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Mond und Sonne steigen herab um dem Spiele Wäinämöinens zu lauschen; des Nordlands Wirtin bekommt sie in ihre Gewalt, birgt sie innerhalb eines Berges und stiehlt das Feuer aus Kalewalas Stuben 1–40. Ukko, der Gott in dem Luftraum, empfindet Mißbehagen über die Dunkelheit in dem Himmel und schlägt Feuer zu einem neuen Mond und zu einer neuen Sonne an 41–82. Das Feuer fällt auf die Erde hinab und Wäinämöinen zieht mit Ilmarinen aus, um es zu suchen 83–126. Die Tochter der Luft berichtet ihnen, daß das Feuer in den Alue-See gestürzt und daselbst von einem Fisch verschlungen sei 127–312. Wäinämöinen und Ilmarinen ziehen aus um den Fisch mit einem Netz aus Bastschnur zu fangen, was ihnen jedoch mißglückt 313–364.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Spielte lange auf der Harfe,
Spielte lang und sang zum Spiele,
Sang gar freudenreichen Sinnes.
Sang kam zu des Mondes Stube,
Jubel zu der Sonne Fenstern,
Schritt der Mond aus seiner Stube,
Stieg auf eine krumme Birke,
Schritt aus ihrem Schloß die Sonne,
Setzt' sich in der Föhre Wipfel,
[10]
Um der Kantele zu lauschen,
Sich am Jubel zu erfreuen.
Louhi, sie, Pohjolas Wirtin,
Nordlands zähnearme Alte,
Nimmt die Sonne nun gefangen,
Greift den Mond mit ihren Händen,
Zieht den Mond vom Stamm der Birke,
Aus der Föhre Kron' die Sonne,
Führet sie sogleich nach Hause,
Nach dem nimmerhellen Nordland.
[20]
Birgt den Mond, daß er nicht scheine,
In den Fels mit bunten Seiten,
Bannt die Sonn', daß sie nicht leuchte,
Zu dem stahlgefüllten Berge,
Redet selber diese Worte:
»Nimmer soll von hier in Freiheit,
Daß er schein', der Mond gelangen,
Nicht die Sonne, daß sie leuchte,
Wenn ich selbst nicht lösen komme,
Ich sie selber nicht befreie,
[30]
Mich neun Hengste nicht begleiten,
Die getragen eine Stute!«
Als der Mond nun fortgeschafft war,
Als die Sonne war geborgen
In dem Steinberg von Pohjola,
In dem eisenfesten Felsen,
Raubt sie dann die Flamme, raubt das
Feuer aus Wäinöläs Stuben,
Daß die Stuben ohne Feuer,
Ohne Licht die Häuser waren.
[40]
Nacht war nun ohn' Unterbrechung,
Dichte Finsternis ohn' Ende,
Dunkle Nacht in Kalewala,
In den Stuben von Wäinölä,
Aber auch im Himmel oben,
Über Ukkos eignem Sitze.
Schwer war's ohne Licht zu leben,
Gar beschwerlich ohne Feuer,
Langeweile hatten Menschen,
Langeweile Ukko selber.
[50]
Ukko nun, der Gott der Höhe,
Selbst der Lüfte großer Schöpfer,
Fing nun an sich zu verwundern,
Dachte nach und überlegte,
Welches Wunder vor dem Monde,
Auf der Sonne Bahn wohl wäre,
Daß der Mond nicht scheinen wollte,
Nicht das Sonnenlicht erstrahlen.
Schritt dann auf dem Saum der Wolken,
Schritt entlang des Himmels Grenze
[60]
In den blaugefärbten Strümpfen,
In den buntgeschmückten Schuhen,
Um das Mondlicht aufzusuchen,
Um die Sonne zu entdecken,
Konnte doch den Mond nicht finden,
Auch die Sonne nicht entdecken.
Feuer schlug nun an der Alte,
Ließ den Funken jäh ersprühen
Aus des Schwertes Feuerschneide,
Aus der flammenreichen Klinge;
[70]
Feuer schlug er mit den Nägeln,
Ließ es aus den Fingern knistern
In des Himmels oberm Raume,
Auf der Sternenhürde Ebne.
