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Vierzehnte Rune

Lemminkäinen wendet die den Jägern geläufigen Gebete und Zauberworte an, bekommt endlich das Elentier in seine Gewalt und bringt es nach dem Nordland 1–270. Zweitens wird ihm auferlegt, Hiisis feuerschnaubendes Roß zu zügeln; er zügelt es und bringt es nach dem Nordland 271–372. Als dritte Aufgabe wird ihm gestellt, den Schwan aus dem Tuoniflusse zu schießen. Lemminkäinen kommt zum Fluß des Totenreiches; dort lauert ihm der von ihm mißachtete Hirte auf, tötet ihn und wirft ihn in den Wasserfall des Totenlandes. Tuonis Knabe haut den Leib in Stücke 373–460.

Lemminkäinen leichtgemutet
Dachte nach und überlegte,
Welchen Weg er einzuschlagen,
Welche Bahn zu gehen hätte:
Sollt' er Hiisis Elen lassen,
Selber heim nach Hause kehren,
Oder noch einmal versuchen,
Nochmals auf den Schneeschuhn schleichen,
Gunst erbittend von der Waldfrau,
Freundschaft von den Hainesjungfraun. [10]

Redete drauf diese Worte,
Ließ auf solche Art sich hören:
»Ukko, du, o Gott der Höhe,
Lieber Vater in dem Himmel!
Mache mir zurecht die Schneeschuh'
Und verleihe ihnen Schnelle,
Daß ich damit gleiten könne
Über Sümpfe, über Länder,
Grade nach dem Lande Hiisis,
Durch des Nordlands weite Flächen, [20]
Zu des Hiisi-Elens Pfaden,
Zu des wilden Renntiers Tritten.

»Ungeleitet geh' zum Wald ich,
Ohne Heldenschar zur Arbeit,
Auf dem Wege Tapiolas,
Längs des Hauses von Tapio;
Gruß euch, Berge, Gruß euch, Höhen,
Gruß euch, weite Tannenwälder,
Gruß euch, falbe Espenhaine,
Gruß auch denen, die euch grüßen! [30]

»Wald, sei gnädig, gütig, Öde,
Holder Tapio, mir günstig;
Bring' den Mann nun zu den Hügeln,
Führ' ihn freundlich zu den Höhen,
Wo er seine Beute findet,
Wo er seinen Lohn erlanget!

»Nyyrikki, o Sohn Tapios,
Reiner Mann mit roter Mütze!
Mache Kerben längs des Weges,
Wegezeichen an dem Berge, [40]
Daß ich Dummer richtig gehe,
Wildfremd hier die Wege treffe,
Während ich die Beute suche,
Um die Gabe mich bemühe.

»Mielikki, des Waldes Wirtin,
Hehre Mutter, schöngestaltet!
Laß dein Gold nun vorwärts wandern,
Laß das Silber sich bewegen
Vor dem Manne, der da suchet,
Auf dem Pfad des Spurbedachten. [50]

»Hol' hervor die goldnen Schlüssel
Von dem Ringe an dem Schenkel,
Öffne Tapios Vorratskammer,
Und erschließ die Burg des Waldes,
Während ich auf Beute laure,
Ich den Jagdgewinn hier suche!

»Willst du's selber nicht verrichten,
O, so schicke deine Mägde,
Sende deine Dienerinnen
Und befiehl es deinen Leuten! [60]
Wirst mir nimmer Wirtin scheinen,
Hast du in dem Dienst nicht Mägde,
Hast du nicht ein Hundert Mägde,
Tausend, die dein Wort erfüllen,
Um die Herde ganz zu hüten
Und das Wild mit Sorg' zu pflegen.

»Kleingewachsne Magd des Waldes,
Honigmund'ges Mädchen Tapios!
Blase auf der Honigflöte,
Pfeife auf der süßen Pfeife [70]
Vor der gnäd'gen Wirtin Ohren,
Vor der holden Waldeswirtin,
Daß sie bald die Töne höre,
Von der Ruhe sich erhebe;
Denn sie hört mich ganz und gar nicht
Und erwacht nicht aus dem Schlafe,
Ob ich auch beharrlich bitte
Und mit goldner Zunge rufe!«

Lemminkäinen leichtgemutet
Zieht beständig ohne Beute, [80]
Eilt durch Sümpfe, eilt durch Felder,
Eilt durch düstre Urwaldwildnis,
Wo Jumalas Kohlenhügel,
Hiisis Glutgefilde liegen.

