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Neunundzwanzigste Rune

Lemminkäinen segelt nun übers Meer und kommt glücklich auf die Insel 1–78. Dort lebt er gar frevelhaft mit den Mädchen und Weibern, bis die Männer ergrimmt sich anschicken ihn zu töten 79–290. Eilends macht sich Lemminkäinen aus dem Staube und verläßt die Insel zu seinem eignen Verdrusse und zu dem der Mädchen 291–402. Auf dem Meere zertrümmert ein heftiger Sturm das Schiff Lemminkäinens, er selbst rettet sich schwimmend ans Land, erhält ein neues Boot und gelangt an die Ufer seiner Heimat 403–452. Er sieht das frühere Wohngebäude verbrannt und die ganze Stelle verheert, fängt an zu weinen und zu klagen, zumal da er auch seine Mutter tot glaubt 453–514. Die Mutter lebt aber noch und befindet sich in einem Versteck in dem Walde, wo sie Lemminkäinen zu seiner großen Freude auffindet 515–546. Die Mutter erzählt, wie das Volk des Nordlands gekommen ist und die Stube in Asche gelegt hat; Lemminkäinen verspricht neue, noch bessere Stuben zu bauen, wenn er zuvor am Nordlande für seine Mühsal Rache genommen, und erzählt seiner Mutter von dem üppigen Leben, das er auf dem Eiland führte 547–602.

Lemminkäinen leichtgemutet,
Selbst der schöne Kaukomieli
Nimmt in seinen Sack nun Wegkost,
In den Spankorb Sommerbutter,
Auf ein Jahr zum Essen Butter,
Schweinefleisch nimmt er fürs zweite;
Geht nun um sich zu verbergen,
Geht und eilet gar behende,
Redet Worte solcher Weise:
»Gehe nun und flieh von dannen [10]
Auf die Zeit von dreien Sommern,
Für die Frist von fünf der Jahre,
Laß das Land von Würmern fressen,
Laß im Hain die Luchse ruhen,
Sich im Feld das Renntier wälzen,
Auf der Flur die Gänse hausen.

»Lebe wohl, o gute Mutter!
Wenn das Volk des Nordens kommet,
Aus dem Düsterland der Haufen,
Wenn nach meinem Kopf sie fragen, [20]
Sage, daß ich fortgegangen,
Daß die Heimat ich verlassen,
Als ich jenes Land geschwendet,
Dessen Ernte jetzt uns reifte.«

Zog das Boot dann in das Wasser,
In die Fluren seinen Nachen
Von den stahlbeschlagnen Rollen,
Von den kupferreichen Walzen,
Ziehet auf den Mast die Segel,
An die Rahen rasch die Leinwand; [30]
Setzt sich selber an das Ende,
Schickt sich an das Boot zu lenken,
Stützt sich auf den Vordersteven,
Lehnt am starken Steuerruder.

Redet Worte solcher Weise,
Läßt sich selber also hören:
»Wehe, Wind, in meine Segel,
Treibe, Luft, des Bootes Körper,
Laß den Nachen du nun eilen,
Laß das Fichtenfahrzeug ziehen [40]
Zu dem unbekannten Eiland,
Zu der Landzung' ohne Namen!«

Wiegt der Wind den schönen Nachen,
Treibet ihn des Meeres Brandung
Auf des Wassers klarem Rücken,
Auf der weitgedehnten Öde;
Wiegt ihn dorten zwei der Monde,
Wiegt ihn fast den ganzen dritten.

Sitzen Mädchen auf der Landzung',
An dem Strand des blauen Meeres, [50]
Wenden sich nach allen Seiten,
Kopf und Augen nach dem Meere,
Eine wartet auf den Bruder,
Auf den Vater eine andre,
Doch vor allen Mädchen harret,
Die den Bräutigam erwartet.

