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Zweiundzwanzigste Rune

Die Braut wird zur Abreise gerüstet und wie an die früheren so an die kommenden Tage erinnert 1–124. Die Braut gerät in Traurigkeit 125–184. Man bringt sie zum Weinen 185–382. Die Braut weint 383–448. Man tröstet sie 449–552.

Als die Hochzeit man gefeiert,
Zur Genüge dort geschmauset
Auf der Hochzeit in dem Nordland,
Auf dem Fest des Düsterlandes,
Sprach die Wirtin von Pohjola
Zu dem Eidam Ilmarinen:
»Warum sitzst du, Hochgeborner,
Wachest du, o Auserlesner,
Sitzst du um des Vaters willen,
Weilst der Mutter du zu Liebe, [10]
Ob des Glanzes unsrer Stube,
Ob der Zier der Hochzeitsgäste?

»Sitzst nicht um des Vaters Willen,
Weilst der Mutter nicht zu Liebe,
Ob der Klarheit nicht der Stube
Und der Zier der Hochzeitsgäste,
Sitzest um der Jungfrau willen,
Weilst aus Liebe zu dem Mädchen,
Ob des Glanzes der Ersehnten,
Ob der Zier der Schöngelockten. [20]

»Bräutigam, mein lieber Bruder,
Warte noch nach langem Warten,
Nicht ist die Geliebte fertig,
Nicht gerüstet die Genossin,
Halb nur ist das Haar geflochten,
Ungeflochten ist die Hälfte.

»Bräutigam, mein lieber Bruder,
Warte noch nach langem Warten,
Nicht ist die Geliebte fertig,
Nicht gerüstet die Genossin, [30]
Angezogen ist ein Ärmel,
Leergeblieben ist der andere.

»Bräutigam, mein lieber Bruder,
Warte noch nach langem Warten,
Nicht ist die Geliebte fertig,
Nicht gerüstet die Genossin,
Schon beschuht an einem Fuße,
An dem andern nicht beschuhet.

»Bräutigam, mein lieber Bruder,
Warte noch nach langem Warten, [40]
Nicht ist die Geliebte fertig,
Nicht gerüstet die Genossin,
Eine Hand steckt schon im Handschuh,
Unbedeckt ist noch die andre.

»Bräutigam, mein lieber Bruder,
Hast gewartet unermüdlich,
Fertig ist nun die Geliebte,
Ganz gerüstet nun dein Entlein.

»Gehe nun, verkaufte Jungfrau,
Folge nun, erkauftes Hühnchen! [50]
Nah ist deine Abschiedsstunde,
Schon erschien die Zeit der Trennung,
Bei dir steht der dich entführet,
In der Tür der dich geleitet,
Schon zerbeißt das Roß die Zügel
Und der Schlitten harret deiner.

»Warst du hold dem Brautkaufgelde,
Warst du rasch die Hand zu geben,
Eifrig das Geschenk zu nehmen,
Dir das Ringlein anzustecken, [60]
O, so sei nun hold dem Schlitten,
Eifrig sei ihn zu besteigen,
Rasch zu ziehen in die Fremde,
Voller Eile fortzureisen!

»Hast nicht viel, o junges Mädchen,
Hingeblickt nach beiden Seiten,
Hast es nicht im Kopf erwogen,
Ob nicht übereilt der Handel,
Ob du's ewig nicht beweinen,
Jahr um Jahr nicht wirst beklagen, [70]
Daß das Vaterhaus du ließest,
Aus der Heimat fort du zogest,
Von der lieben Mutter Seite,
Von dem Hof, wo sie dich aufzog.

»Wie so schön war dir das Leben
In des Vaters Wohngebäuden,
Wuchsest wie die Blum' am Wege,
Wie die Erdbeer' auf dem Felde,
Stiegst in Butter aus dem Bette,
In die Milch du von dem Schlafe, [80]
Von dem Lager du in Weizen,
Von der Streu zu frischer Butter,
Konntest du nicht Butter essen,
Schnittst vom Schweinefleisch du Scheiben.

»Warest niemals, Kind, in Sorgen,
Hattest niemals viel zu denken,
Ließest alle Sorg' den Föhren,
Die Gedanken den Staketen,
Allen Kummer Sumpfesfichten
Und der Birke auf dem Sande, [90]
Flattertst selber gleich dem Blättlein,
Gleich dem muntern Schmetterlinge,
Eine Beer' auf Heimatboden,
Eine Himbeer' auf den Fluren.

