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Vierte Rune

Wäinämöinen bewirbt sich um Joukahainens Schwester, als er sie im Busche trifft 1–30. Weinend eilt das Mädchen nach Hause und berichtet es der Mutter 31–116. Die Mutter verbietet ihr zu trauern und fordert sie auf, sich zu freuen und sich stattlich anzukleiden 117–188. Das Mädchen weint und weint und sagt, daß es keinem alten Manne als Gattin zuteil werden wolle 189–254. Sorgenvoll geht sie in den Wald, eilt zum Meeresstrande, will baden und sinkt ins Wasser 255–370. Die Mutter weint Tag und Nacht über den Verlust der Tochter 371–518.

Aino, dieses junge Mädchen,
Joukahainens schöne Schwester,
Ging nun in den Busch nach Besen,
Ging um Quaste dort zu holen;
Brach dort einen für den Vater,
Einen brach sie für die Mutter,
Bindet dann den dritten Besen
Für den jüngsten ihrer Brüder.

Schon macht sie sich auf nach Hause,
Flattert aus dem Erlenwäldchen, [10]
Kommt des Weges Wäinämöinen
Und erblickt im Busch die Jungfrau,
Auf dem Gras die schöngeschürzte,
Redet Worte solcher Weise:
»Nicht für andre trag, o Jungfrau,
Nein für mich nur trag, o Jungfrau,
An dem Halse Perlenschnüre,
Auf der Brust ein blankes Kreuzchen,
Wind' für mich die feine Flechte,
Schmück' für mich das Haar mit Seide.« [20]

Ihm zur Antwort gab die Jungfrau:
»Nicht für dich und nicht für andre
Hängt mir auf der Brust das Kreuzchen,
Schmücke ich mein Haupt mit Seide;
Brauch' nicht schiffgebrachte Kleider,
Sehn' mich nicht nach Weizenbroten,
Geh' in knappem Hausgewande,
Nähre mich von grober Kruste,
Bleib' bei meinem lieben Vater,
In der Nähe meiner Mutter.« [30]

Riß drauf von der Brust das Kreuzchen,
Von den Fingern fort die Ringe,
Fort vom Halse dann die Perlen,
Von dem Haupt die roten Schnüre,
Warf es alles auf den Boden,
Warf behend es in das Buschwerk,
Ging dann weinend ihrer Wege
Und mit Heulen fort nach Hause.

An dem Fenster saß der Vater,
Schnitzte dort am schönen Beilschaft: [40]
»Weshalb weinst du, arme Tochter,
Arme Tochter, junges Mädchen?«

»Hab' wohl Grund zum Weinen, Vater,
Grund zum Kummer und zur Klage;
Deshalb wein' ich, lieber Vater,
Deshalb weine ich und klage:
Von der Brust fiel mir das Kreuzchen,
Meinem Gurt entglitt die Spange,
Ganz von Silber war das Kreuzchen,
Und die Spange war von Kupfer.« [50]

An der Pforte saß der Bruder,
Schnitzte dort am schönen Krummholz:
»Weshalb weinst du, arme Schwester,
Arme Schwester, junges Mädchen?«

»Hab' wohl Grund zum Weinen, Bruder,
Grund zum Kummer und zur Klage;
Deshalb wein' ich, lieber Bruder,
Deshalb weine ich und klage:
Von dem Finger fiel der Ring mir,
Von dem Hals die Perlenschnüre, [60]
Golden war der Ring am Finger,
Silbern an dem Hals die Perlen.«

An der Schwelle saß die Schwester,
Webte dort am goldnen Gürtel:
»Weshalb weinst du, arme Schwester,
Arme Schwester, junges Mädchen?«

»Hab' wohl Grund zum Weinen, Schwester,
Grund zum Kummer und zur Klage;
Deshalb wein' ich, liebe Schwester,
Deshalb weine ich und klage: [70]
Von den Schläfen fiel das Gold mir,
Aus den Haaren mir das Silber,
Von dem Aug' die blaue Seide,
Von dem Kopf die roten Schnüre.«

