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Kyllikki vergißt ihren Schwur und begibt sich ins Dorf, worüber Lemminkäinen gar ärgerlich wird und sie auf der Stelle zu verstoßen und nach dem Nordland auf die Freite zu gehen beschließt 1–128. Die Mutter sucht den Sohn auf alle Weise abzuhalten und sagt, daß ihn dort Untergang treffen könnte; Lemminkäinen, der sein Haar kämmt, wirft voll Ärger den Kamm aus der Hand und meint, daß eben so sehr aus diesem Kamm als aus seinem Leibe Blut fließen werde 129–212. Er rüstet sich, begibt sich auf den Weg, kommt nach dem Nordland und singt alle Männer fort aus der Behausung des Nordlands; nur einen einzigen garstigen Hirten läßt er unverzaubert 213–504.
Ahti Lemminkäinen selber,
Er, der schöne Kaukomieli,
Lebte nun beständig weiter
An der zarten Jungfrau Seite,
Weder zog er hin zum Kriege,
Noch Kyllikki nach dem Dorfe.
Da geschah's an einem Tage
Um die Zeit der Morgenstunde,
Fort ging Ahti Lemminkäinen,
Ging zum Ort, wo Fische laichen,
[10]
War am Abend nicht zurück noch,
Nicht beim Anbruch selbst der Nachtzeit,
Nach dem Dorfe ging Kyllikki,
Zu dem Tanz der muntern Mädchen.
Wer wird wohl die Nachricht melden,
Wer die Botschaft überbringen?
Ahtis Schwesterlein Ainikki,
Diese meldete die Nachricht,
Überbrachte so die Botschaft:
»Ahti, du mein lieber Bruder!
[20]
Nach dem Dorfe ging Kyllikki,
Hin zu fremden Eingangspforten,
Zu dem Spiel der Dorfesjugend,
Zu dem Tanz der Schöngelockten.«
Ahti, der geschickte Bursche,
Selbst der muntre Lemminkäinen
Ward gar unwirsch und verdrießlich,
War gar lange Zeit voll Zornes,
Selber sprach er diese Worte:
»Mutter, meine teure Alte,
[30]
Wasche mir mein Hemd geschwinde
In der Jauche schwarzer Schlangen,
Trockne es in großer Eile,
Da zum Kampf ich mich begebe,
Zu der Nordlandskinder Feuern,
Zu der Lappensöhne Fluren:
Nach dem Dorfe ging Kyllikki,
Hin zu fremden Eingangspforten,
Zu dem Spiel der muntern Mädchen,
Zu dem Tanz der Schöngelockten.«
[40]
Sprach Kyllikki solche Worte,
Redet rasch auf diese Weise:
»O geliebter Mann, mein Ahti,
Ziehe nimmer hin zum Kriege!
Ich erblickte eingeschlafen,
Eingeschlummert solche Träume:
Feuer flog wie in der Esse,
Flammen schlugen hastig um sich
Unter dieses Hauses Fenstern,
Von dem Rande dieser Wände,
[50]
Flogen dann in diese Stube,
Schäumten gleich dem Wasserfalle
Von dem Boden auf zur Decke,
Von dem Fenster hin zum Fenster.«
Lemminkäinen leichtgemutet
Redet Worte solcher Weise:
»Glaube nicht an Weiberträume,
Gebe nichts auf Weiberschwüre;
Mutter, die du mich getragen,
Bringe mir das Kriegeshemde,
[60]
Trag herbei den Rock des Kampfes;
Dorthin treibt mich das Gelüste,
Bier des Krieges will ich trinken,
Honigtrank des Krieges kosten.«
Sprach die Mutter solche Worte:
»Lieber Ahti, du mein Söhnchen,
Ziehe nimmer hin zum Kriege!