»Gehest nun aus diesem Hause,
Wanderst hin zu anderm Hause,
Hin zu einer andern Mutter,
Hin zu fremdem Hausgesinde,
Anders ist es hier, dort anders,
Anders in dem andern Hause, [100]
Anders blasen dort die Hörner,
Anders knarren dort die Türen,
Anders drehn sich dort die Pforten,
Anders zischen dort die Angeln.

»Nicht kannst du zur Türe finden,
Nicht die Pforte richtig drehen
Wie des Hauses eigne Töchter,
Kannst das Feuer auch nicht schüren,
Kannst den Ofen nicht so heizen,
Wie es wünscht der Herr des Hauses. [110]

»Wähntest du, o junges Mädchen,
Dachtest du in deinem Sinne,
Nur auf eine Nacht zu gehen
Und am Tag zurückzukehren?
Wanderst nicht auf eine Nacht nur,
Nicht auf eine, nicht auf zwei nur,
Bist auf längre Zeit gewandert,
Gingst auf Tage und auf Monde,
Für dein Leben von des Vaters,
Von der Mutter Wohngebäuden; [120]
Länger ist ein Stück der Hofraum
Und die Schwelle etwas höher,
Wenn du einmal wiederkehrest,
Wieder in die Heimat kommest.«

Ach es seufzt das arme Mädchen,
Seufzet sehr und holet Atem,
In dem Herzen hat sie Kummer,
Wasser tritt ihr in die Augen,
Redet selber diese Worte:
»Also glaubt' ich's, also dacht' ich's, [130]
Meint' es so, solang ich lebe,
Sprach in meinen Blütejahren:
Hast als Jungfrau keinen Anwert,
In dem Schutze deiner Eltern,
Auf dem Boden deines Vaters,
In dem Haus der alten Mutter;
Dann erst preist man dich als Jungfrau,
Wenn du zu dem Manne ziehest,
Auf der Schwell' mit einem Fuße,
Mit dem andern in dem Schlitten, [140]
Bist um einen Kopf dann größer,
Eine Ohrenlänge höher.

»Hoffte dies, solang ich lebe,
Schaute drauf zur Zeit des Wachsens,
Wünscht' es gleich dem guten Jahre,
Gleich des schönen Sommers Ankunft;
Schon erfüllet ist mein Hoffen,
Nahgekommen meine Abfahrt,
Auf der Schwell' mit einem Fuße,
Mir dem andern in dem Schlitten, [150]
Kann jedoch nicht recht erkennen,
Was den Sinn mir umgeändert,
Gehe nicht mit Freud' im Herzen,
Scheide nicht mit großem Jubel
Aus dem lieben, goldnen Hause,
Wo als Mädchen ich geweilet,
Aus dem Hof, wo ich gewachsen,
Von des Vaters Aufenthalte,
Gehe, Arme, voller Sorgen,
Scheide mit Verdruß im Herzen, [160]
Gleichwie in den Arm der Herbstnacht,
Auf das dünne Eis des Frühjahrs,
Keine Spur bleibt auf dem Eise,
Auf der Glätte bleibt kein Fußtritt.

»Wie wohl ist der Sinn der andern,
Wie die Stimmung andrer Bräute?
Andre kennen nicht die Sorge,
Tragen nicht ein traurig Herze,
Wie ich Arme es nun trage
Und mir schwere Sorge mache, [170]
Schwarz wie Kohle ist das Herz mir,
Düsterfarben meine Sorge.

»Also ist der Sinn der Sel'gen,
Der Beglückten Stimmung also,
Wie des Frühlingstages Anbruch,
Wie des Frühlingsmorgens Sonne;
Welche Stimmung hab' ich Arme,
Welchen Sinn ich Trauerreiche?
Gleich dem flachen Strand der Seen,
Gleich dem dunkeln Rand der Wolke, [180]
Gleich der finstern Nacht des Herbstes,
Trübe wie der Tag im Winter,
Ach, weit trüber als sie alle,
Finstrer als die Nacht des Herbstes.«

Eine arbeitsreiche Alte,
Welche stets im Hause weilte,
Redet Worte solcher Weise:
»Siehst du nun, o junges Mädchen!
Weißt du noch, wie ich gesprochen,
Hundertmal zu dir geredet: [190]
Blicke du nicht froh zum Freier,
Nimmer auf den Mund des Freiers,
Auf die Farbe seiner Augen,
Auf den stolzen Schritt der Füße!
Hält den Mund er voller Anmut,
Wirft die Augen voller Schönheit,
Wohnt auf seinem Kinn doch Lempo
Und der Tod in seinem Munde.