An der Tür des Vorratshauses
Sammelte die Mutter Sahne:
»Weshalb weinst du, arme Tochter,
Arme Tochter, junges Mädchen?«
»Mutter, die du mich getragen,
Mutter, die du mich gesäuget, [80]
Hab' wohl Grund mich sehr zu grämen,
Bitterlich mich zu betrüben;
Deshalb wein' ich, arme Mutter,
Dies ist, Mütterlein, mein Kummer:
Ging hin in den Busch nach Besen,
Ging um Quaste dort zu brechen,
Brach dort einen für den Vater,
Brach den zweiten für die Mutter,
Band darauf den dritten Besen
Für den jüngsten meiner Brüder, [90]
Fing dann an nach Haus' zu gehen,
Eilte heimwärts durch die Heide,
Aus dem Tal sprach da Osmoinen,
Kalewainen von der Schwende:
»Nicht für andre trag, o Mädchen,
Nein für mich nur trag, o Mädchen,
An dem Halse Perlenschnüre,
Auf der Brust ein blankes Kreuzchen,
Wind' für mich die feine Flechte,
Schmück' für mich das Haar mit Seide.« [100]
Riß drauf von der Brust das Kreuzchen,
Von dem Halse fort die Perlen,
Von dem Aug' die blaue Seide,
Von dem Kopf die roten Schnüre,
Warf es alles auf die Erde,
Warf behend es in das Buschwerk,
Sprach dann selber diese Worte:
»Nicht für dich und nicht für andre
Hängt mir auf der Brust das Kreuzchen,
Schmücke ich mein Haupt mit Seide; [110]
Brauch' nicht schiffgebrachte Kleider,
Sehn' mich nicht nach Weizenbroten,
Geh' in knappem Hausgewande,
Nähre mich von grober Kruste,
Bleib' bei meinem lieben Vater,
In der Nähe meiner Mutter.«

Sprach die Mutter zu der Tochter,
So die Alte zu der Jungen:
»Weine nicht mehr, teure Tochter,
Murre nicht, mein liebes Mädchen! [120]
Iß ein Jahr lang gute Butter,
Wirst da lieblich runder werden,
Iß das zweite Jahr nur Schweinfleisch,
Wirst gar stattlich da gedeihen,
Und im dritten Sahnenkuchen,
Wirst die Schönste da von allen;
Geh zum Vorratshaus am Berge,
Öffne dort die beste Kammer,
Kisten stehen dort auf Kisten,
Kasten stehen dort auf Kasten, [130]
Öffne dort die beste Kiste,
Hebe ab den bunten Deckel,
Findest goldner Gürtel sechse,
Findest sieben blaue Röcke,
Die des Mondes Tochter webte,
Die der Sonne Tochter nähte.

»Ging in meinen jungen Jahren,
In den Tagen meiner Jugend
In den Busch und suchte Beeren,
Suchte Himbeern an dem Berge, [140]
Hört' des Mondes Tochter weben
Und der Sonne Tochter spinnen,
An dem Rand des blauen Haines,
An dem Saum des holden Laubwalds.

»Nahe trat an sie heran ich,
Stellte mich zu ihrer Seite
Und begann sie sanft zu bitten,
Sprach dann selber diese Worte:
›Gib dein Gold, o Mondes Tochter,
Gib dein Silber, Sonnentochter, [150]
Diesem Mädchen ohne Habe,
Diesem Kinde, das dich bittet.‹

»Gold gab mir des Mondes Tochter,
Silber mir die Sonnentochter,
Gaben Gold mir an die Schläfen,
Auf das Haupt mir schimmernd Silber,
Kam als Blume dann nach Hause,
Freudig nach des Vaters Höfen.

»Trug es einen Tag, den zweiten,
Aber schon am dritten Tage [160]
Nahm das Gold ich von den Schläfen
Und das Silber mir vom Haupte,
Bracht' es hin zum Haus' am Berge,
Tat es sorgsam in die Kiste;
Hat bis heute dort gelegen,
Hab' es nie mehr angesehen.