Gleitet einen Tag, den zweiten,
Endlich an dem dritten Tage
Kommt er zu dem großen Berge,
Steigt er auf den großen Felsen,
Wendet seinen Blick nach Nordwest,
Durch die Sümpfe hin nach Norden; [90]
Es erscheinen Tapios Höfe,
Golden strahlen alle Türen
Durch die Sümpfe her von Norden,
Durch das Buschwerk an dem Berge.

Lemminkäinen leichtgemutet
Eilt sogleich nun hin zur Stelle,
Schleicht sich heimlich nah und näher,
Steht bald unter Tapios Fenstern;
Macht verborgen sich ans Lauern,
Kauernd an dem sechsten Fenster, [100]
[Gerberinnen] saßen drinnen,
Ausgestreckt des Waldes Mütter,
Alle in der Werktagskleidung,
In den starkbeschmutzten Lumpen.

Sprach der muntre Lemminkäinen:
»Weshalb sitzst du, Waldeswirtin,
In der schlechten Werktagskleidung,
Wälzst du dich in Arbeitslumpen?
Bist gar schmutzig anzuschauen,
Ungeheuerlich von Ansehn, [110]
Garstiger Gestalt erscheinst du
Und von überplumpem Leibe.

»Als ich sonst im Walde weilte,
Waren dort der Burgen dreie,
Eine hölzern, eine beinern,
Steinern war der Burgen dritte,
Goldne Fenster, sechs in Reihen,
Waren dort an allen Seiten,
Blickte rasch durch sie nach innen,
Während an der Wand ich hockte, [120]
Sah den Wirt des Tapiohofes,
Sah des Tapiohofes Wirtin,
Tellerwo, die Tapiojungfrau,
Mit den andern Tapioleuten
Alle goldgewandet rauschen,
Sich im Silberkleid bewegen;
Selbst die Waldfrau, sie, die Wirtin,
Die dem Wandrer wohlgewogne,
Hatt' am Arme goldne Spangen,
Goldne Ringe an den Fingern, [130]
Ihren Kopf in goldnem Schmucke,
Hatt' ihr Haar in goldner Binde,
Goldne Ringe an den Ohren,
Schöne Perlen an dem Halse.

»Holde Wirtin in dem Walde,
Honigmutter von Metsola,
Zieh dir ab die schlechten Strohschuh',
Ab die Sohl' von Birkenrinde,
Ziehe aus die Arbeitslumpen,
Ab das Hemd der Werkeltage, [140]
Ziehe an die Wonnekleidung,
Tue an das Hemd des Festes,
Während ich im Walde weile,
Meine Beute dort erspähe!
Überdrüssig bin ich wahrlich,
Bin gewiß gar sehr verdrießlich,
Ganz umsonst hier zu verweilen,
Ohne Fang zu allen Zeiten,
Wenn nicht du ihn mir gewährest,
Du mir nicht Erholung spendest, [150]
Zögernd ist der Tag ohn' Freude,
Lang der Abend ohne Beute.

»O graubärt'ger Greis des Waldes
Mit dem Strauchhut, mit dem Moospelz!
Kleid' die Wälder nun in Leinwand,
Hülle du in Tuch die Haine,
Gib den Espen warmen Umhang,
Gib den Erlen weiche Kleider,
Leih den Fichten schönes Silber,
Schmück' mit Gold die schlanken Tannen, [160]
Fichten mit dem Kupfergürtel,
Föhren mit dem Silbergurte,
Birken mit den goldnen Blumen,
Ihren Stamm mit goldnen Schellen,
Mach' es wie in frühern Zeiten,
Als die Tage besser waren,
Als dem Monde gleich die Tannen,
Sonnengleich die Föhren strahlten,
Honigluft den Wald erfüllte,
Honigseim die blauen Haine, [170]
Würze an den Weiderändern,
Öl an Sumpfesrändern strömte!