Schon von ferne sehn sie Kauko,
Sehen bald des Kauko Fahrzeug,
Ist gleich einer Hängewolke
Mitten zwischen Flut und Himmel. [60]

Also denken da die Mädchen,
Reden so des Eilands Jungfraun:
»Was ist auf dem Meer dies Fremde,
Dieses Wunderding im Wasser?
Bist du eins von unsern Schiffen,
Bist ein Boot du von dem Eiland,
Kehr' gerades Wegs nach Hause,
Zu des Eilands Stapelplatze,
Daß die Rede wir vernehmen,
Kunde aus dem fremden Lande, [70]
Ob das Strandvolk nun in Frieden,
Oder ob's im Kampfe lebet!«

Heftig bauscht der Wind das Segel,
Eilig tragen es die Wogen,
Stößt der muntre Lemminkäinen
Schnell den Nachen an die Klippen,
Treibt zur Inselspitz' sein Schifflein,
Zu des Eilands scharfer Kante.

Sprach, als er dorthin gekommen,
Fragte, als er dort erschienen; [80]
»Gibt es Platz wohl auf der Insel,
Raum wohl auf des Eilands Fluren,
Daß das Boot ans Land ich ziehe,
Auf das Trockne es dann stürze?«

Sprachen so des Eilands Jungfraun,
Antwort gaben so die Mädchen:
»Ist wohl Platz hier auf der Insel,
Raum hier auf des Eilands Fluren,
Daß das Boot ans Land du ziehest,
Daß du es aufs Trockne stürzest: [90]
Rollen sind hier in Bereitschaft,
Angefüllt der Strand mit Walzen,
Hättest du auch hundert Boote,
Kämst du auch mit tausend Nachen.«

Darauf zog nun Lemminkäinen
An das Land sein Boot, der Muntre,
Auf die Rollen seinen Nachen,
Redet selber diese Worte:
»Gibt es Platz wohl auf der Insel,
Raum wohl auf des Eilands Fluren, [100]
Einen kleinen Mann zu bergen,
Einen von geringen Kräften
Vor dem großen Kampfgetöse,
Vor dem Lärm der Schwerterklingen?«

Sprachen so des Eilands Jungfraun,
Antwort gaben so die Mädchen:
»Gibt wohl Platz auf dieser Insel,
Raum hier auf des Eilands Fluren,
Einen keinen Mann zu bergen,
Einen von geringen Kräften: [110]
Haben hier gar viele Schlösser,
Haben hier gar schöne Höfe,
Kämen hundert auch der Helden,
Ja selbst tausend starke Männer.«

Sprach der muntre Lemminkäinen,
Redet Worte dieser Weise:
»Gibt es Platz wohl auf der Insel,
Raum wohl auf des Eilands Fluren,
Von dem Birkenwald ein Stückchen
Und ein Bröckchen andern Bodens, [120]
Wo den Wald ich fällen könnte,
Mir ein Schwendenland bereiten?«

Sprachen da des Eilands Jungfraun,
Antwort gaben so die Mädchen:
»Gibt kein Plätzchen auf der Insel,
Raum nicht auf des Eilands Fluren,
Wo dein Rücken ruhen könnte,
Land nicht von des Scheffels Größe,
Wo den Wald du fällen könntest,
Schwendenland dir dort bereiten: [130]
Alles Land ist schon verteilet,
Jedes Feld schon zugemessen,
Schon verloset ist die Waldung,
Alle Wiesen haben Herren.«

Sprach der muntre Lemminkäinen,
Fragt der schöne Kaukomieli:
»Gibt es Platz wohl auf der Insel,
Raum wohl auf des Eilands Fluren,
Wo ich meine Lieder singen,
Langen Sang erheben könnte? [140]
Worte schmelzen mir im Munde,
Keimen mir aus meinem Zahnfleisch.«

