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Wäinämöinen erzählt dem Alten die Entstehung des Eisens 1–266. Der Alte schilt das Eisen und spricht die Worte des Blutstillens; das Blut hört auf zu fließen 267–418. Der Alte läßt seinen Sohn eine Salbe bereiten, salbt und verbindet die Wunde; Wäinämöinen genest und dankt Gott für die erhaltene Hilfe 419–586.
Nun erhob sich Wäinämöinen
Selber rasch auf seinem Schlitten,
Steiget ohne alle Hilfe
Und erhebt sich ohne Stütze,
Schreitet näher zu der Hütte
Und begibt sich in die Stube.
Dort wird eine Silberkanne,
Eine goldne hergetragen,
Doch sie fasset nur gar wenig,
Nur die allerkleinste Menge
[10]
Von dem Blute Wäinämöinens,
Aus der Wunde dieses Helden.
Von dem Ofen brummt der Alte,
Ruft der Greis mit grauem Barte:
»Wer denn bist du von den Männern,
Wer wohl aus der Zahl der Helden?
Von dem Blut sind sieben Boot voll,
Acht der allergrößten Zuber
Dir von deinen Knieen, Ärmster,
Auf den Boden hingeflossen;
[20]
Andre Worte mag ich wissen,
Doch nicht kenne ich das erste,
Von dem Ursprunge des Eisens,
Von des Unheilserzes Wachsen.«
Sprach der alte Wäinämöinen,
Redet Worte solcher Weise:
»Kenn' ja selbst des Eisens Ursprung,
Weiß gar wohl des Stahls Entstehung:
Luft ist die urerste Mutter,
Wasser ist der ältste Bruder,
[30]
Eisen ist der jüngste Bruder,
In der Mitte steht das Feuer.
»Ukko, er, der Schöpfer oben,
Selber er, der Gott im Himmel,
Schied das Wasser von den Lüften,
Von dem Wasser dann die Erde,
Ungeboren war das Eisen,
Ungeboren, konnt' nicht wachsen.
»Ukko, Gott der Himmelsräume,
Rieb sich seine beiden Hände,
[40]
Drückte beide an einander
Auf des linken Kniees Spitze;
Da entstanden drei der Mädchen,
Drei vollkommne Schöpfungstöchter,
Mütter sie des Eisenrostes,
Sie des Stahls mit blauem Munde.
»Fingen schwingend an zu gehen,
An dem Wolkenrand zu schreiten,
Ihre vollen Brüste strotzten,
Daß die Warzen sie bedrängten,
[50]
Ließen ihre Milch zur Erde,
Ihrer Brüste Fülle fließen
In die Erde, in die Sümpfe,
In die schlummerreichen Wogen.
»Schwarze Milch entströmte einer,
Von den drein der ältsten Jungfrau,
Weiße Milch vergoß die zweite,
Welche in der Mitte stehet,
Rote Milch zuletzt die dritte,
Von den drein die allerjüngste.
[60]
»Wo die schwarze Milch geflossen,
Da entstand das weiche Eisen,
Wo die weiße Milch vergossen,
Da ward harter Stahl geschaffen,
Wo die rote Milch geströmet,
Bildete sich sprödes Eisen.
»Dauerte ein kurzes Weilchen,
Will das Eisen schon besuchen
Seinen lieben ältern Bruder,
Will das Feuer kennen lernen.
[70]
»Doch das Feuer raset furchtbar,
Regt gewaltig seine Kräfte,
Will den Armen da verbrennen,
Seinen lieben Eisenbruder.
»Doch das Eisen flieht von dannen,
Rettet sich durch rasches Laufen
Aus des tollen Feuers Fäusten,
Aus der bösen Flamme Rachen.
»Fliehend birgt sich dann das Eisen,
Sucht sich eilend eine Zuflucht
[80]
In den schwankend weichen Sümpfen,
In den sprudelreichen Quellen,
Auf der Moore breitem Rücken,
An des jähen Berges Abhang,
Wo die Schwäne Eier legen,
Wo die Gänse fleißig brüten.