»Winde Seide um die Augen,
Bausche Gold um deine Schläfen,
Um den Hals schling helle Perlen,
Mit dem Goldkreuz zier' den Brustlatz, [170]
Leg' dir an ein Hemd von Leinwand,
Aus dem allerfeinsten Flachse,
Zieh dir an den schmucken Tuchrock,
Schnüre ihn mit seidnem Gürtel,
Kleide dich mit seidnen Strümpfen,
Mit den Schuhn von schönem Leder,
Winde dir ums Haupt die Flechte,
Binde sie mit seidnen Bändern,
Schmück' mit Ringen deine Finger
Und den Arm mit goldner Spange. [180]

»Kommst drauf also in die Stube,
Schreitest also aus dem Hause,
Wohl zur Freude der Verwandten,
Zu des ganzen Hauses Zierde,
Wandelst dann wie eine Blume,
Wie die Himbeer' an dem Wege,
Stattlich bist du mehr denn früher,
Schöner als zu andern Zeiten.«

Also sprach sie zu der Tochter,
So die Mutter zu dem Mädchen; [190]
Doch nicht achtet' ihrer Aino,
Hörte nicht der Mutter Rede,
Auf den Hof ging sie zu weinen,
Wandelte in schwerem Sinnen,
Sprach da Worte solcher Weise,
Ließ sich also dort vernehmen:
»Wie wohl ist der Sinn der Sel'gen,
Wie der glückbegabten Seele?
Also ist der Sinn der Sel'gen,
So der glückbegabten Seele, [200]
Wie das Wasser, das da flutet,
Wie die Welle in dem Troge.
Wie der Sinn der Unglücksel'gen,
Wie der Sinn der grauen Ente?
Also ist der Armen Stimmung,
So der Sinn der grauen Ente,
Wie der Schnee in Daches Schatten,
Wie das Wasser in dem Brunnen.

»Oft schweift nun der Sinn der Schwachen,
Oft der Sinn des schwachen Mädchens [210]
Angstvoll durch die Stoppelfelder,
Streichet mählich durch die Sträucher,
Wälzt sich weiter durch die Wiesen,
Drängt sich durch die dichten Büsche,
Schwarz wie Teer ist er beschaffen,
Weißer nicht das Herz als Kohlen.

»Besser wär' es mir gewesen,
Glücklicher wär's mir ergangen,
Wäre nimmer ich geboren,
Wär' ich nicht herangewachsen [220]
Bis zu diesen bösen Tagen,
Zu dem freudenleeren Zeitraum;
Wär' ich doch nach sechs der Nächte,
In der achten schon gestorben,
Hätte da nicht viel benötigt,
Brauchte nur ein wenig Linnen,
Nur ein kleines Fleckchen Erde,
Etwas Tränen von der Mutter,
Weniger noch von dem Vater,
Von dem Bruder nur ein bißchen.« [230]

Weinte einen Tag, den zweiten,
Wieder fragte da die Mutter:
»Weshalb weinst du, liebes Mädchen,
Weshalb härmst du dich, du Arme?«

»Deshalb wein' ich armes Mädchen,
Härm' ich mich mein ganzes Leben,
Daß du mich hast hingegeben,
Mich, dein eigen Kind, versprochen
Ihm, dem alten Mann, zum Troste,
Ihm zu seines Alters Freude, [240]
Ihm, dem Schwankenden, zur Stütze,
Und zum Schutz dem Winkelhocker;
Hätt'st mich lieber du versprochen
Unten in des Meeres Tiefe,
Schwester dort zu sein den Schnäpeln,
Freundin dort den flinken Fischen;
Besser ist's im Meer zu schwimmen,
In den Wogen dort zu weilen,
Schwester dort zu sein den Schnäpeln,
Freundin dort den flinken Fischen, [250]
Als den alten Mann zu trösten,
Ihn, den Schwankenden, zu stützen,
Der in seinen Strümpfen strauchelt,
Übers Zweiglein stürzt am Wege.«

Geht drauf zu dem Haus am Berge,
Schreitet in die Vorratskammer,
Öffnet dort die schöne Kiste,
Hebet ab den bunten Deckel,
Findet goldner Gürtel sechse,
Findet sieben blaue Röcke, [260]
Kleidet damit ihren Körper,
Schmückt sich mit dem allerschönsten,
Legt das Gold an ihre Schläfen,
Auf das Haar das helle Silber,
Blaue Seide um die Augen,
Rote Schnüre an die Stirne.