Sprachen so des Eilands Jungfraun,
Antwort gaben so die Mädchen:
»Gibt wohl Platz hier auf der Insel,
Raum hier auf des Eilands Fluren,
Wo du deine Lieder singen,
Guten Sang du kannst erheben,
Wo du in dem Haine spielen,
Auf dem Felde du kannst tanzen.« [150]

Drauf begann nun Lemminkäinen,
Er, der Muntre, frisch zu singen,
Ließ im Hofe Ebereschen,
Eichen auf der Flur entstehen,
Glatte Zweige an den Eichen,
Eicheln drauf an jedem Zweige,
An den Eicheln goldne Kugeln,
Einen Kuckuck an der Kugel:
Wenn der Kuckuck rufen wollte,
Schäumte Gold ihm aus dem Schnabel, [160]
Floß das Kupfer von den Seiten,
Kam herabgerauscht das Silber,
Floß dahin zu goldnen Hügeln,
Floß dahin zu Silberbergen.

Ferner sang noch Lemminkäinen,
Ferner zauberte er singend,
Zaubert' Sand zu schönen Perlen,
Steine, daß sie hoch erglänzten,
Bäume, daß sie rot sich färbten,
Blumen, daß sie golden strahlten. [170]

Ferner sang noch Lemminkäinen,
Zaubert' einen Born im Hofe,
Auf ihn einen goldnen Deckel,
Auf den Deckel einen Schöpfkrug,
Daß die Burschen Wasser tränken,
Daß die Maid die Augen wüsche.

Teiche sang er auf die Fluren,
Blaue Enten in die Teiche,
Goldenschläfig, silberköpfig,
Ihre Zehen ganz aus Kupfer. [180]

Staunen da des Eilands Jungfraun,
Wundern sich der Insel Mädchen
Ob des Sangs von Lemminkäinen,
Ob der Zauberkraft des Helden.

Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
»Sänge wohl ein gutes Liedlein,
Würde schönen Sang erheben,
Wär' ich unter einem Dache,
Säß' an eines Tisches Ende; [190]
Wenn nicht eine Stube da ist,
Wenn ich nicht auf Brettern stehe,
Werf' ich meine Sprüch' zum Haine,
Meine Lieder ich zum Walde.«

Sprachen so des Eilands Jungfraun,
Redeten der Insel Mädchen:
»Haben Stuben dich zu laden,
Schöne Höfe dort zu weilen,
Aus dem Frost das Lied zu führen
Und von draußen deine Worte.« [200]

Lemminkäinen leichtgemutet,
Als zur Stube er gekommen,
Zauberte zum Vorschein Krüge
Auf des langen Tisches Kante,
Krüge, die mit Bier gefüllet,
Kannen mit dem Honigtranke,
Schüsseln, die gar schwer belastet,
Schalen, die gefüllt bis oben;
Bier genug war in den Krügen,
Honigtrank in jenen Kannen, [210]
Butter dort in großer Menge,
Schweinefleisch genug vorhanden
Zu der Speisung Lemminkäinens,
Zur Befried'gung Kaukomielis.

Kauko ist von stolzen Sitten,
Macht sich nicht daran zu essen
Ohne Messer reich an Silber,
Ohne goldverzierte Klinge.

Schafft ein Messer reich an Silber,
Singt ihm eine goldne Klinge, [220]
Ißt darauf recht nach Belieben,
Trinkt das Bier mit Wohlbehagen.

Drauf bewegt sich Lemminkäinen
Durch die Dörfer nach der Reihe
Zu der Inseljungfraun Freude,
Zu der Schöngelockten Wonne;
Wo den Kopf er hingewendet,
Kam ein Mund ihm schon entgegen,
Wo die Hand er hingerichtet,
Ward die Hand ihm schon ergriffen. [230]

Wanderte umher zur Nachtzeit
In den dunkelsten Verstecken;
Sah wohl dort nicht eins der Dörfer,
Wo nicht zehn der Höfe waren,
Sah nicht einen dort der Höfe,
Wo nicht zehn der Töchter waren,
Gab nicht eines dort der Mädchen,
Keine von der Mutter Töchtern,
Neben der er nicht geruhet,
Deren Arm er nicht ermüdet. [240]

So erkannt' er tausend Bräute,
Und er schlief mit hundert Witwen,
Waren zwei nicht in dem Zehend,
Drei nicht in dem ganzen Hundert,
Die er ungebraucht als Mädchen,
Unbeschlafen ließ als Witwen.