»Waldes Tochter, holde Jungfrau,
Tuulikki, Tapios Tochter!
Treib' das Wild her zu den Halden,
Zu den weitgedehnten Fluren;
Ist es nicht bereit zum Laufen,
Ist's zu faul dahin zu eilen,
O, so nimm vom Busch die Gerte,
Eine Birke aus dem Tale, [180]
Auf die Flanken sie zu schwingen,
An die Seiten sie zu schlagen,
Mache, daß sie eilig springen,
Hastig sich hierherbewegen,
In den Weg dem Mann, der suchet,
Ihrer Spur beständig folgend.

»Kommt das Wildbret auf den Fußsteig,
Laß es auf dem Fußsteig laufen,
Halte vor die beiden Hände,
Hüte es von beiden Seiten, [190]
Daß das Wildbret nicht entrinne,
Nach der Seite nicht entweiche;
Sollte dennoch es entfliehen,
Nach der Seite hin entweichen,
Führ' es an dem Ohr zum Wege,
An dem Horne auf den Fußsteig!

»Lieget Reisig auf dem Wege,
Schieb es fort zum Wegesrande,
Liegen Bäume auf der Erde,
O, so brich sie rasch in Stücke! [200]

»Sollt' ein Zaun dazwischen kommen,
Stoß ihn um, den Abhang nieder,
Fünf der Weidenringe nimm ihm,
Sieben Pfähle aus der Reihe!

»Wird der Weg vom Fluß zerschnitten,
Wird der Pfad vom Bach durchqueret,
Mach' aus Seide eine Brücke,
Einen Steig aus rotem Tuche,
Daß den Sund es überschreite,
Durch den Fluß das Wild gelange, [120]
Durch den Strom des weiten Nordlands,
Durch den Schaum des Wasserfalles!

»Du, o Wirt vom Hof Tapios,
Wirtin du vom Hof Tapios,
O graubärt'ger Greis des Waldes,
Goldner König in dem Walde,
Mimerkki, des Waldes Wirtin,
Gabenmutter in dem Walde,
Alte in dem blauen Mantel,
Rotbestrumpfte Sumpfeswirtin! [220]
Komme nun das Gold zu tauschen,
Komm das Silber umzuwechseln,
Gold hab' ich von Mondes Alter,
Silber von der Sonne Alter,
Aus dem Kriege ist's gewonnen,
In der Schlacht mit Müh' errungen,
Nützt sich ab im Beutel liegend,
Schwindet hin im Zundersacke,
Wird das Gold nicht ausgetauschet,
Wird das Silber nicht gewechselt!« [230]

Lemminkäinen leichtgemutet
War nun lang dahingeglitten,
Sang am Waldesende Lieder,
In dem Innern dreier Haine,
Macht geneigt des Waldes Wirtin,
Selber auch den Wirt des Waldes,
Günstig sich die Jungfraun alle,
Stimmt für sich die Tapiotöchter.

Scheuchen auf und treiben weiter
Hiisis Elen aus dem Dickicht, [240]
Jenseits von dem Tapioberge,
An dem Saum von Hiisis Schlosse,
Zu dem Manne, der da suchet,
Daß die Beute er erreichte.

Lemminkäinen leichtgemutet
Läßt da seinen Fangstrick fallen
Auf des Hiisi-Elens Schultern,
Auf den Hals des großen Füllens,
Daß es nicht mit Füßen schlage,
Wenn den Rücken er ihm streichelt. [250]

Lemminkäinen leichtgemutet
Redet nunmehr diese Worte:
»Herr des Waldes, Wirt des Landes,
Schönes Wesen auf der Heide,
Mielikki, des Waldes Mutter,
Gabenmutter in dem Walde!
Komm herbei das Gold zu nehmen,
Komm das Silber auszuwählen,
Lege auf die Erd' dein Leintuch,
Breite aus dein feines Tüchlein [260]
Unter diesem hellen Golde,
Unter diesem schönen Silber,
Daß es nicht zur Erde falle,
Nicht im Schmutz verstreuet werde!«