Fängt dann an davonzuschreiten
Über Feld und über Heide,
Schweift durch Sümpfe, schweift durch Wiesen,
Schweift durch schattenreiche Wälder, [270]
Selber sang sie bei dem Gehen,
Sprach sie, als umher sie schweifte:
»Ach, von Jammer schwillt das Herz mir,
Eine Last trag' ich im Haupte;
Möge noch der Jammer wachsen,
Mög' die Last noch schwerer werden,
Daß ich armes Mädchen sterbe,
Daß ich Elende vergehe
An der großen Wucht des Kummers,
An des Grames bittern Nöten. [280]

»Meine Zeit ist schon gekommen,
Fort von dieser Welt zu eilen,
Unten hin zum Reiche Manas,
In des Totenreiches Räume;
Nicht beweinte mich der Vater,
Nicht betrübte sich die Mutter,
Nicht würd' feucht der Schwester Wange,
Trocken blieb des Bruders Auge,
Wenn ich in das Wasser stürzte,
In der Fische Flut versänke, [290]
In die Meereswogentiefe,
Zu dem schwarzgefärbten Schlamme.«

Schreitet einen Tag, den zweiten,
Endlich an dem dritten Tage
Kam sie an die Meeresküste,
An das schilfbewachsne Ufer,
Langte an zur Dämmerstunde,
Und sie machte Halt im Dunkel.

Dort verweinte sie den Abend,
Klagte sie die ganze Nacht durch, [300]
Auf des Strandes Wassersteinen,
An des breiten Busens Kante;
In der ersten Morgenfrühe
Blickte sie zum Vorgebirge,
An dem Vorgebirg drei Jungfraun
Sah sie in den Wellen baden,
Aino macht sich rasch zur vierten,
Schließt sich an die schlanke Gerte.

Wirft das Hemd hin auf die Weide,
Auf die Espen ihre Kleidung, [310]
Auf die Erde ihre Strümpfe,
Auf die Steine ihre Schuhe,
Auf den Ufersand die Perlen,
Auf das Strandgeröll die Ringe.

Ragt ein Stein dort voller Streifen,
Aus dem Meere goldenglänzend,
Auf den Stein zu schwimmt die Jungfrau
Und bewegt sich hin zum Felsblock;
Als sie nun dahin gelangt ist
Und zum Sitzen sich bereitet [320]
Aus dem buntgestreiften Steine,
Auf dem glänzendglatten Felsblock,
Stürzt der Stein rasch in die Tiefe,
Fällt der Felsblock hin zum Grunde,
Mit dem Stein zugleich das Mädchen,
Aino auf des Felsblocks Fläche.

Also sank ins Meer das Hühnchen,
So verschwand das arme Mädchen,
Sprach noch selber beim Verscheiden,
Selber, als hinab sie rollte: [330]
»Ging zum Meere, um zu baden,
Ging zum Wasser, um zu schwimmen,
Fiel hinein, ich armes Hühnchen,
Starb alsbald, ein armes Vöglein;
Nimmer fange du, mein Vater,
Nimmer während deines Lebens
Fische aus des Meeres Fluten,
Nie aus dieser Wasserstrecke.

»Ging zum Strande, mich zu waschen,
Ging zum Meere, um zu baden, [340]
Fiel hinein, ich armes Hühnchen,
Starb alsbald, ein armes Vöglein;
Nimmer magst du, meine Mutter,
Nimmer während deines Lebens
Wasser in den Brotteig gießen
Aus der breiten Bucht am Hause.