Also brachte Lemminkäinen,
Er, der Muntre, zu sein Leben
In dem Laufe dreier Sommer
In des großen Eilands Dörfern, [250]
Zu der Inseljungfraun Freude,
Zu der Wonne aller Witwen;
Ließ nur eine unerfreuet,
Eine arme, alte Jungfrau,
Auf der langen Landzung' Spitze,
In dem zehnten jener Dörfer.

Dachte schon an seine Reise,
Um zur Heimat sich zu wenden,
Kam die arme, alte Jungfrau,
Redet selber dieser Worte: [260]
»Lieber Kauko, schöner Jüngling,
Willst du nicht auch mich bedenken,
Wünsch' ich, wenn du weiter reisest,
Daß dein Boot auf Felsen laufe.«

Nicht erhebt er vor dem Hahn sich,
Eh' der Henne Sohn gekrähet,
Daß die Jungfrau sein genieße,
Daß die arme Maid sich freue.

Drauf an einem Tage endlich
Faßte er zur Abendstunde [270]
Den Entschluß nun aufzustehen
Vor dem Monde, vor dem Hahne.

Er erhob sich vor der Zeit noch,
Vor der angesetzten Stunde,
Macht sich auf um zu durchwandern
Alle Dörfer nach der Reihe,
Daß die Jungfrau sein genieße,
Daß die arme Maid sich freue.

Als allein des Nachts er gehet,
Durch die Dörferreihe wandert, [280]
Zu der langen Landzung' Ende,
Zu dem zehnten jener Dörfer,
Sah er keinen von den Höfen,
Wo nicht drei der Häuser waren,
Sah er von den Häusern keines,
Wo nicht drei der Helden waren,
Sah er von den Helden keinen,
Der sein Schwert dort nicht geschliffen,
Der sein Beil nicht scharf gewetzet
Zum Verderben Lemminkäinens. [290]

Lemminkäinen leichtgemutet
Redet Worte dieser Weise:
»Ach, das Tagsgestirn erhebt sich,
Auf geht nun die liebe Sonne
Über aller Männer ärmstem,
Über meinem Unglückshalse!
Lempo mag nun wohl den Helden
Mit dem Hemde sein beschützen,
Ihn mit seinem Mantel decken
Und in seiner Kappe bergen, [300]
Wenn ihn hundert überfallen,
Tausend Männer ihn bedrängen!«

Ließ die Jungfraun unumarmet,
Der Umarmungen vergaß er,
Wandte sich zu seinem Boote,
Er, der Arme, zu dem Nachen:
Doch verbrannt ist der zu Asche,
Ganz und gar in Staub verwandelt.

Merkte, daß ihm Unheil drohte,
Daß ihm Unglückstage nahten, [310]
Fing ein Schifflein an zu zimmern,
Sich ein neues Boot zu bauen.

Bauholz fehlt dem Zimmermanne,
Bretter um das Boot zu bauen;
Findet dort nur karges Bauholz
Und gar wenig kleine Bretter,
Fünf der Stücke einer Spule,
Sechs der Trümmer einer Spindel.

Zimmert sich darauf ein Fahrzeug,
Baut sich einen neuen Nachen, [320]
Macht mit Kunde dieses Fahrzeug,
Macht es voller Zauberweisheit,
Haut mit einem Schlag die Hälfte,
Mit dem zweiten dann die andre,
Hauet noch zum dritten Male,
Und schon fertig ist das Fahrzeug.