»Also mahnt' ich stets die Jungfrau,
Riet ich dem Geschwisterkinde: [200]
Kommen große Freiersleute,
Große Freier und Bewerber,
Gib du ihnen diese Antwort,
Sage du von deiner Seite,
Rede Worte solcher Weise,
Laß auf diese Art dich hören:
›Niemals wird es mir geziemen,
Nie geziemen und gefallen
Fortzuziehn als Schwiegertochter,
In die Knechtschaft fortzuwandern, [210]
Nimmer wird ein solches Mädchen
Füglich in der Knechtschaft leben,
Nimmer lerne ich gehorchen,
Nimmer unterwürfig werden;
Sagt' ein Wörtlein mir der andre,
Gäb' ich zwei gewiß zur Antwort,
Käm' er mir an meine Haare
Und geriet' er an die Locken,
Würde ich mich ihm entwinden,
Würde ihn gar schlimm zerzausen.‹ [220]

»Dieses hast du nicht beachtet,
Nicht gehört auf meine Worte,
Gingst mit Willen in das Feuer,
Wissentlich in Teeres Brühe,
Eiltest in des Fuchses Schlitten,
Zu des Bären breiten Tatzen,
Daß der Schlitten dich entführte,
Dich der Bär ins Weite trüge
Zu der Knechtschaft bei dem Schwäher,
Untertan der Schwiegermutter. [230]

»Gingst von Hause nach der Schule,
Zu der Pein vom Hof des Vaters,
Hart ist's dir zur Schul' zu gehen,
Qualvoll, Arme, dort zu weilen,
Zügel sind dir schon gekaufet,
In Bereitschaft Sklavenfesseln,
Nicht für irgendeinen andern,
Nein, für dich, du Unglücksvolle.

»Wirst gar bald die Härte spüren,
Spüren wirst du, Preisgegebne, [240]
Deines Schwähers Kinn von Knochen,
Seines Weibes starre Zunge,
Deines Schwagers kalte Worte,
Deiner Schwägrin stolzen Nacken.

»Höre, Jungfrau, was ich rede,
Was ich rede, was ich spreche!
Warst ein Blümlein in dem Hause,
Eine Freud' im Hof des Vaters,
Seinen Mond nannt' dich der Vater,
Sonnenschein nannt' dich die Mutter, [250]
Wasserschimmer dich der Bruder,
Blauen Schleier dich die Schwester;
Gehest nun zu anderm Hause,
Hin zu einer fremden Mutter,
Nimmer gleichet sie der eignen,
Nie der Mutter eine Fremde,
Selten gibt sie rechte Weisung,
Selten ratet sie zum Besten,
Besenreis schilt dich der Schwäher,
Lappenschlitten dich die Schwieger, [260]
Treppenstufe dich der Schwager,
Weiberschrecken dich die Schwägrin.

»Dann erst würdst du gut erscheinen,
Würde man dich gelten lassen,
Stiegest du als Dampf nach außen,
Kämest du als Rauch gezogen,
Flögest du gleichwie ein Blättlein,
Eiltest du gleich einem Funken.

»Bist als Vogel nicht geflogen,
Bist als Blättlein nicht geflattert, [270]
Bist als Funken nicht geeilet,
Nicht als Rauch hinausgezogen.

»O du Jungfrau, meine Schwester,
Hast getauscht schon, und was alles!
Hast vertauscht den lieben Vater
Gegen einen bösen Schwäher,
Hast vertauscht die gute Mutter
Gegen eine strenge Schwieger,
Hast vertauscht den wackern Bruder
Gegen einen argen Schwager, [280]
Hast vertauscht die sanfte Schwester
Gegen eine spött'sche Schwägrin,
Hast vertauscht das Leinenlager
Gegen rußbedeckte Steine,
Hast vertauscht das klare Wasser
Gegen schmutzgefärbten Moder,
Hast vertauscht die sand'gen Ufer
Gegen schwarzen Schlamm des Grundes,
Hast vertauscht die lieben Haine
Gegen öde Heidestrecken, [290]
Hast vertauscht die Beerenhügel
Gegen starre Stoppelfelder.