Hat das Feuer angeschlagen,
Birgt darauf den Feuerfunken
In dem goldgeschmückten Beutel,
In der silberreichen Lade,
Gibt der Jungfrau ihn zu wiegen,
Zu betreun der Lüfte Tochter,
[80]
Daß ein neuer Mond entstehe,
Eine neue Sonne wachse.
Auf der langen Wolke saß sie,
An dem Saum der Luft die Jungfrau,
Fleißig wiegte sie das Feuer,
Schaukelt hin und her die Flamme
In der goldgeschmückten Wiege,
An den silberreichen Riemen.
Biegen sich die Silberstangen,
Lärmend rauscht die goldne Wiege,
[90]
Schwankt die Wolke, kracht der Himmel,
Schräg neigt sich des Himmels Deckel,
Also wird gewiegt das Feuer,
So geschaukelt wird die Flamme.
Wiegt das Feuer so die Jungfrau,
Schaukelt hin und her die Flamme,
Pflegt das Feuer mit den Fingern,
Hütet es mit ihren Händen,
Es entfällt der Unverständ'gen,
Dieser Jungfrau ohne Vorsicht,
[100]
Aus den Händen, die es wenden,
Aus den Fingern, die es pflegen.
Berstend spaltet sich der Himmel,
Öffnet sich der ganze Luftraum;
Nieder fällt der Feuerfunken,
Rauscht herab der rote Tropfen,
Gleitet durch des Himmels Decke,
Zischet durch der Wolken Hülle,
Durch neun Himmel eilt herab er,
Durch sechs buntgestirnte Festen.
[110]
Sprach der alte Wäinämöinen:
»Bruder du, Schmied Ilmarinen!
Laß uns gehen zuzuschauen,
Laß uns wandern zu erfahren,
Was für Feuer da herabfiel,
Welche fremde Flamme hinsank
Aus dem obern Raum des Himmels
Auf den untern Raum der Erde;
Ist es gar des Mondes Scheibe
Oder auch der Sonne Kugel?«
[120]
Gingen darauf beide Helden,
Schritten vorwärts, überlegten,
Wie sie wohl gelangen könnten,
Wie sie wohl zurecht sich fänden
Zu dem Orte, wo das Feuer,
Wo die Flamme hingestürzet.
Rauscht ein Fluß vor ihnen beiden,
Wie ein stattlich Meer gestaltet;
Fing der alte Wäinämöinen
Nun ein Boot an sich zu zimmern,
[130]
In dem Walde es zu hämmern;
Mit ihm macht Schmied Ilmarinen
Aus der Tanne sich ein Steuer,
Aus der Fichte Ruderstangen.
Fertig war das Boot gezimmert,
Mit den Pflöcken, mit den Rudern;
Führten nun das Boot ins Wasser,
Ruderten und eilten vorwärts
Ringsum auf dem Newastrome,
Um der Newa Vorgebirge.
[140]
Ilmatar, die schöne Jungfrau,
Sie, der Schöpfungstöchter erste,
Schreitet ihnen dort entgegen,
Redet also, spricht die Worte:
»Wer wohl seid ihr von den Männern,
Wie wohl nennen euch die Leute?«
Sprach der alte Wäinämöinen:
»Beide sind wir Meeresmänner,
Ich der alte Wäinämöinen,
Dieser ist Schmied Ilmarinen;
[150]
Aber sag' uns deine Herkunft,
Wie wohl pflegt man dich zu nennen?«
Sprach das Weib nun solche Worte:
»Bin die älteste der Frauen,
Bin der Lüftetöchter erste,
Bin die früheste der Mütter,
Bin an Würde gleich fünf Frauen,
Bin an Schönheit gleich sechs Bräuten;
Wohin gehet ihr, o Männer,
Ziehet ihr, o wackre Helden?«
[160]
Sprach der alte Wäinämöinen,
Redet selber diese Worte:
»Ausgegangen ist das Feuer,
Uns die Flamme fortgekommen,
Waren lange ohne Feuer
In der Finsternis verborgen;
Doch nun liegt es uns im Sinne,
Daß das Feuer wir erspähen,
Welches von dem Himmel stürzte,
Niederfiel vom Wolkensaume.«
[170]
Diese Antwort gab die Jungfrau,
Redet selber diese Worte:
»Schwer zu finden ist das Feuer,
Auszuforschen schwer die Flamme;
Üble Werke tat das Feuer,
Frevel übte schon die Flamme:
Eilig fiel des Feuers Funken,
Sank herab der rote Tropfen
Aus des Schöpfers großen Fluren,
Daher wo ihn Ukko weckte,
[180]
Durch den ausgespannten Himmel,
Durch den weitgedehnten Luftraum,
Durch das rußbedeckte Rauchloch,
Längs den trocknen Dachesbalken
In die neue Stube Tuuris,
In Palwonens unbedeckte.