Darauf ging er nach dem Nordland,
Sprach, als er dorthin gekommen:
»Hab' das Hiisi-Elen endlich
Von dem Hiisifeld gefangen,
Gib, o Alte, deine Tochter,
Gib die Jungfrau mir zur Gattin!« [270]

Louhi, Nordlands alte Wirtin,
Gab zur Antwort solche Worte:
»Dann erst geb' ich meine Tochter,
Dir zur Gattin dann die Jungfrau,
Wenn du Zügel hast dem Rosse,
Angelegt dem roten Renner,
Hiisis schaumbedecktem Füllen
Auf des Hiisifeldes Grenzen.«

Lemminkäinen leichtgemutet
Nahm nun seine goldnen Zügel, [280]
Nahm die Halfter, die aus Silber,
Ging dahin das Roß zu suchen,
Aufzuspähn das gelbbemähnte
Von des Hiisifeldes Grenzen.

Hastig schritt er fort des Weges,
Hob behende sich von hinnen
Zu den grünen Ackerfluren,
Zu des heil'gen Feldes Grenzen,
Suchte dorten nach dem Rosse,
Suchte nach dem gelbbemähnten, [290]
Trug im Gurt des Rosses Zügel,
Auf der Schulter seine Riemen.

Suchte einen Tag, den zweiten,
Endlich an dem dritten Tage
Stieg er hin zum großen Berge,
Klettert' auf des Steines Rücken,
Warf die Blicke hin nach Osten,
Wandte seinen Kopf zur Sonne,
Sah das Roß dort auf der Heide,
In dem Tann das gelbbemähnte, [120]
Feuer sprühet aus den Haaren,
Rauch erhebt sich von der Mähne.

Also redet Lemminkäinen:
»Ukko, du, o Gott der Höhe,
Ukko, der die Wolken lenket,
Der die Lämmerwolken leitet!
Öffne doch des Himmels Wölbung,
Du die ganze Luft wie Fenster,
Lasse Eisenhagel fallen,
Lasse Eisesklumpen regnen [310]
Auf des guten Rosses Mähnen,
Auf des Hiisi-Weißstirns Rücken!«

Ukko, er, der Schöpfer oben,
Jumala, der Herr der Wolken,
Riß die Luft nun auseinander,
Brach entzwei des Himmels Wölbung,
Regnet Reif und Eisesschollen,
Regnet Schloßen, die von Eisen,
Kleiner als der Kopf des Rosses,
Größer als der Kopf des Menschen, [320]
Auf des guten Rosses Mähnen,
Auf des Hiisi-Weißstirns Rücken.

Ging der muntre Lemminkäinen
In die Nähe um zu sehen
Und genau es zu betrachten,
Sprach dann selber diese Worte:
»Gutes Roß des Hiisilandes,
Schäumend Pferd des großen Berges,
Bringe deine goldne Schnauze,
Stecke nun dein Haupt von Silber [330]
In die schönen goldnen Ringe,
In die silberreichen Zügel!
Werde nimmer schlimm dich halten,
Nicht zu scharf dich vorwärts treiben
Auf des Weges kleiner Strecke,
Auf der Bahn von kurzer Dauer
Zu des Nordlands hohen Stuben,
Zu der bösen Schwiegermutter,
Werd' dich nicht mit Riemen streichen,
Mit der Gerte dich nicht führen, [340]
Werde dich mit Seide streichen,
Mit der Decke Kante führen.«

Hiisis Roß, das rotbehaarte,
Hiisis schaumbedecktes Füllen
Steckte seine goldne Schnauze,
Steckt' sein Haupt von schönem Silber
In die schönen goldnen Ringe,
In die silberreichen Riemen.

Also zäumte Lemminkäinen
Endlich nun das Roß des Hiisi, [350]
Tat die Zügel an die Schnauze,
An das Silberhaupt die Halfter,
Setzt sich auf des Rosses Rücken,
Auf das Kreuz von Hiisis Weißstirn.