»Wähntest du, o junges Mädchen,
Dachtest also du, o Hühnchen:
Sorgenende, Arbeitsmindrung
Würd' dir bringen dieser Abend,
Würdest fortgeführt zum Schlummer
Und um Ruhe zu genießen?

»Du wirst nicht geführt zum Schlummer,
Nicht um Ruhe zu genießen, [300]
Dich erwartet nichts als Wachen
Und der harte Schlag der Sorgen,
Deiner harrt die Last des Kummers
Und der Bann der bösen Laune.

»Solang du kein Kopftuch hattest,
Hattest du auch keinen Kummer,
Solang dir der Schleier fehlte,
Fehlte es dir auch an Trübsal;
Erst das Kopftuch bringt dir Kummer,
Erst das Linnen böse Laune, [310]
Durch das Tuch kommt dir die Trübsal
Und das grenzenlose Grämen.

»Wie ist doch im Haus die Jungfrau!
So ist sie im Haus des Vaters
Wie der König in dem Schlosse,
Fehlt ihr einzig an dem Schwerte!
Anders geht's der Schwiegertochter,
Also lebt sie bei dem Manne
Wie in Rußland der Gefangne,
Fehlt ihr einzig an der Wache. [320]

»Tut sie auch zur Zeit die Arbeit,
Müht sich ab nach Kraft der Schultern,
Daß der Schweiß das Antlitz decket,
Daß die Stirn von Schaum erglänzet,
Kommet dann die Ruhestunde,
Wird zum Feuer sie verurteilt,
In die Esse sie getrieben,
Sie der Hölle übergeben.

»Brauchen würde da die Arme,
Brauchen dort das arme Mädchen [330]
Lachses Sinn und Kaulbarschzunge,
Laune von dem Barsch im Teiche,
Rotaugs Mund und Weißfischs Magen,
Und der Trauerente Klugheit.

»Auch nicht eine kann's begreifen,
Nicht von neunen eine fassen,
Keine von der Mutter Töchtern,
Die in ihrer Hut verweilen,
Woher wohl der Fresser ankommt,
Wo für sie der Nager aufwächst, [340]
Fleischesfresser, Knochennager,
Der ihr Haar den Lüften preisgibt
Und zerzaust die schönen Locken,
Daß sie wild im Winde flattern.

»Weine, weine, junges Mädchen,
Weinst du, weine aus dem Grunde,
Wein' die Hände voll von Tränen,
Deine Faust voll Sehnsuchtszähren,
Tropfen auf den Hof des Vaters,
Teiche auf des Hauses Boden, [350]
Weine, daß die Stube fließet,
Daß die Bretter überfluten!
Weinst du jetzt nicht zur Genüge,
Weinst du, wenn du wiederkehrest,
In das Haus des Vaters kommest
Und erstickt den Alten findest
In dem Rauch der Badestube,
Einen trocknen Quast im Arme.

»Weine, weine, junges Mädchen,
Weinst du, weine aus dem Grunde, [360]
Weinst du jetzt nicht zur Genüge,
Weinst du, wenn du wiederkehrest,
In das Haus der Mutter kommest
Und die alte Mutter findest
An der Hürde ohne Atem,
Einen Strohbund in den Armen.

»Weine, weine, junges Mädchen,
Weinst du, weine aus dem Grunde,
Weinst du jetzt nicht zur Genüge,
Weinst du, wenn du wiederkehrest, [370]
Du zu diesem Hause kommest,
Deinen muntern Bruder findest
Auf der Gasse umgeworfen,
Auf dem Hofe hingesunken.

»Weine, weine, junges Mädchen,
Weinst, du, weine aus dem Grunde,
Weinst du jetzt nicht zur Genüge,
Weinst du, wenn du wiederkehrest,
Du zu diesem Hause kommest,
Deine sanfte Schwester findest [380]
Auf dem Wege hingestürzet,
In dem Arm ein alter Schlegel.«

Und das arme Mädchen seufzte,
Seufzte sehr und holte Atem,
Fing gar schmerzlich an zu weinen,
Brach in Schluchzen aus und Klagen.