Schiebt das Boot dann in das Wasser,
Stößt das Fahrzeug in die Fluten,
Redet Worte solcher Weise,
Läßt sich selber also hören: [330]
»Schwimm als Blase auf den Wogen,
Als Seerose auf den Fluten!
Leih, o Aar, mir drei der Federn,
Drei, o Aar, und zwei, o Rabe,
Zu des kleinen Bootes Stütze,
Zu des schlechten Nachens Reling!«

Setzt sich auf des Bootes Boden,
Wendet sich zum Hintersteven,
Tiefen Hauptes, trüben Sinnes,
Schief geschoben seine Mütze, [340]
Daß er nachts nicht bleiben durfte,
Nicht bei Tage dort verweilen
Bei der Inseljungfraun Freuden,
Bei dem Tanz der Schöngelockten.

Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
»Scheiden muß von hier der Bursche,
Reisen von den hies'gen Häusern,
Von den Freuden dieser Jungfraun,
Von dem Tanze dieser Schönen; [350]
Doch bei diesem meinem Scheiden,
Meinem Gehen von dem Orte
Freuen sich die Jungfraun nimmer,
Scherzen nicht die Schöngelockten
In den Stuben voller Trübsal,
In den unglücksel'gen Höfen.«

Weinten wohl des Eilands Jungfraun,
Jammerten der Landzung' Mädchen:
»Weshalb gingst du, Lemminkäinen,
Schiedest du, der Helden bester, [360]
Gingst du ob der Mädchen Keuschheit,
Oder ob des Weibermangels?«

Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
»Ging nicht ob der Mädchen Keuschheit,
Nimmer ob des Weibermangels;
Würde hundert Weiber haben,
Könnte tausend Mädchen nehmen:
Deshalb geh' ich Lemminkäinen,
Scheide ich, der Helden bester, [370]
Da mich Sehnsucht nun ergriffen,
Sehnsucht nach dem Heimatlande,
Nach des eignen Landes Erdbeern,
Nach des eignen Berges Himbeern,
Nach der eignen Landzung' Mädchen,
Nach des eignen Hofes Hühnern.«

Fuhr der muntre Lemminkäinen
Mit dem Schifflein in die Weite;
Kam ein Wind und trieb das Fahrzeug,
Kamen Wogen, die es trugen [380]
Auf des Meeres blauem Rücken,
Auf der weitgedehnten Öde;
An dem Strande stehn die Armen,
Auf den Steinen dort die Zarten,
Weinen sehr des Eilands Jungfraun,
Jammern sehr die goldnen Mädchen.

So lang weinten dort die Jungfraun,
Jammerten des Eilands Mädchen,
Als der Mastbaum noch zu sehen
Und die Eisenpflöcke schimmern; [390]
Weinten nimmer nach dem Mastbaum,
Nimmer nach den Eisenpflöcken,
Weinten nach dem Mann am Maste,
Der das Schotenseil regieret.

Selber weinte Lemminkäinen,
Weinte er und war betrübet,
Solang noch zu sehn die Insel
Und des Eilands Berge schimmern;
Weinte nimmer nach der Insel,
Nimmer nach des Eilands Bergen, [400]
Weinte nach der Insel Mädchen,
Nach den Gänslein jener Berge.

Fuhr der muntre Lemminkäinen
Auf des Meeres blauem Rücken,
Segelt' einen Tag, den zweiten,
An dem dritten Tage aber,
Da begann ein Wind zu toben
Und der Himmelsrand erbebte,
Kam ein großer Sturm aus Nordwest,
Scharfe Winde aus dem Osten, [410]
Rissen ab des Bootes Seiten,
Stießen um des Nachens Wölbung.

Stürzt' der muntre Lemminkäinen
Mit den Händen in das Wasser,
Mußte mit den Fingern rudern,
Mit den Füßen mußt' er steuern.