Schlägt das Roß mit seiner Peitsche,
Schwinget rasch die Weidengerte,
Eilet eine Strecke Weges,
Wiegt sich auf des Landes Höhen,
Zu den Bergen hin nach Norden,
Zu des Schneegebirges Hügeln, [360]
Kommt dann zu des Nordlands Stuben,
Tritt dort aus dem Hof ins Zimmer,
Spricht, als er dort angekommen,
Als zum Nordland er gelanget:
»Hab' das große Roß gezäumet,
Hiisis Füllen schon geschirret
Von den grünen Ackerfluren,
Von des heil'gen Feldes Grenzen,
Hab' das Hiisi-Elen dorten
Auf dem Hiisifeld gefangen; [370]
Gib, o Alte, deine Tochter,
Gib die Jungfrau mir zur Gattin!«

Louhi, Nordlands alte Wirtin,
Redet selber diese Worte:
»Dann erst geb' ich meine Tochter,
Geb' ich dir zur Braut die Jungfrau,
Wenn den Schwan im Fluß du schießest,
In dem Strom den starken Vogel,
In des Tuoni schwarzem Flusse,
In des heil'gen Stromes Wirbeln, [380]
Darfst es einmal nur versuchen,
Einen Pfeil darfst du nur senden.«

Lemminkäinen leichtgemutet,
Er, der schöne Kaukomieli
Ging den Schwan nun aufzusuchen,
Ging den Langhals zu entdecken
In dem schwarzen Flusse Tuonis,
In den Tiefen von Manala.

Eilig zog er nun von dannen,
Lief dahin mit schnellen Schritten, [390]
Hin zum Fluß des Totenlandes,
Zu des heil'gen Stromes Wirbeln,
Mit dem Bogen auf der Schulter,
Mit dem Köcher auf dem Rücken.

Naßhut, jener Herdenhüter,
Nordlands Greis mit blinden Augen,
Stand dort an dem Fluß Tuonelas,
An des heil'gen Stromes Wirbeln;
Spähte um sich in die Runde,
Ob nicht Lemminkäinen käme. [400]

Dann an einem Tage endlich
Sah den muntern Lemminkäinen
Er herbei und näher schreiten
Zu dem Flusse von Tuonela,
An den Rand des Wasserfalles,
Zu des heil'gen Stromes Wirbeln.

Lässet aus der Flut aufschießen,
Aus den Wogen eine Schlange,
Stößt sie pfeilgleich durch das Herz ihm,
Durch die Leber Lemminkäinens, [410]
Durch die linke Achselhöhle
Hin zum rechten Schulterblatte.

Fühlt der muntre Lemminkäinen
Nun gar heftig sich getroffen,
Redet selber solche Worte:
»Schlimm hab' ich daran gehandelt,
Daß ich nicht erfragen mochte
Von der Mutter, meiner Alten,
Nur zwei kleine Zauberworte,
Wenn es hoch kommt drei der Worte, [420]
Wie zu sein und wie zu leben
In den Tagen voller Unheil:
Kenne nicht die Pein der Schlange,
Nicht die Qual der Wassernatter.

»Mutter, die du mich getragen,
Die mit Mühsal mich erzogen!
Wüßtest du und könntest schauen,
Wo dein Sohn, der Arme, weilet,
Kämest da herbeigeeilet,
Kämst um rascher mir zu helfen, [430]
Um den armen Sohn zu lösen,
Daß er nicht zur Stelle sterbe,
Nicht als Jüngling hier entschlafe,
Frischen Blutes nicht verderbe.«

Nordlands Greis mit blinden Augen,
Naßhut, dieser Herdenhüter,
Stürzt den muntern Lemminkäinen,
Senket ihn, den Sohn Kalewas,
In den schwarzen Fluß Tuonelas,
In den allerschlimmsten Strudel, [440]
Sinkt der muntre Lemminkäinen
In des Wasserfalles Tosen,
Mit der wilden Strömung Rauschen
In des Totenlandes Räume.