»Ging zum Strande, mich zu waschen,
Ging zum Meere, um zu baden,
Fiel hinein, ich armes Hühnchen,
Starb alsbald, ein armes Vöglein; [350]
Nimmer magst du, lieber Bruder,
Nimmer während deines Lebens,
Hier dein muntres Streitroß tränken,
Nie am Strande dieses Meeres!

»Ging zum Strande, mich zu waschen,
Ging zum Meere, um zu baden,
Fiel hinein, ich armes Hühnchen,
Starb alsbald, ein armes Vöglein;
Nimmer magst du, liebe Schwester,
künftig während deines Lebens, [360]
Nimmer deine Augen waschen
Mit dem Wasser dieser Fluten!
Alles Wasser aus dem Meere
Ist ja Blut aus meinen Adern,
Alle Fische in dem Meere
Sind ja Fleisch von meinem Körper,
Alle Sträucher an dem Strande
Sind ja meine Seitenknochen,
Alle Gräser an dem Ufer
Sind ja Haare meines Hauptes.« [370]

Also starb das junge Mädchen,
So verschwand das schöne Hühnchen.

Wer wohl wird die Nachricht melden,
Wer die Botschaft wohl berichten
Nach dem stolzen Haus der Jungfrau,
Nach dem Heimatshof der Schönen?

Wird der Bär die Nachricht melden,
Er die Botschaft hinberichten?
Nicht vermeldet er die Nachricht,
Stürzt sich auf die Rinderherde. [380]

Wer wohl wird die Nachricht melden,
Wer die Botschaft wohl berichten
Nach dem stolzen Haus der Jungfrau,
Nach dem Heimatshof der Schönen?

Wird der Wolf die Nachricht melden,
Er die Botschaft hinberichten?
Nicht vermeldet er die Nachricht,
Stürzt sich auf die Lämmerherde.

Wer wohl wird die Nachricht melden,
Wer die Botschaft wohl berichten [390]
Nach dem stolzen Haus der Jungfrau,
Nach dem Heimatshof der Schönen?

Wird der Fuchs die Nachricht melden,
Er die Botschaft hinberichten?
Nicht vermeldet er die Nachricht,
Stürzt sich auf die Gänseherde.

Wer wohl wird die Nachricht melden,
Wer die Botschaft wohl berichten
Nach dem stolzen Haus der Jungfrau,
Nach dem Heimatshof der Schönen? [400]

Wird der Has' die Nachricht melden,
Er die Botschaft hinberichten?
Der gelobte es gar treulich:
»Nicht vertun will ich die Rede.«
Hastig lief sodann der Hase,
Eilend hüpfte fort das Langohr,
Gar behende rannt' das Krummbein,
Jagt' geschwind mit schiefem Maule
Nach dem stolzen Haus der Jungfrau,
Nach dem Heimatshof der Schönen. [410]

Lief behende hin zur Badstub',
Hockte an der Schwelle nieder,
Voll von Mädchen ist die Badstub',
Haben Besen in den Händen:
»Wirst, o Schielaug, bald gesotten,
Bald, o Breitaug, du gebraten
Als des Wirtes Abendessen,
Als der Wirtin Morgenbissen,
Als der Tochter Zwischenspeise,
Als des Sohnes Mittagsnahrung.« [420]

Doch der Hase gab zur Antwort,
Laut verkündet es das Großaug:
»Möge Lempo hierher kommen,
Um im Kessel hier zu kochen!
Bin gekommen zu berichten
Und zu melden euch die Botschaft:
Hingeschwunden ist die Schöne
Mit dem Zinnschmuck' auf dem Brustlatz,
Mit der schönen Silberspange,
Mit dem kupferreichen Gürtel, [430]
In die Wellen hingesunken,
In des Meeres weite Tiefen,
Schwester dort zu sein den Schnäpeln,
Freundin dort den flinken Fischen.«