»In dem Sümpfe steckt das Eisen,
Dehnt sich aus im Wasserlande,
Ist verborgen zwei der Jahre,
Bleibt im dritten noch verborgen
[90]
Zwischen zweier Bäume Stümpfen,
Unter dreier Birken Wurzeln;
War jedoch noch nicht entronnen
Seines Bruders wilden Händen,
Sollte noch zum zweiten Male
Kommen in des Feuers Stube,
Daß zu Speeren und zu Schwertern
Es allda geschmiedet würde.
»Auf dem Sumpfe liefen Wölfe,
Von der Heide kamen Bären,
[100]
Der Morast bebt unterm Wolfstritt,
Unterm Bärenschritt die Heide,
Kam ans Licht das rost'ge Eisen,
Kamen starken Stahles Stangen,
Wo des Wolfes Füße gingen,
Wo des Bären Tatzen weilten.
»Ilmarinen war geboren,
War geboren und gewachsen,
Auf dem Kohlenberg geboren,
Auf der Kohlenflur gewachsen,
[110]
In der Hand den Kupferhammer,
In der Faust die kleine Zange.
»In der Nacht ward er geboren,
Baut am Tage seine Schmiede,
Sucht zur Schmiede eine Stelle,
Wo der Blasbalg auszubreiten:
Sieht im Sumpfe einen Streifen,
Eine Ecke im Moraste,
Geht dorthin, sie anzuschauen,
In der Nähe zu betrachten,
[120]
Dorthin schafft er seine Bälge,
Dorthin setzt er seine Esse.
»Eilet auf des Wolfes Tritten,
Folgt der Bärentatzen Spuren,
Sieht des Eisens junge Sprossen,
Sieht die Barren schönen Stahles
In des Wolfes großen Spuren,
In des Bären breiten Tritten.
»Redet Worte solcher Weise:
›O du armes, liebes Eisen,
[130]
Bist fürwahr an schlechter Stelle,
Bist gar niedrig hier gebettet,
Wo der Wolf im Sumpfe schreitet,
Stets des Bären Tatzen drücken!‹
»Dachte nach und überlegte:
Was wohl würde daraus werden,
Wenn ich es ins Feuer brächte,
In die Esse es versetzte?
»Sehr erschrak das arme Eisen,
Es erschrak, ihm wurde bange,
[140]
Als vom Feuer es nur hörte,
Von des Feuers tollem Treiben.
»Sprach der Schmieder Ilmarinen:
›Also sei es keinesweges,
Nicht verbrennt das Feuer Freunde,
Schadet nimmer den Verwandten!
Kommst du in den Hof des Feuers,
Nahest du dem Sitz der Flamme,
Wirst gar schön empor du wachsen,
Wirst gar kräftig du gedeihen,
[150]
Wirst zum guten Schwert des Mannes,
Wirst zur Schnall' am Weibergürtel.‹
»An dem Ende dieses Tages
Ward das Eisen aus dem Sumpfe,
Aus dem Wasserland gegraben,
Nach der Esse hingetragen.
»In das Feuer tat der Schmied es,
Legt' es in die Feueresse,
Setzt' den Blasbalg in Bewegung,
Ließ ihn dreimal kräftig fauchen:
[160]
Da zerfloß zu Brei das Eisen,
Es zerdehnte sich in Blasen,
Wurde gleich dem Weizenbreie,
Weich wie Teig zum Roggenbrote
In des Schmiedes großem Feuer,
Durch die Kraft der lichten Flamme.