Tuonis Sohn, der blutbefleckte,
Haut den Mann mit seinem Schwerte,
Schlägt drauf los mit scharfer Klinge,
Hauet einmal, daß es funkelt,
Schlägt den Mann in fünf der Stücke,
Schneidet ihn in achte gar noch, [450]
Wirft sie in den Fluß Tuonelas,
In die tiefe Flut Manalas:
»Strecke dich nun ewig dorten,
Mit dem Bogen, mit den Pfeilen,
Schieße Schwäne in dem Flusse,
Wasservögel in den Fluten.«

So war Lemminkäinens Ende,
Starb der unverdroßne Freier
In dem schwarzen Strome Tuonis,
In der Tiefe von Manala. [460]


Anmerkungen

Vers 25 ff. Tapio: der oberste der Waldgötter, der »König des Waldes«, auch »Erdenwirt« und »Erderhalter« genannt. Er wird als ein alter Mann mit braungrauem Bart geschildert, er trägt einen hohen Hut aus Föhrennadeln und einen Pelz aus Baummoos. Die wilden Tiere werden als seine Herde bezeichnet. Der Jäger bat Tapio, ihm das Wild entgegenzutreiben, und der Hirt, sein Vieh zu schützen. Tapios Heim heißt Tapiola oder Metsola (Waldheim); es ist »das tiefste Dunkel des Laubwalds« (Ganander), von Moor und Strauchwerk umgeben, und birgt reiche Schätze. Die Gemahlin des Gottes wird gewöhnlich Mielikki, die Wohlgesinnte, auch Mimerkki und die Gabenmutter genannt; wenn sie aber zürnt, heißt sie Kuurikki, die Taube (die nicht Gehör gibt). »Glückte dem Jäger der Fang, so war Mielikki gut, mild, hold und schön anzuschauen. Ihre Hände waren mit goldenen Spangen geschmückt, an den Fingern trug sie goldene Ringe, auf dem Haupte goldene Kränze, im Haar goldene Binden, in den Ohren goldene Ringe, an den Augenbrauen Perlen, an den Beinen blaue Strümpfe und rote Schuhbänder. Lief dagegen die Jagd nicht nach Wunsch ab, so wurde sie als ein häßliches und scheußliches Wesen angesehen, welches statt des Goldes Reiser zu Armbändern, Ringen, Kränzen, Halsperlen und sonstigem Schmuck benutzte, Grasschuhe und zerlumpte Kleider trug usw. Rief der Jäger Mielikki um einen glücklichen Fang an, so pflegte er sie aufzufordern, daß sie ihre schlechte, armselige, häßliche »Alltagstracht« ablegen und ihre Festtagskleider, welche ausdrücklich »Gabenhemde« genannt werden, anziehen möchte« (Castrén). So heißt es in einem Liede des Kanteletar:

Oft erscheint die milde Göttin,
Die Beherrscherin der Wälder,
Reich geschmückt mit goldnen Ringen,
Ziert den Arm mit goldnen Spangen,
Schmückt das Haupt mit goldner Krone,
Läßt die goldnen Locken wallen,
Schmückt den Hals mit Goldgeschmeide,
Strahlt in goldgewirktem Kleide.
Sieh, dann denkt die milde Göttin,
Die Beherrscherin der Wälder,
Glück dem Jäger zu verleihen,
Ihre Gaben auszustreuen.
Aber oft erscheint die Göttin,
Die Beherrscherin der Wälder,
Nur geschmückt mit Weidenringen,
Trägt am Arm nur Weidenspangen,
Auf dem Haupt ein Weidenkrönchen,
Läßt nur Weidenlocken wallen,
Will in Blatt und Laub sich kleiden,
Trägt ein Mäntelchen von Weiden.
Sieh, dann geizt die rauhe Göttin,
Die Beschützerin der Wälder,
Glück dem Jäger zu verleihen,
Ihre Gaben auszustreuen.

(Deutsch von Hermann Paul.)

Von Tapios Söhnen wird vornehmlich (so hier, V. 37) Nyyrikki genannt, der einen blauen Mantel und eine rote Mütze trägt. Von den Töchtern sind die bekanntesten die goldhaarige Tellerwo, die jedoch zuweilen (so Rune XLVI, V. 57 f.) mit Mielikki verwechselt wird, und Tuulikki, »die Schöne der Wälder«.