Weinen mußte da die Mutter,
Viele Tränen fließen lassen,
Hob dann selber an zu sprechen,
Sprach mit Schmerzen diese Worte:
»Arme Mütter, treibet nimmer,
Nimmer während eures Lebens [440]
Eure Töchter an zur Ehe,
Treibt sie nimmer an zur Heirat
Mit dem ungeliebten Freier,
So wie ich, die arme Mutter,
Angetrieben hab' die Tochter,
Dieses heißgeliebte Hühnchen!«

Weinte, daß die Tränen tropften,
Bittrer Tränen viele rannen
Aus den alten, blauen Augen
Auf die armen, alten Wangen. [450]

Eine Träne floß, die zweite,
Bittrer Tränen viele rannen
Von den armen, alten Wangen
Auf die starkbewegten Brüste.

Eine Träne floß, die zweite,
Bittrer Tränen viele rannen
Von den starkbewegten Brüsten
Auf den feinen Saum des Kleides.

Eine Träne floß, die zweite,
Bittrer Tränen viele rannen [460]
Von dem feinen Saum des Kleides
Auf die rotgestreiften Strümpfe.

Eine Träne floß, die zweite,
Bittrer Tränen viele rannen
Von den rotgestreiften Strümpfen
Auf die goldgestickten Schuhe.

Eine Träne floß, die zweite,
Bittre Tränen rannen reichlich
Von den goldgestickten Schuhen
Unter ihre beiden Füße, [470]
Auf die Erde, ihr zu Frommen,
In das Wasser, ihm zu Frommen.

Als sie auf den Boden kamen,
Bildeten sie breite Bäche,
Flossen als drei große Flüsse
Aus dem reichen Tränenwasser,
Das vom Haupt herabgekommen,
Von den Schläfen abgeflossen.

Drei in jedem dieser Bäche
Brausen reißend Wasserfälle, [480]
In dem Schaum des Wasserfalles
Stehen drei vereinte Felsen,
An dem Rande jedes Felsens
Hebet sich ein goldner Hügel,
Auf der Spitze jedes Hügels
Wachsen auf drei schöne Birken,
In dem Wipfel jeder Birke
Sitzt ein goldnes Kuckucks-Kleeblatt.

Fangen alle an zu rufen,
Einer rufet: Liebe, Liebe, [490]
Dann der andre: Freier, Freier,
Und der dritte: Freude, Freude.

Welcher »Liebe, Liebe« rufet,
Rufet also drei der Monde
Jener Jungfrau ohne Liebe,
Die nun in den Wogen ruhte.

Welcher »Freier, Freier« rufet,
Rufet also sechs der Monde
Jenem Freier, der für immer
Ohn' Erhörung bleiben sollte. [500]

Welcher »Freude, Freude« rufet,
Rufet so das ganze Leben
Jener Mutter ohne Freude,
Die nun alle Tage weinte.

Also sprach die arme Mutter,
Wenn des Kuckucks Ruf sie hörte:
»Höre nicht, o arme Mutter,
Lange auf des Kuckucks Rufen;
Wenn des Kuckucks Ruf ertönet,
Wird das Herz mir hart beweget, [510]
Tränen treten in die Augen,
Wasser rollt mir auf die Wangen,
Tropfen wie die Erbsenkörner,
Breiter als die dicksten Bohnen,
Älter wird mein Ellenbogen,
Schwächer mir die Handgelenke,
Ja, der ganze Körper wankt mir,
Wenn des Kuckucks Ruf ich höre!«


Anmerkungen

Vers 3. Die Finnen geißeln sich beim Baden mir belaubten Birkenruten, zur Förderung des Blutkreislaufs. Die für den Winter bestimmten Reiser werden im Frühsommer gebrochen und vor dem Gebrauch in heißem Wasser aufgeweicht.

18. Wie Funde beweisen, trugen die Finnenfrauen noch vor der Annahme des Christentums Kreuze als Schmuck, die sie offenbar von christlichen Nachbarvölkern erworben hatten.

93 und 94. Osmoinen, Kalewainen: im Epos Beinamen Wäinämöinens. Das ursprüngliche Lied erzählt von dem jungen Freier Osmoinen, der nicht mit Wäinämöinen identisch ist.