Haben selber Bier im Hause
In den Erlenholzgefäßen,
Hinter starken Eichenzapfen,
[70]
Dieses ist für dich zum Trinken,
kannst den ganzen Tag selbst trinken.«
Sprach der muntre Lemminkäinen:
»Nimmer mag ich Bier zu Hause,
Trinke lieber reines Wasser
Von beteerter Ruderspitze,
Süßer ist mir dies Getränke,
Als zu Hause alle Biere;
Bringe mir das Kriegeshemde,
Trag herbei den Rock des Kampfes!
[80]
Nach des Nordlands Stuben zieh' ich,
Zu der Lappensöhne Fluren,
Gold von ihnen dort zu fordern,
Silber mir dorther zu holen.«
Sprach die Mutter Lemminkäinens:
»Lieber Ahti, du mein Söhnchen,
Haben selber Gold zu Hause,
Silber in der Vorratskammer,
Noch am letztverfloss'nen Tage,
In des Morgens frühster Stunde
[90]
Ackerte der Knecht den Acker,
Pflügte er das Feld voll Schlangen,
Einen Deckel hob die Pflugschar,
Aus dem Kasten Geld in Fülle,
Hunderte war'n dort geborgen,
Tausende dort angesammelt,
Bracht' den Kasten in die Kammer,
Setzt' ihn an des Speichers Ende.«
Sprach der muntre Lemminkäinen:
»Mag des Hauses Vorrat nimmer,
[100]
Hol' mir Silber aus dem Kriege,
Halte dies bei weitem höher,
Als das ganze Gold zu Hause,
Als das ausgepflügte Silber;
Bringe mir das Kriegeshemde,
Trag herbei den Rock des Kampfes!
Nach dem Nordland will ich ziehen,
Zu dem Streit mit Lappenkindern.
»Dorthin treibt mich das Gelüste,
Dorthin strebet all mein Sinnen,
[110]
Will mit eignen Ohren hören,
Sehn mit meinen eignen Augen,
Gibt's im Düsterland ein Mädchen,
Eine Jungfrau in dem Nordland,
Die sich nicht um Freier kümmert,
Nicht den Männern Gunst erteilet.«
Sprach die Mutter Lemminkäinens:
»Lieber Ahti, du mein Söhnchen,
Hast im Hause ja Kyllikki,
Eine Hausfrau, weit die beste;
[120]
Seltsam wären zwei der Weiber
In dem Bette eines Mannes.«
Sprach der muntre Lemminkäinen:
»Kyllikki läuft gern zum Dorfe,
Laß sie nur zu jedem Spiele,
Laß in jedem Haus sie schlafen,
Bei der Dorfesjugend Freuden,
Bei dem Tanz der Schöngelockten!«
Abzuhalten sucht die Mutter,
Warnet ihn die teure Alte:
[130]
»Gehe nicht, mein liebes Söhnchen,
Nach des Nordlands fernen Stuben,
Ohne irgend Zauberkunde,
Ohne Weisheit zu besitzen,
Zu der Nordlandskinder Feuern,
Zu der Lappensöhne Fluren!
Zauberspruch singt dort der Lappe,
Bannt dich da der Turjaländer
Mit dem Munde in die Kohlen,
Kopf und Arm dir in die Flamme,
[140]
Deine Hand in heiße Asche,
Auf die gluterfüllten Steine.«
Sprach der muntre Lemminkäinen:
»Einst schon wollten mich die Zaubrer,
Wollt' die Natternbrut mich bannen,
Drei der Lappen wohl verbündet
In der Nacht zur Zeit des Sommers,
Nackt auf einem Felsen stehend,
Ohne Gurt und ohne Röcke,
Ohne Faden auf dem Leibe;
[150]
Haben das von mir gewonnen,
Haben das von mir erhalten,
Was die Axt vom Stein gewinnet,
Was der Bohrer von dem Felsen,
Was der Klotz vom glatten Eise,
Was der Tod aus leerer Stube.
