sir – Wir beeilen uns, Sie von dem Tode Ihres guten Freundes, Herrn Alexander Turnbull's in Kenntniß zu setzen. In seinem Testamente, welches geöffnet und verlesen worden ist, und von welchem Sie der Vollstrecker find, hat er Sie zu seinem einzigen Erben eingesetzt, indem er Ihnen für jetzt die Summe von 30,000 Pfund vermacht, wozu beim Ableben seiner Ehefrau auch noch der übrige Theil des Vermögens kommt. Mit Ausnahme von 5000 Pf., welche der Madame Turnbull zu ihrer eigenen Verfügung gestellt sind, belaufen sich die Legate auf nicht mehr, als 800 Pf. Das Witthum, das aus den Zinsen des der Madame Turnbull auf Lebenszeit versicherten Kapitals erwächst, beträgt jährlich 1080 Pf. in 3prozentigen Consols, welche bei dem Cours von 76 der Summe von 27,360 Pfund Sterling gleich kommen. Ich bitte, Ihnen meinen Glückwunsch zu diesem Ereigniß darbringen zu dürfen. Bereits habe ich mit Herrn Drummond das Gesuch um Ihre Entlassung bei der Admiralität eingereicht; und ich bin so glücklich, Ihnen melden zu können, daß diesem Gesuche sogleich entsprochen wurde, und dieselbe Post, welche diesen Brief befördert, auch den Befehl zu Ihrer Entlassung und freien Rückkehr bringt. Sollten Sie es für geeignet erachten, uns als Ihre ordentlichen Sachwalter anzusehen, so werden wir uns sehr glücklich schätzen, Sie auf die Liste unserer Klienten zu setzen.

Ich zeichne, Sir hochachtungsvoll Ihr
John Fletcher

Der Leser kann sich denken, was ich bei dieser unerwarteten und willkommenen Nachricht empfand. Anfangs war ich so betrübt, daß ich regungslos wie eine Bildsäule den Brief in der Hand hielt, und in diesem Zustande blieb ich, bis ich durch den ersten Lieutenant in die Wirklichkeit zurückgerufen wurde. Er war in die Schreibkammer herabgekommen, um mir den Auftrag zu geben, daß ich »Briefe nach England« rufen sollte; zugleich wollte er dem Segelmacher sagen, daß er einen Briefbeutel anzufertigen hätte.

»Ehrlich – was fehlt Ihnen? Sind Sie krank, oder – ?« Ich konnte nichts antworten, sondern reichte ihm den Brief. Er las ihn und drückte durch wiederholte Ausrufungen sein Erstaunen aus. »Ich wünsche Ihnen Glück, Freund, möchte das nächste Mal die Reihe an mich kommen. Kein Wunder, Sie sahen aus, wie ein gestochenes Schwein. Wenn ich solche Nachrichten empfangen hätte, so könnte sich der Kapitän heiser schreien und das ganze Schiff über Bord fallen, bis ich zu mir selber käme. Jetzt können wir vermuthlich keinen Dienst mehr von Ihnen –«

»Der Kapitän fragt nach Ihnen, Herr Knight,« sagte ein Midshipman, seinen Hut berührend.

Herr Knight ging in die Kajüte und kam in wenigen Minuten mit dem Befehle zu meiner Entlassung zurück.

»Es ist Alles in Ordnung, Ehrlich, hier ist Ihre Entlassung und eine Ordre zu Ihrer Rückkehr.«

Er legte sie auf den Tisch und ging, denn ein erster Lieutenant im Hafen hat keine Zeit zu verlieren. Die nächste Person, welche hereintrat, war Tom. Er hatte einen Brief von Marien mit einer Nachschrift von seiner Mutter in der Hand.

»Jacob,« sagte er, »ich habe dir etwas Neues mitzutheilen. Marie schreibt, Herr Turnbull sei gestorben und habe ihrem Vater 200 Pfund vermacht, zugleich habe sie sich sagen lassen, er habe auch dir eine hübsche Summe ausgesetzt.«

»Das hat er allerdings, Tom,« erwiederte ich, »lies diesen Brief.«

Während Tom las, bemerkte ich den Brief von Herr Drummond, den ich ganz vergessen hatte. Ich öffnete ihn. Er theilte mir dasselbe mit, was mir der Sachwalter schrieb, nur mit wenigen Worten; dabei empfahl er mir schleunige Rückkehr und schloß einen Wechsel von 100 Pfund auf sein Haus ein, um mich in den Stand zu setzen, auf eine meinen gegenwärtigen Verhältnissen angemessene Weise aufzutreten.

»Nun,« sagte Tom, »das sind allerdings gute Nachrichten, Jacob. Du bist endlich ein Gentleman geworden, was du schon lange verdient hast. Es macht mich sehr glücklich. Was gedenkst du zu thun?«

»Hier ist meine Entlassung,« erwiederte ich, »und ich habe die Ordre zur Rückkehr.«

»Noch besser. Ich bin sehr glücklich, Jacob, sehr glücklich. Aber was soll aus mir werden?« Und Tom strich mit dem Rücken seiner Hand über die Augen, um eine Thräne wegzuwischen.

»Du wirst mir bald folgen, Tom, wenn ich es durch Geld oder Verwendung so weit bringen kann.«

»Ich bringe es selbst so weit, Jacob, wenn du es nicht so weit bringst. Ich bleibe ohne dich nicht hier, dazu bin ich fest entschlossen.«

»Nur nichts Unüberlegtes, Tom. Ich bin überzeugt, daß ich deine Entlassung erkaufen kann, und bei meiner Ankunft in England will ich an nichts Anderes denken, bis es gelungen ist.«

»Du mußt schnell sein, Jacob, denn ich bin überzeugt, daß ich nicht lange hier sein kann.«

»Vertraue mir, Tom, du wirst immer den Jacob Ehrlich in mir finden,« sagte ich und reichte ihm meine Hand. Tom drückte sie mit Wärme, kehrte sich mit nassen Augen ab und ging hinaus.