»Da, ach, schrie das arme Eisen:
›Ilmarinen, lieber Schmied du,
Nimm mich gleich doch fort von hinnen
Aus des roten Feuers Qualen!‹
[170]
»Sprach der Schmied da Ilmarinen:
›Nehm' ich dich jetzt aus dem Feuer,
Wirst gar furchtbar du geraten,
Viel zu wild du dich gebärden,
Deinen eignen Bruder schneiden,
Deiner Mutter Kind verwunden.‹
»Darauf schwor das arme Eisen,
Schwor's den stärksten aller Eide
Bei der Esse, bei dem Amboß,
Bei dem Hammer, bei dem Schlegel,
[180]
Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
›Gibt wohl Bäume noch zu beißen,
Kann der Steine Herz verzehren,
Werde nicht den Bruder schneiden,
Nicht der Mutter Kind verwunden;
Besser ist es mir zu leben
Und vorzüglicher mein Dasein,
Wenn ich in Gesellschaft wandre
Und als Händewerkzeug diene,
[190]
Als den eignen Stamm zu zehren,
Als Verwandte zu verwunden.‹
»Darauf riß Schmied Ilmarinen,
Dieser ew'ge Schmiedekünstler,
Aus dem Feuer rasch das Eisen,
Legt es auf die Amboßfläche,
Schmiedet bis es weich geworden,
Hämmert draus gar scharfe Dinge,
Hämmert Speere, hämmert Äxte,
Hämmert mancherlei Geräte.
[200]
»Fehlt dem Eisen noch ein wenig,
Noch gebricht es ihm an etwas:
Noch nicht zischt des Eisens Zunge,
Noch nicht wuchs der Mund des Stahles,
Hart gedieh noch nicht das Eisen,
Von dem Wasser nicht befeuchtet.
»Dachte nun Schmied Ilmarinen
Selber nach und überlegte,
Streute aus ein wenig Asche,
Legte von der Lauge etwas
[210]
Zu des Stahles Schmiedewasser,
Zu des Eisens Härtungssafte.
»Kostete mit seiner Zunge,
Prüfte gut mit seinem Sinne,
Redet selber diese Worte:
»Nein, es taugt die Masse nimmer
Zu des Stahles Schmiedewasser,
Zu des Eisens Härtungssafte.«
»Eine Biene flog vom Boden,
Blaugeflügelt aus dem Grase,
[220]
Flog umher und hielt dann inne
An des Schmiedes Feueresse.
»Sprach der Schmied da diese Worte:
›Bienchen, du behendes Männlein,
Bringe Honig auf den Flügeln,
Hole Süße auf der Zunge
Aus der Krone von sechs Blumen,
Aus der Spitz' von sieben Kräutern,
Um den Stahl hier zu bereiten,
Um das Eisen anzurichten!‹
[230]
»Hiisis Vöglein, die Hornisse
Sah es und vernahm die Worte,
Schaute von des Daches Firste,
Sitzend in der Birkenrinde,
Als das Eisen dort bereitet,
Als der Stahl geschmiedet wurde.
»Flog mit Schnelligkeit von dannen,
Streute alle Schrecken Hiisis,
Trug das Zischen böser Schlangen,
Trug das schwarze Gift der Nattern,
[240]
Trug die Säure der Ameisen,
Trug geheimes Gift der Frösche
Zu des Stahles Schmiedewasser,
Zu des Eisens Härtungssafte.
»Ilmarinen selbst, der Schmieder,
Er, der ew'ge Schmiedekünstler,
Glaubte da und war der Meinung,
Daß das Bienchen angelanget,
Ihm gebracht des Honigs Süße,
Honigseim ihm zugetragen,
[250]
Redet Worte solcher Weise:
»Sieh, das ist mir gar ersprießlich
Zu des Stahles Schmiedewasser,
Zu des Eisens Härtungssafte.«
»Dahin taucht er nun den Stahl ein,
Stößt hinein das arme Eisen,
Als er's aus dem Feuer holte,
Als er's aus der Esse brachte.
»Tückisch mußt' der Stahl da werden,
Raserei befiel das Eisen,
[260]
Brach erbärmlich seine Eide,
Fraß nach Hundeart die Ehre,
Schnitt den Bruder ohn' Erbarmen,
Tobte gegen die Verwandten,
Ließ das Blut gar reichlich fließen,
Aus der Wunde heftig brausen.«
Von dem Ofen brummt der Alte,
Murrt der Kopf aus seinem Barte:
»Kenne nun des Eisens Ursprung,
Kenn' des Stahles böse Sitten.