»Anders hatte man gedrohet,
Anders ging die Sach' vonstatten:
Drohten zaubernd mich zu bannen,
Drohten tief mich zu versenken
[160]
In den Sumpf, daß ich getreten,
In den Schmutz gestecket würde,
Bis zum Kinn in Morasterde,
Bis zum Bart in argen Boden,
Aber ich, ein Mann, wenn einer,
War auch dabei nicht in Nöten,
Ich erhob mich selbst zum Sänger,
Schuf mich selbst zum Zaubersprecher,
Sang die Zaubrer mit den Pfeilen,
Sang die Schützen mit den Waffen,
[170]
Sang die Kund'gen mit den Messern,
Sie, die Sänger mit dem Stahle,
Zu Tuonis Wasserfalle,
Zu dem grausenhaften Sturzbach,
Zu den allerhöchsten Strudeln,
Zu den allerschlimmsten Wirbeln;
Dorten mögen sie nun schlummern,
Dort die Zaubrer ruhig schlafen,
Bis das Gras nach oben schießet
Durch den Kopf und durch die Mütze,
[180]
Durch der Zaubrer Schulterblätter,
Durch das Fleisch an ihren Seiten,
Der in Schlaf versunknen Zaubrer,
Der in Schlummer festgebannten.«
Immer warnet noch die Mutter
Lemminkäinen vor dem Gehen,
Will den Sohn die Mutter halten
Und das Weib den Mann bestimmen:
»Gehe, Liebster, nicht von hinnen
Nach dem Dorfe voller Kälte,
[190]
Nach dem nimmerhellen Nordland!
Schaden drohet dort beständig,
Schaden dort dem armen Manne,
Unglück dir, o Lemminkäinen;
Sagst du's auch mit hundert Zungen,
Kann ich dir nicht Glauben schenken:
Nimmer bringst mit deinem Singen
Du des Nordens Volk zu Falle,
Kannst ja nicht die Turjasprache,
Nicht der Lappen Zunge reden.«
[200]
Lemminkäinen kämmte grade,
Selbst der muntre Kaukomieli
Seines Hauptes schöne Haare,
Glättete der Locken Fülle;
Wirft zur Wand den Kamm jetzt heftig,
Schleudert ihn zum Ofenpfosten,
Redet Worte solcher Weise,
Läßt sich selber also hören:
»Dann trifft Unglück Lemminkäinen,
Schaden dann den wackern Knaben,
[210]
Wenn dem Kamm je Blut entströmet,
Rote Tropfen seinen Zähnen.«
Ging der muntre Lemminkäinen
Nach dem nimmerhellen Nordland,
Trotzend dem Verbot der Mutter,
Nicht beachtend ihre Warnung.
Rüstet sich, legt um den Gürtel,
Ziehet an ein Hemd von Eisen,
Schließt den Gurt, aus Stahl geschmiedet,
Redet selber diese Worte:
[220]
»Kräft'ger ist der Mann im Panzer,
In dem Eisenhemde besser,
Mächt'ger mit dem Stahlesgürtel
Unter jenen Zauberkund'gen,
Daß den Schlimmsten er nicht fürchte,
Nicht den Stärksten selbst beachte.«
Griff darauf nach seinem Schwerte,
Raffte rasch das feuerschneid'ge,
Das bei Hiisi scharf geschliffen,
Bei den Göttern blankgescheuert,
[230]
Band es sich an seine Seite,
Steckt' es in der Scheide Leder.
Wo ist's, wo der Mann sich hütet,
Sich der kecke Held beschirmet?
Wahret dorten sich ein wenig,
Dort beschirmet sich der Kecke,
An der Türe unterm Balken,
In der Stub' am Fackelpfosten,
An dem Eingang vor dem Hofe,
An dem letzten Gartenpförtchen.
[240]
Wohl in acht nimmt sich der Mann auch
Ferner vor dem Weibervolke,
Doch die List ist stark genug nicht,
Zuverlässig nicht die Vorsicht,
Gleichfalls hat er sich zu hüten
Vor der Heldenschar Begegnung,
Wo der Weg sich doppelt teilet,
Auf des blauen Steines Rücken,
An dem schwankenden Moraste,
An dem wogenreichen Strudel,
[250]
Bei dem Sturz des Wasserfalles,
Bei des starken Wirbels Strömung.