47 f. Unter Mielikkis Gold und Silber ist das Wild, hier also das Elen zu verstehen.

142. Wörtlich: das Gabenhemd; so heißt das Hemd, das die Braut ihren neuen Verwandten zum Geschenk gibt.

221. D. h. das Wild gegen die Opfergaben des Jägers.

379. Tuoni, auch Mana genannt: der Gott des Todes und der Unterwelt, die Tuonela, das Land der Toten, oder Manala, das Land unter der Erde, heißt.

Die Finnen dachten sich, wie die skandinavischen Völker, die Unterwelt ähnlich beschaffen wie die Erde. »In Tuonela schien wie Sonne so wie auf der Erde, es mangelte dort nicht an Land oder Wasser, an Wald oder Feld, an Äckern oder Wiesen, es gab dort Bären, Wölfe, Schlangen, Hechte usw. Was aber auch die Unterwelt in ihrem Schoße bergen mochte, alles war von einer sehr schädlichen, düstern und gefährlichen Art. Die Wälder waren finster und mit wilden Tieren angefüllt, das Wasser schwarz, die Kornfelder brachten eine Saat hervor, von der die Schlange oder der sogenannte Tuoni-Wurm seine Zähne erhalten hatte. Sehr oft wird in den Runen der Tuonela-Fluß erwähnt, der sehr reißend und mit siedenden Wirbeln und einem gefährlichen Wasserfall versehen war, der der böse Wasserfall, der Harte-Nagel-Wasserfall benannt wird. Wahrscheinlich wegen dieser furchtbaren Beschaffenheit des Flusses auch oft der heilige Fluß benannt.« (Castrén) Tuoni selbst wird als ein alter Mann mit drei Fingern und einem auf die Schultern herabhängenden Hut, seine Gemahlin als ein altes Weib mit hakigen Fingern, verzerrtem Kinn und eisernen Zähnen geschildert.

395 ff. Auf die Verwandtschaft der Erzählung von Lemminkäinens Ermordung mit der von Balders Tod hat bereits Castrén hingewiesen; Julius Krohn hat sie in seiner Geschichte der finnischen Literatur dargelegt und Kaarle Krohn neuerdings in einer eingehenden Untersuchung (Lemminkäinens Tod, Finnisch-ugrische Forschungen V) analysiert. Er führt beide Erzählungen auf legendäre Motive von Christi Tod zurück (nach dem Vorgang von Bugge, Studien über die Entstehung der nordischen Götter- und Heldensagen, München 1889, der zwar den Baldermythus aus christlichem Einfluß erklärt, aber die Ähnlichkeit der Lemminkäinensage damit nicht für wesentlich hält, wogegen z. B. W. Schwartz, Indogermanischer Volksglaube, Berlin 1885, S. 166, die in beiden bedeutsamen Motive, das des blinden Mörders und das des Übergangenseins des Mannes oder der Waffe bei der Beschwörung, hervorhebt; vgl. hierzu F. Kauffmann, Balder, Straßburg 1902, S. 242 ff.). Wahrscheinlicher ist, daß die ursprüngliche Erzählung von Balder wie die von Lemminkäinen nicht christlich-legendären, sondern heidnisch-mythischen Charakter hatte, als eine der Erscheinungsformen des Mythos vom sterbenden und auferstehenden Gotte (worüber insbesondere Frazers The Golden Bough eine Fülle von Material enthält), daß sie aber allmählich verwandte Motive christlicher Legenden aufnahm und sich assimilierte; wobei zu beachten ist, daß diese Motive zum Teil selbst Umbildungen wandernder Mythen sind. Die Frage nach der Beeinflussung der Lemminkäinen-Lieder durch den Mythos von Balders Tod bleibt durch diese Einschränkung natürlich unberührt; der Zusammenhang beider Motive ist augenscheinlich.

416 ff. Lemminkäinen bedauert, daß er von seiner Mutter keine Zauberformel gegen den Schlangenbiß erfragt hat; gemeint ist, wie aus Rune XV, Vers 591 ff. hervorgeht, die Formel vom »tiefen Ursprung« der Schlange.


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