Die Neuigkeit hatte sich durch das ganze Schiff verbreitet und eine Menge Offiziere sowohl als Matrosen kamen zu mir, um mir Glück zu wünschen. Was würde ich gegeben haben, wenn ich nur eine halbe Stunde lang mir selbst angehört hätte, – um meine aufgeregten Gefühle zu beruhigen – um für ein so unerwartetes Glück zu danken und dem Andenken eines so aufrichtigen Freundes meinen Zoll zu bezahlen! Aber in einem Schiffe ist dieß beinahe unmöglich, wenn man nicht Offizier ist und sich in seine Kajüte zurückziehen kann; und man muß diese Ergüsse des Herzens, die aus dem Kummer oder der Freude entspringen, man muß diese Thränen, die in der Einsamkeit so süß find, vor der Menge entweihen oder ganz zurückdrängen. Endlich zeigte sich eine erwünschte Gelegenheit. Herr Wilson, der im Dienste abwesend gewesen war, hatte bei seiner Rückkehr die Neuigkeit kaum vernommen, als er mich besuchte, um mir Glück zu wünschen und mich in unbewußter Ahnung meiner Gefühle fragte, ob ich meine Briefe nicht in seiner Kajüte schreiben wollte, die mir auf einige Stunden zu Diensten stände. Ich nahm das Anerbieten dankbar an; und als ich zum Kapitän gerufen wurde, hatte ich mein gepreßtes Herz erleichtert und meine aufgeregten Gefühle beruhigt.

»Jacob Ehrlich, Sie wissen, daß der Befehl zu Ihrer Entlassung da ist,« sagte er freundlich. »Sie werden noch diesen Nachmittag auf die Asträa entlassen, welche nach Hause beordert ist und in wenigen Tagen mit Depeschen absegeln wird. Sie haben sich gut betragen, so lange Sie unter meinen Befehlen gestanden sind, und ob Sie gleich in Ihren jetzigen Verhältnissen keines Zeugnisses bedürfen, so nehmen Sie doch das lohnende Bewußtsein mit, Ihre Pflicht in dem Stande erfüllt zu haben, zu welchem Sie für einen Theil Ihres Lebens berufen wurden – ich wünsche Ihnen Heil.«

Wenn Kapitän Maclean in dem, was er sagte, auch das Verhältniß, in dem wir bisher zu einander gestanden waren, nicht aus den Augen verlor, so lag doch besonders in den letzten Worten, »ich wünsche Ihnen Heil,« ein Gefühl des Wohlwollens, das mir tief zu Herzen drang. Ich erwiederte, daß ich sehr glücklich gewesen sei, so lange ich unter seinen Befehlen gestanden habe, und sagte ihm meinen Dank für seinen Segenswunsch. Dann verbeugte ich mich und verließ die Kajüte. Aber der Kapitän schickte mich nicht an Bord der Asträa, ob ich gleich dorthin entlassen wurde. Er sagte dem ersten Lieutenant, es sei besser, wenn ich an's Land gehe und mich auf eine angemessene Weise ausrüste. Wie ich nachher fand, sprach er sich gegen den Kapitän der Asträa sehr günstig über mich aus und sagte, ich hätte die Erziehung eines Gentleman genossen und sei auf eine gesetzwidrige Weise gepreßt worden, so daß mich, als ich an Bord der Asträa erschien, die Offiziere ersuchten, wahrend der Ueberfahrt an ihrem Tische zu speisen.

Ich ging an's Land, setzte meinen Wechsel in Geld um, eilte zu einem Schneider und verschaffte mir mit seiner und anderer Künstler Hülfe, was zur äußeren Erscheinung eines Gentleman erfordert wird. Dann kehrte ich auf die Immortalité zurück und sagte den Offizieren und vertrautesten Matrosen Lebewohl. Mein Abschied von Tom war schmerzlich. Ich bemerkte, daß sogar die wenigen Tage meiner Abwesenheit eine Veränderung in seinem Aeußeren hervorgebracht hatte.

»Jacob,« sagte er, »glaube nicht, daß ich dich beneide, im Gegentheil, ich bin so dankbar, ja noch dankbarer, daß dir ein solches Glück widerfahren ist, als wenn es mir selbst zu Theil geworden wäre; aber ich kann mir nicht helfen, ich gräme mich bei dem Gedanken, daß ich ohne dich hier zurückbleiben soll; und werde mich so lange grämen, bis ich wieder bei dir bin.«

Ich erneuerte mein Versprechen, seine Entlassung auszuwirken, zwang ihm alles Geld auf, was ich entbehren zu können glaubte, und schied so schmerzlich ergriffen, als der arme Tom. Unsere Fahrt ging äußerst schnell von Statten. Wir hatten fortwährend Nordwest und flogen so schnell vor dem Winde her, daß wir in weniger als drei Wochen zu Spithead Anker warfen. Glücklich im Wechsel meiner Verhältnisse und noch glücklicher im Vorgenusse der Zukunft sage ich hier nur so viel, daß ich nie heiterer war und mich nie unter angenehmeren jungen Männern befand, als unter den Offizieren der Asträa. Ob wir gleich nur kurze Zeit bei einander waren, trennten wir uns doch mit gegenseitigem Bedauern.


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