»Kaum war er dort angekommen,
In der neuen Stube Tuuris
Macht er sich an schlimme Taten
Und vollbringet bösen Frevel,
[190]
Wütet gegen Mädchenbusen,
Zehret an der Jungfraun Brüsten,
Macht der Knaben Knie zuschanden,
Senget ab den Bart der Wirte.
»Säugte dort ihr Kind die Mutter
In der jämmerlichen Wiege,
Dahin eilte nun das Feuer,
Übte seinen bösen Frevel,
In der Wieg' das Kind verbrannt' es,
Sengte heiß die Brust der Mutter;
[200]
Nach Manala kam das Kind so,
In Tuonis Reich der Knabe,
Da ihm solch ein Tod verhängt war,
Ihm bestimmt war so zu sterben,
In der Qual des roten Feuers,
In der Schmerzenspein der Flamme.
»Größer war der Mutter Kunde,
Sie ging nicht mit nach Manala,
Wußte, wie man Feuer bannen,
Wie die Flamme treiben könnte
[210]
Durch das enge Öhr der Nadel,
Durch die Fuge an dem Beilschaft,
Durch des Bohrers heiße Rinne,
Längs dem Saum des Ackerraines.«
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Fragte sie sodann geschwinde:
»Wohin ging von hier das Feuer,
Wohin flüchtete der Funke
Von dem Saum des Tuurifeldes,
Zu dem Walde, zu dem Meere?«
[220]
Gab das Weib ihm diese Antwort,
Redet selber solche Worte:
»Als von hier das Feuer eilte,
Als die Flamme weiter schlüpfte,
Sengte ab sie viele Felder,
Viele Felder, viele Sümpfe,
Stürzte endlich in das Wasser,
In die Flut des Sees Alue;
Dieser wallte auf vom Feuer,
Zischend sprühte sein Gewässer.
[230]
»Dreimal in der Nacht des Sommers,
Neunmal in der Nacht des Herbstes
Schäumt' er zu der Tannen Fläche,
Hob er sich zum jähen Ufer
Durch die Kraft des wilden Feuers,
Die Gewalt der Flammengluten.
»Schäumt' aufs Trockne seine Fische,
Seine Barsche auf die Klippen,
Sahen sich dort um die Fische,
Überlegten dort die Barsche,
[240]
Wie zu sein und wie zu leben;
Barsche weinten nach dem Wohnsitz,
Fische nach dem lieben Hofe,
Nach der Felsenburg der Kaulbarsch.
»Ging der Barsch mit krummem Nacken,
Haschte nach dem Feuerfunken,
Nicht konnt' ihn der Barsch erhaschen;
Ging darauf der blaue Schnäpel,
Dieser schluckt' den Feuerfunken,
Er verschlang die böse Flamme.
[250]
»Wieder fiel der See Alue,
Sank herab von allen Rändern
Zu den längstgewohnten Sitzen
Während einer Nacht des Sommers.
»Wenig Zeit war hingegangen,
Angst befiel den Feuerschlinger,
Heft'ger Schmerz den Flammenschlucker,
Große Not den gier'gen Fresser.
»Klagend schwamm nach allen Seiten,
Schwamm er einen Tag, den zweiten
[260]
An des Schnäpeleilands Seite,
An der Lachsesklippen Höhlen,
Wohl an tausend Landzungspitzen,
Wohl an hundert Inselbuchten;
Jede Spitze gab Bescheid ihm,
Jedes Eiland solchen Zuspruch:
›Nicht ist in dem stillen Wasser,
In dem engen See Alue,
Wer den Unglücksfisch verschlingen,
Wer den Armen töten könnte,
[270]
Ob der Drangsal durch das Feuer,
Ob der Qualen durch die Flamme.‹
»Dieses hört' die Lachsforelle
Und verschlang den blauen Schnäpel;
Wenig Zeit war hingegangen,
Angst befiel den Fischverschlinger,
Heft'ger Schmerz den Schnäpelschlucker,
Große Not den gier'gen Fresser.