[270]
»O du armes, böses Eisen,
Armes Eisen, rauhes Sumpferz,
Stahl, des schlimmen Zaubers Beute,
Also bist du einst entstanden,
Also furchtbar du geworden,
Allzusehr bist du gewachsen!
»Damals warst du ohne Größe,
Ohne Größe, ohne Kleinheit,
Ohne Schönheit und Gestaltung,
Ohne ränkevolle Arglist,
[280]
Als in Milchgestalt du ruhtest,
Als du frisch noch warst geborgen
In der Jungfrau schönen Brüsten,
In des Mädchens vollem Busen,
An dem langen Wolkensaume,
Unterhalb des Himmelsplanes.
»Damals warst du ohne Größe,
Ohne Größe, ohne Kleinheit,
Als im Schlamme du noch ruhtest,
Gleich dem klaren Wasserstrahle
[290]
Auf des Sumpfes breitem Rücken,
An des Felsens jähem Abhang,
Als ein Erdenkloß du wurdest,
Du zu rost'gem Staub verwandelt.
»Damals warst du ohne Größe,
Ohne Größe, ohne Kleinheit,
Als das Elen dich im Sumpfe,
Als das Renntier dich geschlagen,
Als des Wolfes Tritt dich drückte,
Dich die Bärentatzen kratzten.
[300]
»Damals warst du ohne Größe,
Ohne Größe, ohne Kleinheit,
Als du aus dem Sumpf gezogen,
Aus der schwarzen Erd' gefördert,
Zu der Schmiede wardst geführet,
In die Esse Ilmarinens.
»Damals warst du ohne Größe,
Ohne Größe, ohne Kleinheit,
Als in Klumpenform du zischtest
Und wie siedend Wasser walltest
[310]
In der wilden Feuerstätte,
Als den starken Eid du schworest
Bei der Esse, bei dem Amboß,
Bei dem Hammer, bei dem Schlegel,
Bei des Schmiedes Arbeitsplätze,
Bei der Esse heißer Stätte.
»Jetzt wohl bist du sehr gewachsen,
Bist in wilde Wut geraten,
Hast den starken Eid gebrochen,
Fraß'st nach Hundeart die Ehre,
[320]
Da du deinen Stamm gestoßen,
Dein Geschlecht du hast mißhandelt!
»Wer denn trieb zu schlechten Taten,
Wer verführte dich zur Bosheit,
War's dein Vater, deine Mutter,
War's der älteste der Brüder,
War's die jüngste deiner Schwestern,
Oder sonst wer deines Stammes?
»Nicht dein Vater, nicht die Mutter,
Nicht der älteste der Brüder,
[330]
Nicht die jüngste deiner Schwestern,
Nicht ein Mann von deinem Stamme,
Nein, du selber hast das Unheil,
Hast das Todeswerk begonnen.
»Komm, erkenne deine Untat,
Mache gut was du verbrochen,
Eh' ich's deiner Mutter sage,
Ehe ich's der Alten klage;
Mehr der Mühe für die Mutter,
Große Pein ist's für die Alte,
[340]
Wenn der Sohn als Missetäter,
Wenn das Kind verwegen handelt!
»Hör', o Blut, nun auf zu fließen,
Warmer Strahl, hervorzuquellen,
An die Stirne mir zu spritzen,
An die Brust mir herzubrausen,
Steh, o Blut, gleich einer Mauer,
Stehe still gleich einem Zaune,
Stehe wie ein Schwert im Meere,
Wie das Riedgras in dem Moose,
[350]
Wie ein Felsblock auf dem Felde,
Wie ein Stein im Wasserfalle!
»Sollt' jedoch dein Sinn dich treiben,
Daß behende du dich rührest,
Nun, so rühre dich im Fleische,
Lauf geschwinde um die Knochen;
Drinnen ist es dir viel besser,
Unterhalb der Haut dir schöner,
In den Adern dort zu rauschen,
Um die Knochen dich zu rühren,
[360]
Als zur Erd' herabzufließen,
In dem Staube zu verrinnen.