Schwamm die Tage, schwamm die Nächte,
Steuerte mit allen Kräften,
Siehet da ein kleines Wölkchen,
Eine Hängewolk' im Westen, [420]
Welche sich in Land verwandelt,
Sich zum Vorgebirg gestaltet.

Stieg ans Land und ging zum Hause
Fand die Wirtin dort beim Backen,
Ihre Töchter bei dem Kneten:
»O du wohlgesinnte Wirtin,
Wenn du meinen Hunger kenntest,
Meine Lage du verstündest,
Eiltest du behend zur Kammer,
Gar geschwind zum Biergemache, [430]
Brächtest Bier mir eine Kanne,
Mir ein Stücklein Schweinefleisches,
Tätest dieses hin zu braten,
Gäbest drauf ein wenig Butter,
Um den müden Mann zu speisen,
Um den Helden hier zu tränken;
Bin geschwommen Nächt' und Tage
Auf des breiten Meeres Wogen,
Und es schützten mich die Winde,
Gnade spendeten die Fluten.« [440]

Ging die wohlgesinnte Wirtin
Nach dem Vorratshaus am Berge,
Schnitt sich Butter in der Kammer,
Holt' ein Stücklein Schweinefleisches,
Hieß es dann am Feuer braten,
Um den Hungrigen zu speisen,
Brachte Bier ihm in der Kanne,
Um den müden Mann zu tränken;
Gab ihm einen neuen Nachen,
Gab ein Boot, das ganz vollendet, [450]
Daß der Mann von dannen ziehe,
Zu der Heimat Grenzen reise.

Drauf gelangte Lemminkäinen
Zu der Heimat lieben Grenzen,
Sah das Land und sah die Ufer,
Sah die Inseln, sah die Sunde,
Sah die alten Landungsplätze,
Sah die frühern Wohnungsstätten;
Sah den Berg mit seinen Fichten,
Alle Hügel mit den Tannen, [460]
Sah nur nicht die Stube stehen,
Nicht die Wände sich erheben;
Wo die Stube einst gestanden,
Hebt ein Faulbaumhain die Wipfel,
Fichten stehen auf dem Hausberg
Und Wacholder hin zum Brunnen.

Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
»Hab' in diesem Hain gespielet,
Auf den Steinen mich geschaukelt, [470]
Auf dem Rasen mich getummelt,
Mich gewälzt am Ackersaume;
Wer entführte denn die Stube,
Wer zerbrach das schöne Dächlein?
Nieder brannte man die Stube,
Und der Wind entführt' die Asche.«

Da begann er sehr zu weinen,
Weinte einen Tag, den zweiten,
Weinte nicht um seine Stube,
Jammert' nicht um seine Kammer, [480]
Weinte um des Hauses Traute,
Um die Teure in der Kammer.

Sah da einen Vogel fliegen,
Einen Adler sich bewegen,
Wandte sich zu ihm und fragt' ihn:
»Adler, du mein lieber Vogel,
Könntest du es mir nicht sagen,
Wo die Mutter wohl geblieben,
Die getragen mich, die Holde,
Die Liebreiche, die mich säugte?« [490]

Nicht entsann sich da der Adler,
Wußte nichts der dumme Vogel,
Meint der Aar, daß sie gestorben,
Und der Rab', daß sie verschwunden,
Daß vom Schwerte sie gefallen,
Daß dem Beile sie erlegen.

Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
»Holde, die du mich getragen,
Liebreiche, die du mich säugtest! [500]
Bist nun tot, die mich getragen,
Bist dahin, du liebe Mutter,
Staub schon ist dein Leib geworden,
Tannen wachsen auf dem Haupte,
Auf den Fersen dir Wacholder,
Auf den Fingerspitzen Weiden.