Weinte ihre Hand voll Tränen,
Ihre Faust voll Sehnsuchtszähren,
Weinte naß den Hof des Vaters,
Teiche auf des Hauses Boden, [390]
Redet Worte solcher Weise,
Läßt sich selber also hören:
»O ihr Schwestern, meine Lieben,
Ihr Gefährten meines Lebens,
Ihr Gespielinnen der Jugend,
Höret, was ich euch nun sage!
Kann es gar nicht recht begreifen,
Was es ist, das ihn mir auflädt,
Den Verdruß, der mich bedrücket,
Diesen Kummer, der mich peinigt, [400]
Diese Trauer, die ich trage,
Diese bittere Betrübnis.

»Anders dacht' ich's, anders glaubt' ich's,
Hofft' es anders stets im Leben,
Wollte wie der Kuckuck gehen,
Wollte auf den Hügeln rufen,
Wenn gelangt zu diesen Tagen,
Ich zu diesem Ziel gekommen:
Gehe nun nicht wie der Kuckuck
Auf den Hügeln munter rufen, [410]
Bin der Wasserente ähnlich,
Wenn sie auf den weiten Wogen
In dem kalten Wasser schwimmet,
Sich im Eiseswasser schüttelt.

»O mein Vater, meine Mutter,
Meine Eltern, ihr Geliebten!
Wohin wollet ihr mich führen,
Wohin bringt ihr mich, die Arme,
Daß ich diese Tränen weine,
Daß ich solche Leiden trage, [420]
Daß ich solche Sorgen habe,
Solchen Kummer nun empfinde!

»Hättst du lieber, arme Mutter,
Hättest du, die mich getragen,
Liebe, die mir Milch gegeben,
Holde, die du mich gesäuget,
Einen Holzklotz eingewickelt,
Einen kleinen Stein gewaschen,
Statt zu waschen deine Tochter,
Statt zu wickeln deinen Liebling [430]
Zu der Sorgen großer Fülle,
Zu dem harten Herzeleide!

»Mancher spricht zwar zu mir solches,
Mancher hegt zwar diese Meinung:
Nimmer hast du, Törin, Sorgen,
Kummer du auf keine Weise!
Redet nicht, o guten Leute,
Sprecht nicht also, meine Lieben!
Habe leider mehr der Sorgen,
Als im Wasserfalle Steine, [440]
Als auf schlechtem Boden Weiden,
Heidekraut auf dürren Fluren;
Nicht vermöcht' ein Roß zu ziehen,
Gut beschlagen nicht zu schleppen,
Ohne daß das Krummholz bebet,
Ohne daß das Kummet zittert,
Diese meine Sorgen alle,
Meine ganze dunkle Trauer.«

Sang ein Knabe von dem Boden,
Von dem Ofen her ein Kindlein: [450]
»Weshalb, Jungfrau, willst du weinen,
Willst du große Sorgen nähren?
Laß die Trauer du den Pferden,
Kummer du dem schwarzen Wallach,
Laß die Eisenmäul'gen klagen,
Jammern die mit großen Köpfen;
Bessre Köpfe haben Pferde,
Bessre Köpfe, härtre Knochen,
Mehr trägt ihres Nackens Krümmung,
Stärker ist des Körpers Masse. [460]

»Brauchst ja keineswegs zu weinen
Und dich also abzuhärmen:
Nimmer führt man dich in Sümpfe,
Nicht zum Rande eines Grabens;
Fortgeführt aus Fruchtgefilden,
Kommest du zu reichern Feldern,
Fortgeführt aus Biergebäuden,
Kommest du zu Bier in Fülle.

»Schauest du auf deine Seite,
Hin zu deiner rechten Hüfte,
Sieh, da steht der Mann zum Schutze,
Er, der Frische, dir zur Seite,
Gut der Mann, das Roß vortrefflich,
Stallgerät von allen Arten,
Haselhühner blähn sich munter,
Fliegen an des Krummholzs Wölbung,
Drosseln haben ihre Freude,
Singen lustig in den Riemen,
Sechs der goldnen Kuckucksvögel
Flattern an des Rosses Kummet, [480]
Sieben schöne blaue Vöglein
Rufen vorne auf dem Schlitten.