»Sollst, o Milch, nicht auf den Boden,
Blut, nicht auf den Rasen fließen,
In das Gras nicht, Zier der Männer,
Auf den Hügel, Gold der Helden,
Deine Wohnung ist im Herzen,
In der Lunge ist dein Keller;
Dahin kehre rasch zurück du,
Dahin eile nun behende,
[370]
Bist ein Bach nicht, hier zu fließen,
Nicht ein See, dich auszubreiten,
Quell nicht im Morast, zu sprudeln,
Lache nicht, dahinzurieseln.
»Halte ein, hör' auf zu fließen,
Rotes Blut, laß ab zu rinnen,
Werde still und bleibe stehen;
Stand ja selbst der Fall von Tyrjä,
Inne hielt der Fluß der Toten,
Trocken wurden Meer und Himmel
[380]
In dem großen Dürresommer,
In dem Feuerjahr voll Qualen.
»Wenn du dieses nicht befolgest,
Denke ich noch andrer Wege,
Kann noch andre Mittel finden:
Ruf' herbei des Hiisi Kessel,
Daß darin das Blut ich koche,
Es gar heftig dort erhitze,
Daß kein Tröpflein mir entrinne,
Von dem roten Saft entkomme,
[390]
Nicht das Blut zur Erde fließe,
Aus der Wunde niederbrause.
»Sollt' in mir der Mann nicht stecken,
Nicht ein Held im Sohn des Alten,
Der des Blutes Strömung hemmet,
Der der Adern Gießbach dämmet,
O, so wird der Vater droben,
Jumala, der Herr der Wolken,
Er, der mächtigste der Männer,
Er, der kräftigste der Helden,
[400]
Wohl den Schlund des Blutes stopfen,
Seine Strömung endlich stillen.
»Ukko, du, o Schöpfer oben,
Jumala im Himmelsraume,
Komm herbei, du bist vonnöten,
Komm, du wirst herbeigerufen,
Drücke mit den kräft'gen Händen,
Dränge mit dem starken Daumen
Fest zusammen diese Wunde
Und verschließ die böse Öffnung,
[410]
Lege drauf die milden Blätter,
Streue aus die goldnen Blumen,
Daß des Blutes Bahn geschlossen,
Daß gedämmt die Strömung werde,
Daß sie nicht zum Bart mir spritze,
Auf die Kleider mir nicht brause!«
So nun stillte er die Strömung,
Hemmte so die Bahn des Blutes,
Schickte dann den Sohn zur Schmiede,
Um dort Salbe zu bereiten
[420]
Aus des Grases zarten Fasern,
Aus der Blüt' der Tausendkrone,
Aus dem Honig, der geträufelt,
Aus des süßen Seimes Tropfen.
In die Schmiede ging der Knabe,
Um die Salbe zu bereiten,
Traf am Wege eine Eiche,
Also fragte er die Eiche:
»Hast du Honig in den Zweigen,
Hast du Seim an deiner Rinde?«
[430]
Klüglich antwortet die Eiche:
»Ja, noch gestern tropfte Honig
Mir an meine breiten Zweige,
An dem Wipfel blieb er hängen,
Von den Wolken, die da rauschten,
Von dem Duft der Lämmerwolken.«
Nahm der Eiche feine Spänchen,
Nahm des Holzes mürbste Brocken,
Nahm gar viele gute Gräser,
Nahm verschiedenart'ge Kräuter,
[440]
Welche nicht in diesen Ländern,
Nicht an allen Stellen wachsen.
Tat sie auf der Esse Feuer,
Ließ die Masse tüchtig kochen,
Brocken von der Eichenrinde,
Gräser lieblich anzusehen.
Kochend rasselte der Kessel
Drei der Nächte nacheinander,
Drei der Tage in dem Frühling;
Schaute dann nach seiner Salbe,
[450]
Ob sie nun schon recht geraten,
Ob das Mittel jetzt schon tauge.