Sprach der muntre Lemminkäinen
Selber Worte solcher Weise:
»Steigt empor, ihr Schwertes Männer,
Ihr, der Erde ew'ge Helden,
Aus den Brunnen, Streitaxtträger,
Aus den Bächen, Bogenschützen!
Komm, o Wald, mit deinen Mannen,
Dickicht du mit deinen Scharen,
[260]
Berggreis du mit deinen Kräften,
Wasser-Hiisi, mit den Grausen,
Wassermutter, mit den Mächten,
Wasseralte, mit den Haufen,
Mädchen ihr aus allen Tälern,
Zartbesäumt aus allen Quellen,
Zu dem Schutz des einz'gen Mannes,
Als Genossenschaft des Helden,
Daß der Zaubrer Pfeil erstumpfe,
Ihre Schneiden nichts vermögen,
[270]
Nichts der Kund'gen Eisenmesser,
Nichts der Schußgewandten Waffen.
»Sollte das genug nicht scheinen,
Weiß ich mir noch andre Mittel,
Wende meinen Hauch nach oben,
Hin zum Alten in den Himmel,
Der die Wolken all' beherrschet,
Der die Lämmerwolken lenket.
»Ukko, du, o Gott der Höhe,
Alter Vater in dem Himmel,
[280]
Der du durch die Wolken redest,
Durch die Luft dich offenbarest!
Reiche mir ein Schwert von Feuer,
Und von Feuer sei die Scheide,
Daß der Not ich widerstehe,
Daß das Unheil ich bezwinge,
Daß die Zaubrer aus der Erde,
Aus dem Wasser ich vernichte,
Alle, die mir gegenüber,
Alle, die im Rücken stehen,
[290]
Überm Haupte, an den Seiten,
Rings um mich an allen Enden,
Daß in ihren Pfeil die Zaubrer,
In das eigne Messer stürzen,
Daß in ihres Schwertes Schneide
Bannend ich die Bösen werfe!«
Pfeifend zaubert Lemminkäinen,
Selbst der schöne Kaukomieli
Rasch sein Füllen aus dem Busche,
Von dem Feld das goldbemähnte,
[300]
Spannt sein Roß in das Geschirre,
Spannt das braune in die Deichsel,
Setzt sich selber in den Schlitten
Und erhebt sich auf dem Sitze,
Schlägt das Pferd mit seiner Peitsche,
Knallet mit der knotenreichen;
Hurtig läuft das Pferd von dannen,
Schlingt den Weg in Eil' der Schlitten,
Daß der Silbersand errauschet,
Daß die goldne Fläche dröhnet.
[310]
Reiste einen Tag, den zweiten,
Reiste noch am dritten Tage,
Endlich an dem dritten Tage
Traf ein Dorf er auf dem Wege.
Lemminkäinen leichtgemutet
Jagte rauschend auf dem Wege,
Auf der unteren der Straßen,
Nach dem unteren der Höfe,
Fragte an des Hauses Schwelle,
An des Erkers Pfeiler also:
[320]
»Ist wohl in der Stube jemand,
Der die Brustbedeckung lösen,
Der die Deichselstangen senken,
Der das Kummet heben könnte?«
Sprach ein Kindlein von dem Boden,
Von der Schwelle da ein Knabe:
»Niemand ist in dieser Stube,
Der die Brustbedeckung lösen,
Der die Deichselstangen senken,
Der das Kummet heben könnte.«
[330]
Wenig kümmert's Lemminkäinen,
Schlug das Roß mit seiner Peitsche,
Lärmte mir der perlenreichen,
Stürmte hastig auf dem Wege,
Auf der mittleren der Straßen
Nach dem mittleren der Höfe,
Fragte an des Hauses Schwelle,
Redet an dem Schirmdach also:
»Ist hier in der Stube jemand,
Der die Zügel abzunehmen,
[340]
Der von Brust und Joch die Riemen
Abzulösen wohl verstünde?«
Von dem Ofen ruft die Alte,
Von der Bank die gar Geschwätz'ge:
»Findest wohl in diesem Hause,
Wer die Zügel ab dir nehmen,
Wer die Brustbedeckung lösen,
Wer die Deichsel senken könnte:
Findest hier wohl zehn der Männer,
Hundert selbst, wenn du begehrest,
[350]
Welche dich von hier befördern,
Pferde dir zum Reisen geben,
Schurke, dich nach Haus zu bringen,
Nach der Heimat, schlimmer Bursche,
Hin zu deines Vaters Sitze,
Zu dem Aufenthalt der Mutter,
Zu dem Bruder an der Pforte,
Zu den Schwestern auf der Treppe,
Eh' der Tag zu End' gekommen,
Eh' die Sonne sich gesenket.«
[360]
Wenig kümmert's Lemminkäinen,
Redet Worte dieser Weise:
»Tot sollt' man die Alte schießen,
Sie, das Wackelkinn, erschlagen.«
Ließ sein Roß von dannen eilen,
Stürmte hastig auf dem Wege,
Auf der oberen der Straßen,
Hin zum oberen der Höfe.