»Sei, o Liebe, nicht in Sorgen,
Nicht in Kummer, Mutterkindlein,
Kommst ja nicht in schlechtre Lage,
Kommst in eine bessre Lage,
An des Ackermannes Seite,
Unter dieses Pflügers Mantel,
Unters Kinn des Broterzeugers,
In den Arm des Fischeanglers, [490]
An den Schweiß des Elenfängers,
In das Bad des Bärenjägers!

»Hast der Männer allerbesten,
Einen Helden du gewonnen,
Nimmer müßig ist sein Bogen,
An dem Nagel nicht sein Köcher,
Läßt die Hunde nicht im Hause,
Nicht auf weichem Lager ruhen.

»Dreimal ist in diesem Frühjahr
Schon in frühster Morgenstunde [500]
Er vom Feuer aufgestanden,
Auf dem Reisigbett erwachet,
Dreimal schon in diesem Frühjahr
Ist der Tau ins Aug' gefallen,
Haben Zweige ihn gebürstet,
Haben Äste ihn gekämmet.

»Macht, daß alle Haufen eilen,
Daß die Herde sich vermehret,
Unserm Bräutigam gehören
Herden, die durch Wälder wandern, [510]
Über Bergesrücken laufen,
In des Tales Niedrung gehen,
Hunderte von Hörnerträgern,
Tausend euterfette Kühe,
Auf den Fluren viel Getreide,
In den Tälern großer Vorrat,
Erlenwaldung voller Kornland,
Bachesufer voll von Gerste,
Klippenränder voll von Hafer,
Wasserufer voll von Weizen, [520]
Geld in lauter großen Haufen,
Pfenn'ge gleich den kleinen Steinchen.«


Anmerkungen

Vers 21 ff. »Es scheint allgemein Sitte zu sein, daß die Braut lange auf sich warten läßt, und erst nach langem Suchen und durch Vermittlung der Brautmutter läßt sie sich bewegen, hervorzutreten« (Schröder).

95 ff. »Um dieses Bild vollkommen zu begreifen, müssen wir die patriarchalische Art des Zusammenlebens der alten Finnen kennen. Die neuen, jungen Paare sonderten sich nicht in getrennten Wirtschaften ab, sondern blieben auch ferner zusammen und wohnten in demselben Hause mit ihren Schwägern, Schwägerinnen und deren Kindern. Oft stieg die Zahl der Personen in einer solchen Familie bis zu 60-100 heran; der ganze Haushalt, fast alles Eigentum gehörte ihnen gemeinschaftlich und über allen waltete die Herrschaft eines alten Hausvaters oder einer Hausmutter. ... Hier trat die Schwiegertochter in eine fertige, gefestigte, unbeugsame Hausordnung hinein, der sich zu unterwerfen sie gezwungen war. Nicht einmal der liebende Gatte vermochte den Zwang durch eigenes Zugeständnis zu erleichtern; denn auch er befand sich unter demselben strengen, patriarchalischen Regiment« (Julius Krohn). In einem an die Braut gerichteten Lied des Kanteletar heißt es:

»Jetzt, mein Blümchen, gehst du wandern,
Ziehst hinaus, ein Spiel der Winde,
Weite Wege, fern vom Hofe,
Aus der Eltern stolzer Wohnung;
Wähnst, man führe dich zur Heimat,
Führ' dich hin zu einem Vater;
Nicht zu einem lieben Vater,
Einem Herrn ziehst du entgegen!«

(Deutsch von Hermann Paul.)

259. D. h. verworfenes Ding.

260. D. h. schwerfällig, untauglich.

261. D. h. mit den Füßen Getretene.

305 ff. S. Anm. zu III 552 ff.

326 ff. D. h. verflucht (zur Hölle hingewünscht).

331 ff. »Die List und Kühnheit des Lachses, die Verschwiegenheit des Kaulbarsches, die Sanftmut des Teichbarsches, die Mäßigkeit des Rotaugs und des Weißfischs« (Léouzon le Duc).

451 ff. Wie die Rede des Alten, so beruht auch der Gesang des Knaben auf einem formelhaften Hochzeitsritus; jene wird das Tränenlied, dieser das Trostlied genannt.

499 ff. Er hat die ganze Nacht bei einem aus Baumreisig entzündeten Feuer zugebracht, um am frühen Morgen seine Arbeit wiederaufzunehmen.


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