204. Vgl. XXII 411 ff.

207 f. Der Schnee, der nicht schmelzen, das Wasser, das nicht fluten kann.

308. Dieser schwer verständliche Vers wird verschieden gedeutet; die einen meinen, Aino habe einen Besen zum Baden ins Wasser mitgenommen(?), andere, die Rute oder Gerte sei hier metaphorisch für »das zarte Mädchen« genannt; »viertens« und »fünftens« wäre demnach eins und nur des Parallelismus wegen getrennt, was in der finnischen Dichtung häufig vorkommt.

315. Der Stein war ebenso wie die drei Jungfrauen eine trügerische Erscheinung, mit der das Wasservolk Aino in die Fluten lockte. (Anm. der Ausgabe von 1887.) In dem alten Kalewala, in dem die ganze Episode unvergleichlich kürzer ist, stürzt sich Aino ins Wasser. Im Volkslied erhenkt sie sich in der Vorratskammer.

363 ff. A. Lang hat in seinem Kalewala-Aufsatz, Custom and Myth, Ausg. von 1898, S. 168 an die neugriechische Ballade erinnert, wo ein Blutstropfen auf den Lippen des ertrunkenen Mädchens alle Gewässer der Welt rötet.

411. Die Badstube ist ein gesondertes Häuschen, in dem fast allabendlich sehr heiß gebadet wird. Acerbi beschreibt es in seiner Reise-Beschreibung (deutsche Ausgabe, Berlin 1803) folgendermaßen: »Es besteht nur aus einer einzigen kleinen Kammer, in deren Hintergrunde sich ein Ofen aus übereinandergelegten Steinen befindet, der so lange geheizt wird, bis die Steine ganz glühend geworden sind. Auf diese so durchglühten Steine wird nun so lange Wasser gegossen, bis die Anwesenden in eine dicke Wolke von Dampf eingehüllt sind. Im Hintergrund ist diese Kammer in zwei Stockwerke abgeteilt, damit eine größere Anzahl von Personen in diesem engen Raume zu gleicher Zeit Platz haben kann; da nun die Hitze und der Dampf, ihrer Natur nach, in die Höhe steigen, so ist dieses zweite Stockwerk der allerheißeste Ort im Bade. Hier versammeln sich nun Männer und Weiber ohne Unterschied und baden miteinander gemeinschaftlich, ohne daß sie das geringste Kleidungsstück dabei anbehalten und ohne daß auch nur die mindeste Regung des Geschlechtstriebes dadurch in ihnen aufwacht. Wenn hingegen ein Fremder unversehens die Türe des Bades öffnet und hineintritt, so verursacht sein Anblick den Frauenspersonen keinen geringen Schrecken, denn es fällt, seiner eignen Erscheinung nicht einmal gerechnet, durch das Öffnen der Tür eine solche Menge Licht in die Badstube, daß nicht nur ihre Stellungen, sondern auch alle Formen ihres Körpers dem Auge bloßgestellt werden. Werden sie hingegen durch keinen solchen Zufall gestört, so befinden sie sich die ganze Zeit über, wo nicht in einer gänzlichen Dunkelheit, doch in einer sehr starken Dämmerung; denn die Stube hat kein anderes Fenster, als ein kleines Loch, und es fällt kein anderes Licht hinein, als durch die Ritzen im Dach und durch die zwischen den Holzstämmen, aus denen sie erbaut ist, befindlichen Spalten.« Die gewöhnliche Wärme in der Badstube ist 56-64° R. »Ehe die Männer sich wieder ankleiden, wälzen sie sich im Winter im Schnee und im Sommer auf dem Grase herum, ohne daß dieser plötzliche Übergang von Hitze und Kälte einen merkbaren Eindruck auf sie macht.« (Rühs, Finnland und seine Bewohner, Leipzig 1809, S. 320.)

423. Lempo: ein böser Dämon; ursprünglich vielleicht ein irrwischartiger Waldgeist.


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