Als der muntre Lemminkäinen
Nun zu diesem Hof gekommen,
[370]
Sprach er Worte solcher Weise,
Ließ auf diese Art sich hören:
»Stopf', o Hiisi, du dem Hunde,
Stopfe, Lempo, ihm die Schnauze,
Schließe du das Maul dem Kläffer,
Zügle du des Hundes Zähne,
Daß er nicht die Stimm' erhebe,
Wenn der Mann vorübergehet!«
Als er auf den Hof getreten,
Schlug er mit der Peitsch' die Erde,
[380]
Aus dem Boden stieg ein Nebel,
In dem Nebel stand ein Männlein,
Löste rasch die Brustbedeckung,
Senkte dann die Deichselstangen.
Lemminkäinen leichtgemutet
Lauschte dann mit offnen Ohren,
Ohne daß es jemand merkte,
So daß niemand es gewahrte;
Hörte auf dem Hofe Lieder,
Durch die moos'gen Fugen Worte,
[390]
Durch die Wände hört' er spielen,
Durch die Bretter hört' er singen.
Warf dann einen Blick nach innen,
Blinzelt' heimlich in die Stube;
Voll von Zaubrern war die Stube,
Angefüllt von lauter Sängern,
An den Wänden waren Spieler,
Seher an der Türe Mündung,
Kund'ge saßen auf den Bänken,
Böse Zaubrer an dem Ofen,
[400]
Sangen lauter Lappenlieder,
Schrillten lauter Hiisi-Weisen.
Lemminkäinen leichtgemutet
Nimmt nun andere Gestalt an,
Wagt's, sein Aussehn zu verwandeln,
Läßt den Winkel, tritt ins Innre,
Dringt hinein in das Gebäude,
Redet selber solche Worte:
»Schön ist der Gesang, der endet,
Gut ein Lied, das kurz gefaßt ist,
[410]
Besser ist's die Weisheit sparen,
Als zur Hälfte abzubrechen.«
Selbst die Wirtin von Pohjola
Schreitet vorwärts auf der Diele,
Eilet auf des Bodens Mitte,
Redet selber diese Worte:
»War ein Hund bislang vorhanden,
War ein Welp von Eisenfarbe,
Freund von Fleisch, ein Knochenbeißer,
Schlürfte gern von frischem Blute:
[420]
Wer denn bist du von den Männern,
Wer wohl aus der Zahl der Helden,
Daß du in die Stub' gekommen,
In die Wohnung eingedrungen,
Von dem Hunde ungehöret,
Von dem Bläffer nicht gewittert!«
Sprach der muntre Lemminkäinen:
»Bin fürwahr nicht hergekommen
Ohne Kunst und ohne Wissen,
Ohne Macht und ohne Klugheit,
[430]
Ohne Zaubermacht vom Vater,
Ohne Rüstung von den Vorfahrn,
Daß mich deine Hunde fressen,
Mich die Bläffer packen sollten.