Noch nicht fertig war die Salbe,
Nicht nach Wunsche noch das Mittel,
Fügt noch Gräser in die Masse,
Kräuter mannigfacher Arten,
Die von anderswo geholet,
Wohl aus hundert Meilen Ferne,
Dort gepflückt von neun der Zaubrer
Und von acht der besten Seher.
[460]
Kochte nun noch drei der Nächte,
Neun der Nächte nacheinander,
Hob den Kessel ab vom Feuer
Und besah die Salbe sorgsam,
Tüchtig war die Salbe endlich
Und das Zaubermittel fertig.
War dort eine äst'ge Espe,
Wuchs am Rande des Gefildes,
War gar grausam durchgebrochen,
War fast völlig umgeworfen;
[470]
Salbte diese mit der Masse,
Strich sie mit dem Zaubermittel,
Sprach dann Worte solcher Weise:
»Ist die Salbe dazu tauglich,
Auf die Wunde sie zu streichen,
Auf den Schaden sie zu gießen,
Wachse, Espe, dann zusammen,
Werde schöner noch denn früher.«
Und sogleich genas die Espe,
Wurde schöner noch denn früher,
[480]
Wuchs gar stattlich mit der Krone,
Ward gar kräftig mit dem Stamme.
Also probte er die Salbe,
Prüfte er das Zaubermittel:
Probt' es an gespaltnen Steinen,
An gesprungnen Felsenblöcken,
Rasch vereinten sich die Hälften
Und zusammen flog Getrenntes.
Aus der Schmiede kam der Knabe,
Als die Salbe er bereitet
[490]
Und das Mittel angerichtet,
Legt' es in die Hand des Alten:
»Hier nun hast du kräft'ge Salbe,
Hast du ein bewährtes Mittel,
Bindet Berge fest zusammen,
Füget Fels und Fels in eines.«
Mit der Zunge prüft' der Alte,
Kostete mit seinem Munde,
Fand das Mittel gar vortrefflich,
Fand die Salbe gut geraten.
[500]
Schmierte darauf Wäinämöinen,
Heilte ihn, den Schwergeprüften,
Schmierte oben, schmierte unten,
Strich ihm einmal auch die Mitte,
Sprach dann Worte solcher Weise,
Ließ auf diese Art sich hören:
»Nicht mein Fleisch ist's, das dich anrührt,
Rührt dich an das Fleisch des Schöpfers,
Kraft, die wirkt, ist nicht die meine,
Wirkt die Kraft des Allgewalt'gen,
[510]
Der dich anspricht, ist nicht mein Mund,
Spricht dich an der Mund Jumalas;
Ist in meinen Lippen Süße,
Süßer sind Jumalas Lippen,
Ist in meinen Händen Milde,
Milder sind des Schöpfers Hände.«
Als die Salbe aufgestrichen,
Als das Mittel aufgelegt ist,
Wirkt es, daß zusammensinket
Von dem Schmerze Wäinämöinen,
[520]
Hierhin sich und dorthin wendet,
Nirgends aber Ruhe findet.
Da verbannt der Greis die Schmerzen,
Treibt er fort die starken Qualen
Nach des Schmerzenberges Mitte,
Zu des Qualenhügels Gipfel,
Um den Steinen Leid zu bringen,
Um den Felsen Pein zu schaffen.
Greift nach einem Bündel Seide,
Schneidet Streifen in die Breite,
[530]
Reißt die Streifen auseinander,
Macht aus ihnen gute Binden,
Bindet dann mit dieser Seide
Und umwickelt mit der schönen
Wäinämöinens Knie, das kranke,
Und des armen Mannes Zehen.
Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
»Gottes Seide dient zur Binde,
Gottes Stoff dient zur Umhüllung
[540]
An dem guten Knie des Mannes,
An den Zehen voller Kräfte!
Blicke her, o Gott voll Milde,
Schütze uns, o starker Schöpfer,
Daß wir nicht in Unglück kommen,
Wir dem Schaden nicht verfallen!«
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Ward gar bald der Hilfe inne
Und genas an allen Gliedern,
Schön gedieh das Fleisch am Leibe,
[550]
Wurde unten ganz geheilet,
In der Mitt' des Schmerzes ledig,
An den Seiten ohne Schaden,
Oben ohne alle Narben,
Wurde schöner noch denn früher,
Besser als er je gewesen;
Schon vermag der Fuß zu gehen,
Schon das Knie sich zu bewegen,
Fühlt nicht mehr die kleinste Plage,
Alle Pein ist nun geschwunden.