»Klagend schwamm nach allen Seiten,
Schwamm sie einen Tag, den zweiten
[280]
An der Lachsesklippen Höhlen,
An der Hechte Wohnungsgrotten,
Wohl an tausend Landzungspitzen,
Wohl an hundert Inselbuchten;
Jede Spitze gab Bescheid ihr,
Jedes Eiland solchen Zuspruch:
›Nicht ist in dem stillen Wasser,
In dem engen See Alue,
Wer den Unglücksfisch verschlingen,
Wer den Armen töten könnte,
[290]
Ob der Drangsal durch das Feuer,
Ob der Qualen durch die Flamme.‹
»Kam der graue Hecht gegangen
Und verschlang die Lachsforelle;
War nur wenig Zeit vergangen,
Angst befiel den Lachsesschlucker,
Heft'ger Schmerz den Fischverschlinger,
Große Not den gier'gen Fresser.
»Klagend schwamm nach allen Seiten,
Schwamm er einen Tag, den zweiten,
[300]
An der Seekrähn hohlen Klippen,
An der Möwen kahlen Riffen,
Wohl an tausend Landzungspitzen,
Wohl an hundert Inselbuchten;
Jede Spitze gab Bescheid ihm,
Jedes Eiland solchen Zuspruch:
»Nicht ist in dem stillen Wasser,
In dem engen See Alue,
Wer den Unglücksfisch verschlingen,
Wer den Armen töten könnte,
[310]
Ob der Drangsal durch das Feuer,
Ob der Qualen durch die Flamme.«
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Samt dem Schmieder Ilmarinen
Strickte nun ein Netz von Bastschnur,
Fügt' es aus Wacholderzweigen,
Färbte es mit Weidenwasser,
Macht's zurecht mit Weidenrinde.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Trieb die Weiber zu dem Netze;
[320]
Weiber kamen zu dem Netze,
Schwestern kamen es zu ziehen,
Und sie ruderten, sie glitten
An den Spitzen, an den Inseln,
An der Lachsesklippen Höhlen,
An der Schnäpelinseln Seite,
In dem braungefärbten Röhricht,
In dem schlankgewachs'nen Schilfe.
Eilen vorwärts, wollen fangen,
Ziehn das Netz und senken's fleißig,
[330]
Kehren schräg des Netzes Masse,
Ziehn das Garn in schiefer Richtung,
Können so den Fisch nicht fangen,
Auch mit Eifer ihn nicht haschen.
Gehen zu der Flut die Brüder,
Männer gehen zu dem Netze,
Stoßen es und drängen's vorwärts,
Ziehen es und schleppen's weiter
An den Busen, an den Klippen,
An dem Felsenriff Kalewas,
[340]
Können jenen Fisch nicht fangen,
Dessen sie so sehr bedürfen,
Nicht erscheint der Hecht, der graue,
Aus des Busens stillem Wasser,
Auch nicht aus der weiten Fläche:
Klein der Fisch und weit die Maschen.
Darauf klagten schon die Fische,
Sprach der Hecht schon zu dem Hechte,
Fragt der Schnäpel so den Kühling
Und ein Lachs den andern Lachs so:
[350]
»Sind schon tot die braven Männer,
Kalews Söhne schon gestorben,
Die von Lein die Netze stricken,
Sie aus Flachsesfäden fügen,
Die mit Stangen Fische treiben,
Die den langen Stab bewegen?«
Hört's der alte Wäinämöinen,
Redet selber diese Worte:
»Nicht gestorben sind die Helden,
Nicht ist tot das Volk Kalewas;
[360]
Einer starb, zwei sind geboren,
Die da beßre Stangen haben,
Die mit längerm Stabe kommen
Und mit zwiefach grausem Netze.«
Anmerkungen
Vers 24. »An denselben Ort, wo früher der Sampo war« (Anmerkung d. Ausg. von 1887).
71. »›Ukkos Nägel‹ werden heute noch die Handbeile der Steinzeit genannt« (das.).
185 f. Vgl. Anmerkung zu XV 426 f.