»Hab' nun meinen Lohn, Betörter,
Hab', Unsel'ger, meine Strafe,
Daß mein Schwert ich dort gemessen,
Daß die Waffen ich getragen [510]
Zu dem Hofe von Pohjola,
Zu des Düsterlandes Grenzen,
Untergang ward meinem Stamme,
Hingerafft ward meine Mutter.«

Schaut sich um nach allen Seiten,
Siehet gar gelinde Spuren,
Die das Gras herabgetreten
Und das Heidekraut zerdrücket;
Gehet um den Weg zu finden,
Um die Richtung zu erspähen; [520]
Zu dem Walde führt der Fußweg,
Dorthin leitet ihn die Richtung.

Gehet eine Meil', die zweite,
Eilet noch ein Stücklein Landes
In des schatt'gen Haines Dickicht,
In den Schoß der düstern Waldung;
Sieht dort ein verstecktes Hüttlein,
Eine kleine Winkelstube
In der Höhlung zweier Felsen,
In der Mitte dreier Tannen, [530]
Drinnen seine liebe Mutter,
Sieht sie dort, die greise Alte.

Darauf freut sich Lemminkäinen,
Er, der muntre, sehr im Herzen;
Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
»Vielgeliebte du, o Mutter,
Die du mich hast aufgezogen!
Bist, o Mutter, noch am Leben,
Liebe Alte, nicht entschlummert, [540]
Glaubte schon, du seist gestorben,
Meinte, daß man dich getötet,
Mit dem Schwerte dich vernichtet,
Mit dem Speere dich gemordet,
Weinte aus dem Kopf die Augen,
Meine Wangen mir zuschanden.«

Sprach die Mutter Lemminkäinens:
»Freilich bin ich noch am Leben,
Mußte damals wohl entfliehen,
Im Verstecke mich verbergen, [550]
In dem Dunkel dieses Haines,
In dem Schoß der düstern Waldung;
Kam mit Krieg das Volk des Nordens,
Zog zum Streit der ferne Haufen
Gegen dich, den Mühbeladnen,
Gegen dich, den Unheilvollen,
Brannte unser Haus zu Asche
Und zerstörte unsern Hofraum.«

Sprach der muntre Lemminkäinen:
»Mutter, die du mich getragen, [560]
Sei du nur nicht trüber Stimmung,
Laß die Traurigkeit du fahren!
Werde eine neue Stube,
Eine bessere dir zimmern,
Werde nach dem Nordland ziehen,
Werd' das Lempovolk vertilgen.«

Sprach die Mutter Lemminkäinens
Selber Worte dieser Weise:
»Lange bist du, Sohn, geblieben,
Hast, o Kauko, du geweilet [570]
Dort in jenen fernen Ländern,
Stets bei jenen fremden Türen,
Auf der Landzung' ohne Namen,
Auf dem unbekannten Eiland.«

Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
»War gar gut dort zu verweilen,
Lieblich war es dort zu schweifen,
Rötlich glänzten dort die Bäume,
Bläulich schimmerten die Fluren, [580]
Silbern dort der Föhren Zweige,
Golden dort der Heide Blumen;
Berge gab es dort aus Honig,
Felsen ganz aus Hühnereiern,
Met troff dort aus trocknen Tannen,
Milch entströmte dürren Fichten,
Butter floß aus allen Ecken,
Bier aus allen Zaunstaketen.

»War gar gut dort zu verweilen,
Köstlich war es, dort zu säumen; [590]
Darin nur war schlimm das Leben,
Deshalb ungewohnt zu weilen:
Fürchten tat man für die Mädchen,
Wähnte, daß die Frauenzimmer,
Diese schlechten Lumpendinger,
Dieses schlimmgeratne Völkchen
Von mir arg behandelt würde,
Übermäßig nachts besuchet:
Hab' die Mädchen doch gemieden,
Mich gehütet vor den Töchtern, [600]
Wie der Wolf die Schweine meidet
Und den Hühnerhof der Habicht.«


Anmerkungen

Vers 141 f. Weil sie so lange ungesungen geblieben sind (vgl. I 7 ff ).


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