»Meine Mutter hat gewaschen
Mich als zarten, kleinen Knaben
Dreimal in der Nacht des Sommers,
Neunmal in der Nacht des Herbstes,
Daß auf jedem Weg ich weise,
Zauberstark in allen Landen,
[440]
Als ein Sänger sei zu Hause,
Als ein Kund'ger in der Fremde.«
Lemminkäinen leichtgemutet,
Er, der schöne Kaukomieli,
Fing nun selbst an zu beschwören,
Stimmte an die Zauberlieder,
Feuer sprüht der Saum des Pelzes,
Flammen glänzen in den Augen
Bei dem Sange Lemminkäinens,
Bei dem Sange, bei dem Zauber.
[450]
Sang die allerbesten Sänger
Zu den allerschlechtsten Sängern,
Stopft die Münder voll mit Steinen,
Füllt mit Felsgeröll die Kehlen
Diesen trefflichsten der Sänger,
Diesen kundigsten der Zaubrer.
Bannte drauf die stolzen Männer,
Diesen hierhin, jenen dorthin:
Auf die schößlingsarmen Fluren,
Auf die ungepflügten Strecken,
[460]
In die Seen ohne Fische,
Wo die Barsche nimmer weilen,
Nach dem wilden Rutjafalle,
In den flammenheft'gen Wirbel,
In die schaumbedeckten Ströme,
Zu des Wasserfalles Steinen,
Um als Feuer dort zu brennen,
Um als Funken dort zu knistern.
Lemminkäinen leichtgemutet
Sang die Männer samt den Schwertern,
[470]
Sang die Helden samt den Waffen,
Sang die Alten, sang die Jungen,
Sang in Zauber die inmitten;
Einen ließ er unverzaubert,
Einen schlechten Herdenhüter,
Einen Alten ohne Augen.
Naßhut, er, der Herdenhüter,
Redet selber solche Worte:
»O du muntrer Lemminkäinen,
Hast du Alte, hast du Junge,
[480]
Hast die Mittlern festgesungen,
Weshalb willst du mich verschonen?«
Sprach der muntre Lemminkäinen:
»Deshalb hab' ich dich verschonet,
Weil du elend bist zu schauen,
Schändlich auch schon unverzaubert,
Hast du doch in jungen Jahren
Als ein Hirte voller Bosheit
Deiner Mutter Kind entehret,
Deine Schwester du geschändet,
[490]
Alle Pferde du verdorben,
Alle Füllen abgemattet
Auf den Sümpfen, auf den Feldern,
An dem schlammbewegten Ufer.«
Naßhut, er, der Herdenhüter,
Ward gar hitzig und verdrießlich,
Schritt dann durch die Tür nach außen,
Quer den Hof durch zu dem Felde,
Lief zum Fluß des Totenlandes,
Zu des heil'gen Stromes Wirbeln,
[500]
Lauert dort auf Kaukomieli,
Wartet dort auf Lemminkäinen,
Bis er aus dem Nordland wieder
Nach der lieben Heimat kehret.
Anmerkungen
Vers 31 f. Man glaubte, daß es dadurch stichfest werde.
148. Die lappischen Zauberer pflegten sich, um ihren Zauber wirksamer zu machen, auf einen Felsen zu stellen (vgl. III 470), und zwar nackt, um von einem etwa an ihren Gewändern haftenden magischen Einfluß frei zu werden.
209 ff. Das in verschiedener Form vorkommende, in den Märchen der meisten Völker wiederkehrende Motiv vom »Lebenszeichen«: von dem Gegenstand, in den etwas vom Leben seines Besitzers gelegt wird und der von diesem Augenblick an die Fähigkeit hat, dessen Tod kundzugeben (vgl. Hartland, The Legend of Perseus, London 1894-96. II. The life-token).
237 ff. An allen diesen Orten wurden vor der Fahrt zu einem Unternehmen die Schutzgötter angerufen.
476. Gemeint ist: einen halbblinden Alten (vgl. XIV 399).