[560]
Hob der alte Wäinimöinen
Seine Augen in die Höhe,
Blickte mit gar großer Freude
Auf zum Himmel überm Haupte,
Sprach dann Worte solcher Weise,
Ließ auf diese Art sich hören:
»Dorther kommet stets die Gnade,
Dorther die bewährte Hilfe,
Dorther, von dem Himmel droben,
Von dem machterfüllten Schöpfer.
[570]
»Sei gepriesen nun, Jumala,
Hoch gelobet du, o Schöpfer,
Daß du Hilfe mir gewähret,
Deinen Schutz mir zugewendet
Bei den gar zu harten Schmerzen,
Bei dem Leid durch Eisenschärfe!«
Sprach der alte Wäinämöinen
Ferner Worte solcher Weise:
»Zimmre nicht, o Volk der Zukunft,
Nicht, o Volk, das nun emporsteigt,
[580]
Um die Wette je ein Fahrzeug,
Prahlend nicht des Bootes Wölbung,
Gott nur setzt dem Werk ein Ende,
Er, der Schöpfer, nur Vollendung,
Nimmer wird der Held sie finden,
Nie des Kräft'gen Hand sie fassen.«
Anmerkungen
Vers 34 f. Anscheinend eine Genesis-Reminiszenz, die zu der Kosmogonie der ersten Rune in offenbarem Widerspruch steht.
153 ff. »Es ift dies das Sumpferz, Morasterz; eine Varietät des Raseneisensteines, die, wie der Name sagt, besonders in Sümpfen oder Morästen, an denen Finnland ja so reich ist, vorkommt.« (Kahlbaum, Mythos und Naturwissenschaft unter besonderer Berücksichtigung des Kalewala, Leipzig 1898, S. 18.)
321. Wiewohl dem ursprünglichen Liede fremd, klingt doch im epischen Zusammenhang für den Leser die Vorstellung an, daß Wäinämöinen, der vom Eisen Verwundete, im Kalawala als der Sohn einer Luftgörtin, also als Stammverwandter des Eisens erscheint.
378. Tyrjä, auch Turja oder Rutja: das nördliche Norwegen. Aspelin meint, unter dem Fall von Rutja oder Tyrjä sei der Maalström zu verstehen. (Vgl. hierzu Brummer, Über die Bannungsorte der finnischen Zauberlieder, Helsingfors 1909, S. 46.)
422. Gemeint ist die Schafgarbe ( achillea millefolium).
525 f. Der Schmerzensberg steht »bei der Teilung dreier Ströme« (XLV. Rune, V. 272). Auf dem Berge liegt ein Stein mit neun Höhlungen; die mittlere Höhlung ist neun Klafter tief; darin sind die Krankheiten und Qualen verschlossen. Die Tochter Tuonis, des Gottes der Unterwelt, Kipu-tyttö, die Qualenjungfrau, sitzt auf dem Felsen und dreht den Berg, daß die Krankheiten zermahlen werden; oder sie kocht die Schmerzen in einem winzigen Kessel (das. V. 299). Die Zauberrune schildert sie, wie sie in der heißen Asche kniend, die Arme im Feuer, steinerne Handschuhe an den Händen, die Leiden aufsammelt. Der Zauberer hat die Macht, die Krankheiten, die vom Schmerzensberg entflohen und über die Menschheit niedergefallen sind, dorthin zurückzubannen. – Mansikka (Finnisch-ugrische Forschungen XI) versucht den Mythos zum Teil auf christlichen Einfluß zurückzuführen. Dagegen nennt ihn Brummer a. a. O., und wohl mit Recht, »das gewaltigste und kräftigste Phantasieprodukt« der finnischen Zauberlieder.